EuGH-Urteil zur Vorratsdatenspeicherung„Traurige Wende beim Schutz der Privatsphäre“

Der Europäische Gerichtshof ändert seine bisher grundrechtsfreundliche Haltung zur Vorratsdatenspeicherung und erlaubt in einem Urteil die anlasslose Überwachung sogar bei Urheberrechtsverletzungen. Grundrechte-Organisationen sind entsetzt und sprechen von einer „Wende“.

Taste mit Überwachung als Aufschrift
Der EuGH erlaubt jetzt mehr anlasslose Überwachung. (Symbolbild) – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panthermedia

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Urteil die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen erheblich ausgeweitet. Nicht nur sagt das Gericht in seiner Pressemitteilung, dass „die allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte“ darstelle, sondern sieht auch deren Erhebung zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen als rechtmäßig an. Geklagt hatten verschiedene Digital-Rights-Organisationen, unter ihnen La Quadrature du Net gegen das französische Anti-Piraterie-System HADOPI.

Laut dem Gericht ist eine Vorratsdatenspeicherung zulässig, „wenn die nationale Regelung Speichermodalitäten vorschreibt, die eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten gewährleisten und es damit ausschließen, dass genaue Schlüsse auf das Privatleben der betreffenden Person gezogen werden können.“

Der Europäische Gerichtshof hatte bislang immer gegen eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung geurteilt, so zum Beispiel gegen die deutsche Variante der Massenüberwachung. Das Gericht hatte in den letzten Jahren wiederholt eine anlasslose Vorratsspeicherung von Verbindungs- und Standortdaten deutlich abgelehnt.

Gleichzeitig hatte er aber in Ausnahmefällen erlaubt, IP-Adressen zu speichern, um schwere Kriminalität zu bekämpfen und schwere Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit zu verhüten. Im letzten Jahr hatte sich schon angedeutet, dass es zu einem anderen Umgang mit der Überwachung kommen könne. Dennoch ist die Enttäuschung bei Datenschützer:innen und Grundrechte-Organisationen über das Urteil groß.

„Möglichkeit der Massenüberwachung“

Erik Tuchtfeld, Co-Vorsitzender von D64 sprach von „Ganz schlechten Nachrichten“.  Chloé Berthélémy vom Dachverband europäischer Digitalorganisationen sagt: „Das heutige Urteil des EuGH zum französischen Anti-Piraterie-System HADOPI stellt eine traurige Wende in der europäischen Rechtsprechung zum Schutz des Grundrechts auf Privatsphäre im Internet dar.“ Der Gerichtshof habe beschlossen, „die bisherige Rechtsprechung zum Zugang zu Daten privater Unternehmen aufzuweichen, um Internetnutzer leichter identifizieren zu können.“ In einem breiteren politischen Kontext der zunehmenden Unterdrückung von Journalistinnen, Menschenrechtsverteidigern und der Zivilgesellschaft in Europa untergrabe dieses Urteil auf gefährliche Weise das Recht, online anonym zu bleiben.

La Quadrature du Net nennt das Urteil in einer Erklärung „enttäuschend“. Der EuGH habe seine bisherige Rechtsprechung erheblich verwässert, was sich nicht nur auf den Fall Hadopi auswirke. „Mit diesem neuen Urteil wird der Zugriff auf IP-Adressen nicht mehr standardmäßig als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte angesehen. Infolgedessen lässt der Gerichtshof die Möglichkeit einer Massenüberwachung des Internets zu“, so die Digitalorganisation aus Frankreich.

Auch La Quadrature stuft das Urteil als „wichtige Wende in der EU-Rechtsprechung“ ein. Der Gerichtshof habe mit dem Urteil den „massenhaften, automatisierten Zugriff auf IP-Adressen genehmigt, die mit der bürgerlichen Identität und dem Inhalt einer Kommunikation verbunden sind“. Dieser Zugriff könne laut dem Gericht sogar zu Bagatellzwecken und ohne vorherige Überprüfung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsbehörde erfolgen.

