Urheberrecht im Koalitionsvertrag: Zwischen „modernen Nutzungsformen“ und einem EU-Leistungsschutzrecht

Ein zeitgemäßes Urheberrecht ist Voraussetzung für die Realisierung digitaler Potentiale für Zugang zu Wissen genauso wie für eine lebendige und freie Netzkultur. Im Vergleich mit dem Koalitionsvertrag von 2013 sind die Pläne der GroKo 2018 ein Fortschritt, mit dem Bekenntnis zum EU-Leistungsschutzrecht als großem Wermutstropfen.

Diese Montage ist Teil eines Mems, dass den Strandskandal des republikanischen Politikers Chris Christie auf den Arm nimmt. Beide Bilder sind urheberrechtlich geschützt. Eine harte Rechtsdurchsetzung würde digitale Remixkultur erschweren. CC-BY 2.0 cambodia4kidsorg

Eine Beurteilung des Koalitionsvertrags der GroKo 2018 (PDF) hinsichtlich des Urheberrechts sollte am Besten mit einem Blick zurück auf die entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag der GroKo 2013 (PDF) beginnen. Als erstes fällt dabei auf, dass der Teil Urheberrecht radikal eingedampft wurde. Während 2013 noch 14 Absätze mit knapp 4.500 Wörtern dem Thema „Reform des Urheberrechts“ gewidmet waren, sind es 2018 gerade einmal 3 Absätze mit 1.650 Wörtern. Hauptgrund dafür ist aber vor allem, dass das Thema 2018 an verschiedensten Stellen des Koalitionsvertrags verhandelt wird, was dem Querschnittscharakter des Urheberrechts in einer digitalen Gesellschaft durchaus besser entspricht.

Es wurde aber auch auf so manche Floskel („Bewusstsein für den Wert geistigen Eigentums in der Gesellschaft“) verzichtet und schlechte Ideen wie Warnhinweise oder Verschärfungen bei der Rechtsdurchsetzung über internationale Verträge haben es nicht mehr in den Koalitionsvertrag geschafft. Im Gegenteil, die erfreulichste Passage in Sachen Urheberrecht betrifft genau die Gefahr exzessiver Rechtsdurchsetzung, wie sie die EU-Kommission in Form von Upload-Filtern plant. Im Kapitel „Digitales Europa“ werden diese nämlich ganz klar abgelehnt:

Eine Verpflichtung von Plattformen zum Einsatz von Upload-Filtern, um von Nutzern hochgeladene Inhalte nach urheberrechtsverletzenden Inhalten zu „filtern“, lehnen wir als unverhältnismäßig ab.

Bekenntnis zum EU-Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Der größte Widerspruch zu einem digitalen Europa findet sich jedoch gleich im ersten Satz des Abschnitts zum Urheberrecht, mit dem sich die Koalitionspartner zu einem Export des deutschen Leistungsschutzrechts (LSR) für Presseverleger nach Brüssel bekennen:

Im Urheberrecht unterstützen wir nachdrücklich eine zeitnahe Regelung zur Verlegerbeteiligung bei den Verwertungsgesellschaften und stärken die Position der Verleger auf europäischer Ebene durch eine eigene Rechtsposition.

Im Koalitionsvertrag 2013 fand das LSR keine Erwähnung, da es erst kurz vor der Wahl für Deutschland beschlossen und eine Evaluierung versprochen worden war. Hierzulande kam es nie zu dieser Evaluierung, eine Studie im Auftrag des Rechtsausschusses des EU-Parlaments kam aber zu einem vernichtenden Urteil. Dieser Kniefall vor der Presseverlegerlobby ist deshalb umso bedauerlicher. [Update, 9.2.2018, 12:45] Kritiker des LSR für Presseverleger wie die Initiative gegen ein LSR (IGEL) oder die EU-Abgeordnete Julia Reda lesen die oben zitierte Passage als weniger eindeutiges Bekenntnis sondern als ein Abrücken vom LSR hin zur Einführung einer bloßen Vermutungsregel für Presseverlage im Zuge der Rechtsdurchsetzung. Das wäre dann auf Linie der ehemaligen Berichterstatterin des EU-Parlaments Therese Comodini-Cacha und auch eine Verbesserung zur bisherigen Regierungslinie. [/Update]

Kryptischer Verweis auf „moderne Nutzungsformen“

Vorsichtig optimistisch stimmt hingegen ein vages Versprechen, „moderne Nutzungsformen“ in „das System der Vergütung für gesetzlich erlaubte Nutzungen“ einzubeziehen. Denn was, wenn nicht Memes und Online-Remixes sollen derartige „moderne Nutzungsformen“ (S. 132) sein. Hinter dieser Formulierung könnte sich also eine verklausulierte Öffnung in Richtung eines vergüteten Recht auf Remix verbergen.

