Wochenrückblick KW33Ein ganz besonderes Jubiläum

Milchkannen kommunizieren mit Satelliten, im Netz verschwimmen die Grenzen zwischen Krieg und Frieden und unsere Gesichter sind ganz besonders in die Schlagzeilen geraten. Die Themen der Woche im Überblick.

Ein Straußenbaby stolziert über eine Wiese.
Dieses Straußenbaby hat nichts mit Netzpolitik zu tun, aber es ist sehr niedlich und wird allein durch seine Attitüde nach dem Aussterben der Menschen die nächste Zivilisation begründen. – Vereinfachte Pixabay Lizenz polyfish

Wieder einmal geht eine aufregende Woche in der Redaktion zu Ende. Nicht ansatzweise so aufregend wie am Montag vor fünf Jahren natürlich, als die Ermittlung wegen Landesverrats gegen Markus Beckedahl, Andre Meister und unsere Quellen eingestellt wurden. Anlässlich dieses Jubiläums erinnern Constanze Kurz und Markus Beckedahl in einem Artikel und im NPP-Podcast an die damaligen Geschehnisse.

Sie berichten über Einschränkungen der Pressefreiheit und die Anmaßungen einiger politisch Verantwortlicher, aber auch über die Welle der Solidarität aus Journalismus, Politik und Öffentlichkeit, die netzpolitik.org in der heutigen Form erst möglich gemacht hat. Es konnten neue Stellen geschaffen, Büro-Räume angemietet und die Server-Infrastruktur verbessert werden. Hier können sogar Praktikant:innen bezahlt werden.

Doch wie das so ist, die Freude über das Jubiläum und die Einstellung der Ermittlungen kann nur ein kurzer Zwischenhalt sein. Auf dem Weg zum Ausbau von Grundrechten, Pressefreiheit, Datenschutz und Demokratie kann man ab und an zurückschauen, welche Strecke man schon zurückgelegt hat, aber nicht zu lange Rast machen. Der Gipfel möchte noch erklommen werden. Und daran haben wir auch diese Woche wieder gearbeitet.

Wenn die Milchkanne den Satelliten anfunkt

Wer einen Berg besteigt, der sollte immer gut über den richtigen Weg und das Wetter informiert sein. Doch gerade in dünn besiedelten Gebieten hat sich das Wetter vielleicht mehrmals geändert, bis sich die entsprechende Vorhersage-Webseite aufgebaut hat. Schnelles Internet ist Mangelware. Die Bundesregierung versprach, mit schnellem Internetzugang Abhilfe zu schaffen. Jetzt stellt sich aber heraus: Gegenden, die als schwer erschließbar gelten, sollen nicht immer eine eigene Leitung bekommen. Die zum geflügelten Wort gewordene Milchkanne soll stattdessen mit Mobilfunk- oder Satelliteninternet ans Netz angeschlossen werden.

Überhaupt irgendeinen Internetzugang hätten sich die Wähler:innen in Belarus am vergangenen Wochenende gewünscht. Weil Präsident Lukaschenko mit Swetlana Tichanowskaja plötzlich eine ernstzunehmende Konkurrentin hatte, geriet der Autokrat in Sorge. Es gibt Berichte über Wahlfälschungen und gewalttätige Sicherheitskräfte. Webseiten und soziale Netzwerke waren am Wahlsonntag nicht mehr erreichbar. Lukaschenko holte nach offiziellen Angaben 80 Prozent der Stimmen, aber die Proteste im Land dauern an und sind so groß, dass auch das abgeschaltete Internet dem Despoten nicht mehr helfen könnte.

Vertrauen in Polizei und Behörden leidet

Die deutsche Polizei kommt einfach nicht zur Ruhe. Nach einem erneuten Verdacht einer missbräuchlichen Datenabfrage der Berliner Polizei erhebt nun die Berliner Datenschutzbeauftragte den Vorwurf, die Polizei würde die Aufklärung verweigern. In dem Fall ging es um eine Drohung mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund. Die Berliner Polizei kann für die Abfrage der Daten keinen nachvollziehbaren Grund angeben.

