Wer hätte gedacht, dass wir einmal auf Druck einen Link löschen würden? Wer für möglich gehalten, dass wir uns quasi selbst zensieren? Um Zensur drehte sich einiges bei Netzpolitik diese Woche.
Am 8. Juli berichteten wir, dass ein(e) anonyme(r) Hacker(in) eine Liste indizierter Webseiten der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien geleakt hat. Das ist an sich schon eine große Nachricht: Solche Sperrlisten kennen wir aus anderen Ländern, sie sind zumeist außerordentlich fehleranfällig und sperren mehr, als ihrem Auftrag entspricht. Auch die Qualität der geleakten Liste bestätigt dies. In unserem Beitrag setzten wir einen Link auf die Seite der Veröffentlichung – und plötzlich wurden wir selbst zu ‚Verbreitern von Kinderpornografie‘ und gerieten unter juristischen Druck. Und entschieden uns schließlich, wegen des großen persönlichen und finanziellen Risikos, den Link wieder zu entfernen – eine Entscheidung, der sowohl mit Verständnis als auch mit Kritik begegnet wurde. Zur Vertiefung der Thematik führten wir ein Interview mit dem/der Hacker(in) und veröffentlichten auch einen Gastbeitrag von Joachim Bellé vom AK Zensur. Fragen, die diese Ereignisse aufwerfen: Ist der Schutz der Liste wichtiger als die freie Berichterstattung über Missstände? Wieso wird so sehr darum gekämpft, Links zu entfernen und Seiten zu sperren, anstatt die konkreten Inhalte zu löschen? Leakte die BPJM ihre Liste nicht eigentlich selbst? Denn nur weil man den Klartext nicht sieht, heißt das nicht, dass er nicht da ist. Handelt es sich überhaupt um ein Leak der Liste? Das Thema ist jedenfalls noch nicht abgeschlossen.
Aber auch an anderen Fronten bewegt sich die Welt – siehe Datenschutz. Um ihren Verwaltungsaufwand zu verringern und Effizienz zu erhöhen, strebt die EU „Single Points of Contact“ für den Austausch polizeilicher Daten an. Riesige Datenmengen in zentralisierten Händen. Die finden sich übrigens auch bei Facebook, was dieses eiskalt und „AGB-entsprechend“ ausnutzt, wie jetzt einige Leute schockiert zum ersten Mal bemerken. Um unsere Daten zu schützen, benötigen wir kompetentes Personal. Die Wiederwahl einen besonders qualifizierten Datenschützers haben die Piraten in Schleswig-Holstein aber gerade aus Verfahrensgründen erfolgreich verhindert.
Aber was wäre eine netzpolitische Woche ohne neue NSA-Enthüllungen und Nachrichten über unseren Lieblings-Untersuchungsausschuss. Großer Schock: Ein Doppelagent spionierte den NSAUA aus. Nein. Schrecklich. Das politische Berlin ist entsetzt. Die Enttarnung von Agenten ist sowieso gerade groß in Mode. Aber nichts kann unsere transatlantischen Beziehungen trüben. Auch wenn manche über die Dummheit weinen. Sowieso ist es überraschend, dass ausgerechnet Abgeordnete aus dem NSAUA Gegenstand gezielter Überwachung werden. Welch Schicksalsschlag. Obwohl die Sitzungen des Untersuchnugsausschusses doch bereits optimal geschützt sind, zum Beispiel durch ansprechende Hintergrundmusik. An der Bedeutung von Snowden als Zeuge ändert sich immer noch nichts, an dem Gezerre um seine Vernehmung auch nichts. Immer wieder erfrischend, die Briefe seines Anwalts aus Moskau zu lesen, der die öffentlichen Äußerungen der Ausschussmitglieder eigentlich nicht kommentieren will. Aus neuen Analysen der Dokumente geht darüberhinaus hervor, dass die anlasslose Massenüberwachung die gezielte Überwachung weit übersteigt. Und dass die gezielte Überwachung – aus geheimen Gründen – zum Beispiel gegen augenscheinlich unschuldige US-amerikanische Muslime eingesetzt wird. Wenn gar nichts mehr hilft, einfach zurücklehnen und sich die schönen HD-Aufnahmen des NSA-Geländes in Utah ansehen.
In other news: O2 bietet jetzt besonders vorteilhafte Flatrates an, die endlich keine echten Flatrates mehr sind – darauf hat der Kunde lange gewartet. Es ist schön, zu sehen, wie diese nervigen Vielsurfer dann mehr bezahlen dürfen als der durschnittliche Unter-300-GB-pro-Monat-Internetnutzer. Mehr davon, bitte. Wir finden schließlich alle Netzneutralität total doof.
Zur Aufheiterung, oder für einen erleichternden Facepalm: Das Video der Verleihung des Grimme-Online-Awards an netzpolitik.org. Wir können uns immer noch nicht entscheiden, ob dieser Auftritt nicht absichtlich humoristisch war und sich seinerseits um einen Preis in der Kategorie „Spezial II: Bestes Online Slapstick Video“ bewirbt. Wir wünschen viel Erfolg!
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