VerfassungsschutzrechtStaatstrojaner für Geheimdienste: „Tritt die Regelung in Kraft, werden wir dagegen klagen.“

Der Gesetzentwurf zum Verfassungsschutzrecht erregt die Gemüter: Bald sollen alle 19 Geheimdienste Smartphones und Geräte hacken dürfen. Wir sammeln Reaktionen aus Regierung, Parlament und Zivilgesellschaft.

Mann im Kapuzenpulli an Laptops
Geheimdienst-Spion bei der Arbeit? (Symbolbild) CC-BY 2.0 Azamat Bohed

Heute morgen haben wir den Gesetzentwurf für ein neues Verfassungsschutzrecht veröffentlicht. Demnach sollen alle deutschen Geheimdienste Geräte mit Staatstrojanern hacken, um Kommunikation abzuhören.

Wir sammeln Reaktionen und Kommentare:

Chaos Computer Club: Hütchenspielertrick

Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Club:

Gerade erst wurde das BND-Gesetz in Karlsruhe kassiert, schon versucht die Regierung mit einen Hütchenspielertrick, die BND-Befugnisse weiter auszubauen.

Die Quellen-TKÜ sollte ursprünglich nur bei schweren Straftaten durch die Polizei eingesetzt werden. Dann wurden die Hürden immer niedriger gesetzt – inzwischen bis hinunter zur Alltagskriminalität. In diesen Fällen gibt es aber immerhin noch eine richterliche und öffentliche Kontrolle bei der Verhandlung. Auch das fällt nun weg: Der deutsche Inlandsgeheimdienst soll hacken dürfen, wen er will.

Das BfV ist eine von Skandalen gebeutelte Behörde. Vor kurzem noch wurde Sie von einem extrem-rechten Verschwörungstheoretiker geleitet. Nun soll ausgerechnet diese Behörde ohne nennenswerte Kontrolle Smartphones hacken dürfen.

Justizministerium: Maßvolle Kompetenzerweiterung

Ein Sprecher des Justizministeriums:

Die Novelle des Verfassungsschutzrechts befindet sich auch weiterhin in der Abstimmung zwischen den Ressorts. Ich kann in diesem Zusammenhang erneut auf die Vereinbarung des Koalitionsvertrages verweisen. Dieser sieht eine „maßvolle“ Kompetenzerweiterungen für das Bundesamt für Verfassungsschutz vor, wobei „eine gleichzeitige und entsprechende Ausweitung der parlamentarischen Kontrolle“ vorgesehen ist.

Reporter ohne Grenzen: Quellenschutz gewährleisten

Christian Mihr, Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen:

Gerade erst hat das Bundesverfassungsgericht eine Stärkung journalistischer Schutzrechte und mehr Kontrolle der geheimdienstlichen Arbeit in seiner Entscheidung zum BND-Gesetz eingefordert. Doch anstatt entsprechende Lehren daraus zu ziehen, setzt die Bundesregierung mit dem Entwurf ihren Kurs blind fort.

Die Bundesregierung liefert keine Begründung dafür, warum sie mit der Einführung des Staatstrojaners die vertrauliche Kommunikation von Journalistinnen und Journalisten weiter aushöhlen will. Der Verzicht auf die Online-Durchsuchung ist in diesem Licht kein Trost.

Reporter ohne Grenzen fordert die Bundesregierung auf, den Gesetzentwurf zu überarbeiten und journalistischen Quellenschutz im digitalen Raum zu gewährleisten.

Neue Verantwortung: Erhebliche Steigerung der Befugnisse

Thorsten Wetzling, Leiter „Digitale Grundrechte, Überwachung & Demokratie“ bei der Stiftung Neue Verantwortung:

Leider lässt die Bundesregierung die Gelegenheit verstreichen, die erforderliche Professionalisierung der Rechtskontrolle für alle nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes im Lichte des Karlsruher Grundsatzurteils zu vereinheitlichen. Die bis dato vernachlässigte administrative Rechtskontrolle für Maßnahmen des Artikel 10-Gesetzes sollte dem BfDI übertragen werden.