40 Ergänzungen

  1. Und ich dachte, man könnte sich wenigstens auf den EUGH verlassen…
    Aber es beweist, dass erschreckenderweise die Taktik der Überwachungsfanatiker aufgeht:

    Einfach warten, bis sich ein neuer Vorfall ereignet oder ein Politiker irgendwas neu auf die Liste der Aktivitäten, die sie als „kriminell“ definieren, hinzufügt und dann einen neuen Anlauf starten.
    Irgendwann klappts dann schon.

    Die angeblichen „Werte“ der EU werden scheinbar immer mehr zu einer gefährlichen Illusion, wenn man bedenkt , was vor allem seit der VdL-Kommission passiert ist und was aktuell passiert (Chatkontrolle & Co).
    So hab ich zumindest immer mehr das Gefühl. Ich würde gerne das Gegenteil glauben, aber angesichts der aktuellen Situation und vor allem nach diesem Vorfall jetzt ist das absolut unmöglich.

    Wenn nicht einmal mehr unsere Grundrechte gesichert sind… auf was kann man sich denn dann überhaupt noch verlassen…?

      1. Ja. Aber das grundrechtseinschränkende Gesetz soll ja per Definition auch die Verhältnismäßigkeit wahren.
        Und genau da habe ich seeeeehr starke Zweifel.

        Vielleich mag es am Anfang noch einen Umfang haben, in dem das gegeben ist. Aber es wird mit der Zeit Rufe geben, das auszuweiten auf x-beliebige Dinge.
        Konnte man ja auch bei den vorherigen Versuchen beobachten, die VDS zu legalisieren. Erst die üblichen Verdächtigen (Terror, Kipo). Dann plötzlich Urheberrecht. Was wird es zukünftig noch alles sein…?

        Ebenso sieht man ja auch – vor allem an diesem Urteil – wie schnell sich alles ändern kann.
        Was jahrelang illegal war, kann morgen legal sein (im Bereich Überwachung)
        Was jahrelang legal war, kann morgen illegal sein (in den Bereichen Sicherheit, Grund- und Menschenrechte).

        Und das ist es, was mich am meisten bestürzt.
        Denn letzten Endes gibt es keine absolute Festlegung von „Verhältnismäßigkeit“. Es ist Auslegungssache.
        Für die Überwachungsbefürworter (Politiker + Strafverfolgungsbehörden) gibt es anscheinend kein „unverhältnismäßig“. Je mehr Überwachung desto besser.

        Abgesehen davon:
        Jahrelang haben die Gerichte es für grundrechtswidrig erklärt. Jetzt plötzlich ist es das nicht mehr? Was hat sich jetzt, im Gegensatz zu den damaligen Versuchen an der Ausgangssituation so geändert, dass diese 180 Grad-Wende erforderlich war?

        Zudem:
        Wegen dem, was in der EU noch ansteht (Chatkontrolle, Going dark usw) ist dieses Einknicken des EUGH ein absolutes Desaster für Demokratie, Grund- und Menschenrechte.
        Denn jetzt wissen die EU-Politiker, wie sie auch den EUGH rumkriegen.
        Und genau so, wie sie all die Jahre bei der VDS vorgegangen sind, werden sie jetzt garantiert auch mit der Chatkontrolle vorgehen.

        Ich habe bis jetzt den EUGH eigentlich immer als letzte Verteidigungslinie von den Grund- und Menschenrechten gesehen.
        Mit diesem Urteil ist auch diese Linie offenbar gefallen.

    1. Auch die EU-Richter haben realisiert, dass die sie stützenden Strukturen zeitnah nur mit effektiven Machtinstrumenten aufrecht zu erhalten sind.

      Es ist realistisch: die Wähler wollen mehrheitlich den knallharten Crash in der Klimakrise, sie werden ihn bekommen, und die liberale Demokratie wird das nicht überstehen. Das Modell China ist für die Bevölkerung wesentlich besser als das Model Musk/Thiel.

      1. Zwischen China und Thiel entscheiden müssen… Ich würde unsere Zurechnungsfähigkeit für nicht gegeben einschätzen, wenn wir das zulassen.

