Der Digital-Gipfel ist die größte netzpolitische Veranstaltung der Bundesregierung. Doch das Programm findet auch im Dezember 2022 nur unter marginaler Beteiligung der digitalen Zivilgesellschaft statt. Daran hat sich auch wenig unter der Ampel geändert, die sich bei Partizipation und Einbindung der Zivilgesellschaft ja von der Großen Koalition abheben wollte.
Die Geschichte des traditionell vom Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) ausgerichteten Digitalgipfels ist davon geprägt, dass Vertreter:innen aus Communities, digitalen zivilgesellschaftlichen Vereinen und Verbänden sowie Projekten wie Wikipedia dort kaum in Erscheinung treten dürfen. Stattdessen gibt es viel Platz für Wirtschaftsverbände wie den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Bitkom oder Unternehmen wie BMW.
Christian Humborg, Geschäftsführender Vorstand von Wikimedia Deutschland, hat auf diesen Missstand zuletzt auf Twitter hingewiesen:
Kurzanalyse der Referierenden des Programmes des Digitalgipfels der BReg im Dez: 32 Vertreter*innen Wirtschaft, 22 Politik und Staat, 13 Wissenschaft, 5 Wirtschaftsverbände, 2 Stiftungen, 1 selbständig, 1 Krankenkasse, 0 organisierte Zivilgesellschaft.
Dabei beschreibt die Bundesregierung den Digital-Gipfel selbst als „zentrale Plattform zur Gestaltung des digitalen Aufbruchs mit allen daran Beteiligten.“ Humborg sagt gegenüber netzpolitik.org: „Beim Digitalgipfel der Bundesregierung fehlen seit Jahren empfindlich spürbar die Erfahrungen und Perspektiven der organisierten Zivilgesellschaft, obwohl viele zu digitalpolitischen Fragestellungen arbeiten.“ Immerhin sei Wikimedia vor kurzem eingeladen worden, beim Digitalgipfel im nächsten Jahr inhaltlich mitzuwirken.
„Trotz aller Lippenbekenntnisse“
Ähnliches berichtet Tom Jennissen von der Digitalen Gesellschaft. Dass die Zivilgesellschaft auf dem öffentlichkeitswirksamen Digital-Gipfel nur sehr spärlich vertreten ist, sei symptomatisch für die Rolle, die ihr trotz aller Lippenbekenntnisse auch von der aktuellen Bundesregierung eingeräumt würde. „Es ist noch nicht ganz ein Jahr her, dass die Regierung in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hat, die Zivilgesellschaft besser in digitalpolitische Vorhaben einzubinden. Davon haben wir bislang noch nicht viel mitbekommen“, so Jennissen. Wenn die Bundesregierung tatsächlich an einer breiten gesellschaftlichen Verankerung der Digitalisierung interessiert wäre, würde sie eine kritische zivilgesellschaftliche Perspektive und Expertise nicht derart vernachlässigen.
Bei digitalpolitischen Verein D64 findet man das auch angesichts des thematischen Schwerpunkts von Daten und Wertschöpfung schwierig. Deren Co-Vorsitzender Erik Tuchtfeld sagt gegenüber netzpolitik.org: „Das ist nah dran an ‚Daten als Öl des 21. Jahrhunderts‘ und macht deutlich, dass die Bundesregierung Digitalpolitik primär als Wirtschaftspolitik versteht. Es wäre dringend notwendig, dass die Zivilgesellschaft aktiver Teil des Digitalgipfels wird, damit die gesellschaftspolitische Dimension der digitalen Transformation thematisiert wird.“
Dieses Jahr steht sie unter dem Schwerpunkt „Daten – gemeinsam digitale Werte schöpfen“. Der Gipfel ist in sieben thematischen Plattformen organisiert. In diesen Plattformen werden während des Jahres Projekte, Veranstaltungen und Initiativen erarbeitet.
„War immer Wirtschaftsveranstaltung“
Ann-Cathrin Riedel, Vorsitzende von Load e.V., sieht hingegen einen „Head-Count“ beim Digitalgipfel nicht als Mittel, um die Qualität und das Ausmaß der Beteiligung digitaler Zivilgesellschaft zu bewerten. „Der Digitalgipfel war immer eine Wirtschaftsveranstaltung, daher begrüße ich es erstmal, dass die Panel meiner Ansicht nach vor allem weiblicher geworden sind, Zivilgesellschaft und insbesondere die Wissenschaft vertreten sind“, so Riedel.
Riedel bringt jedoch noch ein anderes Problem auf: „Ich würde mir wünschen, wir sprächen mehr über frühzeitige Einbindung auf Arbeitsebene, da wo Beteiligung wirklich effektiv sein kann, über Aufwandsentschädigungen und am besten auch Finanzierung von dieser Arbeit.“ Dieses Problem sieht auch Tuchtfeld von D64: „Die Ministerien sollten darüber hinaus gezielt – beispielsweise durch eigene Netzwerkstände – die Vernetzung der digitalen Zivilgesellschaft fördern und ein Budget für Reise- und Unterbringungskosten für ehrenamtlich Engagierte anbieten.“
Thematischer Zuschnitt als Grund
Beim Digitalministerium (BMDV), das den Gipfel dieses Jahr gemeinsam mit dem Wirtschaftsministerium (BMWK) organisiert, verweist man darauf, dass die einzelnen „Plattformen“ für die Gestaltung des Programmes zuständig seien. Bei der vom BMDV verantworteten Plattform „Digitale Konnektivität und Datenökonomie“ und von dieser organisierten Veranstaltung „Daten und Vertrauen – worauf kommt es an?“ nehme eine Vertreterin der digitalen Zivilgesellschaft von der Verbraucherzentrale Bundesverband teil, sagt eine Sprecherin des BMVD. Aufgrund der thematischen Zuschneidung der anderen von dieser Plattform organisierten Veranstaltungen würden dort schwerpunktmäßig Vertreter und Vertreterinnen aus Wirtschaft und Wissenschaft teilnehmen.
Weiter heißt es: „Dem BMDV ist dieser Austausch und die Einbeziehung der digitalen Zivilgesellschaft sehr wichtig.“ Als Gäste seien vom BMDV „LOAD, Superrr Lab, Open Knowledge Foundation, D64 und weiteren zivilgesellschaftliche Organisationen eingeladen“ worden.
Welche Vertreter:innen der Zivilgesellschaft bei der Planung teilgenommen haben und welche eingeladen wurden, interessiert nun auch ausgerechnet die Unions-Fraktion, welche in ihrer Regierungszeit genau die digitale Zivilgesellschaft nicht berücksichtigt hatte. Sie hat eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, wo sie genau jenes erfragt. Ob sie eine Antwort noch vor dem Gipfel am 8. und 9. Dezember erhalten und wie stark die Zivilgesellschaft künftig einbezogen wird, bleibt vorerst offen.
„Digital“ ist Rammbock und Abrissbirne für im Weg stehende Grundrechte. Natürlich kann man da keinen von Verstand ranlassen.