Netzpolitischer Wochenrückblick KW23: Menschenrechte abschaffen, Kommunikation abhören

Die Woche im Überblick: Theresa May will Menschenrechte abschaffen, um Anti-Terror-Gesetze zu ermöglichen, Europol und Deutschland arbeiten an Kommunikationsentschlüsselung, doch unerwartete Wahlergebnisse und Personalmangel könnten einiges davon verhindern.

„Menschenrechte abschaffen? Gut, dass ich eine Katze bin!“ (diese Katze möchte anonym bleiben, ihre Identität ist der Redaktion jedoch bekannt) CC-BY-NC 2.0 Cassandra Leigh Gotto

Großbritannien hat gewählt – und Theresa May hat ihre absolute Mehrheit verloren. Ohne an dieser Stelle über die Gründe zu spekulieren, verweisen wir nur noch einmal auf ihre anti-demokratische Anti-Terror-Rhetorik: Vier-Punkte-Plan gegen den Terrorismus, Cyberspace regulieren – ach ja, und die Menschenrechte abschaffen, wenn sie bei Anti-Terror-Gesetzen stören.

Das Ziel: Verschlüsselte Kommunikation knacken

Und was könnte nach Ansicht vieler Sicherheitsbehörden bei der Terrorismusbekämpfung stören? Private, verschlüsselte Kommunikation! Darum gab es für europäische Sicherheitsbehörden einen Workshop bei Europol. Neben Großbritannien nahmen übrigens auch gleich mehrere Abteilungen des deutschen Bundeskriminalamtes an dem Expertentreffen teil. Debattiert wurde auch die Idee, bei Europol eine Art Kompetenzzentrum zur Entschlüsselung von Telekommunikation einzurichten.

Übrigens hält das Bundesinnenministerium die Kooperation europäischer Geheimdienste in Den Haag mit allen Mitteln gegenüber dem Parlament geheim. Obgleich es nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages zur Offenlegung verpflichtet wäre. Begründet wird die Geheimhaltung der Kooperation mit einer internen Absprache der Dienste.

Deutschland hat seit kurzem eine Einrichtung, die dem oben genannten Europol-Kompetenzzentrum zur Kommunikationsentschlüsselung sehr nahe kommt: die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich (Zitis). Die Behörde soll Expertise in technischen Fragestellungen für die Sicherheitsbehörden bereitstellen, wird aktuell aber von enormen Personalproblemen geplagt: Nur acht von 120 Stellen sind momentan besetzt.

Öffentliche und private Rechtsdurchsetzung

Zwar wird Zitis durch den Personalmangel an der Arbeit gehindert, dafür waren über einhundert andere staatliche Stellen sehr fleißig: Sie haben im Jahr 2016 über zehn Millionen Mal abgefragt, wem eine bestimmte Telefonnummer gehört. Die Stellen nutzen dafür die Bestandsdatenauskunft, ein automatisiertes Auskunftsverfahren. Wir haben die Zahlen visualisiert und machen deutlich, was das für den Einzelnen bedeutet – etwa, dass Mobilfunkkommunikation nicht anonym ist.

An anderer Stelle möchte sich die Bundesregierung scheinbar aus der Rechtsdurchsetzung herausziehen und sie privaten Anbietern überlassen. Die Rede ist vom Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, welches Hass und Lügen in sozialen Netzwerken eindämmen soll. Plattformbetreiber wie Facebook sollen dazu illegale Inhalte löschen und damit die Rolle von Gerichten ersetzen. Was daran problematisch ist, zeigen wir in diesem Überblicksartikel.

Rechtsdurchsetzung und Menschenrechte

Und wo wir bereits zu Anfang auf die Menschenrechte hingewiesen hatten: Der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit kritisiert das Netzwerkdurchsetzungsgesetz scharf. Seinem offenen Brief an die Bundesregierung nach gefährde es die Menschenrechte auf Meinungsfreiheit und Privatsphäre. Die Meinungsfreiheit und die Menschenrechte sind auch betroffen, wenn man als Zensurmaßnahme gleich das Internet abstellen lässt.

Bundestag, Digitale Agenda, Geschäftsmodelle

Wir haben auch von der problematischen Diskussion im Bundestag zum Legislaturbericht zur Digitalen Agenda 2014-2017 berichtet. Bereits die leeren Sitze im Parlament offenbarten die Priorisierung der Parlamentarier. Die Chance auf eine netzpolitische Grundsatzdebatte wurde nicht wahrgenommen. Wir haben trotzdem die wichtigsten Punkte zusammengefasst und freuen uns darüber, dass immerhin unsere Berichterstattung zum Breitbandausbau in die Debatte eingebracht wurde.

