Liebe Leser:innen,
die digitalpolitische Berichterstattung ist gerade nur von einem Thema bestimmt: Elon Musk und die Zerstörung von Twitter. Viele Medien berichten über jedes Hin und Her: An und Aus von Verifizierungshäkchen, Rein und Raus, Entlassungen, Rücktritte und Wiedereinstellungen. Wir versuchen uns lieber an einer Zusammenfassung, weil alles andere zu viel Zeit kostet und nichts bringt. Das Chaos seit der Übernahme durch den reichsten Mann der Welt ist so groß, die Situation so dynamisch, dass man nur mit offenem Mund zuschauen kann und sich wundern, wie heftig die Zerstörungskraft ist, die dort am Werke ist.
Gleichzeitig bietet das Untergangsszenario der wichtigen Plattform auch Chancen auf einen Neubeginn. Viele Nutzer:innen wechseln gerade zum dezentralen Dienst Mastodon und sind überrascht, wie gut sich das dort anfühlt. Wie damals auf Twitter. Wie das geht und mit welchen Hilfsmitteln man leichter zu Mastodon wechseln kann, haben wir diese Woche beschrieben. Unser Redaktionsaccount sowie viele Redakteur:innen sind dort auch erreichbar und aktiv.
Die Verdrängungsgesellschaft
Um Untergang, oder besser die Verhinderung des Untergangs, geht es auch bei den Klimaprotesten der „Letzten Generation“. Die Protestgruppe macht seit einiger Zeit mit zivilem Ungehorsam auf die Klimakrise aufmerksam. Das missfällt schon länger denjenigen, die die Klimakrise lieber ignorieren oder kleinreden wollen. „Verdrängungsgesellschaft“ ist der Begriff dafür, dass ein Teil der Gesellschaft sich biedermeierartig einigelt und einfach nichts mehr wissen will von dem Unheil, auf das wir sehenden Auges zusteuern. Ein gefährlicher Trend.
Einen neuen Höhepunkt erreichte diese Verdrängung in den letzten zwölf Tagen, als sogar höchste Regierungsvertreter der Ampel verbal auf die Klima-Aktivist:innen und ihre Aktionsformen eindroschen. Vorausgegangen war der tragische Unfalltod einer Fahrradfahrerin in Berlin. Prompt kam die Schuldzuweisung an die Protestierenden, die eine Straße blockiert hatten, und ein Spezialfahrzeug der Feuerwehr im Stau stand.
Was folgte waren Attacken auf die Versammlungsfreiheit und den zivilen Ungehorsam. Wildes Gerede von angeblichem Terrorismus und „ersten Toten“ der Klimabewegung. Mich hat die Heftigkeit und die Einmütigkeit erschreckt, weswegen ich das in einem Kommentar noch einmal aufarbeite – und auf den Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes verweise, der damals die Versammlungsfreiheit gestärkt hat.
Der Streit um demokratische Protestformen ist wichtig und richtig. Wir dürfen ihn aber nicht auf Kosten der Versammlungsfreiheit und nicht auf dem Rücken der Demokratie führen.
Ein schönes Wochenende wünscht
Markus Reuter