Netzpolitischer Wochenrückblick KW 29: Für die Polizei ist Alexa auch nur ein Computer

Der ehemalige Verfassungsschutz-Chef trollt auf Twitter, der Bundestag gräbt sich ein und die Telekom leckt ihre Wunden. Und während es Ursula von der Leyen jetzt an die Spitze der EU-Kommission zieht, ist ein ehemaliger Beamte aus diesem Haus innerhalb kürzester Zeit zum Lobbyisten geworden.

Dies ist keine Nickelbrille. – CC0 Pixabay

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Zu Beginn ein kurzer Werbeblock: Am 13. September feiern wir in der Volksbühne Berlin mit unserer „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz und einer anschließenden Party unseren 15. Geburtstag. Tickets gibt es im Vorverkauf. Noch könnt ihr Einreichungen zum Programm und zur Party machen.

Laut Klickzahlen ist das Thema der Woche für unsere Leserinnen klar Hans-Georg Maaßen. Nun könnte man sagen, Twitter-Trolle besser nicht füttern, lieber alleine lassen – aber es ist eben nicht irgendein Troll, sondern der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, der hier seine wirren Thesen mit Verlinkungen auf rechte Blogs belegt. Was das für den Verfassungsschutz als Behörde bedeutet, beleuchtet und kommentiert Markus Reuter.

Nein, wir wollen keine neuen Berechtigungen zum Abhören von Smart-Home-Geräten, hatten die Innenminister vor einem Monat gesagt. Warum, wird jetzt klar: Weil die Bundesregierung der Meinung ist, dass sie das schon lange darf. Amazon Echo, Google Home und Co. seien eben auch nur Computer, die Polizei behandelt sie genauso wie Smartphones oder Disketten.

Von der Berateraffäre zu den Baustellen in Brüssel

Die EU hat eine bewegte Woche hinter sich: Ursula von der Leyen wurde zur neuen Kommissionspräsidentin gewählt. Wir untersuchen die netzpolitischen Baustellen, vor denen sie in Brüssel nun steht. Ihr bisherigen Leistungen in unserem Ressort sind: Nun ja, sagen wir, sie lassen stark zu wünschen übrig. Die Kollegen von golem.de geben einen ausführlichen Überblick.

Auch ansonsten sind die Meinungen über die Personalie geteilt. Irgendwo zwischen „wahnsinnigem Informationsdefizit“, fließendem Englisch und Französisch, „Tempo“ und „wolkigen Versprechen“ versteckt sie sich. Übrigens: Wer den Namen von von der Leyens Nachfolgerin im Verteidigungsministerium weniger oft lesen möchte , sollte diesem Firefox-Plugin eine Chance geben.

Die Kommission wartet nicht untätig auf ihre neue Präsidentin: Sie arbeitet schon an einem neuen Gesetz für digitale Plattformen, das die rund zwanzig Jahre alte e-Commerce-Richtlinie ersetzen könnte. Momentan sehr vieldiskutierte Themen wie Desinformation und Online-Werbung könnten mit dem neuen Gesetz geregelt werden. Wir veröffentlichen das Arbeitspapier im Volltext.

Einig war sich die Kommission mit dem Parlament: Spionagesoftware sollte beim Export stärker kontrolliert werden. Doch die Mitgliedstaaten haben das im Rat nun abgelehnt. Daniel Moßbrucker berichtet vom Frust der Parlamentarier über den Rat, der sich nach zwei Jahren nur auf das Blockieren einigen konnte.

Für jeden Telekommunikationsanbieter was dabei

Wir hoffen, dass sie jetzt nicht aus Enttäuschung Reinald Krueger zum Vorbild nehmen. Er war zehn Jahre hochrangiger Beamter für die Regulierung von Telekommärkten, bis er letztes Jahr zu Vodafone ging. Die eigentlich strengen Vorschriften für den Wandel zum Lobbyisten nimmt er nicht ganz so genau. Auch die Kommission sieht keinen Regelverstoß, Vodafone freut sich sowieso.

Wohl auch darüber, dass sie Unitymedia übernehmen dürfen. Das hat die Kommission ein Jahr nach der Ankündigung der Pläne entschieden. Das ärgert die Telekom, die diese Woche eine weitere Niederlage hinnehmen musste: Das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen – oder, wie die Kenner sagen, das OVG NRW – beschied das Aus für das Telekom-Angebot StreamOn in seiner aktuellen Form. Der Streit schwelt bereits seit Jahren, nun bestätigt auch dieses Gericht: StreamOn verstößt gegen die Netzneutralität und EU-Roaming-Regeln.

Burggräben in Berlin

Deutschland arbeitet an der Umsetzung der EU-Urheberrechtsreform. In der Debatte um Artikel 13 hatte die CDU versprochen, sich gegen Uploadfilter in der deutschen Gesetzgebung einzusetzen, dieses Versprechen wird nun getestet: Die nationale Umsetzung beginnt.

Berlin braucht bekanntlich manchmal ein bisschen länger. Diesmal geht es um den lange versprochenen Digitalpakt für Schulen, der Bildungseinrichtungen den Einstieg ins Internetzeitalter erleichtern soll. Erst ein winziger Teil der Fördergelder ist bisher verfügbar. In Berlin kann man sie nicht einmal beantragen.

