Unberechtigte DatenabfragenDatenschützerin wirft Berliner Polizei vor, Aufklärung zu verweigern

Erneut besteht der Verdacht, dass von Berliner Polizeicomputern unberechtigt persönliche Daten abgerufen wurden. Ausgangspunkt für die Nachforschungen der Berliner Datenschutzbeauftragten war eine Morddrohung. Doch statt mit an der Aufklärung zu arbeiten, mauert die Polizei offenbar.

Ein Berliner Polizist hat womöglich die Daten politischer Gegner:innen aus Polizeicomputern abgerufen und für eine Morddrohung verwendet (Archivbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Guillaume Tronel

Maja Smoltczyk erhebt schwere Vorwürfe gegen die Berliner Polizei. In einem erneuten Fall möglicherweise missbräuchlicher Datenabfragen durch einen Polizisten verweigere ihr die Behörde die Zusammenarbeit, kritisiert die Landesdatenschutzbeauftragte Berlins. Smoltczyk spricht deshalb eine Beanstandung aus und kündigte in einer Pressemitteilung [PDF] an, den Fall notfalls vor das Abgeordnetenhaus zu bringen.

Hintergrund ist der Datenschutzbehörde zufolge eine Drohung mit mutmaßlich rechtsextremem Hintergrund. Eine Person, die bereits in der Vergangenheit rechtsextremer Gewalt ausgesetzt war, hatte eine Morddrohung in Form einer Schmiererei an der Wand ihres Wohnhauses erhalten. Dort stand: „9mm für [Name der betroffenen und weiterer Personen]. Kopfschuss“.

Die Person hatte sich an die Datenschutzbehörde gewandt und so eine Untersuchung ausgelöst. Im Zuge der Nachforschungen fragte die Datenschutzbehörde bei der Polizei an, ob persönliche Informationen der bedrohten Menschen in zeitlichem Zusammenhang mit der Tat aus Polizeidatenbanken abgerufen wurden. Smoltczyk zufolge bestätigte die Polizei mehrere Zugriffe auf die Daten zweier Betroffener, konnte jedoch nur in einem der Fälle einen dienstlichen Grund nachvollziehbar machen.

Politische Brisanz

Als die Datenschutzaufsicht nachhakte, soll sich die Polizeibehörde geweigert haben, die anderen Datenbankzugriffe zu begründen. Auch ein Brief an die Polizeipräsidentin Barbara Slowik, in dem Smoltzyk auf die politische Brisanz des Falles aufmerksam machte, habe nichts bewirkt.

Seitdem immer mehr Fälle öffentlich bekannt werden, in denen Menschen rassistische und rechtsextreme Drohbriefe auf privaten Kanälen erhalten haben, nachdem ihre Kontaktdaten von Polizeicomputern abgefragt wurden, gibt es eine Diskussion über rechtsextreme Netzwerke in der Polizei und die mangelhafte Kontrolle des polizeilichen Datenwesens. Auch die Berliner Polizei machte bereits Schlagzeilen, weil ein Polizist erwiesenermaßen Informationen über linke Aktivist:innen aus Polizeidatenbanken sammelte und ihnen dann Drohbriefe zukommen ließ.

Smoltczyk bezeichnet das Verhalten der Polizei in diesem Kontext als „äußerst irritierend“ und kündigte an, den Vorgang dem zuständigen Ausschuss des Abgeordnetenhauses vorzulegen, falls auch die Beanstandung ignoriert werde:

Die Berliner Polizeibehörde offenbart durch die hartnäckige Verweigerung ihrer Mitwirkung ein bedenkliches Rechtsverständnis. Die lückenlose Aufklärung der vorliegenden sowie vergleichbarer Bedrohungen liegt auch im Interesse von Polizeibehörden, die derzeit aufgrund der sich häufenden Fälle von unrechtmäßigen Datenabfragen und Kontakten zum rechtsextremen Spektrum im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Alle öffentlichen Stellen des Landes Berlin sind verpflichtet, mit meiner Behörde als Aufsichtsbehörde für den Datenschutz zusammenzuarbeiten. Sollte sich eine Stelle diesen Pflichten so vehement entziehen, wie es vorliegend der Fall ist, muss dies auch politisch thematisiert werden.

Kuriose Begründung

Die Berliner Polizei konnte bis zum Erscheinen dieses Artikels noch nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen, kündigte jedoch für den Donnerstagabend ein Statement an.

Kurios ist die Begründung, mit der die Polizei weitere Auskünfte verweigert haben soll. Der Datenschutzbehörde zufolge verwies die Polizei auf das Zeugnisverweigerungsrecht des betroffenen Beamten und meldete Zweifel an der Qualität der Datenschutzbeschwerde der betroffenen Person an. Beides sind laut Smoltczyk keine legitimen Gründe, um die im Berliner Datenschutzgesetz vorgesehene Kooperation der Polizei mit der Aufsichtsbehörde zu verweigern.

Wie netzpolitik.org berichtete, können Berliner Polizist:innen auf insgesamt mehr als 130 Datenbanken zugreifen und so eine sehr große Bandbreite persönlicher Informationen über Menschen in Erfahrung bringen. Dabei kommt es immer wieder zu Datenschutzverstößen. Neben dem bereits erwähnten Fall der missbräuchlichen Verwendung für Drohbriefe machte die Polizei erst Ende 2019 Schlagzeilen, weil sie seit Jahren keine Daten mehr gelöscht hatte. Auch damals sprach Smoltczyk eine Beanstandung aus.

