Netzpolitischer Wochenrückblick – KW 27 – Die NSA überwacht die Bundesregierung sicher nur zur Steigerung der Servicequalität

klaert_doch_aufWillkommen zu unserem 27. Wochenrückblick in diesem Jahr. Die schlechte Nachricht ist diesmal: Wir alle werden noch mehr überwacht als bisher bekannt, inklusive der Medien und der Bundesregierung. Die gute Nachricht ist aber, dass das auch gesellschaftlich debattiert wird. Vielleicht führt es ja zu mehr als lediglich zu einem Ausbau unserer Geheimdienste, wie es unsere Bundesregierung plant. Wir arbeiten zumindest dagegen an. Und haben diese Woche wieder viel geschrieben.

Diesen Wochenrückblick haben wir auch als Newsletter verschickt. Hier kann man sich eintragen.

Am Montag verkündete der Chef des Verfassungsschutzes noch, dass es keinerlei Anzeichen dafür gäbe, dass wir von befreundeten Geheimdiensten überwacht werden. Außer wir würden freiwillig US-Plattformen nutzen. Aber wer macht das schon? Durch die Blume war die Aussage: Selbst schuld, wenn man Twitter, Facebook, Google und Co nutzt, da weiß man doch, dass die Geheimdienste das alles mitlesen. Dann kam Wikileaks wieder aus dem Winterschlaf und feuerte diese Woche einige interessante Veröffentlichungen raus.

Am Mittwoch fing es an: Eine Liste mit insgesamt 69 Selektoren offenbarte, dass die Telefone vieler Spitzenbeamte samt Ministern von der NSA überwacht werden. Und dann auch noch Gespräche von Merkel und ihren Mitarbeitern im Kanzleramt.

Ist sicher nur zur Steigerung der Servicequalität, oder?

Zum Dank wurde der US-Botschafter zum Kaffeekränzchen ins Kanzleramt eingeladen. Der Generalbundesanwalt prüft jetzt, ob er dafür zuständig ist. Wirtschaftsminister Gabriel hat dabei ein ironisches Verhältnis zur Überwachung und findet die ganze Debatte ein absurdes Theater. Wir finden ja die von ihm forcierte Vorratsdatenspeicherung gar nicht ironisch und vollkommen absurd. Der britische Geheimdienst überwachte Amnesty International und musste das der Organisation mitteilen.

Pofalla beendete mal wieder den Überwachungsskandal

Am Donnerstag beendete der ehemalige Kanzleramtschef Pofalla erneut den Überwachungsskandal, diesmal im Geheimdienst-Untersuchungsausschuss. Vorher war ein Ex-Kollege im Verhör, was zu einem kleinen Eklat führte, den am Freitag der SPIEGEL weiterführte: Das Kanzleramt scheint 2011 bereits gewusst zu haben, dass US-Geheimdienste wahlweise das Kanzleramt und/oder den SPIEGEL überwachen. Die Bundesregierung hat die Große Koalition einen Selektorenbeauftragten einsetzen lassen, der jetzt mal Demokratiesimulation machen darf. Der Bayrische Rundfunk erklärte in einer TV-Dokumentation, warum uns alle die Totalüberwachung betrifft.

Diverse Botschaften wurden nach Start der Snowden-Enthüllungen vom BND auf Sicherheitsdefizite untersucht. Wir haben den Bericht zugespielt bekommen und kamen aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Zu der Überwachungs-Suchmaschine XKeyScore sind diverse neue Dokumente geleakt, die wir für Euch genauer angeschaut haben. Der IT-Sicherheitsberater Bruce Schneier erklärt dafür in einem Gastbeitrag bei uns, warum wir alle verschlüsseln sollten. Macht mal! Constanze Kurz und Frank Rieger haben für uns Roland Jahn, den Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, interviewt. Ein spannendes Gespräch über wild gewordene Geheimdienste.

