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Irgendwas mit InternetDer Digitalgipfel als verschenkte Chance – wieder einmal

Der Digitalgipfel ist nicht mehr zeitgemäß. Wirtschaftliche Vertreter:innen dominieren auf den Bühnen, zivilgesellschaftliche Vertreter:innen dürfen hingegen nur am Katzentisch im Publikum Platz nehmen. Das zeigt leider, dass die Bundesregierung die Gestaltung der Digitalisierung noch immer vor allem als Wirtschafts- und nicht als Gesellschaftspolitik versteht.

Symbolbild CC-BY-NC-SA 4.0 Foto: Joshua Sortino (unsplash), Bearbeitung: netzpolitik.org – owieole

Seit 2006 findet jährlich der Digitalgipfel statt. Die zentrale Veranstaltung der Bundesregierung zum Thema Digitalisierung will eine Messlatte dafür sein, welchen Stellenwert gesellschaftliche Fragestellungen der Digitalisierung gerade erfahren.

16 Jahren lang regierte die CDU/CSU mit ihrem Fokus allein auf wirtschaftliche Aspekte der Digitalisierung. Die Union verstand das Internet in dieser Zeit vor allem als eine Infrastruktur, die viele Chancen für eine umfassende Überwachung bot.

Vor einem Jahr machte der Ampel-Koalitionsvertrag große Hoffnung auf eine Wende. Der Text enthält viele Forderungen einer engagierten digitalen Zivilgesellschaft, für viele stand der Vertrag daher für das Versprechen, dass nun alles anders, alles besser würde.

Im Koalitionsvertrag suggerierte die neue Bundesregierung, dass sie endlich begriffen hat, dass Netzpolitik nicht nur Wirtschafts-, sondern vor allem Gesellschaftspolitik ist. Ein Jahr später macht sich jedoch große Ernüchterung breit, die Realität bildet diese Hoffnung leider noch nicht ab. Und dieser erste Digitalgipfel der aktuellen Ampel-Koalition zeigt das recht anschaulich anhand der gesetzten Themen und am Beispiel der Repräsentanz.

Show-Cases vor meist leeren Rängen

Auf der Webseite zum Gipfel finden sich blumige Worte: „Digitalisierung betrifft uns alle Unternehmen wie Bürgerinnen und Bürger, Wissenschaft wie Gesellschaft. Der Digital-Gipfel ist eine Plattform der Bundesregierung zur gemeinsamen Gestaltung eines zukunftsfähigen Rahmens für den digitalen Wandel.“

Und natürlich soll alles anders werden: „In der neuen Legislatur sollen ihn neue Formate, konkrete Ergebnisse und internationale Impulse zum Impulsgeber, Treiber und Schaufenster der Digitalisierung in Deutschland und darüber hinaus machen.“ So weit, so gut.

Vor Ort zeigt sich ein anderes Bild. Am ersten Tag präsentieren auf den zwei Bühnen vor allem wirtschaftliche Vertreter:innen vor meist leeren Rängen ihre jeweiligen „Show-Cases“. Es geht um die eigenen Geschäftsmodelle, das inhaltliche Niveau liegt dabei auf Einsteigerlevel einer Verkaufsshow auf einer regionalen IT-Messe, viele Reden bestehen aus einer Aneinanderreihung von Buzz-Wörtern. Würde eine Künstliche Intelligenz die Vorträge schreiben und vorlesen, man würde meistens keinen Unterschied bemerken.

Die Zivilgesellschaft darf zusehen

Im Programm fehlen zivilgesellschaftliche Stimmen und ihre gemeinwohlorientierten Perspektiven. Also die Perspektiven von Bürger:innen und der Gesellschaft, die im Ankündigungstext versprochen werden. Es zeigt sich dasselbe Bild wie seit 2006.

Nachdem wir vor drei Wochen hier auf fehlende Repräsentanz zivilgesellschaftlicher Stimmen hinwiesen, passierte etwas: Viele zivilgesellschaftliche Akteure waren verwundert, dass sie plötzlich Einladungen aus dem Wirtschafts- und dem Digitalministerium erhielten. Dabei ging es nicht darum, dass sie auf den Bühnen mitdiskutieren. Stattdessen dürfen sie nur als Besucher:innen zuschauen, wie „digitalpolitische Herausforderungen sowie Lösungsansätze“ von Vertreter:innen der Politik und Lobbyist:innen aus der Wirtschaft diskutiert werden.

