OpenStreetMap, Komoot & Co.Sorge vor Datenkahlschlag für Karten-Apps

Das geplante Bundeswaldgesetz könnte das freie Geodaten-Projekt OpenStreetMap treffen, Sorgen haben auch kommerzielle Anbieter wie Komoot. Auf dem Spiel steht, ob Nutzer:innen weiterhin neue Wege kartographieren können – oder ob sie um Erlaubnis fragen müssen.

Eine wandernde Person im Wald.
Das geplante Bundeswaldgesetz könnte ändern, wie und wo wir wandern – und wie freie Commmunity-Projekte wie OpenStreetMap funktionieren. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Jon Flobrant

Es sind fast philosophische Fragen, die die geplante Novelle des Bundeswaldgesetzes aufwirft. Was ist ein Wanderweg? Wer darf neue Wege mit dem Smartphone anlegen? Und bilden Karten-Anwendungen einfach nur die Realität ab oder schaffen sie eine neue?

Seit über einer Woche sorgt ein durchgesickerter Referentenentwurf aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) für Aufregung. Zuerst darüber berichtet hatte das Branchenmagazin forstpraxis.de, seitdem zieht der scheinbar obskure Gesetzentwurf jedoch weite Kreise.

Stehen wir vor dem „Ende des Mountainbikens, wie wir es kennen?“, fragt etwa das Fachmedium mtb-news. Anderswo drohen Waldbauern mit Protesten, auch wenn ihnen anderes an dem Entwurf missfällt als den radbegeisterten Sportler:innen. Und im Forum des freien Geodaten-Projekts OpenStreetMap (OSM) zerbrechen sich die Nutzer:innen die Köpfe, ob und in welcher Form ihnen das gesetzliche Vorhaben Steine in den Weg legen wird – und sie bestimmte Routen künftig nicht mehr kartographieren und der Allgemeinheit frei zur Verfügung stellen können.

Gesetzentwurf verunsichert Community

„Wenn es nach dem Wortlaut des Entwurfs geht, dann sind wir definitiv betroffen“, sagt Roland Ramthun von OSM. Konkret geht es um Paragraf 33. Demnach soll das „Anlegen oder Eröffnen von neuen Wegen, Fußpfaden, Trails oder Fahrspuren im Wald durch Dritte“ nur mit Zustimmung der Waldbesitzer:innen zulässig sein. Zudem sollen Behörden die „erstmalige Ausweisung und Markierung“ bestimmter Pfade „auf bestehenden Wegen außerhalb bereits ausgewiesener Wanderwege“ genehmigen müssen. Und schließlich folgt Absatz drei:

Das erstmalige digitale Anzeigen oder digitale Ausweisen von noch nicht vorhandenen Pfaden sowie von Wildwechseln, Fußpfaden, Rückegassen oder Fahrspuren als virtuelle Routen oder Trails durch bislang weglose Flächen im Wald bedarf der Zustimmung des Waldbesitzenden und der Genehmigung der zuständigen Behörde.

Was diese Passage genau bedeutet, bleibt vorerst Auslegungssache. Im schlimmsten Fall könnte sie aber drastische Auswirkungen haben: „Wer mit seinem Smartphone seine Route trackt, oder einfach nur ein Foto in den sozialen Medien teilt, der kann bei falscher Voreinstellung schnell mit einem Verbotstatbestand konfrontiert werden“, sagte etwa Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountainbike zu Heise Online.

Etwas vorsichtiger gibt sich Jochen Topf vom Verein FOSSGIS, dem deutschen Ableger des OSM-Projekts („Local Chapter“). Gleichwohl weist er darauf hin, dass die vorgesehenen Regelungen „doch sehr weit zu gehen“ scheinen. „Sie sind unseres Erachtens unklar formuliert, für eine Einschätzung, wie sich das auf OSM auswirkt, ist es daher noch zu früh“, sagt Topf.

Der Verein werde sich nun weiter intern und mit anderen Organisationen abstimmen und dann das Gespräch mit den zuständigen Stellen suchen, so Topf. Laut dem Landwirtschaftsministerium befindet sich der Gesetzentwurf ohnehin noch in einem frühen Stadium, Gespräche auch mit Plattformanbietern soll es im Rahmen der Länder- und Verbändeanhörung geben.

Wandern mit Internet-Empfehlungen

Wer sich in den anstehenden Verhandlungen durchsetzen wird, bleibt derweil offen. Immerhin geht es in der umfassenden Novelle des fast 50 Jahre alten Bundeswaldgesetzes zu einem guten Teil um Naturschutz – und auch um die Interessen von Waldbesitzer:innen, denen informelle Trampelpfade auf ihren Grundstücken mitunter ein Dorn im Auge sind.

Denn das Problem, das das Gesetz offenbar adressieren soll, ist real: Immer wieder schicken Kartenanwendungen ihre Nutzer:innen auf illegale Wanderwege, etwa durch Naturschutzgebiete, oder gar auf gefährliche Routen.

