KW 49Die Woche, als die Regierung den Digitalgipfel in den Sand setzte

Die 49. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 24 neue Texte mit insgesamt 177.916 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

ich komme gerade vom Digitalgipfel zurück. Zwei Tage lang hat die Bundesregierung in der „Station Berlin“ auf großer Bühne präsentiert, was sie so alles für Digitalisierung hält und dazu plant.

Wie ernst sie es mit dem Thema meint, daran wollte die Bundesregierung offenbar keinen Zweifel aufkeimen lassen. Etliche Minister:innen waren gekommen: Wissing, Habeck, Faeser, Stark-Watzinger. Sie alle versicherten sich schulterklopfend, dass die Zeit für die Digitalisierung hierzulande gekommen sei. Jetzt. Aber. Wirklich.

Auch darüber hinaus gab es bei dem ministeriellen Frontalunterricht wenig Neues, geschweige denn Inspirierendes zu hören. Die inhaltliche Leere fiel mir umso mehr auf, weil ich das letzte Mal vor einigen Jahren in der Station Berlin war, als dort – noch vor Corona – die Konferenz re:publica stattfand. Und dort gibt es nicht nur weit mehr Input, spannendere Ideen und Debatten, sondern es ist auch viel, viel voller. Brechend voll. Und es ist bunt. Lebendig. Vielfältig. Und weder im Publikum noch auf den Bühnen sind nur Anzugträger:innen unterwegs.

Ganz anders auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung: Hier blieben an den beiden Tagen viele Stuhlreihen gähnend leer. Vor allem aber war es ein B2B2B-Treffen – Bundesregierung trifft Bitkom trifft Business. Ein sinnentleertes Schaulaufen, eine Bühne für Buzzwords, die Moderation war meist reine Stichwortgeberei. Die versprengten Vertreter:innen der wenige Tage vor der Veranstaltung noch hektisch hinzugeladenen Zivilgesellschaft erkannte man daher auch bereits von Weitem: Sie trugen weder Krawatte noch Kostüm. Und sie schüttelten meist rat- und fassungslos den Kopf.

Immerhin habe ich jetzt auch mal den Bundeskanzler aus nächster Nähe gesehen – das offizielle „Highlight“ am Ende des Gipfels: Olaf Scholz beim Exponate-Rundgang. Doch das war nicht einmal, wie man das von Technikmessen kennt, ein echter Rundgang. Die drei Exponate waren vielmehr auf einer Bühne aufgebaut, zu der man nur mit dem gelben Backstage-Bändchen des Bundeskriminalamts Zugang erhielt. Wer das Bändchen nicht hatte, konnte den „Rundgang“ im Livestream verfolgen. So durfte man dabei zuschauen, wie der Kanzler den ökologischen Fußabdruck von Schrauben, einen Agrarroboter „mit KI im Heck“ und einen digitalen Mobilitätskompass begutachtete.

Nach dem Gipfel führte der Weg ins Freie, doch beim Hinausgehen erwartete einen im Innenhof der Station Berlin – anders als bei der re:publica – nicht etwa das Bienenstocksummen der vereinten digitalen Zivilgesellschaft, die sich bei Bier und Mate vernetzt. Nein, stattdessen warteten unter bleigrauem Berlinhimmel Staatskarossen und etliche BKA-Beamt:innen auf die Minister:innen und ihre Entourage.

Auf dem Weg zurück in die Redaktion habe ich für kommendes Jahr einen Vorsatz gefasst: Im Juni muss ich mal wieder auf die richtige re:publica. Dort ist mehr Digitalisierung und vor allem: mehr Zivilgesellschaft. Die trägt casual und ringt auf Podien gerne um inhaltliche Positionen. Das fühlt sich dann auf jeden Fall alles andere als hohl an. Und am Ende wird sogar noch die Bohemian Rhapsody gesungen.

Und auch die Bundesregierung sollte schleunigst einen Vorsatz fassen. Denn Hand aufs Herz: Die zwei Millionen Euro, die dieser Gipfel gekostet hat, lassen sich an anderer Stelle weit besser investieren. Die digitale Zivilgesellschaft hat dafür sicher ein paar Ideen.

Jetzt aber ab ins Wochenende!
Daniel

 

Offenlegung: netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl ist einer der Gründer der re:publica.

 

App zur Corona-KontaktverfolgungWie man die norwegische Premierministerin in einem angeblich anonymisierten Datensatz finden kann

Die norwegische Corona-App Smittestopp sammelte in einer ersten Version haufenweise personenbezogene Daten. Das Experiment wurde gestoppt, doch der Datensatz offenbar nicht gelöscht, sondern „anonymisiert“ und weiterverwendet. Ein Forscher zeigt nun, wie leicht die vermeintliche Anonymisierung zu knacken ist.

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We fight for your digital rights!„Wenn sie das durchkriegen, ist der Damm gebrochen.“

Es ist ein Kampf, der schon mehr als ein Jahrzehnt andauert. Constanze Kurz war von Anfang an dabei. Sie ahnte damals nicht, wie schwer es wird, den Versuch der anlasslosen Massenüberwachung zu vereiteln, als ihr vor 14 Jahren ein zentimeterdicker Umschlag überreicht wurde.

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Gesundheitsministerium ratlosBraucht es den Millionen-Deal auf Kosten von Versicherten?

Tausende Praxen müssen wohl teure Geräte einkaufen, um weiterhin Daten mit den Krankenversicherungen tauschen zu können. Die zuständige Gematik bezeichnet es als „wirtschaftlichste Lösung“, der Chaos Computer Club als Unsinn. Im Gesundheitsministerium hat man offenbar selbst keine Ahnung, was stimmt.