        1. Die Wahlergebnis steuern uns eher auf eine +4C als eine +2C Welt zu, die Industrieplanungen reichen auch fuer +5C. Das Ergebnis ist klar: sehr viele sehr grundlegende Resourcen werden fuer sehr viele Leute sehr knapp werden.

          Das Modell China ist ein autoritaerer Staat, der Resourcen zuteilt. Das Modell Musk/Thiel ein autoritarer Staat, der die wenigen Reichen schuetzt und Resourcen ueber Reichtum verteilt.

          Welche realistischen Alternativen sehen Sie und was tun Sie fuer deren Erreichung?

          1. Technologisch muss Europa die Rohstoffe (und Produkte), die derzeit importiert werden müssen, im Kern irgendwie loswerden. Full de-risking. Dann die Grätschenfrage: Wenn wir (Fantasie!) alles irgendwie aus einem Gummiband, einem Stück Holz, und einer abgebrochenen Dosenlasche herstellen können, werden wir unser Wissen dann mit den Benachteiligten dieser Welt teilen?

            Die Prinzipalszenarien stehen schon immer am Horizont, und Konzepte dazu lauten nicht selten „VERHINDERN!“. Beispiel: Was wenn jeder alles kann, und im Grunde keiner was von anderen mehr braucht? [Grätschenfrage dazu: Schafft ihr es bis dahin eine vollständige Zivilisation, also mit Zukunft, zu bauen?]

  2. Ist da etwa das Köfferchen endlich bei den richtigen gelandet?
    Kurz vor der EU Wahl ist das neben den heldenhaften Bemühungen zur Chatkontrolle tolle Werbung.

  3. Allerschwerste Straftaten wie **Raubmordkopiererei**!1!

    Für die Contentmafia bauen wir jetzt schon die Menschenrechte ab und den Überwachungsstaat auf?

    Ernsthaft?

    Nichtmal wegen den üblichen Reitern der Apokalypse?!?!?!?

    Denkt doch nur mal einer an die Kinder…

  4. Unter diesen Umständen prognostiziere ich, dass in ca. fünf bis zehn Jahren unsere Demokratie, unser freiheitliches Rechtssystem und alles, was uns seit 1949 ff. lieb und teuer geworden ist, einem dystopischen Tod zum Opfer gefallen ist.

      1. Es ist alles sehr verwirrend ?!

        Welches Recht gilt denn zum jetzigen Zeitpunkt Stand Juni 2024 ?

        Wird in der Rechtssprechung derzeit europäisches oder nationales Recht angewendet ?

        Gilt derzeit noch die 7 Tagesfrist zur Speicherung der IP Verkehrsdaten ?

        Wo kann man einsehen wann entsprechende Debatten stattfinden bzw. entsprechende nationale Gesetze verabschiedet werden ?

        Grüsse Peter

  5. Ich habe das Urteil selber nicht angesehen, aber in dem Artikel hier und auch in dem von LQDN ist irgendwie unklar, wer wann welche IP-Adressen genau speichern darf: Der Zugangsanbieter, wer wann welche dynamische IP hatte? Ein Webseitenbetreiber, welche IP-Adressen wann auf die Seite zugegriffen haben? (Das war doch schon mal Thema, im EuGH-Fall „Breyer“, oder?) Oder wer? Irgendwelche Nummern im Format 127.168.0.1 zu speichern ist ja erstmal kein Grundrechtseingriff von irgendwem. Routingtabellen sind ja quasi auch Massenspeicher von IP-Adressen bzw. -Adressbereichen. Könnt ihr das noch ausbuchstabieren? Danke!

    1. „Ich habe das Urteil selber nicht angesehen, aber […] Könnt ihr das noch ausbuchstabieren?“

      Warum nicht? Was der EuGH erlaubt hat steht nämlich alles sehr kompakt im Urteil, konkret in Randnummer 164.

  6. Bedauerlicherweise war dies irgendwie abzusehen.

    Es zeigt sich jedenfalls, dass nicht mal auf die obersten Gerichte verlass ist, wenn es um den Schutz und die Wahrnehmung von essenziellen Grund- und Freiheitsrechten geht.

