Wochenrückblick KW 45Immer mehr „Sicherheit“

Es war eine Woche mit wenig Schlaf: Die sozialen Medien hatten ordentlich mit Lügen zu kämpfen – nicht nur von Trump. Der Bundestag hat beschlossen, dass Fingerabdrücke in den Personalausweis kommen und die Musikindustrie geht hart gegen ein Open-Source-Tool vor. Die Themen der Woche im Überblick.

Eine braune Ziege mit weißen Flecken und einer blauen Glocke um den Hals schaut in die Kamera.
Hat weder Fingerabdruck, noch Personalausweis: eine Ziege. – Vereinfachte Pixabay Lizenz Henrik Jensen

Wir starten ins Ende einer Woche, in der zwei neue Praktis zu uns gestoßen sind: Herzlich willkommen, Mascha und Serafin! Heute schauen wir zu dritt zurück auf die Themen der vergangenen Woche, in der wahrscheinlich viele von euch immer wieder den neuesten Stand der Auszählung im Rennen um die US-Präsidentschaft gecheckt haben. Dazu unten mehr.

Der Bundestag hat die Speicherpflicht für Fingerabdrücke in Personalausweisen beschlossen, ohne auf die Kritik der Expert:innen im Innenausschuss einzugehen. Die Pflicht, dass alle Bürger:innen ihre biometrischen Daten abgeben, soll die Ausweise sicherer machen, birgt aber die Gefahr des Missbrauchs. Bis zum Inkrafttreten der Fingerabdruck-Pflicht bekommt man noch einen Perso ohne Fingerabdrücke.

Das unaufhörliche „Mehr an Sicherheit“ hält seit den Anschlägen vom 11. September 2001 an, analysiert Elke Steven von der Digitalen Gesellschaft in ihrem Gastbeitrag. Und das, obwohl die umfangreichen Sicherheitspakete nie ernsthaft evaluiert wurden. Sie fordert daher eine Freiheitsbestandsanalyse statt der im Bundestag aktuell durchgepeitschten Entfristung der Anti-Terror-Gesetze. Es droht eine dauerhafte Rundum-Überwachung.

Unsere Autorinnen Constanze Kurz und Marie Bröckling waren als Sachverständige in zahlreichen Anhörungen in Ausschüssen geladen. Dabei haben sie die Frustrationsgrenze erreicht. Zahlreiche netzpolitische Expert:innen aus der Zivilgesellschaft können wohl auch ein Lied davon singen. Es sei gut, dass Expertise eingefordert wird, aber der Umgang mit den Expert:innen müsse sich verbessern. Wie das gehen könnte, dafür machen sie auch Vorschläge in ihrem Kommentar.

US-Präsidentschaftswahl und Volksentscheid in Kalifornien

Noch immer werden bei der Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten fieberhaft Stimmen gezählt. Donald Trump macht indes, was er häufig macht: Lügen. Meistens auf Twitter. Dabei war er nicht allein: Die sozialen Medien wurden mit Falschmeldungen geflutet. Die Netzwerke hatten im Vorfeld neue Strategien versprochen. Ihr Erfolg war gemischt.

Vor vier Jahren blickte man noch gebannt auf die berühmte Nadel der New York Times, die auf einer einfachen Skala die Wahrscheinlichkeit des Wahlergebnisses präsentierte. Die graphischen und interaktiven Darstellungen sind seitdem um einiges komplexer und interessanter geworden. Wir haben einige der besten Visualisierungen zusammengestellt.

In Kalifornien standen neben dem Präsidenten auch mehrere Volksentscheide auf dem Wahlzettel. Es wurde überwiegend für ein umstrittenes Datenschutzgesetz gestimmt, das zwar einige Lücken schließt, dafür aber andere öffnet. Eine Provision, die Fahrer:innen für Uber und Co. ihrer erst kürzlich erkämpften Arbeitnehmer:innenrechte beraubt, erhielt ebenfalls eine Mehrheit.

