Im Netzpolitischen Wochenrückblick fassen wir jeden Freitag die wichtigsten Themen der Woche zusammen. In den letzten Wochen wurden wir von neuen Überwachungsoffensiven und Anti-Terror-Paketen fast überrannt, daher ist der Überblick auch länger als üblich. Wir versuchen natürlich weiterhin Spaß an der Arbeit zu haben und uns nicht unterkriegen zu lassen — das solltet ihr auch tun. Ihr könnt unsere News auch per E-Mail abonnieren.
Deutsch-französische Breitseite gegen Bürgerrechte
Am Dienstag haben der deutsche Innenminister Thomas de Maizière und sein französischer Kollege Bernard Cazeneuve unter dem Titel „Ein Beitrag zur Erhöhung der inneren Sicherheit in Europa“ eine gemeinsame Erklärung herausgegeben. Darin wurde eine ganze Salve an Forderungen und Plänen abgefeuert. Wie auch bereits zuvor von de Maizière gefordert, sollen Telemediendienste rechtlich in Telekommunikationsdienst umgewandelt werden; mit der Folge, dass Messenger wie Whatsapp oder soziale Medien der Vorratsdatenspeicherung unterliegen würden.
Die Kombination aus Einführung eines Uploadfilters und einer „Verschärfung der Produkthaftung“ birgt große Risiken. Provider, die befürchten, dass sie für illegale Materialien auf ihren Seiten haften müssen, werden dann zu Uploadfiltern greifen, um diese Materialien von vornherein von der Plattform fernzuhalten. Die Rechtsdurchsetzung wird so nicht nur in private Hände quasi gedrückt — sobald eine solche Infrastruktur besteht, kann sie auch zu einem großen Problem für die Meinungsfreiheit werden. Bereits jetzt zeigt ein französischer Politiker, dass unliebsame Inhalte im Internet am liebsten verschwinden sollen. Er will Leute verklagen, die auf sozialen Netzwerken Bilder von Polizeiaktionen gegen Burkini-Trägerinnen teilen.
Für Verwirrung sorgte der dritte Punkt der Erklärung. Das französische Innenministerium veröffentlichte auf ihrer Webseite eine Version, die sich effektiv für Hintertüren in Verschlüsselungen ausspricht. In der von der deutschen Regierung veröffentlichten Version fehlte diese Passage. Das Innenministerium stellte daraufhin klar, dass jene französische Erklärung nicht die gemeinsame sei und man sich noch an den Grundsatz „Sicherheit durch Verschlüsselung und Sicherheit trotz Verschlüsselung“ halte. Weitere Forderungen der gemeinsamen Erklärung beinhalten eine europaweite Bestandsdatenabfrage, eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung für Fluggastdaten und vielerlei Verschärfungen und Erweiterungen von Zugriffsbefugnissen.
Durch Überwachung verlieren, was Demokratie auszeichnet
Die anlasslose Kameraüberwachung mit Geschichtserkennung und Datenbankabgleich an Bahnhöfen und Flughäfen könnte sich zu einem Streitthema entwickeln. Vor zwei Wochen hat Innenminister de Maizière seine Pläne für eine solche Überwachung vorgestellt. Parallel hat es dazu bereits Gespräche zwischen Innenministerium, Deutscher Bahn, Bundespolizei und Bundeskriminalamt gegeben. Dabei gibt es für diese Überwachungspläne, laut dem Sprecher des Datenschutzbeauftragten Nordrhein-Westfalen, keine gesetzliche Grundlage.
In einer ähnlichen Situation findet sich auch die CDU wieder. Letzte Woche stellten die Innenminister der CDU in ihrer „Berliner Erklärung“ ihre Idee für einen Ausbau der Überwachung vor. Unter anderem soll die Vorratsdatenspeicherung auf E-Mails und soziale Netzwerke erweitert werden. Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff kritisierte diesen Angriff auf den Datenschutz und deutete an, dass die Maßnahmen zum Teil verfassungswidrig sind. In der Pressemitteilung heißt es dazu: „Wenn wir unsere Grundrechte, d.h. auch den Datenschutz, verfassungswidrig einschränken, verlieren wir das, was unsere Demokratie auszeichnet. Dann hätten die Feinde der Demokratie ihr Ziel erreicht.“
Wer braucht schon Gründe, wenn es um die Sicherheit geht?
