Netzpolitischer Wochenrückblick KW 45 & 46: Im Rausch der Daten

CC BY-NC 2.0 by Dan Dickinson

Besser spät als nie: Herzlich Willkommen zum Netzpolitischen Wochenrückblick für die Zeit vom zweiten bis 15. November. Diese Ausgabe befasst sich ausführlicher mit den letzten beiden Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschuss und der EU-Datenschutz-Grundverordnung. Außerdem gibt es eine Übersicht der wichtigsten Artikel der vergangenen zwei Wochen.

#NSAUA im Selektorendschungel

Einer der bedeutendsten Akteure im NSA-Untersuchungsauschuss ist Philipp Wolff, der als Vertreter des Bundeskanzleramts am „Buzzer“ sitzt und regelmäßig die Befragungen der Zeug*innen unterbricht, wenn auch nur die Gefahr besteht, dass eingestufte Themen behandelt werden. Kai Biermann hat ein lesenswertes Porträt bei Zeit Online über ihn geschrieben.

Mit Spannung war der Bericht des Selektorenbeauftragten Kurt Graulich im #NSAUA erwartet worden. Doch schon zuvor wurde bekannt, dass er sich im Technik-Dschungel von IMSI, IMEI und SIP wohl etwas verlaufen hatte und auch gerne mal rechtliche Einschätzungen des BND komplett abschrieb. Damit war schon vor der Sitzung klar, dass sich Graulich nicht besonders kritisch mit der Selektorenliste und den Rechtsauffassungen des BND auseinandersetzen würde, was beim Lesen des Liveblogs vom 5. November nur noch bestätigt wird.

Es scheint sich mittlerweile eingebürgert zu haben, dass vor den jeweiligen Sitzungen des #NSAUA neue Details über Überwachungs- und Spionageprogramme veröffentlicht werden. In dieser Woche wurden einige Ziele der BND-Spionage bekannt, welche die Heuchelei des Merkelschen Diktum „Ausspähen unter Freunden – das geht gar nicht“ noch einmal offenlegen. Bis 2013 wurden demnach ein deutscher Diplomat, europäische Ministerien und internationale Organisationen ausgespäht.

Den Plänen der Großen Koalition zur BND-Reform zufolge, soll jenes Ausspionieren von „befreundeten“ Staaten in Zukunft nur noch in Einzelfällen erlaubt sein und das Parlamentarische Kontrollgremium durch einen Geheimdienstbeauftragten unterstützt werden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte drängt auf schärfere Kontrollen von Staats- und Verfassungsschutz und kritisiert die Kooperationsprojekte, welche das Trennungsgebot unterlaufen.

Eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag über die Anzahl der eingesetzten Nachrichtendienstler*innen in diplomatischen Vertretungen wollte die Bundesregierung nicht beantworten.

In der U-Ausschuss-Sitzung am 12. November ging es um die Prüfung des BND durch das Personal des Beauftragten für den Datenschutz – unser Protokoll steht zum Nachlesen bereit. Die Befragten betonten auch ihre Ablehnung der BND-eigenen Weltraumtheorie, die E-Mails aus dem Kanzleramt zufolge von Ronald Pofalla abgesegnet wurde.

EU-Datenschutzgrundverordnung: Verwässert und Ausgehöhlt?!

Passend zum Start des Doku-Films „Democracy – Im Rausch der Daten“ war in den letzten zwei Wochen auch wieder mal häufiger etwas über die EU-Datenschutz-Grundverordnung zu lesen, die wohl zu 70-prozent fertig verhandelt ist. Wir haben den empfehlenswerten Film rezensiert und ein Interview über die Entstehung mit dem Regisseur David Bernet gemacht. In einem Gastbeitrag erklären Diego Naranjo and Joe McNamee von European Digital Rights (EDRi), warum das Trilog-Verfahren aus der Datenschutzgrundverodnung einen Schatten ihrer selbst gemacht hat. Dies liegt nicht zuletzt an dem massiven Lobby-Druck, dem alle Beteiligten ausgesetzt sind.

Bundeskanzlerin Merkel ist dabei vor allem besorgt, dass „der Datenschutz nicht die Oberhand über die wirtschaftliche Verarbeitung der Daten gewinnt.“ Das der Europäische Gerichtshof in den letzten Jahren mehrmals festgestellt hat, dass Datenschutzrechte eben genau Grundrechte sind, ignoriert sie geflissentlich. Merkel sagte dies auf einem Treffen der deutschen Zeitschriftenverleger, die sich über den geleakten Entwurf des Urheberrechtsgesetzes der EU-Kommission freuen dürften: Sie beziehen sich positiv auf das deutsche Leistungsschutzrecht.