    Wahrscheinlich ist dies auch dem Zeitgeist geschuldet, denn derzeit werden sowohl die autoritären Entwicklungen von „liberalen, demokratischen Staaten“ als auch die permanente Überwachungsgesellschaft der „digitalen Transformation“ über weite Teile der Gesellschaft und (je nachdem anders vermarktet) über fast das gesamte politische Spektrum hinweg akzeptiert. Und da die Digitalisierung von Staat und Wirtschaft durch Post-Privacy, digitaler Identität/Identifizierung und die dadurch verfeinerte Kontrollgesellschaft auch wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit mit China und Co. verspricht, muss natürlich noch das letzte Bisschen an Freiheitsrechten der Untertanen auf allen Ebenen zusammengestrichen werden.

    Zu 100% stehen jetzt die Innenminister*innen längst in den Startlöchern bzw. hohlen die ganzen Entwürfe aus der Schublade und werden in Kürze kräftig abräumen. Bei Faeser, Von der Leyen, und Co. dürften die Sektkorken knallen und die Urheberrechtsmafia stößt mit an.

  7. Zur Ergänzung: man sollte wissen, dass dies das erste mal war, dass ein Fall der Digitales betraf von der „Großen Kammer“ (15 Richter) zur Entscheidung vor das „Plenum“ (alle 27 Richter) gebracht wurde. Die Gründe hierfür sind mir leider nicht bekannt bzw. kann man nur mutmaßen warum das bisher nie der Fall war.

  8. Ist der Europäische Gerichtshof mit anderen Richtern seit dem letzten Urteil besetzt?

    Wenn nein, dann stelle ich mir bei diesem 180-Grad-Schwenk die Frage: Wieviel Geld haben Johansson, Kutcher, Faeser oder andere dieser Sorte denen gezahlt? Was steckt dahinter??

    Das stinkt zum Himmel. Bei aller Unabhängigkeit der Gerichte – sind sie es wirklich?

  9. Die Richter des EUgH werden halt von den nationalen Regierungen gewählt, da werden jetzt halt Leute installiert die den Überwachungsstaat durchwinken und den Regierungen und Etablierten Parteien nicht länger im Weg stehen. Haben Mitglieder der Piratenpartei ja immer wieder davor gewarnt das das passieren könnte.

  10. Zur Auslegung des Begriffes „Privatspähre“ unter den Gesichtspunkten:

    Videoüberwachung / CCVT in Städten, Live-Gesichtserkennung, Biometrische Datenerfassung, Kennzeichen-Scanning, Peilsender, Telekommunikationsüberwachung, Chatkontrolle, Staatstrojaner, Pegasus… u.v.m.

    benötigt man wohl eine eigene Sichtweise.

    Könnte aber übertroffen werden von:
    Government Surveillance Keeps Us Safe
    https://www.nytimes.com/2024/04/21/opinion/fisa-section-702-fbi-privacy.html

  11. Der Alptraum nimmt seinen Lauf. Die Entscheidung offenbart nicht nur mangelndes Bewusssein über die gesellschaftlichen Folgen, sondern auch die technische Ahnungslosigkeit der Richter.

    Nicht nur angesichts der drohenden Chatkontrolle gibt es nur einen einzigen Weg, zu verhindern, dass das Urteil zum Flächenbrand in allen Bereichen der digitalen Welt wird.

    Er heisst: Ziviler Ungehorsam! Und zwar nicht nur seitens jedes einzelnen Bürgers, sondern auch der Provider und IT-Dienstleister!

    Übt Druck aus und streikt gegebenenfalls!

    Organisiert Demos und Massenprotest! Tragt das Problem an die Öffentlichkeit, die Medien!

    Seid nicht Mainstream, sondern entwickelt Alternativen, um Euch gegen den Überwachungsstaat zu wehren!

    Kehrt Microsoft, Apple, Facebook, Google etc. den Rücken!

