Jeden Tag gibt es neue Meldungen über die EU-Urheberrechtsreform, am meisten Aufmerksamkeit bekommen dabei die befürchteten Upload-Filter und die enthaltene Neuauflage des Leistungsschutzrechts. Auch wenn das leicht in Vergessenheit gerät: Eigentlich wird schon seit fast drei Jahren über die geplanten Änderungen diskutiert. Da kann man schon mal den Überblick verlieren, vor allem beim EU-Gesetzgebungsprozess.
Wir haben die Ereignisse der letzten drei Jahre sortiert und geben einen Ausblick, was jetzt noch bevorsteht.
16. Juni 2015: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments beschließt einen Bericht zum Urheberrecht von Julia Reda. Damit fordert das Parlament die EU-Kommission auf, die bestehenden Urheberrechtsregeln zu prüfen und zu reformieren.
14. September 2016: Die EU-Kommission legt den ersten Entwurf für eine Richtlinie „über das Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt“ vor. Der damalige Digital-Kommissar Günther Oettinger präsentiert zusammen mit Vize-Kommissionschef Andrus Ansip die Pläne, die Kritik an der ersten Version der Urheberrechtsreform ist massiv.
Der Kommissionsentwurf geht ins Parlament
20. Februar 2017: In einem Berichtsentwurf lehnt die für den Verbraucherausschuss des EU-Parlaments zuständige Berichterstatterin Catherine Stihler den Vorschlag der Kommission ab.
10. März 2017: Der für die Urheberrechtsreform federführende Rechtsausschuss des EU-Parlaments veröffentlicht den Berichtsentwurf der EU-Parlamentarierin Therese Comodini Cachia. Sie ist zu diesem Zeitpunkt die Berichterstatterin und somit verantwortliche Abgeordnete für das Gesetz.
22. März 2017: Der Rechtsausschuss diskutiert über den Entwurf. Die Verhandlungsführerin Comodini Cachia spricht sich gegen den Entwurf von Oettinger aus.
11. Mai 2017: Der Parlamentsausschuss für den Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) diskutiert über seine Position zum Kommissionsentwurf.
8. Juni 2017: IMCO stimmt über die Stellungnahme des Ausschusses ab, auf eine gemeinsame Position einigen konnten sich die Ausschussmitglieder nicht. Zwar lehnt ein Großteil der Parlamentarier Upload-Filter ab, eine Mehrheit für eine Ablehnung des Leistungsschutzrechts bildet sich jedoch nicht.
Ab jetzt ist Axel Voss zuständig
15. Juni 2017: Der CDU-Politiker Axel Voss löst die maltesische Parlamentarierin Comodini Cachia als Berichterstatter für die Urheberrechtsreform ab, da sie das EU-Parlament verlässt.
11. Juli 2017: Sowohl der Industrie- als auch der Kulturausschuss stimmen über ihre Stellungnahmen zur Urheberrechtsreform ab. Der Industrieausschuss macht einen halbgaren Vorschlag, um Upload-Filter zu entschärfen, der Kulturausschuss würde mit seiner Stellungnahme die Situation noch verschlimmern und sogar Uploads zu Cloud-Diensten filtern.
20. November 2017: Der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) beschließt seine Position und spricht sich gegen Upload-Filter aus. Plattformen sollen bei ihnen eingestellte Inhalte nicht generell überwachen müssen. Zum Leistungsschutz äußert sich der Ausschuss nicht.
25. Mai 2018: Der Rat der EU beschließt seine Position, Upload-Filter und Leistungsschutzrecht inklusive, und erteilt mehrheitlich das Verhandlungsmandat. Deutschland stimmt dagegen.
Der Entwurf wackelt im EU-Parlament
20. Juni 2018: Der federführende Rechtsausschuss im EU-Parlament beschließt seine Änderungsanträge – pro Upload-Filter und Leistungsschutzrecht. Nun geht es ins Plenum des Parlaments, das üblicherweise den Vorschlag des federführenden Ausschusses absegnet. Eine reine Formsache.
5. Juli 2018: Paukenschlag: Das EU-Parlament winkt den Textvorschlag des Rechtsausschusses nicht durch.
12. September 2018: Das Parlament stimmt erneut ab. Die Mehrheit der Abgeordneten winkt den Vorschlag in dieser zweiten Abstimmung durch. Damit ist der Weg für den Trilog geebnet, in dem EU-Parlament, Kommission und Rat einen Kompromiss zwischen ihren jeweiligen Positionen verhandeln.
Verhandlungen hinter verschlossenen Türen
Oktober 2018 bis Februar 2019: Im Trilog ringen Parlament, Kommission und Rat hinter geschlossenen Türen um den endgültigen Gesetzestext.
