Wo wären wir ohne Whistleblower? Wir könnten nur spekulieren über das Ausmaß, in dem uns Geheimdienste überwachen. Internationale Finanzskandale wären ohne Panama-Papers oder LuxLeaks in der Form niemals aufgedeckt worden. Und wir wüssten nur wenig über die Missstände in deutschen Altenheimen, würden mutige Menschen nicht ihren Arbeitsplatz oder mehr riskieren.
Lange Zeit gab es in Deutschland kein Gesetz, das Hinweisgebern Schutz zugesichert hätte. Und wenn die oft als gemächlich verschriene EU nicht im Vorjahr eine Richtlinie auf den Weg gebracht hätte, dann müssten wir vermutlich immer noch warten. Zwar gab sich das Bundesjustizministerium große Mühe, das EU-Gesetz möglichst abzuschwächen, konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen.
Die Regelung soll erstmals europaweit Whistleblower schützen und sie unter anderem davor bewahren, aufgrund eines Hinweises gekündigt oder anderen Repressalien ausgesetzt zu werden. Doch wie jede EU-Richtlinie gilt sie nicht automatisch, sondern muss in nationales Recht umgesetzt werden, meist mit einem gewissen Handlungsspielraum für die EU-Mitgliedstaaten.
Arbeitnehmervertreter fordern mehr Schutz
Diesen Spielraum soll die Bundesregierung nun möglichst weit ausreizen, fordert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Denn so gut die EU-Vorgaben letzten Endes ausgefallen sind, klaffen dennoch einige Lücken in dem Regelwerk, das bis Ende 2021 umgesetzt werden muss: So deckt der Schutz lediglich bestimmte Vorschriften des Unionsrechts ab, und auch nur in ausgewählten Bereichen.
Nationale Vorschriften sind davon nicht erfasst, etwa in den Bereichen des Infektionsschutzes oder des Arbeitnehmerschutzes, mahnt der DGB. „Würde der Gesetzgeber, wie von Wirtschaftskreisen gefordert, bei einer sogenannten ‚eins zu eins‘ Umsetzung bleiben, würden Personen, die ausbeuterische oder unhygienische Arbeitsbedingungen in Deutschland melden, durch den Raster fallen“, schreiben die Arbeitnehmervertreter.
Dabei muss es aber nicht bleiben, wenn die Regierung mitspielt. In einem fast 200 Seiten starken frei verfügbaren Gutachten gibt der DGB konkrete Empfehlungen ab, wie sich mögliche Regelungslücken am besten schließen ließen. Erstellt haben das Gutachten die ehemalige Richterin am Europäischen Gerichtshof, Ninon Colneric, und der zum Thema Whistleblowing promovierte Rechtswissenschaftler Simon Gerdemann.
Regelungen in ein neues Gesetz packen
Geht es nach den Autor:innen, sollten die EU-Regeln in ein eigenständiges, klar strukturiertes Whistleblower-Gesetz einfließen. Darin sollte der Anwendungsbereich auf nationale Sachverhalte ausgeweitet werden. Generell seien Whistleblower dann zu schützen, wenn sie schwerwiegende Missstände melden, deren Meldung oder Offenlegung im öffentlichen Interesse ist.
Dies kann aber nur das absolute Minimum sein. Whistleblower müssten effektiv vor arbeitsrechtlichen Sanktionen und sonstigen Repressalien geschützt werden, fordern die Autor:innen, „einschließlich einer Beweislastumkehr zugunsten von Whistleblowern und verschuldensunabhängiger Schadenersatzansprüche“.
Zudem müssten Änderungen am deutschen Gesellschaftsrecht folgen. Derzeit hindern Verschwiegenheitspflichten von Mitgliedern in Verwaltungs-, Leitungs- und Aufsichtsorganen mögliche Whistleblower daran, Missstände zu melden. Dieses Dilemma müsse aufgelöst werden, fordert das Gutachten. Arbeitnehmervertreter in deutschen Aufsichtsräten etwa sollten künftig das Recht haben, sich mit Informationen über Verstöße unmittelbar an die zuständigen Behörden zu wenden.
„Die Richtlinie definiert den untersten Standard“, sagt das DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel in einer Pressemitteilung. Jetzt gehe es darum, darüber hinausgehende Regelungen für den Schutz von Whistleblowern zu schaffen. Schließlich zeigen deutsche Wirtschaftsskandale der letzten Jahre, vom Diesel über Wirecard bis jüngst zu den nicht eingehaltenen Infektionsschutzregeln in den Großschlachtereien, dass noch einiges im Argen liegt.
Das unterste Limit ist eigentlich: Edward Snowden muss unbeschwert nach Berlin umziehen können, dann haben wir Whistleblowerschutz – alles darunter ist fake.