Kommentar zum KoalitionsvertragAmpel verspricht Stärkung digitaler Grundrechte

Im Koalitionsvertrag der Ampel gibt es viele gute und spannende Versprechungen. Zentrale Forderungen der digitalen Zivilgesellschaft haben es in den Entwurf geschafft. Jetzt kommt es auf die Umsetzung an.

Olaf Scholz, Norbert-Walter Borjans und Saskia Esken und Lars Klingbeil SPD, Robert Habeck und Annalena Baerbock und Michael Keller Gruene und Christian Lindner und Volker Wissing vor der Präsentation des Koalitionsvertrags
Der Entwurf für den Koalitionsvertrag steht, jetzt kommt es darauf an, was die Koalitionäre draus machen. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO/Emmanuele Contini

Unter der Überschrift „Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ haben die zukünftigen Ampel-Koalitionäre SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Das frühere Sondierungspapier gab bereits einen kleinen Ausblick in die zukünftige Politik.

Die Erwartungen waren hoch, zumal endlich die Union nicht mehr beteiligt ist. Eine Chance. Aber würden die zukünftigen Koalitionäre diese Erwartungen auch halten können? Ich war tatsächlich beim ersten Durchlesen positiver überrascht, als ich es vorher erwartet habe.

Die letztendlich gefundenen Kompromisse in dem 177 Seiten langen Text könnten tatsächlich einen digitalen Aufbruch für mehr Fortschritt, Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bedeuten. Netzpolitische Themen finden sich durchgehend in allen Kapiteln bis hin zur Landwirtschaft. Und viele alte und neue Forderungen der digitalen Zivilgesellschaft haben es erstmals in einen Koalitionsvertrag geschafft.

Sätze, die man unterschreiben will

Es finden sich zahlreiche Sätze, die man gerne unterschreiben will: „Das Recht auf Anonymität sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet ist zu gewährleisten“; „Wir stärken digitale Bürgerrechte und IT-Sicherheit. Sie zu gewährleisten ist staatliche Pflicht“; „Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht“. Endlich mal „Public Money, Public Code“, zumindest im Softwarebereich. Zeit dafür wird es!

Das digitale Ehrenamt will man „sichtbarer machen, unterstützen und rechtlich stärken“. Die digitale Zivilgesellschaft soll besser in digitalpolitische Vorhaben eingebunden und unterstützt werden. Was das konkret bedeutet und zu welchen Bedingungen, steht da nicht, außer dass man die Schwerpunkte auf „Diversität und Civic Tech“ setzen möchte.

Es soll ein „Recht auf Verschlüsselung“ und eine Überwachungsgesamtrechnung geben. Ein „unabhängiges Expertengremium (Freiheitskommission)“ soll „bei zukünftigen Sicherheitsgesetzgebungsvorhaben“ beraten und Freiheitseinschränkungen evaluieren. Biometrische Erkennung im öffentlichen Raum soll europarechtlich untersagt werden, wenngleich man die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten wohl ausbauen möchte. Die umstrittenen Hackbacks, also das Zurück-Hacken bei Angriffen, werden als „Mittel der Cyberabwehr grundsätzlich“ abgelehnt. Alle Sicherheitsbehörden sollen von Parlament und Datenschutzbehörden besser kontrolliert werden können.

Auf die praktischen Details kommt es an

Von der Vorratsdatenspeicherung scheint man sich rhetorisch im Vorfeld der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes abzusetzen, lässt aber rhetorisch den Spielraum für Quick-Freeze-Verfahren offen. Dafür soll eine „Login-Falle“ kommen, die ein grundrechtsschonenderes Instrument für die Identifizierung von Täter:innen sein soll.

Aber der Teufel wird bei vielen Debatten im Detail liegen. Auch wenn man „Open Access“ als gemeinsamen Standard im Wissenschaftsbereich etablieren will, hängt es von der Ausgestaltung eines wissenschaftsfreundlicheren Urheberrechtes ab. Die Informationsfreiheitsgesetze „werden zu einem Bundestransparenzgesetz weiterentwickelt“. So etwas hatte auch schon Rot-Rot-Grün in Berlin versprochen, scheiterte letztendlich aber bisher an der SPD. Das Gemeinnützigkeitsrecht soll modernisiert werden, „um der entstandenen Unsicherheit nach der Gemeinnützigkeitsrechtsprechung des Bundesfinanzhofes entgegenzuwirken und konkretisieren“.