Trotz der erheblichen Steigerung der Überwachungsbefugnisse bleibt die im Entwurf vorgesehene Rechtskontrolle, sprich das Genehmigungsverfahren und die Kontrolle der Datenverarbeitung, untertourig.

Internetwirtschaft: Gefährdung der Digitalisierungsprozesse

Klaus Landefeld, stellvertretender Vorstandsvorsitzender bei eco – Verband der Internetwirtschaft:

Wir wollen als Gesellschaft den Digitalisierungsprozess vorantreiben, um die Zukunft erfolgreich zu gestalten. Dazu muss der Staat Rahmenbedingungen schaffen, die für eine angemessene IT-Sicherheit und ein angemessenes Vertrauen in das Internet sorgen.

Der Entwurf zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts geht hier leider – bei allem Verständnis für die staatlichen Hoheitsaufgaben der Strafverfolgung – in eine völlig entgegengesetzte Richtung und wird zu einer Schwächung der IT-Sicherheit im Internet, wenn nicht gar zu einer Gefährdung der Digitalisierungsprozesse in Gesellschaft und Wirtschaft führen.

Dies gilt insbesondere, wenn sich der Staat sogenannter Zero-Day-Exploits zur Platzierung der Staatstrojaner bedient. Das Ausnutzen solcher Sicherheitslücken bedeutet ein großes Risiko, sowohl für Unternehmen, als auch für die Privatsphäre des Einzelnen und darf nicht zur gängigen Praxis in der nachrichtendienstlichen Aufklärung werden.

Ob diese Gesetzesänderung, bei der Grundrechte extrem eingeschränkt, Quellen-TKÜ und Staatstrojaner zum Einsatz gebracht werden sollen, überhaupt verfassungsmäßig ist, werden die Gerichte entscheiden müssen.

Gesellschaft für Freiheitsrechte: Eine neue Dimension

Bijan Moini, Jurist bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte:

Dem Verfassungsschutz das Hacken technischer Geräte zu gestatten, hat eine neue Dimension. Tritt die Regelung so in Kraft, werden wir wahrscheinlich dagegen klagen.

Digitale Gesellschaft: Quasi unkontrollierbare Geheimdienste

Elke Steven vom Verein Digitale Gesellschaft:

Ein Staat, der Trojaner nutzen will, schützt Sicherheitslücken statt Bürger und Bürgerinnen. Erkannte Sicherheitslücken müssen jedoch sofort geschlossen werden. In den Händen der quasi unkontrollierbaren Geheimdienste haben solche Instrumente nichts zu suchen. Dort, wo der Staat diese nach innen gegen die eigene Bevölkerung richtet, erst recht nicht.

SPD: Verfassungsschutz muss auf Smartphones zugreifen können

Uli Grötsch, zuständiger Berichterstatter für die SPD-Bundestagsfraktion im Innenausschuss:

Keiner versteht, warum unsere Verfassungsschützer nicht auf verschlüsselte Kommunikationsinhalte von Terroristen auf deren Smartphones zugreifen können. Wir wollen, dass unsere Nachrichtendienste ihrer verfassungsgemäßen Aufgabe, uns vor Terrorismus zu schützen, mit zeitgemäßen Möglichkeiten nachkommen können.

Dafür haben wir mit CDU/CSU zurecht lange um eine verhältnismäßige Befugniserweiterung für die Nachrichtendienste gerungen. Die Online-Durchsuchung wäre uns zu weit gegangen.

Wir werden im weiteren Verfahren genau prüfen, ob der vorgelegte Gesetzentwurf verhältnismäßig ist und den zurecht hohen datenschutzrechtlichen Anforderungen genügt. Insbesondere muss jede Befugniserweiterung mit mehr parlamentarischer Kontrolle einhergehen.

Linke: IT-Sicherheit aller Bürger:innen gefährdet

Martina Renner, stellvertretende Vorsitzende der Partei Die Linke:

Staatliches Hacking darf weder den Geheimdiensten noch der Polizei im Bereich der präventiven Gefahrenabwehr eingeräumt werden.

