Seit Beginn des Geheimdienst-Untersuchungsausschusses herrscht um die Zeugenvernehmung Edward Snowdens Streit. Während die Opposition aus Grünen und Linken darauf drängt, Snowden in Deutschland zu vernehmen und ihm dafür die nötigen Sicherheiten zu geben, will sich die Koalition aus SPD und Union nur auf eine Videovernehmung einlassen. Aber Snowden kann und will nicht aus Moskau aussagen.
Die Bundesregierung gibt sich währenddessen wenig ambitioniert, zu prüfen, ob Snowden in Deutschland sicher wäre. Die Opposition hat das Warten satt und sich mit einem Antrag an den Bundesgerichtshof gewendet. Wie es dazu kam, haben wir hier noch einmal aufbereitet:
Streit um die Zeugenvernehmung Snowdens – eine Chronologie
20. März 2014: Als Reaktion auf die Snowden-Enthüllungen, die im Sommer 2013 begannen, setzt der Deutsche Bundestag einen Geheimdienst-Untersuchungsausschuss ein, der die Aktivitäten der Geheimdienste der Five-Eyes-Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland untersuchen, sowie die Verwicklungen deutscher Dienste in die globale Überwachung aufdecken soll.
2. April 2014: Grüne und Linke stellen einen Antrag auf Beweiserhebung durch die Vernehmung Edward Snowdens im Untersuchungsausschuss.
10. April 2014: SPD und Union beschließen, die Entscheidung über die Vernehmung Snowdens im Untersuchungsausschuss zu vertagen.
2. Mai 2014: Die Bundesregierung nimmt Stellung zu rechtlichen Fragen, die mit einer Vernehmung Edward Snowdens verbunden sind. Die Stellungnahme ist in der Vorbemerkung explizit als „nicht bindend“ gekennzeichnet – mit folgender Begründung:
Entscheidungen unabhängiger Gerichte oder von Behörden können hierdurch nicht präjudiziert oder vorweggenommen werden.
Es sei nicht klar, ob Snowden über Passdokumente verfüge und ob Russland ihn unter diesen Umständen ausreisen lassen würde. Laut Bundesregierung würde eine Vernehmung Snowdens in Russland die Genehmigung des Landes erfordern. Sie weist außerdem auf die mögliche Bedeutung für Beziehungen zu den USA hin:
Für den Fall, dass Herr Snowden vom Untersuchungsausschuss in Deutschland vernommen werden würde, wäre mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen und insbesondere einer Beeinträchtigung der Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden, die für die Sicherheit Deutschlands von grundlegender Bedeutung ist, zu rechnen.
Daraus folgert sie, dass die „außen- und sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschlands gegenüber dem möglichen Interesse des Untersuchungsausschusses an einer Vernehmung von Herrn Snowden in Deutschland überwiegen“.
8. Mai 2014: Der Untersuchungsausschuss beschließt mit Beweisbeschluss Z-1, Snowden als Zeugen zu vernehmen – einstimmig. Union und SPD lehnen jedoch ab, Snowden zu diesem Zweck nach Deutschland einzuladen. Sie beschließen auch, dass Snowden bis zum 20. Mai mitteilen solle, ob und in welcher Form er für eine Vernehmung zur Verfügung steht.
19. Mai 2014: Wolfgang Kaleck, einer der Anwälte Snowdens, teilt mit, dass er Snowden empfohlen hat, sich nicht „von Moskau aus“ zu äußern, um seine Situation und seinen Aufenthaltsstatus nicht zu gefährden.
2. Juni 2014: Die Bundesregierung wiederholt, dass sie eine Vernehmung Snowdens im Ausland für möglich hält. Die Situation bezüglich eines möglichen Auslieferungsersuchens der USA – falls Snowden nach Deutschland kommen sollte – werde weiter geprüft.
5. Juni 2014: Linke und Grüne fordern einen Beschluss des Untersuchungsausschusses, in dem Kaleck gebeten wird, bis zum 15. Juni mitzuteilen, ob Snowden ausschließlich für eine Vernehmung in Deutschland zur Verfügung steht. Wenn das zutrifft, soll ihm eine Ladung für den 4. Juli zugestellt werden. Die Bundesregierung soll weiterhin alles Notwendige tun, um eine Vernehmung in Deutschland zu ermöglichen. Das betrifft zum Beispiel die Zusage, dass Snowden nicht ausgeliefert wird, einen angemessenen Zeugenschutz und die notwendigen Ausweisdokumente.
Das Hilfeersuchen an die Regierung wird von SPD und Union abgelehnt. Stattdessen beschließen diese, Snowden zu fragen, ob er für ein informelles Gespräch in Moskau mit dem Ausschussvorsitzenden und den Obleuten der Fraktionen zur Verfügung stehen würde.