Man möchte „Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus“ schaffen, was auch für unsere Arbeit wichtig wäre, wenngleich hier im Gegensatz zu e-Sport noch nicht die Gemeinnützigkeit versprochen wird. Aber bei diesen Fragen gilt auch: Hierzu braucht es die Einigkeit aller 16 Bundesländer.

Minuspunkte bei Staatstrojanern und Drohnen

Es gibt aber auch Minuspunkte. Staatstrojaner werden nicht explizit ausgeschlossen, aber ihr Einsatz durch ein „Schwachstellenmanagement“ und der Rechtsprechung zur Online-Durchsuchung erschwert. Zumindest die Bundespolizei soll diese Möglichkeit nicht mehr bekommen. Die Bundeswehr soll bewaffnete Drohnen bekommen, aber niemanden illegal damit töten dürfen. Viermal kommt die Blockchain vor, ausgerechnet auch beim Grundbuch. Für eine so überschätzte und umstrittene Technologie ist das ganz schön oft. Und es fehlt ein Recht auf Internet, auch wenn wir alle Glasfaser und 5G bekommen sollen. Aber an dieses Versprechen haben wir uns in den vergangenen 20 Jahren ja schon gewöhnt.

Der Koalitionsvertrag enthält sehr viele Lichtblicke und einige, überraschend wenige, Schwachstellen. Das ist ein Aufschlag, auf den wir die zukünftige Bundesregierung auf vielen Ebenen festnageln können. Dieser Koalitionsvertrag ist im Digitalen auch eine Bestätigung der guten und engagierten Arbeit einer sich immer mehr entwickelnden digitalen Zivilgesellschaft, die bisher von der CDU/CSU weitgehend ignoriert wurde. Doch noch ist es nur eine Absichtserklärung.

Wer wird für die netzpolitischen Themen zuständig sein?

Viel wird auch davon abhängen, wo konkret netzpolitische Fragestellungen koordiniert und verwaltet werden. Dazu gibt es bisher nur wenige Einblicke, die Koalitionäre scheinen sich hier noch nicht abschließend geeinigt zu haben. Welche Bedeutung hat die Bezeichnung „Bundesministerium für Verkehr und Digitales“? Bleibt der Breitbandausbau einfach in dem Ministerium, erhält es weitere Befugnisse und eine stärkere koordinierende Rolle? Wird das ansonsten im Kanzleramt oder im Finanzministerium angedockt? Wie viel Geld gibt es für die vielen genannten Vorhaben konkret? Und wo werden im Bundestag die zentralen netzpolitischen Themen verhandelt?

Wir leben in spannenden Zeiten. Aber jetzt gibt es etwas mehr Hoffnung, dass sich unsere langjährige Arbeit endlich auszahlt und eine lebenswertere digitale Gesellschaft möglicher erscheint.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

11 Ergänzungen

  1. Zitat: „Der Koalitionsvertrag enthält sehr viele Lichtblicke und einige, überraschend wenige, Schwachstellen. … Doch noch ist es nur eine Absichtserklärung.“

    Ich teile diese Einschätzung, auch jene, welche Blockchains betrifft. Fortschritt bedeutete in den letzten Jahren oft auch neue Gefahren. Hier gilt es weiterhin wachsam zu bleiben, auch bei den neuen Farben.

    Erfreulich auch dies:
    >> „Wir leiten einen strukturellen Umbau der IT-Sicherheitsarchitektur ein, stellen das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) unabhängiger auf und bauen es als zentrale Stelle im Bereich IT-Sicherheit aus. Wir verpflichten alle staatlichen Stellen, ihnen bekannte Sicherheitslücken beim BSI zu melden und sich regelmäßig einer externen Überprüfung ihrer IT-Systeme zu unterziehen.“

    Beim Lesen stellte sich bei mir eine unerwartet gute Laune ein. Ein völlig neues und gutes Gefühl beim kritischen Lesen. Macht bessere Laune als Prosa und Belletristik.

    Geeignet als Nachschlagewerk für die nächsten 4 Jahre.

