X-OdusImmer mehr Medien machen Schluss mit Twitter

Von Krankenkassen über große Städte bis hin zu Universitäten laufen der Plattform X die Nutzer weg. Nun kehrt mit Correctiv die erste größere Redaktion Elon Musk aus Protest den Rücken. Auch andere Medien verabschieden sich oder überlegen, ob sie noch weitermachen.

Hochhaus steht sehr nahe an einem abgerutschten Hang.
Symbolbild Twitter/X – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Aton Chile

Mit der Rechercheplattform Correctiv verlässt das erste größere Medienprojekt in Deutschland Elon Musks soziales Netzwerk X, das früher einmal Twitter hieß. Correctiv begründet den Schritt mit der Zunahme von Desinformation und Hassinhalten und dem Verhalten des Eigentümers Elon Musk, der selbst rassistische, antisemitische und populistische Inhalte verbreite. Mit dem Ende der Nutzung will die Redaktion ein Zeichen setzen. Correctiv hatte bei Twitter/X knapp 120.000 Follower. Der Account wird nicht gelöscht, sondern nicht weiter bespielt.

„Einst war Twitter informativ, gar lustig, später in Protestbewegungen sogar lebenswichtig, um Botschaften an die Öffentlichkeit zu senden. Inzwischen breiten sich Hass und Desinformation unkontrolliert aus, auch weil Elon Musk dies bewusst zulässt und sogar befeuert. Ein konstruktiver Diskurs ist auf der Plattform nicht mehr möglich“, sagt Justus von Daniels, Correctiv-Chefredakteur in einer heute versendeten Pressemitteilung.

X-Odus nimmt Fahrt auf

Bei Twitter zeichnet sich seit Monaten ab, dass immer mehr große und wichtige Accounts der Plattform den Rücken kehren. Im Oktober verabschiedete sich die Deutsche Wikimedia von X, zuvor hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes die Plattform verlassen und gleichzeitig andere Behörden aufgerufen, es ihr gleichzutun.

Staatliche Behörden wie die Bundesstiftung Gleichstellung, aber auch die Accounts des Oberlandesgerichts Karlsruhe oder der Landkreis Stade haben sich mittlerweile von Twitter verabschiedet. In anderen Städten von Köln bis Buxtehude wird über diesen Schritt nachgedacht.

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Aidshilfe oder die Neuen deutschen Medienmacher:innen haben X verlassen, ebenso mehrere juristische Verbände wie der Deutsche Juristinnenbund oder die Neue Richtervereinigung.

Auch bei Universitäten gerät etwas in Bewegung: So hat die Uni Bremen X verlassen oder die Universität Innsbruck in Österreich. An anderen Universitäten wie in Leipzig sind es Untereinheiten wie die Bibliothek, die sich von X zurückziehen. Aber auch Institutionen wie Krankenkassen hören bei X auf. Die Begründung ist immer die gleiche: menschenverachtende Inhalte und Desinformation.

Immer mehr Journalist:innen und Medien verlassen X

Obwohl große Medien die Lage bei Twitter als katastrophal bewerten, zögern diese bislang noch mit dem finalen Schritt. Dies hatte eine kleine Umfrage unter Medienhäusern und Journalist:innen von netzpolitik.org ergeben. Bislang haben eher kleinere Redaktionen wie das Y-Kollektiv oder das Social Media Watchblog X den Rücken gekehrt. Auch das Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks setzte seinen Account auf inaktiv, ebenso entschied sich jüngst die Redaktion der Sendung Breitband von Deutschlandfunk Kultur, ihren Twitter-Kanal nicht länger zu betreiben.

In den Redaktionen setzen auch zunehmend einzelne Journalist:innen ihre Accounts auf inaktiv, wie Hanning Voigts von der Frankfurter Rundschau. Und auch bei netzpolitik.org haben mehrere Redakteur:innen das Posten von Nachrichten bei X aus Protest eingestellt. Den Twitter-Account einzustellen, ist ein allgemeiner Trend. Jede:r dritte Nutzer:in erwägt diesen Schritt derzeit.

Doch Twitter/X laufen nicht nur die Nutzer:innen weg. Musks Plattform hat derzeit bei den Werbekunden mit einer Abwanderung bekannter Marken und Unternehmen zu kämpfen. Zuletzt hatten Marken wie Apple, IBM, Disney, Warner Brothers, Paramount Global und Sony ihren Rückzug aus dem Werbegeschäft auf der Plattform angekündigt. Auch die EU-Kommission will nicht mehr bei X werben.

