AktionskunstBundesregierung nutzt Zensurheberrecht gegen unerwünschtes Kanzler-Video

Die Bundesregierung hat das Deepfake-Video vom Zentrum für Politische Schönheit jetzt auch auf YouTube löschen lassen. Sie beruft sich dabei auf das dafür eigentlich nicht vorgesehene Urheberrecht. Die Künstler sprechen von Zensur und kündigen rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung an.

Kanzler Scholz vor Reichstag
Screenshot des Videos, das die Bundesregierung in sozialen Medien löschen lässt. – Zentrum für Politische Schönheit

Nachdem die Bundesregierung bei Instagram das manipulierte Kanzler-Video des Kunstkollektivs Zentrum für Politische Schönheit wegen der Nutzung des Bundeskanzler-Logos hat löschen lassen, hat nun auch YouTube das Video auf Antrag der Bundesregierung gesperrt. Allerdings führt sie hier nicht wie bei Instagram das Markenrecht an, sondern macht Urheberrechtsansprüche auf eine Ukraine-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz geltend. Das urheberrechtliche Schützen öffentlicher Reden von Regierungsvertretern, um damit etwa Kunst oder Satire abzuwehren, ist umstritten. Die Künstler selbst sprechen von Zensur.

Es handelt sich dabei um das Video der jüngsten Aktion des Künstlerkollektivs zum AfD-Verbot. Im Video hatte das ZPS Bundeskanzler Olaf Scholz mittels Deep-Fake einen Verbotsantrag gegen die rechtsradikale AfD in den Mund geschoben. Die Bundesregierung hatte am Montag „verärgert“ auf das Video reagiert. Solche Deepfakes seien kein Spaß, sie schürten Verunsicherung und seien manipulativ, hatte ein Regierungssprecher getwittert. Das Original-Video ist weiterhin auf Twitter/X zu sehen, auf der Webseite afd-verbot.de hat die Künstlergruppe mittlerweile ein leicht verändertes YouTube-Video eingebunden, das nicht mehr das Bundeskanzler-Logo nutzt.

„Urheberrecht als Zensurinstrument“

Meldung von YouTube
Diese Lösch-Meldung erhielten die Aktionskünstler von YouTube.

Der Anwalt und Urheberrechtsfachmann Till Kreutzer sagt gegenüber netzpolitik.org: „Der Einsatz des Urheberrechts gegen dieses Video ist Quatsch.“ Das Urheberrecht diene ja normalerweise dazu, dass Künstlerinnen und Autoren für ihre Werke angemessen vergütet werde. Es werde im Fall des Videos zu einem Vehikel: „Hier wird das Urheberrecht nun vom Staat als Zensurinstrument genutzt.“

Wenn die Bundesregierung gegen ein Deepfake vorgehen wolle, dann müsste sie eigentlich das Persönlichkeitsrecht des Bundeskanzlers ins Feld führen, sagt Kreutzer. Auch dort sei aber kontextbezogen eine Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Kanzlers und der Kunstfreiheit zu machen.

Aktionskünstler wollen sich juristisch wehren

Das Zentrum für Politische Schönheit selbst hält das Vorgehen der Bundesregierung für rechtswidrig. Bei YouTube selbst hat das Zentrum schon Einspruch gegen die Entscheidung eingelegt.

Das Bundespresseamt übergehe sämtliche künstlerischen Tatbestände, es erwarte wohl, dass vor Kunstwerken ein Warnschild mit der Aufschrift „Vorsicht Kunst“ stehe. „Wir weisen den Angriff auf die Kunstfreiheit entschieden zurück und werden gegen die Bundesregierung wegen ihres maßlosen Vorgehens juristisch vorgehen“, sagt Stefan Pelzer vom Zentrum für Politische Schönheit gegenüber netzpolitik.org.

Die Bundesregierung hat auf eine kurzfristige Anfrage zur Löschung des Videos  noch nicht geantwortet. Google/Youtube hat auf unsere kurzfristige Anfrage geantwortet, dass es die Frist nicht einhalten könne. Wir reichen die Antworten nach, so sie denn kommen.