Wohl nicht umsonst hat forstpraxis.de den betreffenden Abschnitt im Entwurf „Komoot-Paragrafen“ getauft. Die gleichnamige Navigations-App ist ein beliebtes Hilfsmittel für Wanderungen, Radtouren und sonstige Outdoor-Aktivitäten. Weite Teile des Datenmaterials stammen aus dem OSM-Projekt, die Routen erstellen der Anbieter und die Nutzer:innen allerdings selbst.

„Uns als OSM ist bewusst, dass immer wieder Konflikte zwischen Waldbesitzern und Naturparks auf der einen Seite und Waldbesuchern auf der anderen Seite gab und gibt und dass OSM-basierte Karten und Apps dabei eine Rolle spielen“, sagt Jochen Topf. Dazu soll es schon auf diversen Ebenen Gespräche gegeben haben, die „aus unserer Sicht sehr einvernehmlich und lösungsorientiert geführt wurden“, so der OSM-Verantwortliche.

Metadaten sollen Abbildung verbessern

Grundsätzlich würden OSM-Nutzer:innen die Realität erfassen, wie sie sie „draußen“ wahrnehmen, erklärt Topf. Ein Weg sei erstmal ein Weg, ob es ihn nun offiziell gibt oder ob es nur ein Trampelpfad ist, der vielleicht nicht auf den ersten Blick als solcher erkennbar ist. Das spiele aber keine Rolle, so Topf, denn bereits existierende Wege sollte man auch in Karten eintragen dürfen. Ein solches Verbot würde es in Deutschland nicht einmal für sicherheitsrelevante Einrichtungen geben, sagt Topf.

Zudem ist es mit dem Eintragen einer neuen Route meist nicht getan. Oft fügen OSM-Nutzer:innen weitere Attribute hinzu, etwa die Bodenbeschaffenheit oder einen Hinweis, dass ein Weg gesperrt wäre. „Bei vielen Konfliktfällen, die wir in den letzten Jahren gesehen haben, ging es darum, dass solche Zusatzattribute entweder noch nicht erfasst wurden oder zwar erfasst waren, aber beim Anbieter einer Karte oder einer Navi-App dieses Attribut nicht ausgewertet wurde“, sagt Topf.

Es gebe immer wieder Abstimmungsbedarf zwischen der OSM-Community und den Datennutzern, so Topf, ohne konkrete Anwendungen zu nennen. Schon allein, weil sich OSM immer weiterentwickle und neue Anforderungen aufgenommen werden müssten. Zum Beispiel sei derzeit noch nicht so klar, wie mit vorübergehenden Sperrungen umzugehen ist.

Komoot will raus aus der Schusslinie

Komoot wiederum verweist darauf, die auf OSM verzeichneten Wege wöchentlich über die OSM-API zu importieren beziehungsweise zu aktualisieren. „Dabei greifen wir in großem Umfang auf OSM-Attribute zu und interpretieren diese“, sagt eine Sprecherin des Unternehmens. Neben Informationen zu Wegtypen oder Wegbeschaffenheiten würden dabei auch Informationen zu Schutzzonen, Verboten oder Sperrungen aus OSM übernommen.

Die sportspezifischen Routen erstellt Komoot hingegen selbst. Laut Sprecherin zieht das Unternehmen dazu die aus OpenStreetMap ausgelesenen Informationen heran, hinzu kommen von Nutzer:innen erstellte Highlights. „Dabei werden Routen prinzipiell nur auf dem existierenden Wegenetz geplant, wobei wir neben Wegtypen, Untergründen oder Beschaffenheiten auch Naturschutzgebiete, Wegsperrungen, Privatwege sowie die technische Schwierigkeit von Wegen nach SAC Wanderskala und weitere Beschränkungen berücksichtigen“, beteuert die Sprecherin.

Zu dem geleakten Entwurf will sich Komoot jedenfalls nicht äußern. Die Hoffnung liegt nun auf dem weiteren Gesetzgebungsprozess und den angekündigten Gesprächen. „Dass die Umsetzung von einem Entwurf zu einem Gesetz geschieht, ohne dass wichtige Stakeholder in diesen Prozess und Dialog involviert sind, wäre sehr unüblich“, sagt die Komoot-Sprecherin.

8 Ergänzungen

  1. Mir scheint sich hier die gleiche Geschichte zu wiederholen wie bei Wikipedia und Schule/Uni.

    Die erste Reaktion war die Nutzung von Wikipedia zu verbieten und Wikipedia als nicht zitierfähig hinzustellen, weil sonst ja die Lehrer und Profs dumm aussehen und ihre angestammte Art Aufgaben zu stellen ändern müssten.

    Hier trifft jetzt eine elektronische Karte auf Waldgebiete, Menschen fangen an diese Karte zu benutzen und zack, gefällt es jemandem nicht mehr. Das Monopol auf Kartenwissen wurde geknackt und jetzt kann sich plötzlich jeder im Wald zurechtfinden.

    Das Problem scheint ja aber – wie bei den Schulen/Unis – letztlich nur zu sein, wie man mit der veränderten Situation umgeht.