Optimalerweise sollte in der Politik jedes Vorhaben auf Sinn und Notwendigkeit geprüft werden, bevor es gefordert wird. Wenn es um das sogenannte „Darknet“ geht, handelt die Bundesregierung jedenfalls nicht nach diesem Grundsatz. In der Antwort zu einer Kleinen Anfrage der Linkspartei gibt die Bundesregierung zu erkennen, dass sie keinerlei gesammelten Informationen weder zu den Ermittlungstätigkeiten noch zu erhobenen Daten hat. Ohne bestehende Befugnisse überhaupt evaluiert zu haben, werden also neue gefordert.
Die Parlamente werden außen vor gelassen
Da verwundert es nicht, wenn die Bundesregierung der Kritik entgehen will, indem sie die Reform der Cybersicherheitsstrategie ohne parlamentarische Beratung beschließen will. Ein Punkt der Reform ist die Erneuerung des Cyber-Abwehrzentrums. Das 2011 gegründete Projekt hat sich mittlerweile als gescheitert und ineffizient herausgestellt. Eigentlich war es seine Aufgabe, Kompetenzen zur Cybersicherheit aus verschiedenen Behörden zu bündeln, der Bundesrechnungshof kritisiert das Projekt allerdings als ungeeignet. Das Cyber-Abwehrzentrum soll nach der Reform die schnellen Eingreiftruppen des Bundesamts für Verfassungsschutz, Bundeskriminalamt und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik koordinieren. Die genauen Aufgaben dieser Truppen sind allerdings noch nicht wirklich klar.
Ein internationales Pendant zum Cyber-Abwehrzentrum in Den Haag ist auch in Planung. Das Vorhaben der „Counter Terroism Group“, ein Zusammenschluss von 30 europäischen Geheimdiensten, wurde Anfang des Jahres bekannt. Brisant ist, dass die CTG durch das Zentrum in Den Haag mit EU-Einrichtungen zusammenarbeiten wird: Die EU hat aber keine Kompetenz zur Geheimdienstkoordination. Außerdem wurde das Parlamentarische Kontrollgremium für die Nachrichtendienste erst Ende April dieses Jahres über das Zentrum informiert.
Menschenrechtsaktivisten und Journalisten in der Schusslinie
Mittels (nun geschlossener) Lücken im iPhone-Betriebssystem wollten Geheimdienste Angreifer die Mobiltelefone von Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansoor und Journalist Rafael Cabrera in Wanzen umwandeln. Ahmed Mansoor machte die Entdeckung möglich, weil er das Forschungsinstitut Citizenlab der IT-Sicherheitsfirma Lookout über seinen Verdacht eines schädlichen Links informierte. In einem ausführlichen Bericht wurde das „Pegasus“ getaufte Programm analysiert. Citizenlab vermutet das israelisch-amerikanische Unternehmen NSO Group als Hersteller.
Snowdens Odyssee
Diese Woche wurde ein neuer Bericht zu den Befugnissen der britischen Geheimdienste veröffentlicht. Ausdrücklich hat man sich nicht mit der Verhältnismäßigkeit oder Erwünschtheit von Massenüberwachungswerkzeugen auseinandergesetzt, sondern einzig mit ihrem operativen Nutzen der Maßnahmen, die mit dem „Investigatory Powers Bill“ gerade im britischen Parlament behandelt werden. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es keine geeigneten Alternativen zu den Befugnissen wie das Massenabhören, Massenerfassung von Personendaten oder zum geheimdienstlichen Hacking en gros gäbe. Bis auf das Hacking wäre auch der operative Nutzen aller Maßnahmen eindeutig bewiesen. Die Gründlichkeit und Objektivität des Berichts können allerdings angezweifelt werden. Angesichts der späten Phase, in der sich das Gesetzesvorhaben befindet, bewertete man einen Rat zur Beschneidung der Befugnisse als „nicht angemessen“.
Der Mann, der viele der Schnüffelprogramme britischer Geheimdienste aufgedeckt hat, Edward Snowden, befindet sich weiterhin in Russland. Um ihrem Untersuchungsauftrag nachzukommen und Edward Snowden in Deutschland zu vernehmen, hat die Opposition nun den Rechtsweg eingeschlagen. Laut ihnen blockieren die Regierungsparteien den Beschluss des Ausschusses, den Ex-NSA-Mitarbeiter nach Deutschland zu holen. Dieses Thema steht nicht zum ersten Mal auf der Tagesordnung. Unsere Zeitleiste zeigt, wie sehr sich die Verantwortlichen winden, zu einer vollständigen Aufklärung der NSA-Affäre beizutragen.