All das zeigt: Dieser Digitalgipfel ist nicht mehr zeitgemäß und sollte nicht weitergeführt werden. Und er ist eine verschenkte Chance, eine Debatte darüber führen zu wollen, wie die die digitale Gesellschaft gemeinsam und zukunftsfähig gestaltet werden kann.

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8 Ergänzungen

  1. Die Zivilgesellschaft ist bei der Digitalisierung vor allem Störenfried. Die Bundesregierung sieht Digitalisierung im Wesentlichen zur ausufernden Überwachung der Bürger, zu mehr Zensur und Wiederlangung der meinungshoheit sowie zum Datenreichtum. Den Schaden, den sie dabei anrichtet ist nicht wieder gut zu machen. Von Seiten der Zivilgesellschaft bedeutet dies nicht betteln um beitilung an sinn- und nutzlosen Selbstdarstellungsveranstaltungen wie dem Digitalgipfel (was immer das für eine bescheuerte Wortschöpfung sein mag) sondern wir müssen definitiv in den massiven Widerstand gegen die Pläne der EU, unserer regierung und der Wirtschaft gehen.

    1. „es gibt nicht viele Möglichkeiten für die Regierten, einen Rechtsbruch der Regierenden effektiv zu rügen“

      ( Dieser grandiose Satz ist leider nicht von mir, muss ich zugeben, er war gestern in der Süddeutschen Zeitung, in einem Artikel von Ronen Steinke zur Verteidigung der „letzten Generation“. )
      Die GFF klagt gerade wieder auf’s Neue gegen das BND Gesetz …, Nancy Faeser schlägt anlasslose Vorratsdatenspeicherung vor …, „Wie wird die Digitalisierung zur neuen Windkraft?“ fragt Alexandra Geese aus dem EU-Parlament und verfolgt dabei genau die oben von Markus Beckedahl geschilderte Richtung (nur Wirtschaft, keine Bürgerrechte) …
      Wenn es nicht die reale Verbesserung gäbe beim Chef des Verfassungsschutzes, der in der „letzten Generation“ Systemverbesserer sieht, in der AfD Systemfeinde, – dann hätten wir gar nix, was es überhaupt noch sinnvoll erscheinen ließe, Widerstand gegen Unrecht zu formulieren.

  2. „Ein Jahr später macht sich jedoch große Ernüchterung breit, die Realität bildet diese Hoffnung leider noch nicht ab.“

    Mein ganzer Respekt gehört dem hartnäckigen Wort „noch“ in dem Satz oben!

    Sicher hat es die neue Regierung schwer und arbeitet sich müde an der wichtigsten Aufgabe in der Ukraine zu unterstützen, ohne den verwöhnten eigenen Bürgern das Leben zu hart zu machen, – seit dem Gesetzentwurf zum Whistleblowerschutz allerdings ist mir klar, dass ich da keine Bürgerrechtler sehe in der Ampelregierung, keine Politiker, die das umsetzen, was ihre Wähler sich erhofft hatten.
    Damit das Team netzpolitik.org aber niemals die Hoffnung so resignierend verliert wie ich in diesem Jahr, möchte ich hier noch den Tip geben: Chelsea Manning war zu Besuch in Berlin und hat ihr Buch vorgestellt, und ich glaube, es geht ihr gut !!! (Mich hat das für einen Moment glücklich gemacht, vielleicht gibt es Euch auch Schwung, vielleicht kommt sie ja wieder zur nächsten re:publica ?, – bei der wir, so wie die Dinge liegen, wieder nicht mit Edward Snowden in Berlin rechnen können…).

    Danke schön für Eure unverwüstliche Hartnäckigkeit!!!

  3. >> Wirtschaftliche Vertreter:innen dominieren auf den Bühnen, zivilgesellschaftliche Vertreter:innen dürfen hingegen nur am Katzentisch im Publikum Platz nehmen. <<

    Die Frage, ob man sich unter solchen Bedingungen weiter beteiligen soll, muss jetzt gestellt werden.

    Die zivile Community sollte sorgfältig bedenken, ab welchem Punkt der Digitalisierung man sich wegen Kollaboration wird schuldig gemacht gemacht haben.

