Netzpolitischer Wochenrückblick – KW 20 – Das Märchen vom No-Spy-Abkommen

CC BY-ND 2.0, via flickr/Janet 59

Bereits in zwei Monaten könnte die Vorratsdatenspeicherung bereits Gesetz sein, wenn es nach der Bundesregierung geht. Genau jetzt ist die Zeit, sie noch zu verhindern. Durch einen Tippfehler beim Konfigurieren unseres Servers war unser Blog am Donnerstag in Teilen des Internets nicht erreichbar. Das tut uns leid und wir bitten um Entschuldigung.

Das Top-Thema der Woche war das No-Spy-Abkommen, das die USA nie vorhatten, mit uns abzuschließen. Aber genau das suggerierte die Bundesregierung im vergangenen Wahlkampf, um von dem System der Totalüberwachung abzulenken. Neue Recherchen zeigen: Alles gelogen. „Nach bestem Wissen und Gewissen“ sagt jetzt die Bundesregierung.

Und so geht der BND-Skandal überraschend weiter. Der SPIEGEL schrieb in seinem Leitartikel klar und deutlich, dass wir es mit einer „Attacke auf unsere Freiheit und Werte“ zu tun hätten. Und Edward Snowden erklärte ein paar Seiten später, warum Deutschland so wichtig für die Aufklärung dieses globalen Überwachungsskandals sei. Wir haben extra eine Chronologie angelegt, um zu dokumentieren, welche Politiker wann was genau gesagt und zugegeben haben. Etwas überraschend für uns hat Angela Merkel ausnahmsweise mal deutlich versprochen, dass der Geheimdienst-Untersuchungsausschuss „selbstverständlich“ alle Materialien bekomme. Wir sind gespannt, zweifeln aber an der Ernsthaftigkeit des Versprechens. Wie war das noch? Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“? Geht doch, sagt der österreichische Politiker Peter Pilz und kündigt Klagen gegen Bundeskanzleramt, BND und Deutsche Telekom an, weil diese gemeinsam Internetleitungen nach Österreich, Luxemburg und Tschechien überwacht haben sollen.

Eine weitere Enthüllung der Woche erhöht nochmal diskutierte Zahlen ins Unvorstellbare: Der BND soll „bis zu 1,3 Milliarden Daten pro Monat“ an die NSA weitergeben. Das sind nicht nur Daten, die auf den in letzter Zeit viel diskutierten Selektoren beruhen, sondern Rohdaten, die ausgeleitet werden. Aber keine Panik: Es gibt gar keinen Skandal. Das ist die versuchte Kommunikationslinie und Durchhaltungsparole der CDU/CSU.

Zwischendrin meldet sich Wikileaks zu Wort, weil jemand dort bisher nicht veröffentlichte Protokolle der öffentlichen Sitzungen im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss geleakt hat. Das ist nichts Großes, weil unsere Liveblogs schon jeweils für Öffentlichkeit gesorgt haben. Allerdings nutzen jetzt konservative Vertreter die gar nicht mal so großen Leaks als Ablenkungsmanöver und lenken damit vom eigentlichen BND-Skandal ab. Als ob sie selbst die Dokumente an Wikileaks geschickt hätten! Dabei hatte der NSAUA-Vorsitzende Patrick Sensburg der Öffentlichkeit versprochen, die Dokumente zu leaken.

Digitale Souveränität, aber ohne Open Source

Im Positionspapier des Branchenverbandes BITKOM zur „Digitalen Souveränität“ finden sich acht Maßnahmen, die dafür sorgen sollen, „selbstbestimmt und selbstbewusst zwischen Alternativen leistungsfähiger und vertrauenswürdiger Partner zu entscheiden, sie bewusst und verantwortungsvoll einzusetzen und sie im Bedarfsfall weiterzuentwickeln und zu veredeln“. Deutschland soll dabei die Rolle des Motors einer digital souveränen EU einnehmen und Standards für den Weltmarkt setzen. Völlig unerwähnt bleibt dabei Open-Source-Software, und auch sonst fallen die Forderungen eher schwammig als erhellend aus.

Weil dem Waffenhersteller Heckler & Koch die öffentliche Berichterstattung über das Pannengewehr G36 gegen den Strich ging, versuchte das Unternehmen – zusammen mit einem Abteilungsleiter im Verteidigungsministerium – den Militärgeheimdienst MAD dazu zu bewegen, gegen kritische Journalisten vorzugehen. Der Verlauf der Geschichte sowie ihr klägliches Ende geht aus den Originaldokumenten hervor, die wir diese Woche veröffentlicht haben.

Wiederholt versucht die „Netzallianz Digitales Deutschland“, eine Kooperation des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur mit „investitions- und innovationswilligen“ Telekom-Unternehmen, den Inhalt ihrer Treffen möglichst unter Verschluss zu halten. Hieß es letztes Mal noch, dass bewusst keine Protokolle erstellt und Pressemitteilungen doch ausreichend informieren würden, möchte man jetzt die spärlich vorhandenen restlichen Dokumente nicht einfach so herausgeben. Weil dabei ein Arbeitsaufwand von drei Stunden entstanden sei, sollen 135 Euro für unsere Informationsfreiheitsgesetzanfrage fällig werden.

2013 trafen sich Vertreter der Bundesnetzagentur mit Überwachungsbehörden und erörterten unter anderem Lücken in der Überwachung. Die gibt es offenbar, denn unsere Anfrage nach dem Informationsfreiheitsgesetz wurde mit dem Hinweis abgelehnt, dass deren Offenlegung die „öffentliche Sicherheit erheblich schwächen“ würde. Aufklärung sieht in unseren Augen anders aus.