    Stärkt das Fediverse, lernt und nutzt Linux, studiert und nutzt das Privacy-Handbuch, die Kuketz-Empfehlungsecke u. v. m! Lernt, Tor mit Wissen und Kenntnis zu nutzen und baut es aus!

    IT ist kreativ – macht mit! Man kann der Überwachung entkommen, man muss es nur wollen!

    Unterstützt eine Rückkehr zum „Wilden Internet“, wie es in dem hervorragenden Artikel hier beschrieben ist:

    https://netzpolitik.org/2024/essay-wir-muessen-zurueck-zum-wilden-internet/

    Und wählt Parteien und Strukturen, die für die Freiheit (des Netzes) stehen und gegen Überwachung kämpfen!

    1. Wie bestreikt man denn konkret die Vorratsdatenspeicherung? Und was hat das mit google &c zu tun? Und wie sieht ziviler Ungehorsam aus wenn es um Vorratsdatenspeicheurng geht? Ich weigere mich ins internet zu gehen?

      Sind generell tolle Tips, aber ich sehe jetzt nicht, was die mit dem Problem zu tun haben.

      1. Die Vorratsdatenspeicherung ist genauso wie Google etc. nur ein Mosaikstein und gleichzeitig Ausdruck des zentralen Problems, genannt „Überwachung“, das eben aus vielen, sich akkumulierenden Einzelkomponenten besteht. All die Dinge, gegen die man mit den oben genannten Methoden vorgehen kann, haben auf die eine oder andere Art und Weise Anteil an ihm.

        Egal ob Google oder Facebook aus rein wirtschaftlichen Interessen alles über jeden speichern; egal, ob Regierungen per Gesetz diese Daten nutzen und ggf. missbrauchen; egal, ob der EuGH eben jenes Urteil fällt, das langfristig zu einer weiteren Einschränkung demokratischer Aktionsradien eines jeden von uns führen wird; egal, ob eine potentiell zu erwartende Chatkontrolle uns unserer Privatsphäre wie auch Entscheidungsfreiheit beraubt und damit eine Entpersonalisierung jedes Individuums wie auch einen gigantischen Vertrauensverlust in sämtliche Institutionen provoziert usw. –

        All diese Prozesse wirken zusammen und führen schleichend, aber sicher zu einer Zerstörung demokratischer Gesellschaften durch generiertes Misstrauen, wie sie bis dato nicht stattgefunden hat.

        Dagegen muss man einschreiten – jetzt! Methoden und Mittel wollen gut überlegt und durchdacht sein, da nicht alles gegen alles wirkt. Aber so wie die Politik stetig Mosaiksteine liefert, um den Überwachungsstaat zu zimmern, müssen wir mit ebensolchen Mosaiksteinen dagegen kämpfen.

        Summa summarum besteht eine Chance – nutzen wir sie!

      2. > Wie bestreikt man denn konkret die Vorratsdatenspeicherung?
        Wie machen das die Leute von der Bahn? Sie gehen einfach nicht auf die Arbeit!
        Wie könnten das die Dienstanbieter machen? Sie speichern einfach nicht!

        >Und was hat das mit google &c zu tun?
        Siehe oben, sofern die das auch müssen.

        >Und wie sieht ziviler Ungehorsam aus wenn es um Vorratsdatenspeicheurng geht?
        Demonstrieren. Petitionen. Politiker ansprechen/anschreiben. An die Medien gehen usw.

        >Ich weigere mich ins internet zu gehen?
        Warum solltest Du nicht ins Internet? Du hast doch nichts zu verbergen oder? XD

  12. Ich würde mir einen Artikel wünschen, der mir zeigt, auf welche rechtlichen Grundlage sich der EuGh bei der Rechtssprechung bezieht. Ist das „der“ oberste Gerichtshof, der frei Schnauze interpretiert, was Recht sein könnte und damit viel eher politische Partei als Gericht?

