Netzpolitischer Wochenrückblick KW 41 & 42: Die Rückkehr des Vorratsdaten-Zombies

CC BY-NC 2.0 by Sam Javanrouh

Bei all der Berichterstattung über die nicht mehr sicheren Hafenanlagen und die Wiederkehr der Vorratsdatenzombies wäre unser netzpolitischer Wochenrückblick fast ins Wasser gefallen. Doch wir lassen uns nicht unterkriegen und liefern hier einen kombinierten Rückblick, was in den vergangenen zwei Wochen auf unserem Blog passiert ist.

Vorratsdatenspeicherung in Deutschland und Australien

Kaum wird es kälter, kommt der Zombie Vorratsdatenspeicherung (VDS) zurück: Am vergangenen Montag wurde bekannt, dass die VDS am Mittwoch im Rechtsausschuss und Freitag im Bundestag Thema sein wird. Wem vor Schreck nach dieser Nachricht alle Erinnerung an die VDS abhanden gekommen ist, dem empfehlen wir unsere Vorträge zum Thema.

Obwohl die Überwachungsmaßnahmen in den vergangenen Jahren schon massiv ausgeweitet wurden, ließ sich der Rechtsausschuss nicht von den vorliegenden Dokumenten gegen eine VDS beirren und hat den Gesetzesentwurf zum Bundestag durchgewunken. Da hat auch unser Beitrag aus der Reihe „Lügen gegen die Vorratsdatenspeicherung“ nichts geholfen, auch nicht die sechs Thesen unseres Gastautors, der seine Promotion zum Thema VDS schreibt. Ein weiterer Gastbeitrag hat sich mit den Auswirkungen des Gesetzentwurfs auf den Schutz von Berufsgeheimnissen beschäftigt.

Am Freitag haben dann 404 Abgeordnete für das Gesetz zur Wiedereinführung der VDS gestimmt. Error! Das läuft nicht nur in die falsche Richtung, weil die „404“ als HTTP-Fehlercode bedeutet: „The requested resource could not be found.“ Neben unserem Liveblog aus der Bundestagsdebatte haben wir Reaktionen aus Presse, Politik, Verbänden und NGOs zusammengestellt. In den Zeiten einer erneuten VDS ist die digitale Selbstverteidigung besonders wichtig: Wir bieten daher eine Übersicht über mögliche Maßnahmen an, um der anlasslosen Massenüberwachung zu entgehen. Aus unseren neuen Reihe zum Thema „Privacy Tools“ befasst sich der erste Artikel genauer mit Tor.

Die VDS ist auch ein Thema in Australien. Dort ist am Dienstag eine nationale VDS in Kraft getreten: Metadaten werden künftig anlasslos für zwei Jahre gespeichert. In Großbritannien wurde bekannt, dass selbst die hiesigen Parlamentarier keinen Schutz vor geheimdienstlicher Überwachung genießen.

NSAUA: Grauliche Erkenntnisse, Piloten und ihre Drohnen

Am Vorabend des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses berichtete Spiegel Online, dass der BND bis ins vergangene Jahr andere EU-Länder und die Botschaften und Behörden befreundeter Staaten ausspioniert hat – ganz ohne die NSA und am Auftragsprofil der Bundesregierung vorbei. Dies könnte eine erste Verlautbarung aus dem „Graulichen Selektoren-Studium“ im Keller des BND sein. Kurt Graulich selbst ist für den 5. November vor den Geheimdienst-Untersuchungsausschuss geladen.

In der dieswöchigen Ausschusssitzung haben wir weitere Details zum geheimen Drohnenkrieg der USA erfahren. Wenige Stunden zuvor veröffentlichte The Intercept eine umfangreiche Dokumentation zum Drohnenkrieg. Die Zeugin Frau K. wurde leider erneut von Erinnerungslücken geplagt. Unser Protokoll steht mit Gliederung und Zusammenfassung zum Nachlesen bereit – auch die Kollegen vom Podcast „Technische Aufklärung“ berichten von der Sitzung.

In einem bewegenden Interview schildert Nighat Dad die Auswirkungen der Drohnenmorde in ihrem Heimatland Pakistan. Doch Drohnen können so einfach für friedliche Zwecke genutzt werden: Das Aussteigerprogramm für Geheimdienstmitarbeiter_innen, Intelexit, hat die Info-Kampagne fortgesetzt und ließ von einer Drohne Flugblätter auf einen US-Stützpunkt segeln.

Außereuropäische Hafenschließung, Netzneutralität und europäische Überwachung

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Entscheidung der EU-Kommission, die USA zum sicheren Hafen für europäische Daten zu erklären, zurückgewiesen. Wir haben Reaktionen aus Presse, Politik, NGOs und von Verbänden zusammengetragen und das Urteil genau unter die Lupe genommen. Der Verfahrenssieger Max Schrems kommentiert das Urteil im Podcast „Logbuch-Netzpolitik“ ausführlich. Inzwischen gibt es ein Web(sem)inar und einen Podcast zur aktuellen rechtlichen Situation. Wir haben außerdem den Kopf hinter dem ersten Datenschutzgesetz, das vor 45 Jahren in Hessen in Kraft trat, interviewt. Unterdessen beklagt sich unser „Cyber-Kommissar der Herzen“, Günter Oettinger, über hypersensiblen Datenschutz und entsprechende Wettbewerbsnachteile.

