Netzpolitischer Wochenrückblick KW 25: Bundesregierung auf Überwachungskurs

Die netzpolitische Woche zusammengefasst: Die Bundesregierung winkt das Anti-Terror-Paket durch den Bundestag und ist auch in anderen Bereichen auf einem Überwachungskurs. In Berlin kamen polizeiliche Videoüberwachung und auf EU-Ebene Netzsperren ins Gespräch. Fadenscheinige Abmahnanwälte gibt es nun auch für Creative-Commons-lizenzierte Werke.

Foto: Klaus [CC BY-SA 2.0]

Im Netzpolitischen Wochenrückblick fassen wir jeden Freitag die wichtigsten Themen der Woche zusammen. Ihr könnt ihn auch als Newsletter abonnieren.

Das Anti-Terror-Paket: Grundrechtabbau im Eilverfahren

Das dominierende Thema dieser Woche war das Anti-Terror-Paket der Bundesregierung. Am Montag kam es bei einer Sitzung im Innenausschuss zum umstrittenen Gesetzespaket zu einem Eklat.
Die Abgeordneten der Opposition verließen unter Protest geschlossen den Raum, weil die Große Koalition entgegen parlamentarischer Standards keine unabhängigen Experten zur Anhörung lud, sondern die Chefs von Bundespolizei, Bundesamt für Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt (BKA), deren Behörden durch das Gesetzespaket neue Befugnisse erhalten würden. Im Ausschuss bezeichneten die beiden unabhängigen Experten das Anti-Terror-Paket hingegen als verfassungswidrig.

Diese Einschätzung wurde umso deutlicher nachdem die Große Koalition das Gesetzespaket am Mittwoch nochmal verschärfte. Unter anderem sollen nun bereits 14-Jährige überwacht werden können; Kinder und Jugendliche genossen bisher einen besonderen Schutz vor den Geheimdiensten. Zu den verfassungsrechtlichen Problemen, die das Gesetz bringen würde, kommen auch noch Millionenkosten für Wirtschaft und Verbraucher. So sollen allein die Kosten für die Identitätsfeststellung beim Kauf von Prepaidkarten 50 Millionen Euro pro Jahr betragen. All das für eine nutzlose Maßnahme, denn böse Buben können ihre Prepaidkarten unüberwacht im Europäischen Ausland kaufen, während der Otto-Normal-Verbraucher erfasst wird und dafür auch noch draufzahlt.

Gegen allen Protest hat die Bundesregierung nun jedoch das Anti-Terror-Paket erfolgreich mit den Stimmen der Großen Koalition durch den Bundestag gewunken. Mit ihm werden ein Ausweiszwang bei Prepaidkarten und der Informationsaustausch zwischen Geheimdiensten ins Gesetz aufgenommen.

Auch in Russland wird ein neues Anti-Terror-Gesetz verhandelt, das die dortige Vorratsdatenspeicherung auf drei Jahre erhöhen und den Behörden durch die Speicherung von Kommunikatonsinhalten und Backdoors in verschlüsselten Messenger-Apps Zugriff auf die Gespräche der Bürger geben soll.

Kontrolle der Geheimdienste: BND-Reform und NSAUA

Auch beim Thema BND-Reform geht es um die Erweiterung der Überwachungsbefugnisse. Aus dem von uns veröffentlichten, zweiten Teil des „BND-Reform-Pakets“ geht hervor, dass die Große Koalition die Befugnisse des BND ausweiten möchte und gleichzeitig kein Interesse daran hat, den deutschen Auslandsgeheimdienst besser zu kontrollieren. Die Geheimdienste können weiterhin selbst entscheiden, was sie den parlamentarischen Kontrollgremien mitteilen.
Wie gut oder eher schlecht diese parlamentarische Kontrolle funktioniert, sieht man daran, wie viele Skandale durch den Geheimdienst-Untersuchungsausschuss (oder auch den NSU-Untersuchungsausschuss, kurz NSUUA) ans Licht kommen.

In dieser Woche wurden im NSAUA zwei Zeugen mit technischer Expertise befragt. Der erste Zeuge Andreas Könen, Vizepräsident des BSI, widersprach zunächst den Verschwörungstheorien des Verfassungsschutz-Präsidenten Maaßens, welche er in der letzten Sitzung des NSAUA äußerte. Nach der Einschätzung des BSI-Vizepräsidenten gebe es keinen Grund, an der Authentizität der Snowden-Dokumente zu zweifeln. Im Gegenteil; die in den Dokumenten beschriebenen Angriffe seien so durchführbar, wie das BSI auch durch eigene Nachbauten der Systeme festgestellt habe. Das durch die NSA überwachte Handy der Bundeskanzlerin durfte das BSI hingegen nicht untersuchen. Ein entsprechendes Angebot an die Bundesregierung wurde abgelehnt.