  13. Nicht nur ist dieses Urteil eine absolute Katastrophe und Skandal, sondern auch ein Freifahrtschein zur uneingeschränkten VDS und Massenüberwachung des gesamten europäischen Netzverkehrs! Nicht mehr und weniger als die Aufgabe des Anonymen Internets. Meine Hoffnung liegt jetzt bei den Providern und Dienstanbietern, die sich dem noch entgegenstellen können. Und noch bei jemandem ganz bestimmten: Marco Buschmann

    1. Ich weiß nicht, wer das mit „anonymen Internet“ aufgebracht hat, aber das hat nur ein sehr ferner Vergangenheit funktioniert, als es jedem egal war, wer die Gegenstelle ist.

      Dann ist ein Haufen Kommerzialisierung und Kriminalisierung passiert, und jetzt will jeder wissen, wer eigentlich am Ende der Leitung tippt oder klickt oder wischt.

      Die Strafverfolger und die Nachrichtendienste haben sich tief eingraben um das zu tun, was ihre Aufgabe ist und ein bisschen mehr.

      Und weiterhin werden IP-Adressen an Geräte vergeben und nicht an Personen.

      1. „Und weiterhin werden IP-Adressen an Geräte vergeben und nicht an Personen.“

        Und meistens sieht man im Internet auch nur die IP des Anschlusses.

      2. Die Politik hat sich von Anfang an geweigert, das Internet zumindest in Teilen als oeffentlich Raum mit gesellschaftlicher Infrastrukturfunktion zu gestalten, obwohl das durchaus vorgschlagen wurde, BTST.

        Die Politik hat das Internet von Anfang an als privatwirtschaftlich Raum definiert, der nur den Interessen privater Gewinnerzielung dienen soll und moeglicht auch nur dazu dienen kann. Da haben alle Parteien den Neoliberalismus der 90er voll durchgezogen.

  14. In Deutschland ist die Lage anders. Die Vorratsdatenspeicherung für Telefon- und Internetverbindungsdaten steht zwar seit 2015 im Telekommunikationsgesetz, sie wurde mit Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung aber nicht praktiziert. Im September 2022 hat der EuGH das deutsche Gesetz ausdrücklich beanstandet. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) wollte nun zumindest eine Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung von Kinderpornografie einführen, weil dies der EuGH ja erlaubt habe.

    Justizminister Marco Buschmann (FDP) pocht jedoch auf den Koalitionsvertrag, der jeder Form der anlasslosen Massenspeicherungen eine Absage erteilt. Erst vor wenigen Wochen einigte sich die Bundesregierung auf die Einführung der von Buschmann vorgeschlagenen Quick Freeze-Regelung, bei der Verbindungsdaten erst nach einem Verbrechen eingefroren und gesichert werden. Teile der SPD, darunter die Innenministerin, haben das bisher nicht akzeptiert.

    Nach dem EuGH-Urteil könnte eine Vorratsdatenspeicherung für IP-Adressen für Ermittler noch interessanter werden. Zugleich dürfte sich Justizminister Buschmann in seiner Ablehnung bestätigt fühlen. Ohne eine neue gesetzliche Regelung bleibt die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verboten.

    Quelle: https://www.rnd.de/politik/eugh-laesst-mehr-vorratsdatenspeicherung-zu-ZQDRATQNJVBABOQU4UY2WG4JLQ.html

  15. https://edoc.ub.uni-muenchen.de/28286/

    Eggersdorfer, Lars-Oliver (2020): Filesharing und Abmahnwesen. Dissertation, LMU München: Juristische Fakultät

    Abstract
    Die Arbeit beinhaltet eine rechtsdogmatische und rechtstatsächliche Untersuchung des Phänomens Filesharing, mit einem Fokus auf die Haftung des Inhabers eines Internetanschlusses. Nach Erläuterung der für das Verständnis relevanten technischen Vorfragen folgt eine deskriptive Darstellung von Entwicklung und Stand der Rechtslage. Hierauf wird untersucht, wie aus dieser Rechtslage ein Abmahnwesen – ein in dieser Arbeit entwickelter Begriff – entstehen konnte. Im Anschluss an eine rechtspolitische Kritik und rechtsvergleichende Untersuchung wird diese Rechtslage dogmatisch kritisch gewürdigt. Die Arbeit schließt mit einer Darstellung der Entwicklungsmöglichkeiten de lege lata und de lege ferenda.