Die Verhandlungen über die geplante EU-Datenschutz-Grundverordnung befinden sich auf der Zielgeraden, kommenden Monat sollen sie abgeschlossen werden. Auf der Strecke bleiben dabei aber offenbar die in Deutschland gesetzlich verankerten Datenschutzbeauftragten, erklärte die Staatssekretärin Cornelia Rogall-Grothe auf dem Verbandstag des Berufsverbands. Die deutsche Regierung wolle sich aber weiterhin für eine entsprechende und verpflichtende Regelung einsetzen – doch im Moment sieht es düster aus.

Geheimdienstgesetze im Eilverfahren

Während in Frankreich die Nationalversammlung wie erwartet ein Geheimdienstgesetz im Eilverfahren durchgewunken hat, verabschiedete Österreich ein neues Polizeiliches Staatsschutzgesetz, das es ebenfalls in sich hat. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), eigentlich eine Polizeibehörde, erhält dadurch Befugnisse eines Nachrichtendienstes und kann unbeschränkt und verdachtsunabhängig jeden überwachen, ohne sich das von einem Richter oder Staatsanwalt genehmigen lassen zu müssen. Zur Kontrolle ist zwar ein Rechtsschutzbeauftragter vorgesehen, dem kann das BVT jedoch jederzeit die Akteneinsicht verwehren. Und wer auf die fünf Jahre lang gespeicherten Daten zugegriffen hat, bleibt nur für drei Jahre dokumentiert.

Und wo wir schon in Österreich sind: Auf dem Dach der britischen Botschaft in Wien fand sich eine auf Überwachung von Mobilfunknetzen spezialisierte Anlage. Es handelt sich dabei um die vierte bekannt gewordene, was sich auch mit Informationen deckt, die aus Snowden-Dokumenten stammen.

Nicht ganz so leicht hat es die NSA, die diese Woche eine Niederlage vor einem US-Berufungsgericht erlitten hat. Demnach sei die massenhafte Sammlung von Telefonie-Metadaten durch die Behörde illegal. Die Regelung, abgeleitet von der umstrittenen Sektion 215 des Patriot Acts, steht aber sowieso auf der Kippe, weil genau dieser Abschnitt in zwei Wochen ausläuft. Erst vor zwei Tagen hat sich etwa das Repräsentantenhaus, das Unterhaus des US-Kongresses, gegen eine Verlängerung der Metadatensammlung ausgesprochen.

Mit Überwachungstechnik lässt sich gutes Geld verdienen, auch wenn es dahingehend seit 2014 europaweite Beschränkungen gibt. Die Lücken darin soll nun eine Änderung der Außenwirtschaftsverordnung schließen helfen, auch wenn es weiterhin Ausnahmen von der Genehmigungspflicht geben wird.

Daniel Dietrich sieht sich in einem Essay das Konzept der „Smart Cities“ an und warnt davor, dass die Stadt der Zukunft ihrer Verwaltung und nicht ihren Bürgern dienen könnte. Zwar erscheint die Vorstellung einer intelligenten und in Echtzeit beispielsweise auf Verkehrsflüsse reagierenden Stadt auf den ersten Blick durchaus reizvoll, derzeit dominiere jedoch die techno-zentrische Perspektive der Hersteller den Diskurs, während der Blickwinkel der Bürger ausgeblendet wird und dabei Chancen unter den Tisch fallen, die wir alle nutzen sollten.

Eine vierteilige Reportage-Reihe von 3sat widmet sich dem Thema Netzkultur und lässt dabei Experten zu Wort kommen, die vom erfolgreichen YouTuber bis hin zu Cory Doctorow reichen. Komplexe Thematiken wie etwa die Urheberrechtsdebatte oder Leistungsschutzgesetze werden dabei, äh, anschaulich aufbereitet. Ebenfalls in Videoform zeigt eine Animation, warum Netzneutralität tötet. Ja, richtig gehört: Netzneutralität ist ge-fähr-lich!

re:publica’15: Empfehlenswerte Vorträge und Diskussionen

Vergangene Woche fand die neunte re:publica in Berlin statt. Und wir waren da sehr eingebunden, so dass es nur wenige Artikel gab. Dafür können wir jetzt zahlreiche Vorträge und Diskussionen empfehlen, die aufgezeichnet wurden. Unter dem Motto „Die Netzgemeinde ist am Ende. Jetzt geht‘s los“ gaben Markus Beckedahl und Leonhard Dobusch einen aktuellen Überblick über die Top-Themen der Netzpolitik. Andre Meister erklärte Lügen für die Vorratsdatenspeicherung. Einen Großteil unserer Redaktion konnte man bei Mit Journalismus für digitale Grundrechte eintreten“ auf der Bühne sehen. Der ARD-Korrespondent Christian Feld erklärte „In der Machtmaschine – Wie Europa Digitalpolitik macht“. Leonhard Dobusch sprach über die „Bewilligungskultur im Netz“. Über die „Cryptocalypse“ sprachen Anna Biselli und Rüdiger Weis. TV-Remixkultur zum Lachen boten die Kabarettisten maschek aus Österreich, die sich dem Thema Europa näherten. Mehr Tipps gibts beim nächsten Mal.

Lust auf ein Praktikum? Sowohl wir als auch der Digitale Gesellschaft e. V. und die Open Knowledge Foundation Deutschland bieten Praktikumsplätze für Sommer und Herbst an.

re:publica-Besucher wissen es vielleicht schon: Am 4. September 2015 findet unsere zweite „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz in Berlin statt. Mehr Infos dazu gibt es in den kommenden Wochen.

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