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Schutz des Technologie-StacksInfrastrukturunternehmen sollten Inhalte nicht zensieren

The Electronic Frontier Foundation hat die Kampagne “Protect the Stack” initiiert. Sie spricht sich entschieden dagegen aus, dass Infrastrukturanbieter im Internet Inhalte kontrollieren. Wir dokumentieren den Aufruf, den zahlreiche Bürgerrechtsgruppen aus aller Welt unterzeichnet haben.

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Pegasus-Untersuchungsausschuss„Die Regeln an sich sind schon mangelhaft“

Dem Untersuchungsausschuss des Europäischen Parlaments zum Einsatz von Staatstrojanern liegt nun ein Bericht vor, der den Rechtsrahmen bei staatlichem Hacken untersucht. Konstatiert wird ein „Versagen“ der Geheimdienst-Kontrolle. Der Bericht empfiehlt, bessere Regeln für den Einsatz von Staatstrojanern zu verabschieden und auf eindeutig schädliche Techniken zu verzichten.

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We fight for your digital rights!„Wenn ein einziger Anbieter die grundlegende Infrastruktur kontrolliert, ist das fatal.“

Die Probleme von heute haben ihre Ursachen meist weit zurück in der Vergangenheit. So auch bei der breiten Versorgung mit schnellem Internet. Tomas Rudl, Redakteur bei netzpolitik.org, verfolgt seit Jahren die Weichenstellungen in Politik und Wirtschaft, die zu versiegenden Datenflüssen, weißen Flecken und Förderdürren führen.

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AI Act der Europäischen UnionAmpel verpasst Grundrechteschutz bei der Regulierung künstlicher Intelligenz

Am Nikolaustag haben die Minister:innen der EU-Staaten ihre Position zum „AI Act“ vorgestellt, dem geplanten EU-Gesetz zur Regulierung Künstlicher Intelligenz. Die Vorschläge werden von vielen Seiten kritisiert. Im Fokus stehen dabei unzureichende Beschränkungen biometrischer Überwachung.

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Nach Plattform-ProtestenUmstrittenes Gesetz zur Querfinanzierung von Medien vorerst gestoppt

Noch in diesem Jahr sollte der US-Kongress ein Gesetz verabschieden, das Medienunternehmen neue Einnahmen durch verpflichtende Lizenz-Deals mit Plattformen beschert. Meta drohte deshalb erneut mit einer News-Blockade auf Instagram und Facebook, auch die Electronic Frontier Foundation und andere NGOs liefen Sturm – mit Erfolg.

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Irgendwas mit InternetDer Digitalgipfel als verschenkte Chance – wieder einmal

Der Digitalgipfel ist nicht mehr zeitgemäß. Wirtschaftliche Vertreter:innen dominieren auf den Bühnen, zivilgesellschaftliche Vertreter:innen dürfen hingegen nur am Katzentisch im Publikum Platz nehmen. Das zeigt leider, dass die Bundesregierung die Gestaltung der Digitalisierung noch immer vor allem als Wirtschafts- und nicht als Gesellschaftspolitik versteht.

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DigitalgipfelEin staatlich organisiertes Lobbyfest

Das Bündnis F5 kritisiert den Digitalgipfel der Bundesregierung, der aktuell in Berlin stattfindet. Die Nichtregierungsorganisationen bemängeln vor allem die wirtschaftspolitische Ausrichtung der zweitägigen Veranstaltung. Und sie fordern einen digitalpolitischen Neustart – in enger Kooperation mit der Zivilgesellschaft. Wir dokumentieren den Aufruf im Wortlaut.

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Transparenzbericht August 2022Unsere Einnahmen und Ausgaben und Hirnschmelze

Ein aufmerksamer Leser hat uns gefragt, warum der letzte Bericht über unsere Finanzen schon etwas zurückliegt. Es ist mittlerweile Dezember und die jüngsten Zahlen sind noch aus dem Juli. Den Grund dafür verraten wir heute. Aber keine Ausreden mehr! Hier kommt unser monatlicher Einblick hinter die Kulissen.

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DateninstitutVersprechen auf Gemeinwohl aus der Start-Up-Garage

Die Gründungskommission des Dateninstituts hat heute auf dem Digitalgipfel ihren Empfehlungsbericht vorgestellt und an die Bundesminister:innen Robert Habeck und Nancy Faeser übergeben. Alle Seiten betonten, dass das Dateninstitut das Gemeinwohl im Blick haben werde. Wie das aber – ohne Beteiligung der Zivilgesellschaft – erreicht werden soll, ist völlig offen.

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1 Ergänzungen

  1. Danke für diese eindrückliche Schilderung des desolaten Zustandes!
    Hierzulande stockt die Digitalisierung seit Jahren (eher: seit Jahrzehnten; von Anfang an), und die verantwortlichen Entscheidungsträger finden nicht die Ursache dafür. Sagen sie. Das Grundübel wird nicht benannt, geschweige denn angegangen. Über das habe ich hier geschrieben: https://netzpolitik.org/2022/degitalisierung-der-fortschritt-und-seine-verklaerung/#comment-2565660
    Mein Appell an die Politik: Nennt bitte klar Ross und Reiter und geht die Grundübel an, statt an Symptomen herumzudoktern! Was die Politik hierzulande bisher abliefert, allen voran Herr Wissing von der Bremserpartei F.D.P., ist blinder Aktionismus. –
    Ach, ich vergaß, das geht ja gar nicht: Wenn sie die M$-Dominanz in Frage stellen, müssten vielleicht einige Politiker und Funktionäre auf die gut gefüllten schwarzen Aktenkoffer verzichten, die ab und an vor ihre Füße fallen … :-(

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