    ~ 582 Seiten

    1. Weil auch am EuGH demokratisch abgestimmt wird. Wie in meinem Kommentar weiter oben angemerkt: diese Entscheidung wurde vom Plenum getroffen (alle 27 Richter). Vorher hat immer nur die Große Kammer abgestimmt (15 Richter). Eine eventuelle Einflussnahme über die Richter mehrerer kleiner EU-Länder ist so zumindest theoretisch im Bereich des Möglichen (wenn man es vorsichtig formulieren will …)

  16. Ich hätte mir ein wenig mehr Tiefe zum Urteil gewünscht, weil ich unterstelle, dass bei Netzpolitik.org diese Kompetenz vorhanden ist.

    Wie müsste denn ein Profil bei den elektronischen Kommunikationsdiensteanbietern (T-Com und Co.) aussehen, damit bei Abfrage ausschliesslich Identifikationsdaten geliefert werden bzw. eine wirksame strikte Trennung der verschiedenen Datenkategorien tatsächlich vorliegt?
    Sind die vorhandenen Datenbanken tendentiell schon derartig gestaltet?

    Der Richterspruch des EuGH führt explizit aus, dass die beschriebenen Zugriffsmöglichkeiten durch nationale Gesetzgebung iO sei. Haben wir diese in Deutschland schon? (Incl. der in Randnummer 164 definierten Einschränkungen)

    Wie kämen denn die Einrichtungen der Rechteinhaber erstinstanzlich an die IP-Adresse von zu identifizierenden Personen? Denn die Rechteinhaber müssen ja erstmal eine IP-Adresse haben, dann zur Behörde gehen die kann dann bei Internetservice-Providern mit diesen IP tatsächliche Identitäten ermitteln.

    In Randnummer 164 wird benannt, dass für entsprechende Zugriffe der Verdacht einer begangenen Straftat vorliegen müsse. Bei was ist man in Urheberrechtsangelegenheiten, darum geht es schliesslich, im Strafrecht angelangt und welche Personengruppen sind wirklich konkret davon betroffen? Journalist:innen z.B. steht es ja frei, fremde Werke zu nutzen, wenn es um „tagesaktuelle“ Inhalte, also Nachrichten geht und es gibt das Zitatrecht für Reportagen und vergleichbares.

    Die Empörung ist an vielen Stellen, besonders im Kommentarbereich ziemlich heftig, was ich (noch?) nicht so recht nachvollziehen kann.

    1. @Andre

      >> Haben wir diese in Deutschland schon? (Incl. der in Randnummer 164 definierten Einschränkungen)

      https://dejure.org/gesetze/TKG/173.html
      https://dejure.org/gesetze/TKG/176.html bedarf einer unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Überarbeitung gemäß der durch die Randnummer 164 definierten Einschränkungen.

      Der nach § 175 Absatz 1 Verpflichtete hat in das Sicherheitskonzept nach § 166 zusätzlich aufzunehmen,
      1. welche Systeme zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den §§ 176 bis 179 betrieben werden,
      2. von welchen Gefährdungen für diese Systeme auszugehen ist und
      3. welche technischen Vorkehrungen oder sonstigen Maßnahmen getroffen oder geplant sind, um diesen Gefährdungen entgegenzuwirken und die Verpflichtungen aus den §§ 176 bis 179 zu erfüllen.

      Die streitgegenständliche Speicherung von IP – Adressen wird scheinbar
      ….
      2. andere von den nach § 175 Absatz 1 Verpflichteten dynamisch vergebenen
      Anschlusskennungen z.B. IP – Adressen ( VDS-IP IPv4/IPv6 464XLAT Wan-IP etc. :) ,
      2.1 unter Beachtung der unions- und verfassungsrechtlichen vertretbaren Speicherfristen,
      2.2 von XX Wochen ,
      2.3 eine auf die tatsächliche Tatzeit bezogene Anschlusskennung und somit ,
      3. den Namen und die Anschrift des Anschlussinhabers,
      ….
      beinhalten.

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