Pläne zu Entschlüsselungsbehörde und Staatstrojaner-Einsatz in der EU

Dass das BSI nebst seiner eigentlichen Aufgabe, die IT-Sicherheit der Regierung, Behörden und auch der Bürger sicherzustellen, auch dabei hilft, sie zum Beispiel durch den Bundestrojaner zu unterwandern, scheint Könen nicht zu stören. Die Unterstellung der Behörde unter das Bundesinnenministerium und die Zusammenarbeit mit dem BND halte er für unproblematisch.

Die Unterwanderung der Kommunikation soll sogar noch ausgeweitet werden. Dazu soll zum einen eine Entschlüsselungsbehörde geschaffen werden und zum anderen der Einsatz des Staatstrojaners erweitert werden und ab 2017 auch im und vom EU-Ausland einsetzbar sein.

Berlin: Vorerst keine polizeiliche Videoüberwachung an gefährlichen Orten

Kurz vor der Sommerpause und der anschließenden Landtagswahl wollte Berlins Innensenator Henkel noch eine Gesetzesgrundlage für polizeiliche Videoüberwachung verabschiedet wissen. Diese hätte an „jedem öffentlich zugänglichem Ort“ jederzeit und nach alleinigem Ermessen der Staatsgewalt immer dann angewandt werden können, wenn diese glaubt, eine „Gefahr“ zu erkennen. Der Sachverständige Polizeirechtsprofessor wusste allein schon die bislang gültige Konstruktion solcher „Kriminalitätsbelasteter Orte“ und die der polizeilichen Videoüberwachung als „rechtsstaatlich schwerlich kompatibel“ einzustufen. Die geplante Videoüberwachung konnte er erst recht als „mangelhaft“ beurteilen.

Der vorerstige Stop des Vorhabens ist einzig der Piratenfraktion zu verdanken: Da der Ältestenrat des Berliner Abgeordnetenhauses bei solch „eiligen“ Gesetzesvorlagen einstimmig einer solch „eiligen“ Beratung zustimmen muss, stimmten sie als einzige Fraktion nicht zu. Die Geschäftsordnung sieht genau diesen Fall vor, da er aber seit 52 Jahren nicht auftrat, stellt er für den Berliner Politikbetrieb „diplomatisches Neuland“ dar.

Netzsperren reloaded: Jetzt neu auf EU-Ebene

Während aus Österreich erfreuliche Nachrichten über die Aufhebung der dortigen Netzsperren für Filesharing-Portale kommen, strebt die EU die genau entgegengesetzte Richtung an. Allen voran geht dabei die CSU-Abgeordnete Hohlmeier, die Netzsperren in der EU auf der Überholspur ermöglichen will. Auch die entschärft nachgereichte Version des Gesetzes bringt keine wirkliche Verbesserung. Die Gefahr von Netzsperren bleibt auf EU-Ebene bestehen.

Durch unsere Recherche aufgedeckt: Die Cider Connection

Aufgrund von fehlerhaften Creative-Commons-Referenzierungen sendet ein auf „Cider Connection“ getauftes Netzwerk zahlreiche Abmahnungen aus. Unsere Recherche deckt auf, wie der Prozess hinter Briefkastenfirmen funktioniert, wie die Akteure zusammenarbeiten, wie sie auch privat miteinander verknüpft sind und wie aus der Idee des Teilens ein Geschäftsmodell werden konnte, das genau diese Idee verhindert.

Die Zukunft des Breitbandausbaus und der Netzneutralität

Mozilla ruft dazu auf, sich an der derzeit laufenden Konsultation zur Netzneutralität in Europa zu beteiligen. Bis zum 18. Juli ist noch Zeit, sich über das Tool von SaveTheInternet.eu zu beteiligen.

Ebenfalls in dieser Woche legte die Bundesnetzagentur einen überarbeiteten Entwurf zum Thema Vectoring vor. Der vorherige Entwurf enthielt gravierende Mängel, während sich zur gleichen Zeit ein von den Grünen eingeleitetes Fachgespräch mit der Frage beschäftigte, warum der deutsche Breitbandausbau nicht vorankommt.

