Interview mit Wolfgang Kaleck„Auslieferung Snowdens wäre nicht rechtmäßig“

Was steht einem Aufenthalt Edward Snowdens in Deutschland im Weg? Müsste er an die USA ausgeliefert werden, sobald er deutschen Boden betritt? Über diese Fragen sprachen wir mit Snowdens Anwalt Wolfgang Kaleck.

Rechts ist Wolfang Kaleck abgebildet, im Hintergrund ist eine Häuserfront mit einem Banner, auf dem "Zimmer frei für Snowden" steht
Der Menschenrechtsanwalt Wolfgang Kaleck wirft der Bundesregierung vor, passiv geblieben zu sein. – Kaleck: IMAGO / epd; Hintergrund: IMAGO / Schöning; Montage: netzpolitik.org

Seit den NSA-Enthüllungen sitzt Edward Snowden in Russland fest. Kein anderes Land hat ihm bislang Asyl gewährt und in den Vereinigten Staaten droht ihm wegen Spionage jahrzehntelange Haft. Zuletzt hatte ein US-amerikanisches Gericht die jahrelange Massenüberwachung durch den Geheimdienst NSA für illegal befunden, ein „Später Sieg für Snowden“ titelten wird damals.

In einem Tweet hat der Whistleblower jetzt Kritik an der Europäischen Union geübt und indirekt Unterstützung gefordert. „Was sagt es über ein System, wenn ein Whistleblower in Russland frei herumlaufen kann, aber nicht in den USA oder der EU? Das gefällt euch nicht? Dann ändert was daran“, verlangt er am 26. Oktober über seinen Twitter-Account.

Der Höhepunkt der Debatte um Asyl liegt mittlerweile fast zehn Jahre zurück und die aktuelle geopolitische Lage ist eine andere. Wir haben deshalb einerseits Bundestagsabgeordnete nach ihrer Position gefragt, andererseits mit Wolfgang Kaleck, dem Menschenrechtsanwalt und prominenten Verteidiger im juristischen Team Snowdens, gesprochen. Ihn interviewten wir zu den Hintergründen für ein Asyl und eine mögliche Auslieferung an die USA.

netzpolitik.org: Was müsste politisch passieren, um Edward Snowden Asyl in Deutschland zu gewähren?

Wolfgang Kaleck: Wir haben nie Asyl für ihn beantragt, Asyl in Deutschland war immer nur eine unter vielen Möglichkeiten. Es ging uns darum, dass er einen sicheren und stabilen Aufenthalt erhält. Das hätte in einem westeuropäischen oder einem außereuropäischen Land sein können. Deutschland hätte sich gemeinsam mit seinen europäischen Partnern bemühen müssen, hätte Teil der Lösung sein können. Stattdessen hat es eine passive Haltung eingenommen. Die Bundesregierung hat sich immer wieder auf pseudojuristische Argumente berufen. Diese haben wir durch mehrere Rechtsgutachten und Aussagen von prominenten Jurist:innen widerlegt. Es hat aber gerade Politiker aus der CDU, aber auch aus anderen Parteien, nicht davon abgehalten, ihr juristisches Halbwissen weiter zu verbreiten.

netzpolitik.org: Müsste Deutschland Edward Snowden aus juristischen Gründen an die USA ausliefern, sobald er deutschen Boden betritt? Das behauptete der FDP-Abgeordnete Ulrich Lechte gegenüber netzpolitik.org.

Wolfgang Kaleck: Die Antwort ist ein klares Nein. Sie können alle Experten im Auslieferungsrecht befragen. Niemand Seriöses wird eine solche Behauptung aufstellen. Wir haben seinerzeit dazu ein Rechtsgutachten von Dr. Reinhard Marx eingeholt. Der kommt in seinen ausführlichen Darlegungen zu dem klaren Schluss, dass eine Auslieferung nicht rechtmäßig wäre. Aber auch die sonst in den Medien dazu befragten Experten haben sich eindeutig in dieser Richtung geäußert.

Ich möchte außerdem hinzufügen, dass diese Fragen schon in aller Ausführlichkeit seinerzeit erörtert worden sind, als es um eine eventuelle persönliche Vernahme meines Mandanten vor dem Bundestagsuntersuchungsausschuss ging. Aber manche Legenden halten sich halt.

netzpolitik.org: Wie könnte eine etwaige Auslieferung auf Antrag der USA rechtlich verhindert werden?

Wolfgang Kaleck: Der Fall Assange in England hat gezeigt, dass sich derartige Verfahren über Jahre hinziehen können. Bei Eingang eines Auslieferungsantrages müsste dieser erst geprüft werden, politisch und juristisch. Gegen einen Auslieferungsbescheid könnte man das Oberlandesgericht und später das Bundesverfassungsgericht, danach den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anrufen.

netzpolitik.org: Ist es wahrscheinlich, dass die USA auf Snowden zugreift, sobald er einmal auf deutschem Boden ist, obwohl das möglicherweise unrechtmäßig wäre?

Wolfgang Kaleck: Ein solches Vorgehen wäre eklatant rechtswidrig. Es ist interessant, dass ausgerechnet diejenigen, die sich als „Amerikafreunde“ gerieren, solche Szenarien diskutieren.

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7 Ergänzungen

  1. >> Wir haben nie Asyl für ihn beantragt, Asyl in Deutschland war immer nur eine unter vielen Möglichkeiten. <<

    Darauf muss man doch nachfragen, wo überall denn schon Asyl beantragt wurde und welche Länder definitiv abgelehnt haben. Was sind denn die "Möglichkeiten" , die besser als Deutschland erscheinen? Und was ist bitte der Grund, warum in Deutschland nie beantragt wurde? Wer nicht will braucht sich auch nicht zu beklagen.