Was ist Zensurheberrecht?

Der Begriff Zensurheberrecht steht schon beinahe zehn Jahre für Versuche des Staates und von Regierungen, mit dem Mittel des Urheberrechts gegen missliebige Publikationen vorzugehen. Größere Bekanntheit erlangte der Begriff im Zusammenhang mit den Afghanistan-Papers, aber auch nach jüngeren Fällen wie dem Vorgehen Bayerns gegen einen Datenjournalisten, der öffentliche Daten zu Windrädern veröffentlicht hatte. In diesen Fällen steht das Urheberrecht des Staates gegen die Grundrechte der Meinungs-, Presse- oder Kunstfreiheit.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

15 Ergänzungen

  1. Also das Video sieht schon mal aus wie schlecht synchronisiertes B-Movie.
    cum-ex-kann-sich-nicht-erinnern-Kanzler Scholz liefert so viele Fakten, spricht Klartext. Das ist so dick aufgetragen und realitätsfern, wer könnte das für bare Münze nehmen?

  2. Die haben zum Ende hin vergessen das Logo unten links in der Ecke zu zensieren. Ist für eine Sekunde sichtbar und wird daher wieder runtergenommen.

  3. bei einem Kanzler unter dessen Regide und Anordnung in der Rolle des Hamburger Innensenators Menschen durch Folter im Polizeigewahrsam zu Tode kamen verwundert das nicht.
    Deutschland wurde dafür vom EMGR verurteilt und erst daraufhin wurde diese Praxis eingestellt

  4. >> Der Einsatz des Urheberrechts gegen dieses Video ist Quatsch.
    Urheberrechtsgesetz § 14 Entstellung des Werkes

    Der Urheber hat das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten, die geeignet ist, seine berechtigten geistigen oder persönlichen Interessen am Werk zu gefährden.

    >> Im Video hatte das ZPS Bundeskanzler Olaf Scholz mittels Deep-Fake einen Verbotsantrag gegen die rechtsradikale AfD in den Mund geschoben

    Zitat:
    >> Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig (vgl. Art. 21 Abs. 2 GG). Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt alleine die Verbreitung verfassungsfeindlicher Ideen hierfür nicht.
    >> Hinzukommen müssen eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung (in Wort, Schrift und Tat nota bene) , auf deren Abschaffung die Partei abzielt, sowie konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheint.

    https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Wichtige-Verfahrensarten/Parteiverbotsverfahren/parteiverbotsverfahren_node.html

    AfD als „Beobachtungsobjekt“ oder „Beobachtungsfall“. Der Verfassungsschutz darf auch nachrichtendienstliche Mittel einsetzen, V-Leute anwerben, Personen observieren und die Telekommunikation überwachen.

    https://justiz.thueringen.de/fileadmin/TMMJV/jpa/Juristischer_Vorbereitungsdienst/2021-09-01_Bediensteteninformation_TMIK_1.pdf

  5. Liebes ZPS. Wäre es nicht einfacher gewesen jede Bullshit Äußerung irgendeines Politikers mit einem [Zensiert] Balken über dem Mund zu versehen – und solche Videos zu Posten?

    Ich stelle mir vor das dabei nur noch Lückentexte übrig bleiben, und der Nachschub geht nie aus. Aber vermutlich ist die Idee nicht neu.

    Aber die Deepfake Idee eine Kanzler-Sockenpuppe etwas sprechen zu lassen zeigt ja genau das. Man kann sich auf nichts mehr verlassen was irgendein „Funktionär“ öffentlich sagt.

    Vertrauenslevel: Null Prozent. Wen wundert’s!

    1. Google hat uns gestern vertröstet, wir haben heute nachgehakt aber bislang noch keine Antwort. Ebenso vertröstet hat uns das Bundespresseamt. Wir reichen nach, wenn da was kommt.

  6. Die Redefreiheit wird eingeschränkt.

    Zugunsten? Derjenigen, die die Redefreiheit verbieten, wenn die an die Macht kommen.
    Lieber löschen, anstatt ernsthaft darüber nachzudenken, der AfD Einhalt zu gebieten.