Netzneutralität adé

Das Thema Netzneutralität lässt uns auch nach der enttäuschenden Entscheidung im Europäischen Parlament nicht los – wir haben das Abstimmungsverhalten der deutschen Abgeordneten entschlüsselt und verfolgten die Bundestagsdebatte am Freitag, den 13. November. Ein klares Bekenntnis zur Netzneutralität lehnte die Bundesregierung ab und lobte stattdessen den von Ausnahmen und Schlupflöchern triefenden Beschluss des EU-Parlaments. Wozu solch schwammige Regelungen führen, zeigt uns gerade T-Mobile-USA, die zukünftig ausgesuchte Streamingdienste wie Netflix bevorzugen. Auch die Landesmedienanstalten sind für echte Netzneutralität und wettern gegen das Zwei-Klassen-Netz.

Vorratsdatenspeicherung reloaded

Nach dem Bundestag hat nun auch der Bundesrat die Vorratsdatenspeicherung, Verzeihung: Verkehrsdatenspeicherung, durchgewunken. Die Vertreter*innen der Landesregierungen von Thüringen und Schleswig-Holstein hatten vorher vergeblich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses plädiert.

Derweil wird für Drohnen auch über eine verpflichtende Registrierung ab einem Gewicht von 500 Gramm nachgedacht, wie die Pläne der Bundesregierung für die Neuregelung privater und gewerblicher Drohnenflüge zeigen.

Strahlenfühlige & MC Oettinger

Zwischendurch ein paar kuriose Meldungen zur Abwechslung: Im oberbayrischen Wolfratshausen gibt es seit neustem ein freizugängliches WLan in der Innenstadt, welches zu „Kribbeln und Vibrieren vorm Einschlafen“ bei einigen Anwohner*innen führen soll. Dagegen könnte vielleicht „Netzneutraliban – Karaoke von und mit MC Oettinger am Mic“ helfen.

Neue Gesetze: Routerzwang abgeschafft, mehr Transparenz in Hessen

Nach der Kritik und Empörung an aktuellen netzpolitischen Entscheidungen und Vorhaben, gibt es auch mal eine Positivmeldung: Das Gesetz gegen den Routerzwang ist am 5. November vom Bundestag beschlossen worden. Nun steht der freien Wahl des Endgeräts nichts mehr im Weg, User dürfen zukünftig nicht mehr dazu gezwungen werden einen bestimmten Router zu benutzen. Dafür ein Lob!

Rheinland-Pfalz ist nach Hamburg nun das zweite Bundesland mit einem Transparenzgesetz, dabei stellen Behörden im Gegensatz zu Informationsfreiheitsgesetzen Informationen von sich aus zur Nutzung zur Verfügung. Seit dem 1. November ist außerdem das neue Bundesmeldegesetz in Kraft, welches zwar dem Adresshandel einen Riegel vorschiebt, aber auch die Vermieterbescheinigung bei Ummeldung wieder einführt.

International: USA, Belgien, Uganda, Russland & TTIP

Auch auf internationaler Eben ist den vergangenen zwei Wochen einiges an netzpolitischen Ereignissen zusammengekommen. So hat der Creative-Commons-Gründer Lawrence Lessig seine Präsidentschaftskandidatur zurückgezogen nachdem die Demokratische Partei ihre Regeln für die Teilnahme an den Debatten verschärft hatte. In Belgien wurde Facebook verboten per Cookies Daten von Nicht-Mitgliedern zu sammeln und dem Torrent-Tracker rutracker.org droht eine Sperrung in Russland.

In Uganda ist die Spionagesoftware FinFisher der deutsch-britischen Firma Gamma International auf Computern von Oppositionellen und Journalist*innen gefunden worden. Die Spyware soll vom ugandischen Militär und der Polizei eingesetzt worden sein, um zivilen Ungehorsam zu zerschlagen und gegen den wachsenden Einfluss der Opposition vorzugehen. Aktivisten, welche von Repression betroffen sind, wird oftmals die Nutzung von Tor empfohlen – wie jetzt bekannt geworden ist, hat das FBI Forscher*innen einer amerikanischen Universität dafür bezahlt, die Anonymisierung des Netzwerkes zu knacken.

Kaum jemand liest sich wohl die AGBs, Policy- Angaben und Transparenzberichte der großen Internet- und Kommunikationskonzerne durch. Da kommt die Initiative Ranking Digital Rights wie gerufen: Sie bewertet Firmen hinsichtlich ihrer jeweiligen Praktiken zu Fragen der Meinungsfreiheit und Privatsphäre der Kunden.