Die Debatte um die Netzneutralität geht im EU-Parlament in die nächste Runde. Da für die Abstimmung am 27. Oktober keine Änderungsanträge geplant sind, droht das Gesetz in der gegenwärtigen Fassung durchzugehen. Warum das problematisch ist und was Sie tun können, beschreibt Thomas Lohninger. In einer neuen Studie hat sich eine deutliche Mehrheit der BürgerInnen für Netzneutralität ausgesprochen. Ein Schritt gegen die Neutralität der Netze ist jedoch die Facebook-Initiative „Internet.org“. Diese hat nun eine Kooperation mit dem Satellitenbetreiber Eutelsat verkündet. Ein internationales Bündnis aus Menschenrechtsorganisationen geht außerdem mit einer Petition gegen den Klarnamenszwang bei Facebook/a> vor. Der Klarnamenszwang setze viele Nutzer_innen einem hohen Risiko aussetzen, so das Bündnis.

Der Innenausschuss des EU-Parlaments hat der Kommission ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Diese habe bisher immer noch nicht angemessen auf die Enthüllungen von Snowden reagiert. Vielmehr habe sie dabei zugesehen, wie die Überwachung in einigen Mitgliedsstaaten sogar ausgebaut wurde. Bei der europäischen Polizeiagentur Europol hat die „Meldestelle“ zur Dokumentation, Analyse und Entfernung unliebsamer Internetinhalte ihre Arbeit aufgenommen. Wir erklären, welche rechtlichen Probleme bestehen und warum die parlamentarische Kontrolle dieser Abteilung schwierig ist. Frankreich fordert da lieber gleich eine weltweite biometrische Datenbank, um Kosten zu sparen.

Snowden, China und Netzpolitik weltweit

In einem Interview mit der BBC hat Snowden erklärt, wie der GCHQ Smartphones und Router hackt. Snowden äußerte sich auch zum Thema Verschlüsselung, während die Obama-Regierung erklärte, dass es keine verpflichtenden Hintertüren in IT-Produkten geben wird. Ein verheerendes Urteil wurde an anderer Stelle gegen den Journalisten Matthew Keys gefällt. Er wurde wegen der Beihilfe zu einem 40-minütigen Anonymous-Hack der Webseite der LA Times verurteilt.

Auf Bitten der USA hat die chinesische Regierung eine Gruppe von Personen verhaftet. Sie sollen in US-Server eingedrungen sein. Viele Medien haben zudem ungenau über das geplante „Social Credit System“ in China berichtet: Wir haben auch hier die Lage untersucht – denn auch westliche Länder sind nicht unbedingt weit von einem solchen System entfernt.

Von dem pazifischen Handelsabkommen TTP wurde indessen das Kapitel zu Immaterialgüterrechten, also Patent-, Urheber- und Markenrechten, auf Wikileaks wiedergefunden. Bislang hat es noch niemand als vermisst, gestohlen oder kopiert gemeldet. Durch einen Leak wurden Russlands Überlegungen zu einem nationalen Internet öffentlich. Im wahlkampfgeplagten Weißrussland kam es zu DDoS-Angriffen auf mehrere Medienseiten. Der syrische Netzaktivist Bassel Khartibil ist seit drei Jahren in Haft und wurde nun an einen unbekannten Ort verlegt. Im Iran sollen netzpolitische Entscheidungen im „Supreme Council of Cyberspace“ getroffen werden. „Cyber, cyber“ heißt es auch aus der Ukraine: Auch hier soll künftig eine Cyberpolizei für Ruhe und Ordnung sorgen.

Landesverrat, gemeinsame TKÜ-Aufgaben, Routerzwang und SPD

Wie geht es weiter nach der Landesverrats-Affäre? Hierzu fand ein ausführliches Fachgespräch im Bundestag statt. An einem anderen Schauplatz haben wir derweil schon einen ersten Teilerfolg errungen: Bei unserer Klage gegen den BKA-Staatstrojaner beklagt auch das zuständige Gericht die „spärlichen Informationen“, die das BKA auf unsere IFG-Anfrage herausgerückt hatte.

Fünf Bundesländer wollen stärker zusammenarbeiten. Ein gemeinsames Dienstleistungszentrum soll TKÜ-Aufgaben bündeln und den Strafverfolgungsbehörden bei der Überwachung von Personen das Leben leichter machen. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass zurückgefilmt werden darf: Die Dokumentation von polizeilicher Arbeit bei Demonstrationen ist legal. Währenddessen markieren deutsche Behörden die Handyanschlüsse von Flüchtlingen und schieben den Schwarzen Peter den Mobilfunkanbietern zu.