    1. Wir haben nur keine Redefreiheit, wir haben Meinungsfreiheit. Aus guten Gruenden.

      Sie duerfen ihre Meinung frei aeussern, aber zB keine bekannt falsche Tatsachenbehauptung.

      1. „Sie duerfen ihre Meinung frei aeussern, aber zB keine bekannt falsche Tatsachenbehauptung.“

        Und, äh, wie oft wird da im Parlament so die Immunität für aufgehoben, sagen wir pro dutzend Jahre?

        1. Artikel 46 GG hilft

          (1) Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

          1. Hilft im Bundestag – bei erwiesen Rechtsextremen, oder Außerungen im Abseits (!)!)!, geht das schon auch mal andersrum. Interviews, Fest hier, Ab da, Treffen dies, Treffen das, …

        2. Wir haben einen Rechtsstaat mit FDGO, es muss also ein entsprechendes Interesse und Anlass solcher Schritte vorliegen. Mal abgesehen davon, dass Immunitaet sich auf staatliche Strafverfahren bezieht und nicht auf zivilrechtliche Prozesse.

          1. „Wir haben einen Rechtsstaat mit FDGO, es muss also ein entsprechendes Interesse und Anlass solcher Schritte vorliegen.“

            Allgemein so? Nö, warum denn. Was wir haben, ist eine Spezialveranstaltung. Könnte „interessant genug“ sein, z.B. bei häufiger Wiederholung von Lügen. Das wird schnell juristisch, insofern „Rechtsstaat“, weil irgendwo auch eine Schuldenbremse in Beschreibung A einen Vorteil gegenüber vorheriger Verfasstheit hätte darstellen können, zudem sicherlich Parlamentarier besonderen Schutz mit Recht genießen (FDGO + Rechtsstaat). Man will da kein ständiges Herumgewedel mit der Roten Karte für nichts. Dummerweise „wollen wir“ im Sinne von „Interesse“, offenbar das bei den Bürgern, und sind mit vielem was der Rechtsstaat uns so bietet nahe bei „nichts“ angekommen.

            Hier wäre durchaus Reformbereitschaft vonnöten. Das geht sicherlich ohne Kriminalisierung von Quatsch – ist aber mal interessant, wie der Rechtsstaat sich im Falle verantwortungsloser Gesetzgeberei, im Zuge des Versagens gleich wieder mit als Begründung anbietet. Der Rechtsstaat kann aber keine Reformen beitragen – , ein böses Mißverständnis, falls -, das müssen die Menschen „irgendwie“ bringen. Wir sehen eklatantes Versagen bei Gesetzgebung, aber auch im Effekt dessen, was die Rechtssprechung nun bedeutet, auch im Zusammenhang mit Klima und Sondervermögen. Ja, die Handlungen waren falsch, Gesetze schlecht gemacht, politische Kosmetik und Verantwortungsverweigerung führten zu diesem. ABER, die konkrete Rechtssprechung führt in dieser Form mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Kategorienfehlern eklatanten Ausmaßes.

      2. „Sie duerfen ihre Meinung frei aeussern, aber zB keine bekannt falsche Tatsachenbehauptung.“

        Was in der neuen Welt sehr schnell kafkaeske Züge annehmen könnte, wenn durch Filter und Algorithmen, bei gegebener Inkompetenz im Lichte des Zugriffs auf alles inklusive des zugehörigen Repressionsarsenals, die Idee der Desinformation, im Sinne eines Instruments weniger Einflussreicher, die Gewaltenteilung in schielendem Gehorsam zur Anwendung kommt. Automatisch, direkt, alles.

        Schufa 2.0, Zugriff durch sonstwelche Dienste, und gibt es da ein Konzept, welcher Datenstand zu berücksichtigen ist, hat widerspruch überhaupt eine Bedeutung?

        Die Weigerung der Übernahme von Verantwortung zwingt uns geradezu auf sandigen Boden.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.