    Dann doch lieber Boykott und Gegen-Gipfel veranstalten. Als Alibi-Dekoration sollten wir uns zu schade sein.

  4. Der Weg zu einem Dateninstitut ( Datenkrake2.0) für Deutschland

    Denn diese Autoren wussten sicherlich was sie taten:

    Dr. Nicole Büttner-Thiel, CEO, Merantix Momentum
    Dr. Stefan Heumann, Mitglied des Vorstands, Stiftung Neue Verantwortung
    Prof. Dr. Louisa Specht-Riemenschneider, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Informations- und Datenrecht, Universität Bonn
    Prof. Dr. Andreas Peichl, Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik und Befragungen, Professor für Volkswirtschaftslehre, Ludwig-Maximilians-Universität München
    Katja Wilken, Vizepräsidentin Bundesverwaltungsamt

    Seite 12 3. FOKUS AUF UMSETZUNG IN PILOTPROJEKTEN

    Solche Sätze gehören in Stein gemeißelt:

    Während die Erschließung der Daten in öffentlicher Hand im Wesentlichen vor rechtliche
    und technische Herausforderungen gestellt ist, müssen die Energieverbrauchsdaten sowie die Daten der Verbraucherinnen und Verbraucher de lege lata auf freiwilliger Basis geteilt werden. Hierzu bedarf es entsprechender Geheimhaltungsvorkehrungen, die mit einer Datentreuhandfunktion des Dateninstituts zur Verfügung gestellt werden könnten, sowie Anreizen zur Datenteilung.

    Für die Verbraucherinnen und Verbraucher kann ein Anreiz zur Datenbereitstellung gegeben werden, wenn nur für den Fall des Datenteilens eine Auszahlung der Energiezuschüsse erfolgt.

    Upsi: Das läßt aber die Herzen der zukünftigen Bürgergeld Klientel vor Freude schneller schlagen. Nudgeing as its best.

    Die Anreizsetzung für die Energieunternehmen scheint schwieriger. Scheitert ein freiwilliges Datenteilen, könnten auch Datenzugangsansprüche normiert werden müssen, auf
    deren Bedarf das Dateninstitut hinweisen könnte.

    Hardcore Nudgeing as its best.

    Wehret den Anfängen

  5. Allein dir Repressionsorgane wollen Digitalisierung und haben auch ganz fix funktionierende Strukturen und Schnittstellen.

    Der Rest der Verwaltung mauert, wo er nur kann, da ist ein Echtleder-Schreibset und ein Stempel mit Edelholz-Griff in den Führungsetagen wichtiger als Digitalisierung.
    Alle nur ansatzweisen elektronischen Prozesse werden schnellstmöglich auf Papier runtergebrochen und gestempelt, um ihre Ruheposition im Leitz-Ordner einzunehmen.

    Wenn man dann doch mal ein Projekt startet, kann man sicher sein, dass das nur dazu dient Steuergelder in einer nahestehenden Privatfirma zu versenken. Da darf keinesfalls was bei Rauskommen, sonst kann man ja nicht Weiterstempel.

    Und das Schlimme ist der Einsteiger in dem Bereich direkt wieder genau so eingearbeitet werden, das keinerlei Veränderungen eine Change haben.

    Wesentliches Prüfungskriterium zur Verwaltungsabschlussprüfung: Positionsgenaues Setzen des amtlichen Stempels. Dann bist du der Mitarbeitet.

  6. Digitalisierung? Über was für eine Digitalisierung sprecht Ihr denn eigentlich alle? Es gibt keine Digitalisierung in Deutschland. Da, wo es sie ansatzweise gibt, wird sie noch von papiergebundenen Prozessen „unterstützt“, wie bei der Grundsteuererklärung: Ein Brief vorab enthielt die Daten, die ich dann von Hand ins digitale ELSTER Formular eintragen durfte. Echt voll fortschrittlich digital. Und in Bayern muss bals alles, was über das elektronische Behördenfach verschickt wird, zusätzlich auch noch mal ausgedruckt werden.
    Echt jetzt: lasst sie reden. Und machen wir Digitalisierung selber. Schützen wir unsere Daten. Verweigern wir Papier. Fordern wir die Offenlegung von Daten. Nehmen wir Einfluss immer dann, wenn es bei „Digitalisierung“ nur um Profit geht. Seien wir die „Letzte Generation“ die noch im digitalen Dunkeln tappt.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.