Der Rückzug der Werbekunden geschieht einerseits nach einem Tweet, in dem Musk eine antisemitische Verschwörungsideologie begrüßte und Werbung großer Firmen im direkten Umfeld von Nazi-Inhalten auf X gezeigt wurden. Auch das Weiße Haus kritisierte Musks Antisemitismus.


Und was macht netzpolitik.org?
Auch in der Redaktion von netzpolitik.org diskutieren wir derzeit über den Umgang mit Twitter/X. Viele Stimmen im Team plädieren für den Rückzug, andere (noch) für den Verbleib. Reichweite spielt dabei überhaupt keine Rolle mehr, es geht eher um die immer noch hohe Präsenz anderer Journalist:innen, Medien, Politik und der (internationalen) Zivilgesellschaft auf der Plattform. Mehrere Redakteur:innen von netzpolitik.org haben ihre Accounts auf inaktiv gesetzt und nutzen diese nur noch zur Recherche.

Schon lange pflegen wir einen Redaktionsaccount von netzpolitik.org bei Mastodon, seit neuestem auch bei Bluesky. Bei Mastodon sind die Interaktionen deutlich höher als bei den anderen Netzwerken. Auch viele Redaktionsmitglieder haben Accounts bei Mastodon und/oder Bluesky. Twitter wird immer unwichtiger, berichten auch hier alle.

10 Ergänzungen

  1. > Auch in der Redaktion von netzpolitik.org diskutieren wir derzeit über den Umgang mit Twitter/X.

    Mich wundert das schon sehr. Angesichts der vielen kritischen Artikel über Musks rechtsradikales Treiben braucht Ihr erstaunlich lange dazu. Ist das nicht ein rufschädigendes Verhalten? Wer mit Rechtsradikalen marschiert sagt schließlich „ja“ dazu.

    Ich habe kein Verständnis mehr für ein Zögern, das nicht mehr zu rechtfertigen ist.

    1. Finde Deinen Vorwurf in der Schärfe nicht gerechtfertigt. Und dass netzpolitik.org immer gegen Rechtsradikale eingetreten ist und als eines der wenigen Medien in Deutschland der AfD überhaupt keine Plattform bietet, solltest Du dabei auch nicht vergessen. Die halbe Redaktion hat darüber hinaus ihre Accounts eingestellt, wird sind in anderen Netzwerken aktiv, schreiben unermüdlich über Alternativen zu Twitter, usw.

      1. Vielen Dank für die Antwort. Ja, es ist wahr, „dass netzpolitik.org immer gegen Rechtsradikale eingetreten ist und als eines der wenigen Medien in Deutschland der AfD überhaupt keine Plattform bietet.“ Und nein, das kann ich überhaupt gar nicht vergessen haben, denn das zählt zu dem, was mich auch mit netzpolitik.org verbindet.

        Und das ist ja gerade die gemeinsame Grundlage, weshalb ich scharf kritisieren muss. Und dabei wusste ich nicht, dass das halbe Team noch bei X verweilt. Ich dachte es wären weniger.

        Es gab genug Zeit und genug Anlässe zu einer Entscheidung zu kommen. Wer immer noch bei X ist, scheint von jeglicher Kritik unberührt zu sein. Mein moralischer Kompass ist damit nicht kompatibel.

  2. Da hat sich der Journalismus der westlichen Welt gerade so schön damit abgefunden, dass Twitter die Rolle des Chefredakteurs hat und jetzt soll man wieder selbst überlegen, worüber man berichtet?

    Und dann soll man auch noch mühselig wieder selbst recherchieren?

    Kein Twitter mehr als Quellenangabe?

    Ihr packt das. Nur Mut. Die Welt ist auch nicht untergegangen, als ihr aufs Tracking verzichtet habt.

  3. Danke fuer die immer wieder starke Positionierung hier. Viele von euch haben den Schritt schon vollzogen, jetzt macht doch den Deckel drauf.
    Backup ziehen und Konten dicht machen. Nach 2 Wochen kraeht kein Hahn mehr drueber.

    Gebt euch nen Ruck!

  4. Interessant zu sehen, dass das bei Journalisten so lange gedauert hat. Wenn ich jemandem Nachrichten schicken würde und die Person unabhängig vom Thema immer mit Kothaufen-Emojis antwortet, hätte ich vermutlich schon sehr viel früher als die Presse die Geduld verloren.

  5. Na dann…Facebook hat mich beim Einrichten meines Accounts (ausfüllen des Profils) schon gesperrt, weil ich irgendeinen Verstoß begangen hätte. Schon lustig diese KIs.

    Letzdenendes ist es völlig egal wer sich auf welcher Plattform herumtreibt. Ausnahmslos keine davon ist in irgendeiner Art und Weise seriös oder gar unabhängig.
    Wohl dem, der noch selbst denken kann…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.