Nun ist auch der Weg zur Abstimmung im Bundesrat über den Routerzwang frei. Was die Deutsche Bahn im ICE nicht schafft, will Bundesverkehrsminister Dobrindt jetzt in Regionalzügen zum Standard machen: kostenloses WLAN. Die SPD schafft es, den Willy-Brandt-Sonderpreis für besonderen politischen Mut an Sarah Harrison zu verleihen. Gleichzeitig beteiligt sie sich an den heimlichen Kungelrunden, um die bisherige Abhörpraxis des BND zu legalisieren. Ach ja, nicht zu vergessen, dass zwei SPD-Ministerien eine Digitalagentur schaffen wollen.

Freiheitsangelegenheiten

Zum Abschluss ihrer „PDFreaders“-Kampagne kann die Free Software Foundation Europe (FSFE) einen Erfolg verzeichnen: Sie hat erreicht, dass 1125 Webseiten der öffentlichen Verwaltung nicht mehr nur PDF-Betrachter ohne freien Quellcode empfehlen oder die entsprechenden Verweise einfach komplett entfernt haben.

Der Gründer von Pirate-Bay und Mitgründer von flattr, Peter Sunde, fragt im Interview, ob wir Privatunternehmen die Herrschaft über das Netz überlassen möchten. Wer die eigene Arbeit der Netzgemeinde zur Verfügung und daher unter eine Creative-Commons-Lizenz stellen will: Ein entsprechendes Handbuch dafür liegt nun in einer deutschen Übersetzung vor. Über eines der vielen Beispiele für gelungene und sehenswerte Creative-Commons-Kunst haben wir berichtet. Während der Landtag von Sachsen-Anhalt sich für mehr offene WLANs ausgesprochen hat, gibt es Überlegungen, einen Kopierschutz in das Bildformat JPEG einzubauen.

Ein neues Plugin für den Firefox-Browser geht ungewöhnliche Wege: Neben einem laufenden Adblocker klickt AdNauseam jede Werbeanzeige im Hintergrund, um massenhaft Daten über die Besucher_innen der entsprechenden Webseiten zu erzeugen. Wie es um die digitale Haltbarkeit von Fehlinformationen bestellt ist, untersucht ein weiterer Gastbeitrag. Außerdem startet ein lesenswertes Online-Journal zu Regulierungstrukturen und -prozessen im Netz mit der ersten Ausgabe.

Mitarbeit: Nikolai Schnarrenberger

5 Ergänzungen

  1. @ Netzpolitik-Team

    Mal ketzerisch gefragt: Warum stört sich niemand ernsthaft daran, dass alle finanzbezogenen Daten 10 Jahre auf Vorrat gespeichert werden? Alles, was mit Geld zu tun hat, wird aus handels- und steuerrechtlichen Gründen 10 Jahre lang gespeichert. (Ja, es gibt Bargeld, aber die große Masse bezahlt aus Bequemlichkeit mit Karte bzw. Online-Payment.)

    Ein Lolli mit Karte bezahlt – 10 Jahre gespeichert.
    Dem Urologen/Frauenarzt den Eigenanteil für eine Behandlung überwiesen – 10 Jahre gespeichert.
    Flugreise per Kreditkarte gebucht – 10 Jahre gespeichert (Was war nochmal schlimm an PNR? Da geht es nur um 5 Jahre.)
    Spende an netzpolitik.org überwiesen – 10 Jahre gespeichert.

    Was ist der Unterschied zwischen VDS für Telefon+Internet und für Geldflüsse?
    Warum ist es schlimmer, dass alle Telefonverbindungen und IP-Adressen 10 Wochen gespeichert werden, während Geldflüsse für 10 Jahre protokolliert werden?

    ACHTUNG: Ich bin auch gegen die verdachtsunabhängige VDS. Aber mich stört dieser Bias der VDS-Kritiker, die vor lauter Anti-VDS-Aktivismus betriebsblind werden und die anderen (sehr alten) Vorratsdatenspeicherungen völlig außer Acht lassen. Ich habe kein gutes Gefühl, wenn Banken, Händler, Kartenzahlungs-Netzbetreiber und dutzende Subdienstleister 10 Jahre lang speichern, was ich wo und wann wie oft und für wieviel kaufe. Kommunizieren kann ich auch ohne VDS (z.B. mündlich und persönlich). Einkaufen, um zu überleben, kann ich (außer mit Bargeld) nur mit Finanz-VDS.

  2. Wie ich euch verabscheue von Netzpolitik, das könnt ihr euch nicht vorstellen.
    Auch wenn ich ein Wähler der CD. bin, finde ich das ihr euch Dinge anmaßt und die Leser in die irre führt.

    Das könnt ihr auch löschen, aber das sind meine Gedanken zu euch von den Grünen.

      1. Ich frage mich im Kern nach dem deutschen Interesse… Es passieren soviel Dinge und es wird immer nur geredet… Aber passiert ist rein gar nichts….

        Man hat Hoffnungen und wünsche. Aber das geht irgendwie alles an einem vorbei.

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