    1. Keine Ahnung, ob man Asyl mehrfach beantragen kann/darf.

      In der politischen Situation der GroKo mit Hardlinern in den relevanten politischen Positionen wäre ein Asyl-Antrag vermutlich abgelehnt bzw. massiv kontakarriert worden, allein schon um den ‚großen US-Freund‘ nicht zu verärgern.

      Insofern kann ich nachvollziehen, dass man ggf. die echte Chance auf Asyl in Deutschland nicht durch einen Antrag ohne großen Erfolg verpuffen lassen möchte.

  2. Es steht zu befürchten, dass Edward Snowden in Deutschland / in Europa – auch wenn er Asyl bekäme – nicht sicher wäre. Es gab in der Vergangenheit Entführungen von Deutschen durch die CIA, denken wir an Khaled el-Masri. oder an Haydar Zammar. Diese beiden wurden zwar nicht von deutschem Boden aus entführt, aber die Entführung wurde hier vorbereitet, sie wurden beschattet etc. Es gibt weitere CIA-Entführungen aus Italien und die italienische Justiz hat immerhin diese Entführer verurteilt. Und denken wir an Julian Assange, die illegale Ausspähung in der ecuadorianischen Botschaft und die Mordpläne von Mike Pompeo, dem ex-CIA-Chef, gegen Assange. Ich glaube, Snowden wäre in Russland besser und sicherer aufgehoben, zumal ihm ja auch die russische Staatsbürgerschaft verliehen wurde.

    1. Würde Snowden sich auf deutschem Boden befinden, ich bin mir sicher, die US-Administration würde auf die Befindlichkeiten des Parters Deutschland sch…n! Ein Jet würde in Ramstein sicherlich bereitstehen für eine „Rückführung“ in die Staaten. Darauf wette ich!

      Zu groß ist die Schmach, die die Veröffentlichungen Snowdens in der US-Administration und den Geheimdiensten verursachte.

  3. Ich denke auch, das Deutschland kein sicherer Hafen ist. Da wir dringend auf Erdöl+Erdgas aus den USA angewiesen sind. Der lange Arm der USA ist auch im Fall „Kim.com“ bewiesen. Auch ein Zeugenschutzprogramm wird ihm da nicht helfen. Überdies er ja auch noch seine Identität verlieren würde. Also auch keine Option.
    Was bringt es noch, alle Schandtaten der USA sind doch nun bekannt.
    Eine Verurteilung macht sie nicht ungeschehen.
    Vielmehr sollte man solche Menschen fördern. Aber die Politik will das nicht.
    Nosch

    1. Ich vergaß, das alle anderen Filehoster genauso weiter machen. Nur viel teurer. Und alle kommen aus den USA. Ein Schelm wer böses dabei denkt. Lediglich „Kim.com“ nahm mann sich vor.Und dass in Neuseeland, wo doch eigendlich die USA keinen Zugriff haben. Oder?
      Nosch

  4. 1. Snowden leistete Notwehr (§ 33 StGB) bzgl des notwehrfähigen Rechtsguts „Privatheit“ von uns allen. Notwehr zugunsten Dritter nennt man Nothilfe. Anerkannt, wichtig, legal.

    Ja, die übrigen Bedingungen von Notwehr u.a. Gegenwärtigkeit, Wahl eines verhältnismäßigen Mittels etc. waren insbesondere nach der öffentlichen Lügen des Geheimdienstchefs James R Clapper vor dem US-Senat gegeben. -> Youtube „No, Sir, … not wittingly“.

    Zusätzlich war das Handeln von Snowden darauf gerichtet u.a. die folgenden, sogar durch Strafrecht geschützten Rechtsgüter zu schützen: §§ 201 (Schutz der Vertraulichkeit) und 99 (Spionage) StGB, § 42 BDSG (Datenschutzverletzungen).

    Diese Strafbestimmungen schützen nicht nur die Menschenwürde, sondern auch die staatliche Souveränität, Demokratie und Rechtsstaat.
    Das wissen auch die USA und räumen diese Rechte (und einen strafrechtlichen Schutz derselben) ihren EIGENEN Staatsbürgern ein.

    2. Die USA anerkennen das MENSCHENrecht „Privatheit“ (Art. 8 EU-Grundrechtecharta, Art. 1 und 2 GG) allerdings nicht an, geht es um Ausländer.
    In den USA darf man hemmungslos Briefe, das Tagebuch/Smartphone/Laptop etc. von Ausländern an der Grenz öffnen lesen: Der 4. Verfassungszusatz gilt nur für „the people“, dazu gehörden Ausländer nur in äußerst seltenen Ausnahmefällen, bspw. nach 14 Tagen UND nur während des nachfolgenden Aufenthalts in den USA. So jedenfalls der Entwurf des Versuchs einer DSGVO-Kopie, den die US-Bürger nun endlich langsam gegen den Willen der Regierung und der US-Wirtschaft durchsetzen.

    Also ist die Tat Snowdens nach US-Recht nicht gerechtfertigt (Rechtfertigungsgrund Nothilfe/Notwehr nicht gegeben), wohl aber nach europäischem Recht.

    Quellen, u.a.:
    https://www.justsecurity.org/2668/foreigners-nsa-spying-rights/
    https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtfertigungsgrund
    https://de.wikipedia.org/wiki/Notwehr_(Deutschland)#Angriff_auf_ein_Rechtsgut

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