Die Position der Bundesregierung zum Thema Malvertising (Schadsoftware, die in Werbeanzeigen versteckt ist) zeigt hingegen eine ganz andere Art der Priorisierung: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zog seine Empfehlung für Ad-Blocker zurück und schwächt damit die IT-Sicherheit. Das Amt empfiehlt keine einzige konkrete Maßnahme gegen Malvertising. Die Bundesregierung und das BSI positionieren sich gegen den Schutz von Nutzern vor Werbung und Schadsoftware, um das Geschäftsmodell von Werbetreibenden zu schützen.

Informationsfreiheitsgesetz und staatliche Transparenz

Noch ein geschwächter Punkt: das Recht der Bürger auf Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz. Dieses an sich sehr sinnvolle Instrument gewährt allen Bürgern Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Durch mangelhafte personelle Ausstattung können die zuständigen Beauftragten für Informationsfreiheit jedoch nur sehr ineffektiv arbeiten. Diese sind bei Streitigkeiten allerdings für die Vermittlung zwischen Bürgern und Staat zuständig.

Apropos staatliche Transparenz: Die scheidende rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen hatte ursprünglich in ihrem Koalitionsvertrag ein Transparenzgesetz vereinbart. Dieses kommt nun nicht – und auch der entsprechende Gesetzesentwurf soll ein Geheimnis bleiben. Wir durchleuchten die genannten Gründe für das Geheimhalten des Transparenzgesetzes.

Urheberrecht in Deutschland und der EU

Auch die selbstproduzierten Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sollen scheinbar nicht allzu offen, transparent und frei verfügbar gemacht werden. Wir berichten über die Bemühungen der deutschsprachigen Wikipedia-Community, entsprechende Inhalte unter einer freien Lizenz für alle verfügbar zu machen. Bisher werden historische Aufnahmen leider in den Archiven versteckt oder finden sich nur bei kommerziellen Anbietern wie Youtube.

Das bringt uns direkt zum Thema EU-Urheberrechts-Richtlinie. Die Verhandlungen darüber sind in der entscheidenden Phase angekommen. Es gab bereits eine erste Abstimmung im Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz. Wir berichten von den guten (Upload-Filter wurden abgelehnt) und weniger guten (das Leistungsschutzrecht wurde nicht abgelehnt) Ergebnissen. Die Abstimmungsmehrheit kam übrigens nur zustande, weil die Fraktion der Linken wegen einer Fraktionsklausur nicht anwesend war.

Übrigens kommt eine Studie der Universität Amsterdam zu dem Schluss, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagene ePrivacy-Verordnung dringend nachgebessert werden muss. Hier verlinken wir die vom Justizausschuss des EU-Parlaments in Auftrag gegebene Studie. Zusätzlich empfehlen wir noch den re:publica-Vortrag unseres Redakteurs Ingo Dachwitz, der die ePrivacy-Verordnung in dreißig Minuten erklärt.

Überwachung durch Wirtschaft und Staat

Um sich noch einmal dem Thema Überwachung zu widmen: Von wirtschaftlicher Seite aus ist das möglichst lückenlose Verfolgen von Benutzeraktivitäten ein lukratives Geschäft. Ein entsprechendes Verfahren, zwar noch in seinen Kinderschuhen, aber mit Potential: die unbemerkte Benutzererkennung durch Ultraschall.

Und auf Seiten der staatlichen Überwachung dauert es nur noch wenige Tage, bis die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland verpflichtend umgesetzt werden muss. Nun klagt die Telekom per Eilverfahren gegen die Bundesnetzagentur, da sie bei der Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung keine Rechtssicherheit hätte. Wir erklären, worum es geht.

Doch auch gegen einen Kabelnetzbetreiber gab es kürzlich eine Klage: Unitymedia wurde in einem nun gefällten Urteil verboten, öffentliche Hotspots auf den Routern seiner Kunden einzurichten, ohne sich zuvor deren ausdrückliches Einverständnis einzuholen.

Verschlüsselungssoftware braucht Spendengelder

Zu guter Letzt möchten wir noch auf die Crowdfunding-Kampagne für die freie Verschlüsselungssoftware GNU Privacy Guard hinweisen. Diese verschlüsselt und prüft seit bereits zwanzig Jahren Signaturen und E-Mails (auch die unserer Redaktion und die von Edward Snowden). Viele Aktivisten, Journalisten und Anwälte verlassen sich auf GnuPG. Hilf mit!

Wo wir bei freier Software sind: Es gibt übrigens auch Alternativen zu den großen sozialen Netzwerken. Eine davon ist Mastodon: ein werbefreier, dezentraler Twitter-Ersatz. Wir haben ein Interview mit einem Software-Entwickler und Mastadon-Serverbetreiber über die Entwicklung und das Benutzen des Netzwerkes geführt.

re:publica 2017

Wir möchten erneut auf einige re:publica-Vorträge hinweisen, die als Video- und Audio-Dateien die lange und langweilige Zeit bis zum nächsten Montag vertreiben können:

In diesem Sinne: Lasst Euch das Wochenende nicht zu lang werden!

0 Ergänzungen

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.