19. Juni 2014: Snowdens Anwalt teilt mit, dass Snowden das Gesprächsangebot nicht annimmt.
25. Juni 2014: Wieder stellt die Opposition einen Antrag, diesmal gleich mit mehreren Alternativen. Zunächst wird eine Vernehmung Snowdens am 11. September gefordert, verbunden mit dem Ersuchen an die Bundesregierung, die nötigen Vorkehrungen zu treffen. Sollte die Koalition dem Amtshilfeersuchen in dieser Form nicht zustimmen wollen, schlägt die Opposition vor, zu beschließen:
Der Vorsitzende [Patrick Sensburg] erarbeitet und übermittelt bis zur nächsten Beratungssitzung des Ausschusses einen schriftlichen Vorschlag mit detaillierten Ausführungen dazu, wie angesichts der Ablehnung des Antrages auf Ersuchen der Bundesregierung […] eine Vernehmung des Zeugen Snowden vor dem Untersuchungsausschuss in Berlin am vom Ausschuss beschlossenen Termin erfolgen kann, insbesondere, wie dem Zeugen Snowden Einreise nach und Aufenthalt in Deutschland ermöglicht und ein wirksamer Schutz des Zeugen vor einer Auslieferung an das Ausland gewährleistet werden soll.
Und wieder lehnen die Koalitionsfraktionen ab. Stattdessen beschließen sie für den 11. September eine „audiovisuelle Zeugenvernehmung“, Snowden soll dabei in Moskau bleiben.
8. Juli 2014: Snowden lässt mitteilen, für eine Videovernehmung weiterhin nicht zur Verfügung zu stehen.
21. Juli 2014: Die Opposition lässt nicht locker und stellt einen erneuten Antrag, sowohl zur Vernehmung Snowdens als auch zur Amtshilfe. Wenig überraschend: Die Ablehnung der Koalition in der nächsten Sitzung am 11. September. In der Konsequenz richtet sich die Opposition an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG).
1. August 2014: Glenn Greenwald sagt seine Anhörung vor dem Untersuchungsausschuss ab. Er begründet das mit der Feigheit bezüglich Snowdens Vernehmung:
Indem sie sich weigern, den Schlüsselzeugen Edward Snowden persönlich anzuhören, haben deutsche Politiker leider demonstriert, dass sie sich viel mehr darum kümmern, die USA nicht zu verärgern als ernsthafte Untersuchungen vorzunehmen.
25. September 2014: Die Opposition im NSA-Untersuchungsausschuss reicht Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ein, um eine Zeugenaussage des US-amerikanischen Wistleblowers Edward Snowden in Berlin zu erreichen.
4. Dezember 2014: Die Klage scheitert, jedoch nicht inhaltlich, sondern aus formalen Gründen. Das BVerfG stellt im Dezember 2014 fest, nicht für die Entscheidung über die Klage zuständig zu sein. Stattdessen verweist das Gericht auf die Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs.
Am gleichen Tag richtet das Justizministerium ein Schreiben an den Ausschussvorsitzenden Patrick Sensburg: Für die Angelegenheiten des Untersuchungsausschusses müsse man nicht zwangsläufig klären, „ob Herr Snowden für den Fall seiner Einreise nach Deutschland an die USA ausgeliefert werden kann“.
8. Oktober 2015: Die Opposition beantragt, den Beweisbeschluss zur Vernehmung Snowdens aus dem Mai 2014 zu konkretisieren. Er soll nun auch Themen beinhalten, zu denen man Snowden befragen will. Es soll darum gehen, was er über die Überwachungspraxis der US-Dienste weiß. Außerdem will man wissen, welche Kenntnisse er über das „Mitwissen der Bundesregierung bzw. deutscher Behörden“ hat. Zusätzlich soll er die Authentizität der von ihm geleakten Dokumente bestätigen und sie erklären.
Als weiteres Thema soll auch Snowdens Wissen um die Selektoren aufgenommen werden, die der BND zusammen mit und in Auftrag der NSA genutzt hat. Abschließend will man von Snowden Hinweise, wie Deutschland Konsequenzen ziehen kann, um seine IT-Systeme sicherer zu gestalten.
Zusammen mit der Konkretisierung des Beweisbeschlusses wird auch die erneute Aufforderung an die Bundesregierung verlangt, die Voraussetzungen für eine Zeugenvernehmung Snowdens in Deutschland zu schaffen und – wenn das nicht erfolgt – Gründe für die Ablehnungshaltung mitzuteilen.
15. Oktober 2015: Die Koalition lehnt den Oppositionsantrag ab, weil er den Fragegegenstand unnötig beschränken würde. Auch das Amtshilfeersuchen an die Regierung stößt – wenig überraschend – auf taube Ohren. Eine erneute Diskussion über eine Ladung Snowdens wird vertagt.
28. Oktober 2015: Die Bundesregierung teilt mit, dass sie die Voraussetzungen für eine Vernehmung Snowdens in Deutschland weiterhin prüft.
5. November 2015: SPD und Union beschließen erneut eine Videovernehmung Snowdens in Moskau, am 12. November. Dieser lehnt erneut ab, aus wohlbekannten Gründen.
6. Juni 2016: Die Bundesregierung gibt an, weiter zu prüfen, ob sie sichere Einreise und Aufenthalt für Snowden bieten will und kann.