Andererseits wird ähnlich kryptisch im Abschnitt zu „Kultur- und Kreativwirtschaft“ (S. 171) postuliert, dass

[d]ie europäischen Bemühungen um eine Urheberrechtsreform nicht hinter den deutschen Rechtsstandard zurückfallen [dürfen].

Gleich dreimal Thema: Haftungsprivilegien von Hostprovidern

Dort wird auch versprochen, die für nutzergenerierte Inhalte wichtigen, von der Rechteinhaberlobby aber kritisierten Haftungsprivilegien von Hostprovidern wie z.B. YouTube zu überprüfen (S. 171). Etwas, das auch schon 2013 angekündigt worden war und 2018 an noch an zwei weiteren Stellen Eingang in das Papier fand:

  • 2013: „Wir wollen die Rechtsdurchsetzung insbesondere gegenüber Plattformen verbessern […] dafür sorgen, dass sich solche Diensteanbieter nicht länger auf das Haftungsprivileg, das sie als sogenannte Hostprovider genießen, zurückziehen können“
  • 2018: „Bei der Revision der E-Commerce-Richtlinie werden wir prüfen, ob es […] eine Weiterentwicklung der Hostproviderhaftung und einer Konkretisierung des Notice-and-Takedown-Verfahrens bedarf.“ (S. 49) sowie „Zudem wollen wir die Stellung von Rechteinhabern gegenüber Internetprovidern verbessern, die sich an der öffentlichen Zugänglichmachung von Werken beteiligen.“ (S. 132)

Was genau diese gleich dreifach versprochene Überprüfung von Haftungsprivilegien bedeuten könnte, ist allerdings unklar, soll doch „[a]m Grundsatz der bewährten abgestuften Haftungsprivilegierung“ (S. 49) festgehalten werden.

Ebenfalls überlebt hat das bislang uneingelöste Versprechen, die Streitbeilegung von pauschalen Vergütungsansprüchen zu beschleunigen:

  • 2013: „Wir wollen Verhandlungen und Streitigkeiten über die Höhe der Privatkopievergütung schneller, effizienter und einfacher gestalten und werden eine Hinterlegungspflicht für gesetzliche Vergütungsansprüche einführen.“
  • 2018: „Wir streben an, das gegenwärtig zeitaufwändige Schiedsstellenverfahren in einen schnelleren Entscheidungsprozess zu überführen.“

Fortschritte bei Open Access und Open Education

Daneben finden sich im Koalitionsvertrag Selbstverständlichkeiten wie die europarechtlich gebotene Umsetzung des Marrakesh-Vertrags zugunsten blinder und sehbehinderter Menschen und die Evaluierung des nur befristet beschlossenen „Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz“. Letzteres soll durch eine nationale Open-Access-Strategie flankiert werden, wonach Empfänger von Fördermitteln im Rahmen der Projektförderung des Bundes verpflichtet werden sollen, ihre Publikationen mittels offener Lizenzen frei verfügbar zu machen.

Eine ähnliche kontinuierliche Weiterentwicklung wie bei Open Access für Forschungsergebnisse findet sich auch bei offenen Lehr- und Lernunterlagen, die 2013 unter dem Begriff „digitale Lehrmittelfreiheit“ Erwähnung gefunden hatten. 2018 ist hier bereits von „einer umfassenden Open Educational Resources-Strategie“ die Rede. Es sollen „die Entstehung und Verfügbarkeit, die Weiterverbreitung und den didaktisch fundierten Einsatz offen lizenzierter, frei zugänglicher Lehr- und Lernmaterialien“ gefördert und „geeignete Qualitätssicherung“ etabliert werden.

Fazit

Gäbe es nicht das Bekenntnis zur Europäisierung des in Deutschland gescheiterten LSR für Presseverleger, die Pläne der GroKo im Urheberrechtsbereich wären größtenteils ein Fortschritt verglichen mit dem letzten Koalitionsvertrag aus 2013. Gleichzeitig fehlt es aber weiterhin an einem Bekenntnis zu einer stärkeren Harmonisierung im EU-Urheberrecht, wie es für ein „digitales Europa“ notwendig wäre. Ermutigend ist aber jedenfalls die weitere Forcierung von Open-Access- und Open-Education-Strategien, diesbezügliche Aktivitäten der letzten Jahre haben hier erkennbar Früchte getragen.

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