Gefordertes Verbot von Ad-Blockern, der Stand des Informationsfreiheitsgesetzes, WLAN in ICEs und Wochenendtips

Im Bericht der Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz fordern Medienanbieter ein Verbot von Ad-Blockern, zum zehnten Geburtstag des Informationsfreiheitsgesetzes zieht Andrea Voßhoff ein > Zwischenresümee und kommt zu dem Ergebnis, dass das Informationsfreiheitsgesetz angenommen und angekommen ist. Desweiteren versprach diese Woche Bundesinternetverkehrsminister Alexander Dobrindt noch bis Ende des Jahres kostenfreies WLAN in allen ICEs.

Für dieses Wochenende empfehlen wir die Aufzeichnungen der Konferenz „Deep Cables“, für das vorgezogene Wochenende am kommenden Donnerstag bietet sich ein Besuch bei den netzpolitischen Vorträgen auf der Fusion an.

11 Ergänzungen

  1. Passt vielleicht nicht 100% hier hinein, aber die Maybrit Illner Sendung gestern gehört zu dieser Woche.
    Günter Oettinger zu einer Brexit Diskussion einzuladen ist rabenschwarzer britischer Humor! Dieser Mann steht wie kaum ein anderer für eine völlig lobbygesteuerte und zugleich inkompetente Fehlbesetzung. Genau das ist es was Brüssel so unbeliebt macht.

  2. @ Ben Siegler

    Habt Ihr schon darüber berichtet, dass der Bundestag „intelligente“ Stromzähler beschlossen hat?

    Wozu Fußball-EM und Brexit alles gut sind… Neue Terrorgesetze, „Smart“ Meter…

    1. Wir hatten dazu eine Vorberichterstattung [1], aber zum heute verabschiedetem Gesetz noch kein follow-up. Haben wir aber auf unserem Schirm und vielleicht kommt da noch was nach, wenn es nochwas interessantes zu berichten gibt. Danke für den Hinweis an dieser Stelle, war eine ganz schön turbulente Woche, so viele Artikel gab’s im Wochenrückblick schon lange nicht mehr.

      [1] https://netzpolitik.org/2016/vorhabendokumentation-diese-gesetze-hat-die-regierung-letzten-monat-entwickelt-oder-gestrichen/

      1. @ Ben Siegler

        Danke. Vielleicht könnt Ihr ja sogar einen Artikel verfassen, der beschreibt, wer wann mit dem Zwangseinbau der Smart Meter rechnen muss und welche Widerspruchs- oder Abwehrmöglichkeiten man eventuell hat. Das wäre vielleicht ein Mehrwert für die Leserschaft (die einfache Nachricht, was jetzt im Bundestag beschlossen wurde, kann man ja überall nachlesen).

  3. @ Markus & Team

    Was haltet Ihr davon, einen eigenen YouTube-Channel zu Euren Themen zu betreiben? (Nicht das, was Ihr jetzt schon habt.)

    Seit einiger Zeit schießen so viele YouTube-Stars durch die Decke, zu allen möglichen Themen. Hundertausende oder Millionen Zuschauer gibt es da.

    Warum nicht versuchen, einen Teil des Kuchens abzugreifen?

    Spannend und unterhaltsam aufbereitet, mit Aufklärungs- und Erklärbäreinlagen, regelmäßig z.B. einmal pro Woche, das könnte das sonst so trockene Thema Überwachung, Privatsphäre, Bürgerrechte anschaulich und zielgruppengerecht präsentieren.

    Natürlich braucht es dafür eine/n charismatische/n Haupt-Presenter/in. So jemand wie ein Edward Snowden auf deutsch. Ein Casting in der Szene könnte man ja veranstalten.

    Gerade die jungen, teils unpolitischen und uninformierten jungen Menschen bei YouTube zu erreichen, mit attraktiven Videos, das wäre ein Gewinn für uns alle, denen Privatsphäre, Bürgerrechte etc. am Herzen liegen.

    1. Haben wir mal mit rum experimentiert, ist aber ganz schön aufwändig, wenn man es richtig machen will. Die bisherigen Versuche wurden nicht unbedingt von Massen angeschaut, so dass wir uns entschlossen haben, das vielleicht in der Zukunft nochmal anzugehen, bis dahin aber vor allem zu Schreiben. Das wird mehr gelesen als unsere Videos angeschaut werden.