Eine neue Studie über die Wahrnehmung von Freiheiten im Internet kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass 33 Prozent der türkischen Internetuser bestimmte Webseiten und Blogs aufgrund von Überwachung durch die Regierung meiden.

TTIP und TiSA sollten mittlerweile den meisten Leser*innen ein Begriff sein. In der letzten Woche haben wir dutzende Protokolle der Lobbytreffen zu den Verhandlungen über das Dienstleistungsabkommen TiSA veröffentlicht, die zeigen, dass Datenschutz von Industrievertreter*innen als lästiges Handelshemmnis gesehen wird und bei den Staaten für umfassende Privatisierungen geworben wird. Die Intransparenz solcher Abkommen ist auch bei TTIP ein Problem – so ist nicht ganz klar, welche Auswirkungen die Safe-Harbor-Entscheidung des Europäischen Gerichtshof auf das Freihandelsabkommen zwischen USA und EU haben wird.

Neues aus der Überwachungswelt

In Großbritannien startet die konservative Regierung mittels eines neuen Gesetzesentwurfes einen Frontalangriff auf Verschlüsselungssoftware und plant die Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Im Zuge dessen hat die Regierung auch erstmals zugeben, dass sie seit 2001 die Kommunikation der britischen Bevölkerung massenhaft überwacht und selbst in der Regierung nur einige wenige Minister*innen darüber informiert waren.

Die Telefonüberwachung der NSA hat zumindest einen kleinen Dämpfer erhalten: Ein US-Bezirksgericht entschied, dass die NSA mit sofortiger Wirkung die Kommunikationsdaten eines Klägers nicht mehr speichern darf. In der EU geht die Ausweitung der Polizei-Kompetenzen dagegen stetig weiter: So soll Europol zur Verhinderung von Fluchthilfeaktivitäten enger mit privaten Unternehmen wie Facebook und Twitter zusammenarbeiten und die deutschen Geheimdienste bekommen 500 neue Stellen. In Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg laufen seit Mitte Oktober Testläufe einer Software zur Vorhersage von Wohnungseinbrüchen.

Mit theoretischen, rechtlichen und praktischen Aspekten sowie Herausforderungen in der Auseinandersetzung mit Massenüberwachung befasst sich das Open Access Journal Media and Communication in seiner zweiten und dritten Ausgabe.

Der Snowden der Woche

Edward Snowden meldet sich in den letzten Monaten vermehrt zu Wort, sei es mit der Empfehlung zur Nutzung des verschlüsselten Messenger Signal oder durch Interviews, wie jenes der schwedischen Tageszeitung Dagens Nyheter von vergangener Woche.

Open Everything!

Erfreuliches aus dem Bereich Open Data gibt es nach jahrelangen Bemühungen von der Deutschen Bahn. Sie hat endlich ein Datenportal mit offenen Datensätzen aus ihrem Bestand gegründet, das hoffentlich noch viele weitere Updates erhält. Während sich eine Diskussionsveranstaltung in Kassel mit dem Wandel im wissenschaftlichen Publizieren beschäftigte, verleumdet der Verlag Elsevier abtrünnige Wissenschaftler, welche für Open Access eintreten. Ein Bündnis von 19 Institutionen aus dem Bereich freier Bildungsangebote appelliert an das Bundesministerium für Bildung und Forschung, die von ihnen finanzierten Bildungsmaterialien für Geflüchtete frei und offen lizenziert zugänglich zu machen. In Österreich haben Wissenschaftsorganisationen ein Konzept für den Komplettumstieg der wissenschaftlichen Publikationstätigkeit auf Open Access bis zum Jahr 2025 vorgelegt.

re:publica & in eigener Sache

Es ist zwar noch eine Weile hin, aber für alle, dies es kaum erwarten können, hat jetzt der Vorverkauf und der Call for Papers für die re:publica´16 begonnen.

Den #Landesverrat-Skandal verfolgen wir natürlich weiterhin: In der letzten Woche hat das Kanzleramt aber eine IFG-Anfrage nach seiner Involvierung in die Ermittlungen gegen uns abgelehnt. Es gibt scheinbar keinerlei Interesse an mehr Aufklärung und Transparenz in dieser Angelegenheit.

Zum Schluss noch eine Erinnerung: Wir suchen weiterhin für das kommende Jahr Praktikant*innen und freuen uns über Bewerbungen.

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2 Ergänzungen

  1. Also wenn schon, dann Höchstspeicherfrist, so viel Ordnung muss sein. Was wäre eigentlich, wenn Snowden über die Balkanroute als Flüchtling nach D kommen würde …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.