Polizeilicher Datentausch wird unübersichtlich – EU schlägt „einzige Anlaufstelle“ in allen 28 Mitgliedstaaten vor

Viel zu viele Daten, viel zu unübersichtliche Zuständigkeiten: Sogar Sicherheitsbehörden kommen angesichts der Anzahl polizeilicher Datensammlungen durcheinander. Um die alten und neuen Datenbanken zukünftig einheitlich zu führen, hat die Europäische Union in Estland und Frankreich eine Agentur für das „Betriebsmanagement von IT-Großsystemen“ eingerichtet. Derzeit werden dort das Visa-Informationssystem, die Finderabdruckdatenbank und das Schengener Informationssystem verwaltet. Bald könnte die vom deutschen Bundesinnenministerium beworbene Vorratsdatenspeicherung aller Ein- und Ausreisen in die EU hinzukommen.

Allerdings gibt es weit mehr als diese drei Plattformen: Daten werden über die EU-Agentur Europol oder die internationale Polizeiorganisation Interpol weitergegeben, Grenzbehörden nutzen ein Zollinformationssystem. Geregelt werden müssen die Entgegennahme des europäischen oder internationalen Haftbefehls oder von Rechtshilfeersuchen für Hausdurchsuchungen oder Abhörmaßnahmen. Weitere Kanäle der digitalen Zusammenarbeit sind die über 40 Zentren für die Polizei- und Zollzusammenarbeit, die bei verschiedenen Behörden angesiedelten „Verbindungsbeamten“ oder Koordinierungsstellen für die Betrugsbekämpfung. Im „schwedischen Rahmenbeschluss“ und dem „Vertrag von Prüm“ sind ebenfalls Absprachen zum Datentausch festgelegt. Getauscht werden DNA-Profile, Fingerabdrücke und Daten aus Fahrzeugregistern.

Entsprechende Ersuchen zur Weitergabe digitaler Informationen müssen in manchen Ländern bei unterschiedlichen Stellen eingereicht werden. So ist manchmal ein Innenministerium, eine Zollbehörde oder auch einzelne Polizeistellen für die einzelnen Datensammlungen verantwortlich. Diese Zuständigkeiten sind in eigens dafür geschriebenen Handbüchern niedergelegt.

„Single Point of Contact“

Zukünftig soll der Informationsaustausch aber noch einfacher werden. In einem Ratsdokument wird nun die Einrichtung einer einzigen Anlaufstelle für alle Behörden vorgeschlagen. In jedem der 28 EU-Mitgliedstaaten soll dann ein „Single Point of Contact“ für den internationalen „Austausch von strafverfolgungsrelavanten Informationen“ zuständig sein. Die Plattformen werden der Verantwortung eines federführenden Ministeriums unterstellt. Gewöhnlich ist dies ein Innenministerium. Die eigentliche Arbeit soll aber eine „federführende Stelle“ übernehmen. Normalerweise wird dies von einer Kriminalpolizei verrichtet.

Jeder „Single Point of Contact“ ist eine Anlaufstelle mit weitreichenden Kompetenzen. Sie wäre an das EU-Intranet sowie das interne Kommunikationssystem von Europol angeschlossen und dürfte darüber Verschlusssachen austauschen. Über Interpol würden alle Ausschreibungen an den „Single Point of Contact“ gerichtet. Die Anlaufstelle wäre auch zuständig für offene und verdeckte Fahndungen über das Schengener Informationssystem. Im Falle Deutschlands sind derartige Kompetenzen bereits beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden zentralisiert. Dort werden auch Anfragen aus den Bundesländern verwaltet.

Eines der Probleme im unübersichtlichen Informationsaustausch ist das mehrfache Stellen von Ersuchen über mehrere Kanäle. Damit soll nun Schluss sein, wenn alle Ersuchen nur noch über den „Single Point of Contact“ laufen. Dieser einzige „Übermittlungskanal“ darf während eines laufenden Vorgangs nicht mehr gewechselt werden.

Der „Single Point of Contact“ soll aber auch über einen Vollzugriff auf nationale, polizeiliche Datenbanken verfügen. Hierfür sollen die Anlaufstellen an das Intranet ihrer jeweiligen Regierungen bzw. Sicherheitsbehörden angeschlossen werden. Für Telefon, Fax und E-Mail werden Reserve-Kommunikationsverbindungen vorgehalten. Die Anlaufstellen erhalten eigene, moderne elektronische Fallverwaltungssysteme.

Anbindung von „Telefon- und sonstigen Telekommunikationsunternehmen“

Doch damit nicht genug: Die neuen Anlaufstellen sollen über „Zugang zum größtmöglichen Spektrum an einschlägigen nationalen Datenbanken“ verfügen. In dem Ratsdokument heißt es dazu:

Dies erstreckt sich insbesondere auf Datenbanken auf dem Gebiet der Strafverfolgung, Datenbanken für Identitätsdokumente, Fahrzeugregister, nationale Visadatenbanken, Datenbanken der Ausländerbehörden, Häftlingsdatenbanken, DNA-Datenbanken, Fingerabdruckdatenbanken, den Informationsaustausch mit den nationalen Verbindungsbeamten, Grenzschutzdatenbanken, Handelsregister, automatische Nummernschilderkennung usw.

Schnittstellen sollen auch zu „Strom- und der Wasserversorgungsunternehmen“ eingerichtet werden. Die geplante Anbindung von „Telefon- und sonstigen Telekommunikationsunternehmen“ lässt darauf schließen, dass auch der leichtere Zugriff auf abgehörte Telekommunikation geplant ist. Denn die Anlaufstellen können auch für die „Sofortgenehmigung“ dringender Überwachungsmaßnahmen angepingt werden.

Nicht nur im föderalen System Deutschlands ist es problematisch, wenn die neuen „Single Points of Contact“ über die „umfassendste nationale Zuständigkeit“ verfügen sollen. Denn Polizei ist hierzulande Ländersache. Das hat man auch beim Rat der Europäischen Union bedacht und trägt einschränkend vor, nicht alle Leitlinien, Empfehlungen oder Beispiele seien „in jedem Mitgliedstaaten sinnvoll oder gar anwendbar“.

Zunächst sind die Leitlinien auch nicht bindend. Es könnte aber gut sein, dass in einigen Jahren eine Verordnung daraus wird.

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