      Unseren Kanal findest Du hier: https://www.youtube.com/user/netzpolitik

      1. Wer Youtube benutzt macht sich zum Daten-Sklaven, der den Verführungen des Google-Konzerns unterwirft. Wer auch noch selber Videos dort online stellt, der macht gemeine Sache mit diesen skrupellosen Ausbeutern und Steuerhinterziehern.

  4. Hey Markus. Danke für Deine Antwort.

    Ja, ich weiß, es ist nicht einfach. Um bei den Massen erfolgreich zu sein, braucht es eine Art Rampensau (im positiven Sinne). Der Mensch vor der Kamera muss Charisma, Witz und natürlich gute Rhetorik haben (und Hübschsein schadet sicher auch nicht). Es ist ein wenig wie bei gutem Marketing. Das Produkt kann noch so gut sein. Wenn es nicht ansprechend präsentiert wird, bleibt in der Regel das große Interesse aus.

    Schreiben könnt Ihr gut. Aufklärerisch, kritisch und menschenrechtsorientiert. Leider haben bestimmte Zielgruppen keinen Bock auf Lesen. Die wollen kurzweilige Videos anschauen. Das ist für sie weniger anstrengend. Diese Leute dort abzuholen, ist meine Vision. Denn wir brauchen gerade die große Gruppe bislang uninformierter und unkritischer (auch junger) Leute, um eine breitere Basis zu bekommen. Wir bleiben sonst einfach zu schwach, wenn wir nicht populär werden.

    Markus, ich weiß, Eure Ressourcen (Zeit, Geld, Personal) sind knapp. Aber YouTuber-Sein kann man lernen. Dafür gibt es Konferenzen und Events. Ein Casting oder eine Umfrage in der Szene bzw. in Eurem Netzwerk kann eine/n Haup-Presenter hervorbringen. Kattascha, Linus, Fiona oder Juli Zeh könnten die nötige Qualität haben.

    Es wäre ein herausforderndes Projekt, erfolgreiche YouTuber zu werden. Es wäre mit Aufwand verbunden. Aber es würde sich lohnen, wenn man es richtig macht. Es würde unseren Interessen dienen.

    PS:
    Bevor Du Deinen bekannten „Müsste man mal. Mach doch mal.“-Spruch rausholst. Ich könnte dieses Projekt nicht alleine stemmen, vor allem nicht vor der Kamera.

    1. @YouTuber gesucht
      Ihre Vorschläge sind fast alles Sargnägel für einen seriösen Blog,sie senken das journalistische Niveau und mutieren zu dem üblichen flachen Infotainmentzirkus mit Klicks um jeden Preis..
      Tra Ra und Bla Bla ohne Inhalt mit einer bekannten „Frontfrau/Sprecher “ geht nahtlos von der wünschenswerten „Haltung“ eines Blattes/Blogs, in die klamaukhafte „Unterhaltung“
      diverser Magazine und Fomate über und am Ende haben wir die geistige Untiefe eines Drecksblattes mit den 4 Großbuchstaben mit Verquickungen von „Sex Sells“.
      Ich bin froh wenn Netzpolitik,ein gesundes organisches Wachstum an den Tag legt.
      Ihr „dynamisches“ Verhalten erinnert mich stark an den „Touristen“ aus Heinrich Bölls „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ und ich bin froh, wenn Herr Beckedahl,Frau Kurz,Herr Meister,Herr Reuter,Frau Biselli,Herr Siegler,Herr Dachwitz,Herrn Semsrott,Herr Mehldau,Herr Rudi,Herr Monroy,Herr Dobusch,Herr Albers,Herr Rebiger und diverse Gastbeiträge,***… weiter in Ruhe und Gründlichkeit fischen.

      *** Sollte ich jemanden aus der Redaktion vergessen haben,so bitte ich denjenigen/diejenige um Entschuldigung.

      1. Gut gemachte Video-Beiträge senken nicht unbedingt das Niveau, sondern können unter Umständen viel mehr (bislang uninformierte) Leute erreichen als ein gut recherchierter und geschriebener Artikel. Nur müssen sie halt wirklich gut produziert sein, nicht unzulässig verkürzen und selbstverständlich informieren. *Das* ist das Problem und nicht das Format an sich.

        1. Meine Kritik war nicht gegen das Format gerichtet,sondern gegen billige Unterhaltungsallüren des Infotainmentzirkusses,ich dachte, dass ich das unmissverständlich ausgedrückt habe,dem scheint wohl nicht so zu sein.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.