Fehlender Aufklärungswillen bei rechtsextremen Straftaten ist nicht unbedingt geeignet, das Vertrauen von Minderheiten in die Polizei zu stärken. Berichte über Racial Profiling ebenfalls nicht. Nachdem Innenminister Seehofer eine geplante Studie zu diesem Thema kurzerhand wieder abgesagt hat, fordert nun eine Bundestags-Petition, diese Praxis wissenschaftlich zu untersuchen. Sie kann noch bis zum 20. August gezeichnet werden.

Das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Behörden stärkt nicht unbedingt, wenn das Innenministerium Journalist:innen und Bürger:innen wichtige Informationen vorenthält oder unwahre Aussagen in die Welt setzt. So geschehen in Sachsen, wo die Polizei angeblich keine Daten von Corona-Infizierten und Menschen in Quarantäne bekommen haben sollte. Zwei kleine Anfragen der Opposition im Landtag haben nun gezeigt: Doch!

Ob „Instacops“ in die Bresche springen können und das Ansehen der Polizei verbessern? Wie sich Polizist:innen in sozialen Medien verhalten sollen, regelt ein neues „Merkblatt“ bei der Berliner Polizei. Neben klaren Vorgaben für Auftreten, Dienstgeheimnisse und Presseanfragen legen die Regeln auch fest, wofür Polizist:innen keine Werbung machen dürfen.

Irrlichternde Konzerne

Zum guten Benehmen für die Berliner Polizei gehört auch die Quellen-Prüfung. Die könnte jetzt erleichtert werden, weil Twitter russische und chinesische Staatsmedien als solche kennzeichnet. Journalistische Angebote, die redaktionell von der Regierung abhängen, empfiehlt der Twitter-Algorithmus nun nicht mehr. Wie viele Accounts nach welchen Kriterien betroffen sind, macht Twitter allerdings nicht transparent.

Ob die bessere Hälfte russischen Staatsmedien auf Twitter folgt, dürfte Nutzer:innen von Stalker-Apps auf dem Handy wahrscheinlich eher weniger interessieren. Viel eher, mit wem der/die Partner:in chattet, wer wann wo anruft oder mit wem sie auf Facebook befreundet sind. Um diese Form der Gewalt einzudämmen, hat Google angekündigt, Anzeigen für private Überwachungssoftware nicht mehr in der Suchmaschine auszuspielen. Eine Ausnahme sollten Anwendungen sein, mit denen Eltern ihre Kinder kontrollieren können. Dieses Schlupfloch machen sich Anbieter von Spionage-Software jetzt zunutze und sind weiterhin auf Google zu finden, berichtet Chris Köver.

Spionage-Apps gibt es zum Beispiel auch für Arbeitgeber:innen, die ihre Mitarbeiter:innen überwachen wollen. Um sich gegen so etwas zur Wehr zu setzen, gibt es in vielen Unternehmen den Betriebsrat, der die Interessen der Arbeitnehmer:innen vertritt. Auch die Angestellten der Bank N26 wollten einen Betriebsrat gründen. Das wollte die Führungsriege mit Verweis auf „Werte“ verhindern. Das sind offenbar nicht die Werte, an die Markus Reuter glaubt, der die Vorgänge kommentiert hat.

Wir würden jeden verstehen, der in einem solchen Unternehmen nicht mehr arbeiten möchte. Doch für einen solchen Schritt braucht es ja immer einen neuen Job, eine neue Perspektive. Die finden frustrierte N26-Mitarbeiter:innen im Augenblick wohl eher nicht bei Mozilla. Das Unternehmen hat wegen der Corona-Pandemie und sinkender Einnahmen ein Viertel seiner Belegschaft entlassen. Viele sind um die Zukunftsfähigkeit der Firma besorgt.