Mal wieder #Landesverrat
Diese Woche gab es neue Informationen zum Thema Landesverrat. Im Rechtsstreit zwischen Justizminister Heiko Maas und Ex-Generalbundesanwalt Harald Range kam die Berliner Staatsanwaltschaft zu einem Ergebnis: Maas hatte nicht rechtswidrig gehandelt, als er Range‘s Gutachten zu den Dokumenten missachtete, und mit einem eigenen Gutachten das Verfahren gegen uns beendet. Die Staatsanwälte kamen zu dem Schluss, dass es sich dabei um eine Weisung aus dem Justizministerium gehandelt hat. Das hatte Maas allerdings mehrfach bestritten.
Die Sprecherin des Bundesjustizministeriums wies die Vorwürfe in der Bundespressekonferenz ebenfalls zurück. Sie verwies dabei auf ein Protokoll der damals nicht-öffentlichen Sondersitzung des Rechtsausschusses, das mittlerweile öffentlich sein sollte: War es aber nicht. An der Sondersitzung nahmen Justizminister Maas, Ex-Generalbundesanwalt Harald Range und Stellvertreter von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und Innenminister Thomas de Maizière teil. Auf Anfrage wurde es von der Pressestelle des Justizministeriums nachgereicht. Darin kann man gut die einzelnen Perspektiven der Beteiligten nachlesen.
Privatsphäre vs. Wettbewerbsfähigkeit: Neue ePrivacy-Richtlinie
Bald steht die Reform der europäischen ePrivacy-Richtline an. Seit 2002 stellt sie das Grundrecht auf Kommunikationsfreiheit und Privatsphäre als wichtigste Prinzipien elektronischer Kommunikation heraus – bisher bezieht sie sich in weiten Teilen nur auf Telefonie oder SMS. Die „Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation“, so heißt sie eigentlich, könnte Technologie- und Internetkonzerne daran hindern, ihre Nutzer zu tracken, oder Profile für Werbezwecke zu erstellen. Aus diesem Grund haben sich zwölf Lobbyorganisationen zur „European Telecommunications Network Operators‘ Association“ kurz „ETNO“ zusammengeschlossen, um die Richtlinie endgültig abzuschaffen.
Die EU-Kommission will mit der Reform zwei Dinge erreichen. Zum einen soll das Vertrauen der EU-Bürger in die Kommunikationsdienste erhöht werden und zum anderen sollen gleiche Wettbewerbsbedienungen geschaffen werden. Letzteres bezieht sich auf die vergleichsweise schwachen Regulierungen von US-Firmen, die dadurch leichter Daten von Nutzern weiterverwenden können. Interessant wird dabei sein, ob die EU-Kommission europäische Firmen weniger reglementieren wird, oder ob sie die Regelungen zum Schutz der Privatsphäre erweitern wird.
WhatsApp wird zum Datenlieferanten für Facebook
Durch eine neue Richtlinie könnte auch beschränkt werden, auf welche Art und Weise Facebook Werbeprofile erstellt. Eine Liste mit 98 Faktoren, die diese Woche veröffentlicht wurde, zeigt, was Facebook über seine Nutzer zu wissen glaubt. Dieses Wissen wird in Zukunft noch genauer werden, denn der auf der Welt am meisten benutzte Messenger WhatsApp gehört Facebook und wird nun anfangen, Daten seiner Nutzer der Mutterfirma zur Verfügung zu stellen. Zu diesen Daten gehört die Telefonnummer und wann und wie oft ein Nutzer den Messenger nutzt. Man hat zwar die Möglichkeit, Einstellungen gegen diese Änderung vorzunehmen, dass aber die eigene Telefonnummer an Facebook gegeben wird, kann man nicht beeinflussen. Da die Telefonnummer immer mehr zum Identifikationsmerkmal im Internet benutzt wird, ist die Weitergabe alles andere als trivial.
Außerdem war der Messenger Telegram heute in den Nachrichten, weil sich das BKA Zugang zu Chats verschafft hat. Auch wenn die rechtliche Grundlage für da Vorgehen umstritten war, zeigt es als Beispiel, dass eine nicht standardmäßig eingeschaltete Verschlüsselung, oft ungenutzt bleibt. Wer sich nun nach nutzerfreundlichen Alternativen zu WhatsApp und Telegram fragt, dem seien die Apps Signal und Threema ans Herz gelegt.