Dafür mangelt es nicht an Begeisterung für mehr Sicherheit im Regierungsviertel: Vor dem Bundestag soll ein 2,5 Meter tiefer Burgraben gezogen werden. Das eine Absage an Offenheit und Bevölkerungsnähe, wie Markus Reuter kommentiert.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) durchsucht mit Künstlicher Intelligenz Anhörungsprotokolle. So sollen „sicherheitsrelevante“ Informationen gefunden werden. Die werden dann mitunter auch an den Verfassungsschutz weitergeleitet.

Gesichtserkennung wurde nicht nur am Berliner Südkreuz getestet, es gibt sie schon länger an Flughäfen. Neu ist, dass jetzt auch Kinder ab einem Alter von zwölf Jahren durch die sogenannten eGates laufen können. Bisher geht das nur bei Flügen über die Grenzen der EU. Eher kurios: Auch die Erfassung von Tiergesichtern boomt weltweit.

Google, Facebook, Amazon: ein Dreiklang

Meredith Whittaker war eine der profiliertesten Google-kritischen Stimmen innerhalb des Konzerns. Seit dieser Woche arbeitet sie dort nicht mehr. Nach Protesten gegen den Umgang mit sexueller Belästigung und die Zusammenarbeit mit dem chinesischen Regime waren schon andere Kritikerinnen regelrecht herausgemobbt worden. Dieser Umgang mit Whistleblowerinnen wirft kein gutes Licht auf Google, schreibt Chris Köver.

Fünf Milliarden US-Dollar klingen nach viel, für Facebook ist die Strafe anscheinend kaum wichtiger als ein per Brief verschickter Poop-Emoji. Der Aktienkurs stieg weiter an, ein „leichter Schlag auf das Handgelenk“ sei die Zahlung, so Kritiker. Alexander Fanta fordert strukturelle Veränderungen.

Auch gegen Amazon läuft in Europa nun ein Wettbewerbsverfahren. Das Unternehmen nutzt Marktplatzdaten anderer Händler, um die eigenen Produkte zu optimieren, glaubt die EU-Kommission. Sie prüft nun ein illegales und wettbewerbswidriges Verhalten.

Immer mehr grundlegende Dienste erfordern, dass die Nutzer ein Smartphone haben und proprietäre Apps installieren. Es könnte sein, dass auch ihr eine App eurer Bank installieren müsst, weil sie euch sonst keine TANs mehr zukommen lässt. Lennart Mühlenmeier kommentiert diese Entwicklung und erklärt, warum das der falsche Weg in die digitale Zukunft ist.

Datenschutz mal ganz praktisch

Meldesperren dürfen kein Luxus sein, fordert die Bremer Datenschutzbeauftragte Imke Sommer. Bisher braucht es einen expliziten Nachweis einer drohenden Gefahr, der auch noch alle zwei Jahre erneuert werden muss. Wir geben zehn konkrete Beispiele, warum leichtere Auskunftssperren dringend notwendig wären. In den Ergänzungen habt ihr noch einige gute Szenarien hinzugefügt. Danke dafür!

Ein einziger Pixel reicht, um E-Mails zu Tracking-Tools zu machen. Wir schildern, wie man dagegen vorgehen kann. Felix Schwenzel gibt bei piqd.de noch einige Hinweise zu personalisierten Links in Newslettern, die auch zuhauf für das Tracking genutzt werden.

Wirklich menschenverachtende Erfassung führt gerade der rechtsradikale italienische Innenminister Matteo Salvini ein: Sinti und Roma sollen erfasst werden, um sie leichter abschieben zu können. Auch Deutschland hat hier eine unrühmliche Geschichte: von der „Landfahrerkartei“ bis zu Personengebundenen Hinweisen mit der Kategorie „wechselt häufig Aufenthaltsort“, deutsche Polizeien erfassen Roma und Sinti mithilfe von Stellvertreter-Kategorien.

netpolitics.org in English

Wir haben diese Woche auch über einige Themen auf Englisch veröffentlicht: Vom Artikel zu Claudio Agostis Forschung zum Facebook-Algorithmus über das Alexa-Gutachten des wissenschaftlichen Diensts bis hin zur Ausweitung der indischen Biometriedatenbank Aadhaar. Auch die Texte zum schon erwähnten Arbeitspapier zur Plattformregulierung und dem Zank über die Exportkontrollen auf Spionagesoftware haben wir übersetzt. So viele werden es wohl nicht jede Woche. Aber falls ihr euren englischsprachigen Freunden am Wochenende mal zeigen wollt, worüber wir berichten: Alle unsere übersetzten Artikel sind unter dem Tag „English“ zu finden.

Wir wünschen ein schönes Wochenende!

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2 Ergänzungen

  1. Wie jetzt? Bei Google rausgemobbt. Gibt es da nicht das „employee assistant program“ in den USA. Hierzulande wird es ja auch zunehmend gängiger, mit Hilfe externer Beratungsfirmen alles für die Gesundheit der Mitarbeiter zu tun. Die Berater helfen dann auch gerne bei der betrieblichen Wiedereingliederung nach längeren Fehlzeiten. Alles ganz easy, ganz cosy…

    Außer vielleicht man heißt E. Snowden…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.