Zum Auftakt der Präsidentschaftswahl kam eine Analyse zu dem Schluss, Trump zahle im Schnitt weniger für Facebook-Werbung als Biden. Der Auktionsprozess dahinter ist intransparent, es wird aber nahegelegt, Trumps Werbung könnte als „relevanter“ eingestuft werden. Durch die stärkere Polarisierung ist bei ihnen die Interaktionsrate höher. Der Preisunterschied glich sich gegen Ende hin aber aus.

Missbrauch vertraulicher Daten

Privacy International hat eine neue Kampagne zum Schutz von Menschenrechtsaktivist:innen gestartet. Ziel ist es, ein Zeichen gegen autoritäre Unterdrückung, Spionage und Gewalt zu setzen. Bekannt sind 388 Attacken auf Aktivist:innen im Jahre 2017 und 120 Tote – vor allem Frauen sind betroffen. Der Artikel erzählt Geschichten von Menschenrechtsaktivist:innen, die alles aufs Spiel setzen und sich mit dieser Kampagne öffentlich Gehör verschaffen.

Das Online-Zugangs-Gesetz ist ein Gesetzesvorhaben des Bundestages. Es erhält viel Zustimmung von Jurist:innen und Kritik von Informatiker:innen. Das Gesetz beinhaltet die Digitalisierung staatlicher Familienleistungen wie Mutterschaftsgeld, Elterngeld und Erziehungsgeld. Eltern soll dadurch ab Ende 2022 das Leben erleichtert werden, denn Besuche beim Amt blieben ihnen erspart. Inwiefern der Datenschutz hierbei jedoch zu kurz kommt, erfahrt ihr hier.

In Pandemiezeiten verändert sich bekanntlich auch das Schulsystem, sprich: Unterricht findet via Online-Software statt. Die personenbezogenen Daten von Kindern genießen einen besonderen Schutz, der immer berücksichtigt werden muss. Bei einer durch die Schule erzwungenen Nutzung von Office 365 kommt es aber zu schwer oder gar nicht kontrollierbaren Datenabflüssen. Rechtsanwalt Oliver Rosbach hat am Beispiel einer bayerischen Schule die Datenschutzverstöße analysiert.

Über die Coronatest-Website des EU-Parlaments gelangen hochsensible Gesundheitsdaten von Abgeordneten an die Betreiberfirma EcoCare. Die Tochterfirma von EcoLog aus den Vereinigten Arabischen Emiraten transferiert auch Daten in die USA. Sieben Abgeordnete aus der Grünen-Fraktion reichen beim EU-Parlament Beschwerde ein. Der EU-Datenschutzbeauftragte hat inzwischen alle EU-Institutionen aufgefordert, den Transfer personenbezogener Daten an die Vereinigten Staaten zu vermeiden. Es steht noch offen, ob der Fall vom Europäischen Gerichtshof bearbeitet werden wird.

Bye, bye Zettelwirtschaft: Ab diesen Sonntag soll die Einreiseanmeldung für Rückkehrer aus Corona-Risikogebieten digitalisiert werden. Wer in Deutschland einreist soll keine Aussteigekarte mehr ausfüllen, sondern per Browser die Daten angeben. Die Informationen werden dann direkt an das zuständige Gesundheitsamt übermittelt. Es gibt jedoch technisch und rechtlich noch einiges zu klären.

Die Datenhandelsfirma Experian setzt nach Ansicht der britischen Datenschutzbehörde illegale Praktiken ein, um personenbezogene Informationen an Marketingkonzerne weiterzuverkaufen. Millionen von Brit:innen sind betroffen. Demnach ermittelte Experian beispielsweise die Kaufkraft von Personen anhand des Abgleichs von Bonitätsdatenbanken. Bei Nichteinhaltung der Anordnungen der Datenschutzbehörde droht dem Datenhändler ein Bußgeld von 20 Millionen Pfund oder vier Prozent des Jahresumsatzes.