Mecklenburg-Vorpommern vor der Landtagswahl
In gut einer Woche finden in Mecklenburg-Vorpommern die Landtagswahlen statt. Wie zuvor für Berlin haben wir die netzpolitischen Aspekte einiger Wahlprogramme analysiert. In vielen Bereichen wie dem Breitbandausbau sind sich die Parteien grundsätzlich einig. Am ausführlichsten befassen sich die Grünen und die Linke mit netzpolitischen Themen, das Wahlprogramm der Piraten ist hingegen knapp. Wie auch in Berlin will sich die CDU für mehr Videoüberwachung und eine Stärkung des Verfassungsschutzes einsetzen. Vergleichsweise ausführlich werden die Felder Bildung, „digitale Bibliotheken“ und Medienkompetenz behandelt.
Die „Koalition Freies Wissen“ hat zu diesem Themenbereich noch weitere Wahlprüfsteine versendet. Die Antworten von der jetzigen Regierungskoalition aus SPD und CDU seien nicht sehr zufriedenstellend. Generell würden Themen wie freie Software oder freie Wissensmaterialien noch nicht stark behandelt. Dagegen hatte die jüngste Studie über „Open Education“ der Technologiestiftung Berlin Positives zu vermelden. Die Studie belegt die wachsende Bedeutung von offenen Lehr- und Lernunterlagen im Bildungsbereich und zeigt, dass der Trend der letzten Jahre anhält.
Neue Entwicklungen zur geplanten Urheberrechtsreform
Auf EU-Ebene wird eine neue Urheberrechtsreform diskutiert. Ein Leak von EU-Kommissionsdokumenten zeigt die Position eines der wichtigsten Meinungsträger. Diese ist zwar an vielen Stellen tendenziell positiv zu bewerten, allerdings bleibt das Leistungsschutzrecht ein Dorn im Auge. Nachdem es in Deutschland und Spanien gescheitert ist, will die Kommission trotzdem (und auch gerade deshalb) ein EU-weites Schutzrecht einführen.
Auch die Mozilla Foundation positioniert sich in der Diskussion. Mit einer Petition wirbt die Stiftung, der auch die Firefox-Entwicklerfirma Mozilla Corporation gehört, für ein offenes Internet und ein weniger restriktives Urheberrecht. Unter dem Slogan „Erschaffen — Entwickeln — Innovieren“ werden verschiedene Forderungen gestellt. Hauptanliegen ist die Schaffung einer Fair-Use-Klausel ähnlich wie im US-Urheberrecht.
Dank des bestehenden Urheberrechtes haben sich ganze Abmahnkanzleien entwickelt. Dem will ein Projekt des CCC entgegen treten. Wer zu Unrecht abgemahnt wird, kann über ein Formular in die Gegenoffensive gehen.
Netzneutralität und Breitbandausbau sind kein Widerspruch
Die Telekom-Industrie hat mit ihrem 5G-Manifest ganz schön für Furore gesorgt. Entweder man schränke die Netzneutralität ein und finanziere mit dem Gewinn den Netzausbau, oder man ließe den Ausbau ruhen. Dass das Unfug ist, haben wir in dieser Woche gezeigt. Den Telekommunikationsunternehmen geht es finanziell prächtig und das Beispiel USA zeigt, Netzneutralität schränkt den Netzausbau nicht ein.
Deutsche Drohnen sollen israelische Raketen bekommen
Airbus soll Hauptauftragnehmer für den deutsch-israelischen Drohnen-Deal werden. Der Konzern verfügt dann über 13 alte und neue Drohnen des Typs „Heron“ für die Bundeswehr. Ab Frühjahr 2019 wäre die Bewaffnung garantiert. Nun klagt der konkurrierende US-Drohnenhersteller General Atomics vor der Vergabekammer des Bundes.
Tipps fürs Wochenende
Wer einen PC mit Windows 10 benutzt und am Wochenende seine Privatsphäreneinstellungen überarbeiten möchte, für den haben wir drei Programme ausprobiert, die dabei helfen. Wer lieber rausgehen möchte, kann sich von der Bundesregierung z.B. über „Cybercime im PC“ während des Tags der offenen Tür informieren lassen. Wir haben eine Zusammenstellung mit allen netzpolitisch relevanten Veranstaltungen erstellt.
Vielen Dank an Sven für die Hilfe.
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