Netzpolitischer Wochenrückblick KW7: Daten minimieren mal anders

Nach einem Jahr Haft ist der Journalist Deniz Yücel freigekommen. Vodafone muss erstmals Netzsperren einrichten, das OpenSCHUFA-Projekt will den intransparenten Scoring-Algorithmus rekonstruieren. Unterdessen haben wir uns weitere Themenfelder im Koalitionsvertrag näher angesehen, darunter die IT-Sicherheits- und die digitale Wirtschaftspolitik.

CC-BY-NC-ND 2.0 Bartolomej Jahoda

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Die schönste Nachricht der Woche: Der Journalist Deniz Yücel ist aus der türkischen Haft entlassen worden. Leider sitzen viele andere Journalisten aber immer noch hinter Gittern.

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Beharrlich haben wir uns weiter durch die Details des Koalitionsvertrags zwischen CDU, CSU und SPD gewühlt. So will die mögliche Regierung den widersprüchlichen Kurs bei der IT-Sicherheit fortsetzen, während sie den fragwürdigen Tatbestand des „digitalen Hausfriedensbruchs“ wieder aufwärmen könnte.

In der digitalen Wirtschaftspolitik setzt schwarz-schwarz-rot auf Start-ups, lässt aber alternative Modelle wie plattformbasierte Genossenschaften weitgehend außen vor. Dafür soll es eine gerechtere Besteuerung großer IT-Konzerne geben.

Sorgen bereitet uns, dass in der Netzpolitik ausgerechnet die CSU federführend sein soll und dass Deutschland droht, seine Zukunft zu verspielen. Alle bislang veröffentlichten Artikel zur Bundestagswahl und Regierungsbildung finden sich übrigens auf unserer Dossierseite im Überblick.

Von den für den Breitbandausbau veranschlagten Fördermitteln ist im letzten Jahr nur ein Bruchteil angekommen. Radikal umdenken will die geplante neue Bundesregierung aber nicht und schafft stattdessen neue Baustellen.

Netzsperren und Löschpflichten

Als erster Netzbetreiber in Deutschland musste der Kabelanbieter Vodafone kürzlich Netzsperren einrichten, um seine Kunden am Besuch eines Video-Streaming-Portals zu hindern. Eine weitere gerichtliche Verfügung zwingt ihn zudem dazu, IP-Adressen von Kunden vorzuhalten, die auf eine unbekannte Tauschbörse zugegriffen haben.

Um weitere unerwünschte Inhalte aus dem Netz zu verbannen, fordert die EU-Kommission von Plattformen wie Facebook die Entfernung innerhalb einer Stunde. Zudem hat die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) den Leak einer Kommissions-Empfehlung veröffentlicht, die den Löschdruck auf die Plattformen weiter erhöht. Ein Fortschrittsbericht der EU-Behörde zeigt jedoch, dass die Löschregeln von Facebook und Twitter die Nutzerrechte nicht ausreichend respektieren.

Staatliche und kommerzielle Überwachung

Um Verdächtige zu verfolgen, will das Bundeskriminalamt künftig grenzüberschreitende Peilsender einsetzen. Der Bremer Verfassungsschutz hat eine Software entwickelt, um Daten über „Extremismus“ in sozialen Netzwerken zu erheben und frühzeitig aufzuspüren.

Auf freiwillige Überwachung lassen sich hingegen Facebook-Nutzer ein. Die Plattform lockt nun US-Nutzer mit dem irreführenden Versprechen von mehr „Schutz“ in einen hauseigenen VPN-Dienst, der das Tracken über Mobil-Apps hinweg möglich macht.

Klarnamenzwang auf Facebook unzulässig

In Deutschland musste Facebook eine Schlappe vor Gericht hinnehmen. Dieses erklärte sowohl Klarnamenzwang als auch standardmäßige Ortsübermittlung des Messenger für rechtswidrig.

Auch Google verfolgt fragwürdige Motive dabei, NutzerInnen hilfreich erscheinende Software anzubieten. Der nun eingebaute Ad-Blocker im Chrome-Browser dient vorrangig dazu, die Macht des Werbekonzerns abzusichern und zu stärken.

Wer mehr Kontrolle über die eigenen Daten erlangen will, sei die neue Folge unseres Webvideo-Formats about:blank ans Herz gelegt. Diese setzt das Konzept von „Data Detox“ im Alltag um.

Offene Dokumente, Offenes Wissen, transparente Verfahren

Offenlegen musste das Justizministerium Sachsen-Anhalt ein Gutachten zur öffentlichen-privaten Partnerschaft zur Privatisierung eines Gefängnisses. Unterstützung für Offenes Wissen kommt hingegen aus der Stadt Hamburg. Ein Team wird für die Entwicklung von offenen Unterrichtsmaterialien bezahlt, die ab Herbst 2018 auf einer Onlineplattform unter offenen Lizenzen zugänglich sein sollen.

Für die Wohnungssuche essenziell, aber in ihrem Verfahren bekanntlich intransparent ist die Schufa. Das Projekt OpenSCHUFA will den Scoring-Algorithmus rekonstruieren und damit mögliche Diskriminierung des Unternehmens offenlegen. Datenspenden nimmt das neue Projekt dankend an. Vor dem Abgleiten in den Überwachungsstaat, in dem nur der Scoring-Wert zählt, warnt der Psychologe Gerd Gigerenzer.

Fragwürdig kreativ zeigte sich das österreichische FPÖ-Innenministerium, welches der Polizei unter dem Deckmantel der „Datenminimierung“ erlauben will, selbst hinterlassene Datenspuren einfacher zu verwischen.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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