EU: Die Netzneutralität wird für einige Roaming-Freiminuten geopfert

Auf EU-Ebene haben sich Parlament, Kommission und Rat auf eine Aufweichung der Netzneutralität und etwas weniger Roaming im Trilog geeinigt. Das steht noch nicht ganz im Detail und das Parlament muss noch zustimmen. Aber es sieht nicht gut aus. Der Einstieg ins Zweiklassen-Netz soll kommen, zu Risiken und Nebenwirkungen fragt am Besten mal Eure EU-Abgeordneten. Erwartungsgemäß freuen sich Bundesregierung und die CDU, die SPD ist mal wieder indifferent und Günther Oettinger bringt wieder Taliban-Vergleiche.

Bei der EU-Datenschutzreform sieht es auch nicht gut aus. Da ist der Trilog gerade erst gestartet, aber die EU-Staaten sägen über den Rat stark an unseren Datenschutzrechten. Da ist selbst die ehemalige EU-Kommissarin Viviane Reding sehr besorgt. Die Informatikerin Marit Hansen soll neue Landesdatenschutzbeauftragte in Schleswig-Holstein werden und die Netzaktivistin Rena Tangens hat den Bundespreis Verbraucherschutz gewonnen. Wir gratulieren beiden sehr herzlich. European Digital Rights fordert die EU-Kommission auf, gegen die illegalen Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung in den EU-Staaten vorzugehen.

Da geht noch was: Beim Breitbandausbau ist Deutschland schon hinteres Mittelfeld

Beim Breitbandausbau ist Deutschland immer noch im hinteren EU-Mittelfeld, auch weil hier nicht auf zukunftsfähige Glasfaser gesetzt wird. Eine neue Studie gibt Tipps und warnt vor Fehlern aus den USA. Eine Debatte in Berlin ging der Frage nach, ob die Macht der Internetkonzerne mit unserer Ohnmacht gleichzusetzen ist. Es gab wenigstens einen Lichtblick.

EU-Urheberrechtsreform für Einsteiger erklärt

Eine neue Broschüre klärt über die EU-Urheberrechtsreform auf. Lesen, verstehen, weitersagen und teilen. Und auch der Bundestag informiert kurz und knapp, worum es da geht. Dafür ist geteilte Bildung doppelte Bildung. Sagt unser Leonhard Dobusch, dann wird es schon stimmen.

Die SCHUFA wünscht sich einen konstruktiven Dialog über unsere Arbeit und schickte passenderweise gleich eine Anwaltskanzlei, die uns aufforderte, einen kritischen Artikel zu löschen, der der SCHUFA nicht gefiel. Machen wir natürlich nicht. Gern geschehen.

Nächsten Monat machen wir einen Redaktionsausflug zum Chaos Communication Camp. Der Vorverkauf dafür wurde gestartet. Das wird ein großer Spaß. Kommt alle und trefft uns da. Am 4. September findet in Berlin unsere zweite „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz statt. Auch dafür gibts schon Karten, dazu einen Call for Papers und natürlich könnt Ihr uns dort auch treffen.

Wir wünschen viele kühle Momente am Wochenende und freuen uns, wieder die kommende Woche für Euch viele Artikel schreiben zu können. Wenn Euch unsere Arbeit gefällt und wichtig erscheint, könnt Ihr uns gerne auch spenden.

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2 Ergänzungen

  1. Encryption
    The number of state wiretaps in which encryption was encountered decreased from 41 in 2013 to 22 in 2014. In two of these wiretaps, officials were unable to decipher the plain text of the messages. Three federal wiretaps were reported as being encrypted in 2014, of which two could not be decrypted. Encryption was also reported for five federal wiretaps that were conducted during previous years, but reported to the AO for the first time in 2014. Officials were able to decipher the plain text of the communications in four of the five intercepts.

    Quelle: http://www.uscourts.gov/statistics-reports/wiretap-report-2014

    Das sind die Zahlen aus dem „legalen“ Justiz-Bereich. Die gewünschten Backdoors wären vermutlich eher nützlich im 3-letter-agency-Bereich.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.