Interoperabilität, umweltpolitische Digitalagenda in Europa

„Wer die Nutzer:innen hat, der hat auch die Macht“ – das galt bisher. Wie die Pflicht zur sogenannten Interoperabilität die Netzwerke mit dem demnächst vorgestellten Digitale-Dienste-Gesetz verändern würde und wie etwa das Silicon Valley darauf reagiert, hat unser EU-Korrespondent Alexander Fanta in einem längeren Hintergrundartikel aufgearbeitet. Es geht um die Pläne der EU, wie die Macht der großen sozialen Netzwerke aufgebrochen werden könnte.

Das Umweltministeriums will während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft eine umweltpolitische Digitalagenda vorantreiben. Die Hardware des Internets und der Digitalisierung laufen in stromfressenden Rechenzentren, die dabei im Fokus stehen sollen. Im Interview erzählt uns der Forscher Stephan Ramesohl vom Wuppertal Institut, warum gerade dies so wichtig ist.

Und sonst so?

Thomas Laschyk oder auch „Volksverpetzer“ setzt Lügengeschichten und Halbwahrheiten bezüglich der Covid-19-Pandemie ausführliche Faktenchecks und wissenschaftliche Belege entgegen. Im Interview mit netzpolitik.org geht es um die Entstehung, Bedeutung und Entwicklung der unabhängigen, spendenfinanzierten Initiative. Laschyk spricht unter anderem über den geschickten Einsatz von Sprache, Beiträge mit der höchsten Reichweite und den Einfluss von Social-Media-Plattformen auf die Politik.

Seit einigen Woche geht die US-Musikindustrie gegen die Open-Source-Software youtube-dl vor. Mit dem Kommandozeilen-Tool lassen sich Inhalte von YouTube herunterladen. Wegen vermeintlicher Rechteverstöße regnet es Abmahnungen. Aber nur weil eine Software rechtswidrig genutzt werden kann, ist die Software selbst nicht illegal.

Peter Grottian engagierte sich gegen Überwachung, stand dem Internet und sozialen Medien kritisch gegenüber und sympathisierte mit politischem Aktivismus. Der ehemalige Berliner Professor wirkte drei Jahrzehnte lang am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft und prägte viele seiner Studierenden. Meisterhaft gab er ihnen Ratschläge für demokratischen Rebellion, Provokation und mediale Wirkung von Protesten mit. Peter Grottian ist nun im Alter von 78 Jahren verstorben.

Die Video-App TikTok wird in den USA doch nicht verboten. Trumps Anweisung wurde durch ein Gericht ausgesetzt. Drei Nutzer:innen hatten unter Berufung auf die Redefreiheit Klage eingelegt.

Letzte Woche haben wir die Milliardeninvestitionen der Google News Initiative in den Journalismus unter die Lupe genommen. Unter den Empfänger:innen ist auch eine regierungsfreundliche Zeitung in Ruanda. Menschenrechtsorganisationen zeigen dafür kein Verständnis. Der Artikel dazu ist auch auf Englisch verfügbar. In unserem Netzpolitik-Podcast geben Alex und Ingo zudem einen ausführlichen Überblick über ihre Studie und Einblick in ihre Recherchen. Sie durchleuchten das komplexe Netzwerk, das sich Google mittlerweile mit Medien aufgebaut hat, und erklären, wie es dazu kam, dass Google mittlerweile der größte Medienförderer geworden ist.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

Eine Ergänzung

  1. Naja die Betriebssicherheit der Demokratie…

    ist in gewisser Weise Definitionssache.

    Soll es einen Einfluss haben, was gewählt wird? Wenn ja ergibt sich eine ganze Menge an Folgerungen, wenn Betriebssicherheit im Wesentlichen gewährleistet bleiben soll.

    Dazu wird eben auch Berücksichtigung der „Beteiligungspsychologie“ eine Rolle spielen, unabhängig davon wie man obige Frage beantwortet :).

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.