18. August 2016: Martina Renner und Konstantin von Notz, die Obleute der Oppositionsparteien im Ausschuss, beantragen vor dem Bundesgerichtshof, eine erneute Abstimmung und Zustimmung zu der Vernehmung Snowdens und dem Rechtshilfeersuchen zu erwirken.
21. November 2016: Der Bundesgerichtshof entscheidet: Der NSA-Untersuchungsausschuss muss Snowden persönlich einladen. Die Blockade der großen Koalition im Ausschuss ist mit dem Beschluss beendet.
„European Parliament resolution of
29 October 2015
on the follow-up to the European Parliament resolution of 12 March 2014 on the electronic mass surveillance of EU citizens (2015/2635(RSP))
The European Parliament,
…
2. Calls on the EU Member States to drop any criminal charges against Edward Snowden, grant him protection and consequently prevent extradition or rendition by third parties, in recognition of his status as whistleblower and international human rights defender;
…“
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Schon 2013 hatte …
der wissenschaftliche Dienst des Bundestages ( Friehe / Giesecke ) den „Schutz vor Verhaftung von Zeugen vor einem Untersuchungsausschuss“ erfolgreich geklärt,
Navi Pillay hatte im Namen der UN Menschenrechtskommission Schutz für Snowden angefordert.
Und in 2014 hatten…
Heribert Prantl und andere Journalisten erfolgreich ausgearbeitet, welche Teile unserer Regierung was genau tun müssen, um Snowden sicheren Aufenthalt in Deutschland anbieten zu können.
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Das Schreiben von Martina Renner und Konstantin von Notz an den BGH ist die Chance, ein schreckliches politisches Versagen unserer Regierung doch noch wieder in Ordnung zu bringen.
Was hat sich nach Snowden zum Positiven geändert? Die neuen Maßnahmen der Vorratsdatenspeicherung, etliche Anti-Terrorgesetze, Kameraüberwachungspläne mit Echtzeitdatenbankabgleich?
Reden, reden reden, das können manche Leute in der Tat. Gemacht hat aber niemand etwas mit dem Wissen, dass jedem vorliegt. Ganz im Gegenteil haben nach Snowden diverse US-Konzerne regelrechte Drückermethoden eingeführt, um Daten abgreifen zu können. Ob das Microsoft, Facebook, Google, Apple sind ist dabei egal. Sie alle standen auf der Liste und trotzdem entnehmen sie auch der Deutschen Bevölkerung immer mehr Informationen, nicht weniger seit 2013!.
Niemand macht da auch nur irgendetwas. Ich sage dazu ergänzend nur „Privacy Shield“…..
Also bitte was soll denn dann von Deutschland ausgehen wenn Snowden hier anmarschiert? Die Regierung selbst kann sich doch nicht mal schützen, weil sie technisch vollkommen unterlegen ist.
Politiker sind meilenweit entfernt von der technischen Realität. Und die sagt, wir machen weiter, jetzt erst recht.
Ich verstehe Frustration.
Ich verstehe überhaupt nicht Gleichgültigkeit in der Frage des Anhörungsorts von Snowden:
entweder der BGH bestätigt jetzt, dass selbstverständlich der Hauptzeuge des Untersuchungsausschusses, der den Verfassungsverstoß gemeldet hatte, in Berlin zu hören ist,
und setzt damit die Weichen in unserem Land zurück auf:
Fehlerkorrektur-statt-Machtmissbrauch,
oder der Weg bis zur verlorenen Gewaltenteilung wie in Polen, der Weg zur verlorenen Pressefreiheit wie in Ungarn, der Weg zum „Verschwinden“ von Opposition und mutigen Berichterstattern wird gruselig hier.
Wie Glenn Greenwald richtig bemerkte, erinnert das Agieren der Bundesregierung hier mehr an ein Kasperletheater denn an eine wirklich ernstgemeinte Aufklärung, weshalb er sich daran auch nicht beteiligen wolle. Das obige Zitat der Bundesregierung, dass im Falle einer Vernehmung Snowdens „mit erheblichen negativen Auswirkungen auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen und insbesondere einer Beeinträchtigung der Kooperation mit US-Sicherheitsbehörden […] zu rechnen [wäre]“, spricht doch für sich und offenbart, wie hier die Prioritäten gesetzt werden.
Über eine bloße Debatte wird hier offensichtlich nichts erreicht; die Entscheidung von Martina Renner und Konstantin von Notz, damit vor den Bundesgerichtshof zu ziehen, ist da absolut verständlich und begrüßenswert. Ich wünsche ihnen damit jedenfalls viel Erfolg.
Ganz große Preisfrage: Woher kommt folgender Spruch?
“Company employees are in unique positions behind-the-scenes to unravel complex or deeply buried wrongdoing. Without this whistleblower’s courage, information, and assistance, it would have been extremely difficult for law enforcement to discover this securities fraud on its own,”
Und warum erhalten manche USD 22 Mio. und andere einen ungültigen Reisepass?