    Wieso also nicht einfach den eigenen Umgang damit anpassen?

    Warum nutzen die Leute, denen es nicht gefällt, dass Menschen sich den Zugang zu Waldgebieten besser erschließen können, nicht die Karten selbst, um ihre Botschaften zu transportieren?

    Die Waldbesitzer/-pächter etc. könnten ja in OSM einfach die Dinge eintragen die ihnen wichtig sind. Zum Beispiel Naturschutzzonen. Und am besten liefert man gleich eine gute Erklärung mit, warum es nicht gewünscht ist, hier oder dort mit dem Mountainbike durchzubrettern.

    Ein Verbot der Kartierung ist jedenfalls keine Lösung. Das wäre auch ohnehin nur „Security by Obscurity“ und das funktioniert ja auch schon in Software nicht. Dann baut halt irgendwer ne Geheime-Karten-App in der doch Alles drin ist.

    1. Der primäre Unterschied ist, dass die Situation für Waldbesitzer gerade so bequem ist und teuer und unbequem zu werden droht. Waldbesitzer haben, zu recht, eine Sicherungspflicht. Wir befinden uns, im Gegensatz zu Wikipedia, in der physischen Welt. Wenn jemandem ein Ast auf den Kopf fällt, dann ist der Mensch tot. Wir haben vor vielen Jahrzehnten mal entschieden, die Aufgabe, dies zu verhindern bzw. abzumildern, dem Waldbesitzer zu übertragen. Das Neue ist, dass es neue Geschäftszweige gibt (z.B. Komoot), die das System aus der Balance bringen. Wald kann nämlich, anders als bebaute Grundstücke, generell nicht eingezäunt werden, ansonsten funktioniert er nicht mehr als Lebensraum für Wildtiere. Und Menschen sind so dumm, wie sie schon immer waren und laufen eingezeichneten Wegen stumpf hinterher und lassen sich von Ästen erschlagen. Tja, und da haben wir den Salat. Schilder am Waldrand aufstellen entbindet übrigens nicht von der Sicherungspflicht.

      Das Problem ist also real, wobei ich die Lösung aber nicht angemessen finde. Da wäre es sinnvoller die Sicherungspflicht abzuschaffen, wenn man sich auf nicht-öffentlichen Wegen befindet. Mein Argument dabei ist, dass die Kommune ja auch nicht aktiv verhindern muss, dass ich in der Ost- oder Nordsee baden gehe und mich dabei umbringen lassen. Oder eine Sicherungspflicht in den Alpen gibt es auch nicht. Daher sollte Wald wieder als die Naturgefahr gelehrt und behandelt werden, die sie wirklich ist.

      1. Allerdings besteht für waldtypische Gefahren gar keine Verkehrssicherungspflichten von Waldbesitzern abseits gewidmeter Wege, wie ja auch schon in höchstrichterlicher Rechtsprechung bestätigt wurde (BGH VI ZR 311/11). Nur für atypische Gefahren besteht eine VKP und natürlich an gewidmeten öffentlichen Wegen und Straßen.

  2. Zu „Anonymer Kartennutzer“:

    Ja, das stimmt. Ein weiteres, „schönes“ Beispiel sind hier mal wieder die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Auf deren Internetseite war bis vor ca. drei Jahren ein traumhafter Stadtplan verlinkt. Man konnte dort alles planen, was zum wortwörtlichen Erreichen des Ziels notwendig war, samt Haltestellennamen, Gebäudebezeichnungen, Hausnummern etc.
    Dann wurde dieser Stadtplan auf einmal von der BVG-Seite genommen und durch einen grottenschlechten auf berlin.de ersetzt, der nicht ansatzweise das bietet, zum Nachteil aller ÖPNV-Nutzer. Die Gründe bleiben im Dunkeln, sind aber vermutlich die gleichen wie im Artikel beschrieben.

  3. Beim Geocachen bekommt man sehr schnell einen Blick für Trampelpfade.
    In sofern braucht man keine App.

    Natürlich darf man heute militärische Aspekte nicht mehr übersehen.
    Angriffe lassen si6mit guten Karten besser planen, auch wenn man Satelliten Fotos hat.

    BTW:
    Sind das nicht eigentlich „Forstbesitzer“ die fürchten, das die mtbler ihr Baumplantagen/ Monokulturen plätten, und nicht „Waldbesitzer“?

  4. Komoot-Nutzer erstellen meiner Ansicht nach selbst keine Routen sondern erstellen „Highlights“, also POIs auf deren Grundlage ein Algorithmus Routen erstellt, also auch kein Mensch bei Komoot.

    Die grundlegende Problematik mit der Routenführung über ungeeignete Wege habe ich aber vereinzelt selbst auch schon erlebt. Wurzel des Problems scheinen mir in diesem Fall aber die OSM-Nutzer zu sein, die Trampelpfade als echte Wege einpflegen, diese so bei Komoot landen und dadurch erst recht ausgetreten werden.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.