Big brother is watching your face

Von einer Firma, die um ein sicheres Internet besorgt ist, zu einer, die aus den Daten ihrer Kund:innen Kapital schlagen will. Ein spanisches Software-Unternehmen scannt in Zusammenarbeit mit dem Madrider Busbahnhof sämtliche Passagiere und wertet die Aufnahmen aus. Gesucht werden Passagiere mit Haftbefehl oder Taschendiebe am Bahnhof. Die Betreiber:innen des Busbahnhofs informierten die Fahrgäste nicht über die Verarbeitung ihrer biometrischen Daten.

Genau diese Art von automatisierter Gesichtserkennung hat ein Gericht in Südwales jetzt verboten. Die Polizei hatte unter anderem Teilnehmer:innen von Demonstrationen und Fußballfans massenhaft gescannt und die Gesichter unter anderem mit denen gesuchter Krimineller abgeglichen. Diese Technologie bedroht dem Gericht zufolge die Bürgerrechte.

Ob automatische Gesichtserkennung überhaupt ihren Zweck erfüllt, wenn sie beispielsweise an Flughäfen zur Passkontrolle eingesetzt wird, ist fraglich. Forschern ist es gelungen, die Systeme mit gemorphten Passbildern auszutricksen. Aus zwei Gesichtern wird eins und schon reist der eine unter dem Namen des anderen.

Nun nutzen aber nicht nur Sicherheitsbehörden automatisierte Gesichtserkennung, sondern auch digitale Plattformen wie Instagram. Jedes Bild zu morphen, was man dort hochlädt, erscheint eher wenig praktikabel. Eine Nutzerin verklagt in Illinois nun Instagram und den Mutterkonzern Facebook wegen unerlaubter Verarbeitung der Daten. Bei einer Verurteilung könnte es teuer werden.

Krieg und Frieden im Internet

Soziale Netzwerke, die Datenschutzprobleme haben, da war doch was? Nachdem Donald Trump per Erlass allen Personen und Organisationen verbot, mit TikTok zusammenzuarbeiten, will die chinesische App dagegen vor Gericht vorgehen. TikTok hält die Vorwürfe für unbegründet und kritisiert, dass man dem Unternehmen keine Gelegenheit gegeben habe, Stellung zu nehmen. Auch Bürgerrechtler:innen räumen der Klage Chancen ein.

Die geopolitische Dimension des Konflikts um TikTok hat sich unser Markus Reuter in einem Kommentar angeschaut. Wenn Staaten ihre Konflikte im Netz austragen, befürchtet er als Ergebnis ein zersplittertes Internet, das mit der Idee des „WorldWideWebs“ nicht mehr viel gemein hat. Die Demokratie bleibt auf der Strecke.

Die Möglichkeiten des Internets für zwischenstaatliche Konflikte entdeckt mehr und mehr auch die Bundeswehr für sich. In einem Gastbeitrag erklärt Matthias Schulze von der Stiftung Wissenschaft und Politik, warum Cyber-Operationen eher etwas für Geheimdienste sind als für das Militär und warum staatliches Hacking die Grenze zwischen Krieg und Frieden verschwimmen lassen könnte.

Und sonst so?

Die Welt am Sonntag hat einen Journalisten abgemahnt, der ein Foto eines Artikels aus der Print-Ausgabe der Zeitung getwittert hatte. Der Verlag wirft dem Journalisten eine Urheberrechtsverletzung vor. Der Artikel beschäftigte sich mit dem Fall des Social-Media-Leiters der Bundeswehr, der auf Instagram Likes für rechte Beiträge verteilt hatte.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert in einem Gutachten die Bundesregierung auf, beim Schutz von Whistleblowern nachzubessern. Einige deutsche Regeln entsprächen noch nicht den EU-Vorgaben, so der DGB. Hinweisgeber:innen seien beispielsweise noch zu wenig vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen oder anderen Repressalien durch den Arbeitgeber geschützt.

