ChatkontrolleEU-Kommission zweifelt an Einigung und geht mit Zwischenlösung in die Verlängerung

Die EU-Kommission glaubt offenbar nicht mehr daran, dass die umstrittene Chatkontrolle so schnell kommen wird wie geplant. Sie schlägt vor, die bisher geltende Interimsregelung des freiwilligen Scannens um zwei Jahre zu verlängern.

Fußballfans vom 1. FC Union zeigen ein Spruchband mit der Aufschrift "Chatkontrolle verhindern!"
Die Verzögerung der Chatkontrolle ist auch auf den breiten zivilgesellschaftlichen Widerspruch zurückzuführen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Matthias Koch

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, die derzeitige Übergangsregelung zum freiwilligen Scannen nach Inhalten sexualisierter Gewalt gegen Kinder um zwei Jahre zu verlängern. Die bisherige Regelung läuft zum 3. August 2024 aus. Sie erlaubt es, dass Plattformen wie Facebook oder Anbieter von Cloudspeichern nach bekanntem Material suchen. Entsprechende Funde sowie die Personen, die das Material besitzen oder verbreiten, können die Unternehmen dann an zuständige Stellen melden.

Begründet wird die Verlängerung der bisherigen Interimsregelung (ePrivacy derogation) damit, dass sich die Verhandlungen über die neue Verordnung, die allgemein als Chatkontrolle bekannt ist, verzögert. Im Vorschlag (PDF) der EU-Kommission heißt es:

Die interinstitutionellen Verhandlungen über die vorgeschlagene langfristige Verordnung sind noch nicht abgeschlossen. Und es ist ungewiss, ob sie abgeschlossen werden können, so dass die langfristige Verordnung in Kraft treten und angewendet werden kann, bevor die Interimsverordnung ausläuft.

Damit das freiwillige Scannen auch während der Verhandlungen über die Chatkontrolle weitergeführt werden kann, bedürfe es einer befristeten Verlängerung der Interimsverordnung, so die Kommission. Auf diese Weise werde sichergestellt, dass der sexuelle Missbrauch von Kindern im Internet ohne Unterbrechung wirksam und weiterhin rechtmäßig bekämpft werden könne, bis eine neue Regelung in Kraft tritt.

Verhandlungen stecken fest

Die Verhandlungen zur Chatkontrolle-Verordnung stecken derzeit fest. Während das EU-Parlament eine Kompromisslösung verabschiedet hat, ist sich der Ministerrat, also die Vertretung der Mitgliedsländer, alles andere als einig. Er hat die Abstimmung schon zweimal verschoben, und auch bei der bislang letzten Verhandlungsrunde zeichnete sich keine Mehrheit ab.

Nur 13 Staaten unterstützen den derzeitigen Vorschlag der spanischen Ratspräsidentschaft. Mehrere Staaten müssen noch eine Position finden. Und eine Sperrminorität aus derzeit fünf Staaten – unter ihnen Deutschland, Frankreich und Österreich – lehnt den Vorschlag ab. Solange der Rat sich uneinig ist, kann das Gesetzesvorhaben nicht in die nächste Runde gehen, den Trilog aus Parlament, Rat und Kommission.

Die zivilgesellschaftliche Kritik am Vorhaben der EU ist außergewöhnlich breit. Neben der Zivilgesellschaft und renommierten Wissenschaftler:innen haben auch IT-Wirtschaftsverbände und der juristische Dienst des Rates die EU-Staaten vor der Verordnung gewarnt.

Update 13:00 Uhr:

Der EU-Abegordnete Patrick Breyer (Piraten) bezeichnet in einer Pressemitteilung die Verlängerung als „Eingeständnis des Scheiterns“ der EU-Kommission. Er kritisiert aber auch gleichzeitig die Freiwillige Chatkontrolle:

Die Verordnung zur freiwilligen Chatkontrolle ist sowohl unnötig als auch grundrechtswidrig: Die sozialen Netzwerke als Hostingdienste brauchen zur Überprüfung öffentlicher Posts keine Verordnung. Und die fehleranfälligen Verdachtsanzeigen aus der Durchleuchtung privater Kommunikation durch Zuckerbergs Meta-Konzern werden durch die angekündigte Einführung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zum Jahresende ohnehin entfallen.

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