Liebe Leser:innen,
beim Mittagessen hat jede:r seine eigenen Vorlieben. Der eine möchte seinen Lunch in aller Stille genießen, die andere isst mit einem Podcast im Ohr. Weitaus weniger verbreitet ist meine neue, ganz persönliche Präferenz: Fakten checken.
Während netzpolitik.org seit vielen Jahren erfolgreich den Bullshit da draußen bustet, war der Kampf gegen Desinformation beim Büro-Lunch bisher eher selten. Das sollte sich während meines Praktikums ändern. Eines Oktobermittags gab unser Head of Gestaltung sein vermeintliches Wissen über Mainz zum Besten – der Studienstadt meiner Mit-Praktikantin Hasset. Dort stünde eine große Karl-Marx-Statue, der Mann sei schließlich in Mainz geboren, behauptete Ole.
Mir kam das gleich merkwürdig vor. Eine Websuche zwischen zwei Bissen bestätigte meine Zweifel. Tatsächlich ist Marx in Trier geboren – ja, dort steht sogar eine Statue von ihm, die einst die chinesische Regierung der Stadt geschenkt hatte. Ein längerer Aufenthalt von Marx in Mainz ist, obwohl der Nationalökonom seinerzeit viel herumkam, nicht dokumentiert.
Ich konnte Oles Desinformation also aufdecken. Und auch seine Ausflüchte, dass Mainz und Trier ja quasi nebeneinanderlägen, wurden durch eine weitere Websuche rasch widerlegt (Luftlinie: circa 119 km). Ihm als Original-Berliner sei dieser spezielle Blick auf Deutschland verziehen, Bewohner:innen der Hauptstadt wird eh nachgesagt, dass ihnen der Rest Deutschlands schnuppe sei.
Auch wenn wir viel gelacht haben: Jenseits des Mittagstischs sind Falschinformationen bekanntlich eine ernste Sache. Unter anderem deswegen sehen sich immer mehr Medien und Werbekunden zum X-Odus genötigt. Die UNESCO sorgt sich ebenfalls vor Falschinformationen und hat Leitlinien zur Governance von Plattformen veröffentlicht. Die Bundesregierung hat derweil ihre ganz eigene Haltung zu – eindeutig als Satire gekennzeichneten – Deepfakes, was in dieser Woche antifaschistische Künstler:innen zu spüren bekamen.
Unser bürointerner „Desinformationslunch mit Ole“ entwickelte sich im Laufe der vergangenen Wochen übrigens zu einer beliebten Tradition. Wir debattierten über das wahre Ende von Rotkäppchen, erneuerten unser Wissen zu deutschem Glücksspielrecht und entdeckten gemeinsam eine absurde schweizerische Fake-News-Schleuder. Der Kampf gegen Falschnachrichten, Verzerrungen und Bullshit – er ist eben nicht nur wichtig, zäh und mitunter ermüdend, sondern er kann auch zusammenschweißen.
Das hat während meines Praktikums auch eine andere Gruppe unter Beweis gestellt – nämlich Ihr, liebe Leser:innen. Immer wieder ergänzt Ihr unsere Beiträge mit Kommentaren oder Ihr postet kritische Anmerkungen auf Social Media. Wenn das die eigenen Texte betrifft, ist dies – offen gestanden – mitunter herausfordernd. Aber dieses Feedback ist enorm wichtig. Denn dank Euch können wir jene Fehler korrigieren, die selbst uns hin und wieder unterlaufen. Danke!
„Danke“. Dieses Wort habe ich in den vergangenen Tagen häufig gesagt. Denn diese Woche ging mein Praktikum bei netzpolitik.org zu Ende. Ich werde es sehr vermissen, täglich in diesem Büro zu sein und mit den Kolleg:innen zu schreiben. Nicht nur, aber auch wegen der Faktenchecks am Mittagstisch.
Euch ein kulinarisches Wochenende
Leonhard