Netzpolitischer Wochenrückblick KW 20: Bayern kriegt Polizeigesetz, Berlin informiert über Funkzellenabfrage

Trotz enormen Protesten bekommt die bayerische Polizei bald mehr Befugnisse. Wer in Berlin durch eine Funkzellenabfrage erfasst wird, soll darüber zukünftig in Kenntnis gesetzt werden. Mark Zuckerberg muss sich vor dem EU-Parlament verantworten – allerdings hinter verschlossenen Türen. Die Themen der letzten Woche im Überblick.

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Am vergangenen Dienstag hat die CSU mit absoluter Mehrheit und gegen die Stimmen der Opposition im bayerischen Landtag das Polizeiaufgabengesetz (PAG) beschlossen. Damit ignoriert sie konsequent den enormen Protest, dem sich in München zuletzt 40.000 Menschen anschlossen. Das Gesetz wurde innerhalb von nur drei Monaten durch den Landtag gebracht und tritt bereits am 25. Mai in Kraft. Unsere Autorin Marie Bröckling hat von der Abstimmung im bayerischen Landtag berichtet. In ihrem Vortrag auf der vergangenen re:publica hat sie die Zusammenhänge nochmal zusammengefasst.

Unterdessen werden in Berlin weiterhin massenhaft Handydaten polizeilich abgefangen, im Jahr 2017 insgesamt 60 Millionen. Das geht aus dem letzten Jahresbericht der Berliner Polizei hervor, dessen 725 Seiten wir für Euch in einer Karte aufbereitet haben. Da jedes Jahr Millionen Unschuldige in das Fahndungsraster der Polizei geraten, sieht das deutsche Strafprozessrecht eigentlich eine Benachrichtigunsgpflicht für die Behörden vor – diese wird bei der Funkzellenabfrage aber nicht eingehalten.

So sieht ein in Berlin bereits vor vier Jahren beschlossenes Gesetz zwar Benachrichtigungen per SMS vor, wurde aber von Schwarz-Rot ignoriert. Im Interview mit netzpolitik.org kündigte der Berliner Justizsenator Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen) nun ein Pilotprojekt zur Benachrichtigung über Funkzellenabfrage an, welches in den kommenden Wochen starten soll.

EU-Parlamentarier treffen Zuckerberg

Die Fraktionschefs des Europäischen Parlaments haben sich nun doch dazu durchgerungen, Facebook-Chef Mark Zuckerberg vorzuladen – die Begegnung wird allerdings nicht öffentlich stattfinden. Dabei soll es um zwei wichtige Themen gehen: Datenschutz und Einflussnahme auf Wahlen. Erst zwei Tage vor Bekanntgabe des Treffens hatte die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) in einem offenen Brief die europäischen Parteien dazu aufgefordert, freiwillig auf das umstrittene Microtargeting von Wählern auf Plattformen zu verzichten.

Auch EU-Justizkommissarin Vera Jourová warnt vor dem möglichen Missbrauch des zielgerichteten Ausspielens politischer Werbung an spezifische Gruppen aufgrund ihrer Datenprofile. Bei einem Besuch in Berlin am vergangenen Dienstag forderte sie alle EU-Regierungen zur Überprüfung ihrer Spielregeln für politische Kampagnen im Internet auf – ob die einzelnen Mitgliedsländer und die EU als Ganzes aus dem Datenskandal um Facebook und Cambridge Analytica gelernt haben, wird sich spätestens bei den Europawahlen im Frühjahr 2019 zeigen. Der „Geh wählen“-Button von Facebook kommt aktuell jedenfalls in 66 Ländern weltweit zum Einsatz, auch in Deutschland.

„Digitalpolitik“ vs Datenschutz

In einem interessanten Vortrag auf der re:publica 2018 haben die Forscherinnen Hofmann und Kniep der Netzpolitik die Existenzfrage gestellt. Ihre Analyse: In Sachen Internetregulierung gehe man zunehmend weg vom menschenrechtsorientierten Begriff Netzpolitik, hin zu einer wirtschaftsorientierten „Digitalpolitik“. Die letzten Bundesregierungen haben in dieser Entwicklung eine eindeutige Rolle eingenommen und Datenschutz wiederholt als Gefahr für Wirtschaft und Sicherheit banalisiert.