Damit wird die IT-Sicherheit aller Bürger:innen gefährdet. Hinzu kommen die Maßnahmen der Behörden im nicht kontrollierten Graubereich wie Fakeaccounts.

Die gesetzlichen Konstrukte sind immer wieder willkürlich und technisch zweifelhaft. Das erinnert mich an die Arbeit im NSAUA und ist ein Beleg dafür, dass weder die Bundesregierung noch die Behörden daraus Konsequenzen ziehen wollen.

Grüne: Steht die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn

Update (17:35): Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen und stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums:

Gerade in diesen Zeiten ist es dringend notwendig, in den vergangenen Jahren massiv verloren gegangenes Vertrauen in die rechtsstaatliche Arbeit des Verfassungsschutz wieder herstellen. Hier geschieht das genaue Gegenteil.

Die Bundesregierung scheint auch aus jüngsten Gerichtsurteilen wenig zu lernen. Anders kann man die Vorlage des BfV-Gesetzes nicht interpretieren. Auch diesem Vorhaben von CDU/CSU und SPD steht die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn. Es gefährdet die IT-Sicherheit massiv.

SPD-Vorstand: Hinweise ausländischer Dienste verifizieren

Update (20:20): Saskia Esken, Bundesvorsitzende der SPD:

Ich halte die Quellen-TKÜ und die Online-Durchsuchung auch weiterhin für sehr weitgehende Eingriffe in die Grundrechte von Kommunikationsgeheimnis und Schutz der digitalen Integrität, die nur in klar definierten und gut begründeten Ausnahmefällen erlaubt sein dürfen und dabei einer wirksamen parlamentarischen Kontrolle unterliegen müssen. Durch das notwendige Offenhalten von Sicherheitslücken stellt der Einsatz von Staatstrojanern meines Erachtens auch weiterhin eine Gefährdung der IT-Sicherheit aller Nutzer*innen dar, auch wenn dadurch die Verschlüsselung von Kommunikation unangetastet bleibt.

Ich habe dennoch – wie es Herr Bundesminister Seehofer bereits bekannt gemacht hat – auf Basis des Koalitionsvertrags einer Kompromisslösung zugestimmt, die den Verfassungsschutz in engen Grenzen in die Lage versetzen soll, Hinweise ausländischer Dienste auf staatsgefährdende schwerste Straftaten mit Hilfe des Instrumentes der Quellen-TKÜ zu verifizieren, so dass die Ermittlungsbehörden tätig werden können. Diese Befugnisse, die auch so eng gesetzlich festgeschrieben werden müssen, müssen zudem einer verstärkten parlamentarischen Kontrolle unterliegen.

Richtig ist auch, dass ich die Befugnis einer Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz ausgeschlossen habe, da eine solche Befugnis in keiner Weise eine Analogie in der analogen Welt besitzen würde und damit über den 2018 vereinbarten Koalitionsvertrag hinausginge.

FDP: Höchst fragwürdiges Instrument

Update (19.06. 12:10): Konstantin Kuhle, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag:

Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung ist ein höchst fragwürdiges Instrument, das die Bundesregierung nun auch Nachrichtendiensten zur Verfügung stellen will. Die Inlandsnachrichtendienste sollen damit ein Überwachungsmittel an die Hand bekommen, das sie gar nicht brauchen. Denn auf diese Weise wird die Trennung zwischen Polizei und Nachrichtendiensten immer weiter eingeebnet.

Es kann zudem technisch nicht sichergestellt werden, dass mit dem Staatstrojaner nur die laufende Kommunikation der Betroffenen abgehört und nicht auch auf gespeicherte Daten auf den Geräten zugegriffen wird. Der Verzicht des Bundesinnenministers Horst Seehofer auf die Online-Durchsuchung für den Verfassungsschutz ist begrüßenswert – aber er reicht nicht aus.

Angefragt hatten wir außerdem das Innenministerium sowie die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Falls sie uns noch antworten, werden wir ihre Antwort ergänzen.

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