  2. Ich wünschte, Edward Snowden würde jetzt nach Berlin umziehen. Dann wäre die Schuld meines Landes getilgt, und ich brauchte nicht mehr so tief sorgenvoll auf die Täterpartei (SPD) im Innenministerium zu blicken, und die Geheimdienste wüssten dann, sie sind verantwortlich für ihr Tun. Ohne den unbeschwerten Edward Snowden hier bei uns, haben wir es nicht geschafft.

    1. Ein Asylantrag von Edward Snowden wäre gewiss ein valider Lackmus-Test,
      ob außer schönen Worten auch gute rechtsstaatliche Taten möglich sind.

  3. Ich fand zusätzlich zum Thema Digitales auch beim Thema EU die halbwegs klaren Bekentnisse überraschend positiv:
    „[…] Die Konferenz sollte in einen verfassungsgebenden Konvent münden und zur Weiterentwicklung zu einem föderalen europäischen Bundesstaat führen, der dezentral auch nach den Grundsätzen der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit organisiert ist und die Grundrechtecharta zur Grundlage hat. Wir wollen das Europäische Parlament (EP) stärken, z.B. beim Initiativrecht; vorzugsweise in den Verträgen, andernfalls interinstitutionell. Wir werden der Gemeinschaftsmethode wieder Vorrang geben, aber wo nötig mit einzelnen Mitgliedstaaten vorangehen.“ usw.

    Klar für jeden der Hirn hat, dass das Sinn macht. Aber da die SPD keinen Plan für irgendwas hat und die FDP beim Thema EU nur rumgemurkst, war nicht sicher was dann so rauskommt. Naja mal gucken. Letztendlich sind das nur ein paar schöne Worte.

    „Die Erwartungen waren hoch, zumal endlich die Union nicht mehr beteiligt ist. Eine Chance.“
    Ich trau mich noch nicht zu sagen, dass es wirklich so einen riesigen Unterschied macht ob die Union regiert oder nicht. Mit den anderen Parteien stimmt ja auch einiges nicht. Aber ja. Einfach ja.

  4. Habt ihr schon mal über die Login-Falle berichtet? Wenn das schlecht umgesetzt wird haben Polizisten mit schlechten Absichten ein weiteres Instrument an der Hand unberechtigt an Informationen von Mitmenschen zu kommen.

  5. Danke für den Überblick. Vieles bleibt dann doch eher vage. Nun denn.
    -Vage ist die Ampel aber nicht bei der neuen Krigesführung. Unter dem Deckmantel der Digitalisierung und Sicherheit wird nun propagiert, dass Maschine (bewaffnete Drohnen) töten dürfen – gnädigerweise heisst es wohl: “ aber niemanden illegal damit töten dürfen.“ Als ob „Töten“ legal wäre. Da will ich lieber fürs Leben einstehen,nur eine Maschine ist das Leben dann auch egal. Am Ende bringen Drohnen eine Eskalationsspirale in Gange mit dem Tenor einer neuen Kriegsführung. Von Friedensbemühungen spricht da niemand bei der Ampel.
    -Und zum Thema digitale Bildung. Digitale Bildung ist mehr als Breitbandausbau und mehr als das Beherrschen von Tools, die die Datenräuber aus den USA zur Verfügung stellen.

    1. Man kann das Ganze auch sehr zynisch auslegen, und zwar wenn man bei jeglichen Drohnenangriffen einfach von extralegalen Tötungen spricht. Eben wie die USA.
      Somit tötet man ja per Drohne niemals einen Menschen illegal.

    2. NP macht mit den redaktionell abgesegneten Ergänzungen jetzt auf Querschwurbler? 8)

      Das ist offensichtlich auf so vielen Ebenen sachlich falsch, dass ihr euch als Redaktion unglaubwürdig macht.

  6. Das Ministerium geht an die FDP, das wird also eine Subventionsmaschine fuer die blockchain bros und andere windige make-money-fast startups.

  7. Die Dialektik der FDP kommt durch. Auf der einen Seite als der Bewahrer der Grundrechte, wenn es um Abwehrrechte gegen den Staat geht. Auf der anderen Seite die Ausbeutung der Privatshähre, damit die Wirtschaft mehr Profite macht – das alles ist neoliberal und schadet mehr als es bringt! FDP ist ein Blendwerk – der Datenschutz ist so lange gut, solange die Profite der Wirtschaft nicht beeinträchtigt werden. So lese ich das Koalitionspapier!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.