18. Januar 2019: Die Verhandlungen geraten ins Stocken, da elf Länder im Rat den erarbeiteten Kompromissvorschlag blockieren – darunter auch Deutschland. Die größten Streitpunkte sind weiterhin Artikel 11 und 13, die ein neues Leistungsschutzrecht festsetzen und Betreiber von größeren Internetplattformen dazu zwingen würden, Inhalte vor der Veröffentlichung nach Urheberrechtsverletzungen zu filtern.
13. Februar 2019: Die Trilog-Verhandler geben bekannt, dass sie sich auf einen gemeinsamen Text zur Urheberrechtsreform geeinigt haben. Der finale Text enthält, aller öffentlichen Kritik zum Trotz, Upload-Filter und ein neuerliches Leistungsschutzrecht.
19. Februar 2019: Der Rechtsausschuss des Parlaments diskutiert über das Ergebnis des Trilogs. Berichterstatter Axel Voss dementiert, dass der Text überhaupt Upload-Filter enthalte und zieht damit Spott und Kritik auf sich.
20. Februar 2019: Im Rat der EU wird der Kompromiss aus den Trilog-Verhandlungen abgesegnet. Deutschland stimmt dem finalen Text zu. Das steht im Widerspruch zum Koalitionsvertrag zwischen SPD und Union, in dem Upload-Filter als unverhältnismäßig bezeichnet werden.
Alles zu spät?
26. Februar 2019: Der Rechtsausschuss des EU-Parlaments stimmt dem Verhandlungsergebnis zu. 16 von 25 Ausschussmitgliedern befürworten die Richtlinie.
Irgendwann zwischen Ende März und Anfang April stimmt das EU-Parlament final über das Gesetz ab. Am Text der Einigung zwischen Rat, Kommission und Parlament lässt sich nicht mehr rütteln. Das EU-Parlament könnte die Reform als Ganzes ablehnen, das ist in der Vergangenheit jedoch nur selten vorgekommen. Doch der öffentliche Druck ist groß, an vielen Orten in ganz Europa organisieren breite Bündnisse Demonstrationen gegen die Richtlinie.
Erwähnenswert ist bei der faktischen Zustimmung Deutschlands zu den verdeckt erzwungenen Upload-Filtern, die ja laut Koalitionsvertrag gerade nicht kommen sollten, dass es zeitgleich zu den Trilog-Verhandlungen einen Konflikt zwischen Frankreich und Deutschland gab.
Frankreich war dabei von der vorherigen Zustimmung zu North Stream II abgerückt. Nachdem Deutschland in den Trilog-Verhandlungen die Upload-Filter geschehen lässt, lässt Frankreich wohl North Stream II geschehen.
Ob das Koinzidenz oder ein politischer Kuhhandel ist mag sich der geneigte Leser selbst überlegen.
Es ist aber vermutlich ein ganz wesentlicher Faktor – auch in Hinblick auf den Rückenwind, den ein offenkundig inkompetenter Herr Voss jetzt von den Befürwortern bekommt und den medialen Schleusen, die sich für die Verbreitung von höchst tendenziösen Informationen gerade öffnen. Die Mainstream-Medien bieten den Halb- und Unwahrheiten reichhaltig Raum, ohne dass ein Vertreter der „anderen Seite“ die vollständige Faktenlage darstellen oder auch die „Klarstellungen“ der Rechte-Industrie an z.B. Voss’schen Fehlinformationen daneben gestellt würden.
Umgekehrt kann es im EU-Parlament natürlich auch sein, dass – sofern man im finalen Schritt eine geheime Abstimmung durchsetzen kann – eine Reihe von deutschen EVP-Politikern umstimmen kann. Denn es widerspricht eben dem Koalitionsvertrag, u.U. wurde es durch Frankreich fremd-erzwungen und durch #NieWiederCDU & Co. könnte sich ein heilsamer Druck Richtung Europawahlen entfalten ..
Weiter so!!
Ich weiss Nicht, ob auch eine andere Sicht der Dinge zugelassen ist, aber welche Vorschläge gibt es dafür, dass z.b. YouTube Milliarden Profite macht auch mit Content den andere produziert haben?
Bisher zahlen sie ja nur an die, mit denen Sie ihre deals gemacht haben. Die Urheber selbst gehen bisher relativ leer aus. Sagen sie zumindest.
https://www.bffs.de/2019/02/23/gastbeitrag-von-micki-meuser/
Wir haben bei vginfo.org eine ähnliche Chronik für alles, was mit Art. 12 zusammenhängt: http://www.vginfo.org/chronik.html