Anders als in den Vorgaben der EU zum behördlichen Datenschutz vorgesehen, hat die Aufsichtsbehörde in Berlin keinerlei Mittel zur Verfügung, direkt auf die Polizei einzuwirken. Die rot-rot-grüne Regierung hatte bei der Überarbeitung des Datenschutzgesetzes 2018 darauf verzichtet, der Datenschutzaufsicht auch direkte Anordnungen gegenüber staatlichen Stellen zu ermöglichen. Die Beanstandung ist somit das schärfste Schwert, das der Berliner Datenschutzbeauftragten zur Verfügung steht.


Update, 14.8.2020: Die Polizeibehörde hat in der Zwischenzeit eine Stellungnahme veröffentlicht. Darin weist sie den Vorwurf mangelnder Kooperation zurück und spricht von unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Die erklärenden Abschnitte geben wir hier ungekürzt wieder:

Die in Rede stehenden Abfragen wurden standardgemäß systembedingt protokolliert, die entsprechenden Auswertungen der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit zur Verfügung gestellt. Aus der Protokollierung lässt sich – entgegen der Annahme der Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit – die Plausibilität und eine erste Begründung des Zugriffs ableiten, die Rechtmäßigkeit abschließend jedoch nicht. Um die genaue Begründung für die Abfrage in Erfahrung zu bringen, sind weitergehende Ermittlungen erforderlich. Dazu bedarf es eines konkreten Verdachts einer Ordnungswidrigkeit oder Straftat, auf dessen Grundlage wiederum ein entsprechendes Verfahren einzuleiten wäre.

Das für Beamtendelikte zuständige Dezernat des Landeskriminalamtes konnte keine Anhalte für eine unbefugte Datenverarbeitung feststellen, daher wurde die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit um eine rechtliche Einordnung des Sachverhalts als Ordnungswidrigkeit oder Straftat gebeten. Da sich ihre Anfrage jedoch auf einer Vermutung begründete, weigerte sie sich den erforderlichen Anfangsverdacht zu erklären und ein Verfahren einzuleiten bzw. einleiten zu lassen. Trotz dessen sollten weitere Ermittlungen angestellt werden. In einem Rechtsstaat verbietet sich jedoch eine solche Vorgehensweise.

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8 Ergänzungen

  1. Ein Interview, welches die Tageszeitung taz mit Frau Smoltczyk im April ’19 führte beschreibt sehr gut das schwierige Verhältnis zwischen Berlins oberster Datenschützerin und der Hauptstadt Polizei. So hatte Frau Smoltczyk die Berliner Polizei in einem zurückliegenden Fall erst auf die richtige Spur gebracht, wie nachfolgend zu lesen ist.

    „Der Fall ist noch nicht erledigt“ (taz Berlin, 11.04.19)

    https://taz.de/Datenschuetzer-ueber-Drohbriefe-an-Linke/!5584671/

  2. Als die Datenschutzaufsicht nachhakte, soll sich die Polizeibehörde geweigert haben, die anderen Datenbankzugriffe zu begründen. Auch ein Brief an die Polizeipräsidentin, in dem Smoltzyk auf die politische Brisanz des Falles aufmerksam machte, habe nichts bewirkt.

    Die Aufsichtsbehörde der Landespolizeibehörde ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Und die Behördenleitung hat seit 2018 Frau Barbara Slowik inne. Ehre wem Ehre gebührt.

  3. Zitat von oben: „Die Berliner Polizei konnte bis zum Erscheinen dieses Artikels noch nicht zu den Vorwürfen Stellung nehmen, kündigte jedoch für den Donnerstagabend ein Statement an.“

    Laut RBB24 gab es wohl noch ein Statement, was leider nirgendwo in Gänze online ist:
    https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2020/08/berlin-datenschutzbeauftragte-polizei-konflikt-datenabfragen.html

    Die Worte „rege“ und „intensiv“ deuten auf heftigen Streit hin. „Im konkreten Fall besteht lediglich eine unterschiedliche Rechtsauffassung, die im Rahmen reger Korrespondenz bereits intensiv erörtert wurde.“ (Zitat via RBB24)

  4. Da fehlen im Zitat ein paar Leerzeichen: „vorliegendensowievergleichbarerBedrohungen“ und „Öffentlichkeitstehen“.

    Grüße, M.

  5. Konnte sich die Datenschutzbeauftragte inzwischen durchsetzen?

    Ich beneide die Polizei darum, dass sie Nazis einfach ausschließen kann.
    – Eine Option, die uns als Gesamtgesellschaft ja leider nicht zur Verfügung steht,
    (wir müssen den anstrengenden Weg: Jan Böhmermanns reconquista Internet, Florian Schröders Hegel-Vortrag in Stuttgart, … , nehmen) –
    warum sieht die Polizei dieses Privileg nicht: warum arbeiten sie nicht zusammen mit der Datenschutzbeauftragten, um voran zu kommen – das ist für mich unverständlich bezogen auf das Selbstverständnis der Polizei?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.