Dies spiegelt sich in der aktuellen DSGVO-Panik wider, denn die öffentliche Debatte zum neuen Datenschutz in Europa ist von allgemeiner Frustration und Verunsicherung beherrscht – dabei soll die Datenschutzgrundverordnung eigentlich der Selbstermächtigung der Nutzer*innen gegenüber den einigen wenigen Organisationen dienen, die bisher vom Datenkapitalismus profitieren. Wer also in den kommenden Wochen aus Datenschutzfrust auf die EU schimpfen möchte, sollte unseren Kommentar in seine Bewertung der Sachlage miteinbeziehen.

KI und Netzneutralität in den USA

Der Hype um die Debatte über Künstliche Intelligenz und algorithmische Entscheidungsfindung ist enorm. Jedoch ist der allgemeine Trend zur Automatisierung alles andere als neu, er bestimmt längst und immer mehr unser Leben. Wie also sorgen wir dafür, dass Maschinen dem Menschen dienen? Konrad Lischka (Bertelsmann-Stiftung: Algorithmen-Ethik) und Julia Krüger (unabhängig, freie Autorin bei uns) versuchen diese Frage aus rechtlicher, technischer und politischer Perspektive zu beantworten.

Das Prinzip der Netzneutralität, nach dem alle Datenpakete bei der Übertragung gleich, also unabhängig von Sender, Empfänger und dem Inhalt der Pakete behandelt werden, ist in den USA seit Ende letzten Jahres in Gefahr. Nun hat sich der US-Senat in einer Abstimmung für den Erhalt eines offenen Internets ausgesprochen. Ein politisch wichtiges Signal, finden wir, auch wenn der Kampf für Netzneutralität damit noch lange nicht gewonnen ist.

Panik und Spitzel

Letzte Woche hat eine Meldung für besondere Unruhe gesorgt: Die Verschlüsselungsstandards OpenPGP und S/MIME seien nicht mehr sicher, E-Mailverschlüsselung insgesamt sei somit hinfällig. Wir sagen: keine Panik, einfach HTML in E-Mails abschalten.

Weniger Grund zu Entwarnung lieferte ein am vergangenen Montag von Access Now veröffentlichter Bericht: Eine von einer deutschen Überwachungsfirma entwickelte und unter der Bezeichnung FinFisher vertriebene Spionagesoftware wurde in der Türkei großflächig gegen Oppositionelle eingesetzt.

Der Bundesnachrichtendienst erklärte inzwischen, Telefon-Metadaten nicht mehr widerrechtlich in der Datei „VerAS“ zu speichern. Damit reagiert er auf die „BND-Generator“-Aktion von Reporter ohne Grenzen. Seit wann genau der Geheimdienst sich in dieser Frage an das geltende Recht hält, will er nicht verraten.

In den Niederlanden reicht es nach aktueller Rechtslage aus, dass sich in der Nachbarschaft etwa ein vermeintlicher Terrorist befindet, damit der Geheimdienst jegliche Online-Kommunikation von Bürgern abhören und für drei Jahre speichern kann. Dagegen hat Bits of Freedom jetzt Klage eingereicht.

Warten auf 5G

Zwar fordert der Koalitionsvertrag Ausbauverpflichtungen für das 5G-Netz, um eine möglichst breite Netzabdeckung zu gewährleisten. Doch die Versteigerung der Frequenzen für den kommenden Mobilfunkstandard soll erst 2019 stattfinden, so die Bundesnetzagentur am vergangenen Mittwoch. Grund dafür solle ein Streit zwischen der Bundesnetzagentur und dem Infrastrukturminister Andreas Scheuer (CSU) sein.

Mit „OpenSchufa“ wollen die Open Knowledge Foundation und AlgorithmWatch den Schufa-Algorithmus knacken, bisher haben schon mehr als 20.000 Menschen mitgemacht. Seit vergangenen Mittwoch ist das Online-Portal zur Datenspende veröffentlicht: Fort kann man seine Schufa-Daten anonymisiert hochladen.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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