Nachbessern wollte die Bundesregierung eigentlich beim Patientendaten-Schutz-Gesetz. Nach der neuesten Änderung, die der Bundestag Anfang Juli beschlossen hatte, ist noch weniger klar, wofür das „Schutz“ im Namen des Gesetzes genau steht. Auf den letzten Metern baute der Gesundheitsausschuss eine Regelung ein, die es gesetzlichen Krankenkassen erlaubt, persönliche Daten ihrer Mitglieder für individualisierte Werbung zu verwenden, wenn diese nicht explizit widersprechen.

In einem Gastbeitrag berichten die Aktivist:innen Ilona Stuetz und Victoria Kure-Wu von mangelnder Diversität beim WirVsVirus-Hackathon der Bundesregierung. Das einzige von 1.500 Projekten, das sich mit Rassismus in der Corona-Krise beschäftigte, schaffte nicht mal die erste Runde der Vorauswahl. Auch das Feedback und die fehlende Unterstützung nach rechten Anfeindungen im Netz wirft die Frage auf, wer mit dem „Wir“ in „WirVsVirus“ gemeint ist.

Wir wünschen euch ein schönes Wochenende!

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2 Ergänzungen

  1. Wird Trump den Whistleblower Eduard Snowden begnadigen?

    Ist das ein aufrichtiger Akt der Humanität oder auch nur ein Trick um zu dringend benötigten Wählerstimmen 80 Tage vor der Wahl zu gelangen? Die Frage lässt sich leicht beantworten, wenn man Trump als empathiefreien Narzisten kennt, dessen gegebenes Wort eine Haltbarkeit hat, wie ungekühlte Milch.

    „A lot of people think …“, sagt Trump. Und genau das ist sein Kalkül, nämlich dass diese Menschen sich am Wahltag erkenntlich zeigen würden.

    Wird sich Edward Snowden zu diesem Spiel hergeben. Wird er bereit sein sich in die Liste von Trumps Begnadigungen einreihen zu lassen, die unrühmliche Namen enthält?

    Die wichtigste Frage für Edward Snowden dürfte jedoch sein, ob man einem wie Trump überhaupt trauen kann und soll.

    Doch wenn Trump schon darüber nachdenkt, Edward Snowden in die USA zurück zu holen, dann sollte es EU-Ländern und insbesondere Deutschland nicht mehr schwer fallen, dem Whistleblower dieser Dekade endlich die Einreise zu gewähren.

    https://www.nytimes.com/2020/08/15/us/politics/trump-snowden-esper.html
    https://www.theguardian.com/us-news/2020/aug/14/edward-snowden-trump-presidential-pardon-speculation

    1. Who knows.

      Titel wie „Akt der Gnade“ usw. treffen in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht auf die Motivation der jew. relativ Mächtigen zu, Usus beseite, sind es in aller Regel Beschwichtigungs- oder PR-Stunts.

      Es könnte auch ein Verunsicherungsmoment sein sollen. Nach Innen verkaufbar, und verunsichert werden strauchelnde Nichtmehrwähler, die sich jetzt irgendetwas überlegen können. Möglich auch, dass Schuldige für Nichtumsetzenkönnen schon in der Schublade liegen, und man es nicht vorhat, es umzusetzen. Dann wäre es nach Innen gerichtet. Oder es ist eine Art Apparatkampfmoment, weil sich der Apparat aus Sicht des Präsidenten quer stellt, und dieses einerseits nach Innen verkaufbar ist, ihn aber andererseits vom Vorgänger abhebt und dem Apparat vielleicht sogar richtig wehtut. Popülär dürfte es in der Summe sein, und bei Abwahl zumindest mildernd wirken (nicht gegenüber Gerichten).

      Ansonsten … ist es überhaupt relevant? Wird eine Olli-Kleppo-Krapie dann durch diese Begnadigung zu einer wahrhaftig eleganten gnadenbesetzten Oligarchie mit einem dann immer noch auf alles scheißenden kleptokratischen Kern? Oder ändert sich dann was?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.