Bereits im Juni letzten Jahrs berichteten wir über das wahrscheinlich „beste Internet-Gesetz der Welt“: den Marco Civil da Internet, mit dem sich Brasilien einen Grundrechtekatalog für das Internet geben will. Unser Fazit damals:
Alles in allem ist es ein progressives Gesetz, das vor allem komplett Bottom-up erstellt wurde. Wir wünschen unseren brasilianischen Freunden viel Erfolg für die Verabschiedung. Vielleicht dient es ja auch hierzulande als positives Beispiel, dass man Freiheiten auch mal definieren kann, statt immer nur einzuschränken.
Grundrechtekatalog für das Internet
Seitdem wurde das in Brasilien „Internet-Verfassung“ genannte Gesetz von Lobbyisten torpediert – und schließlich erstmal auf Eis gelegt.
Im Zuge der Enthüllungen, dass auch Brasilien großflächig von der NSA abgehört wird, inklusive Präsidentin Dilma Rousseff und dem halbstaatlichen Mineralölunternehmen Petrobras, wurde (auch von uns) berichtet, dass sich der fünftgrößte Staat der Erde nun zur Wehr setzt. Ganz so einfach ist es nicht, viel mehr werden die als Abwehr verkauften Maßnahmen ohnehin seit Jahren vollzogen – und führen zudem nur das aus, was auch die US-Regierung offiziell empfiehlt. Das berichtet Bill Woodcock, Direktor des Internet-Forschungsinstituts Packet Clearing House, auf Al Jazeera America:
Only those who haven’t been paying attention to Brazil’s phenomenal Internet development mistook the announcement for news; it was opportunistic spin on what Brazil has already been successfully doing for most of the past decade.
Nor is Brazil’s plan a repudiation of the United States. Brazil is following the path of Internet development that has been proven in the U.S. and is advocated by the U.S. State Department. What’s interesting about Brazil is not that it’s defying the United States‘ under-the-table agenda but that it’s doing so by executing moves from the U.S.’s above-the-table playbook so masterfully.
Die gute Nachricht ist, dass im Zuge der aktuellen Debatten der Marco Civil wieder auf den Tisch kommt und sogar als Sofortmaßnahme beschlossen werden soll, wie Loretta Chao auf dem Wall Street Journal-Blog Digits berichtet:
[President] Rousseff […] has declared Marco Civil – first proposed on 2011 – to be an emergency measure that must be voted on within 45 days.
Lokale Datenspeicherung – mit Hintertür für den Staat
Leider nur nicht unverändert. Durch einen Änderungsantrag im Marco Civil soll festgelegt werden, dass brasilianische Dienste-Anbieter Daten von Brasilianer/innen in Brasilien speichern sollen, worüber wir berichteten:
The proposed amendment appears to be an effort to better secure local user data. Having data stored locally would give the Brazilian government more control over Internet data, and Brazilian courts would more easily be able to issue orders for access to information about Brazilian users of services from foreign companies.
Ein Beispiel dafür soll ein eigener brasilianischer E-Mail-Anbieter sein. Das klingt nicht nur wie E-Mail made in Germany, das hat auch die selben Probleme: vielleicht kommt die NSA nicht mehr ganz so einfach an die Daten, aber der Anbieter und brasilianische „Bedarfsträger“ haben natürlich weiterhin vollen Zugriff. Woodcock berichtet sogar von einem Key-Escrow, also der Hinterlegung von Verschlüsselungs-Schlüsseln beim Staat:
The proposed Brazilian system has the distinct advantage of being free, so it may succeed. If executed well, it could employ strong encryption, potentially with Brazilian governmental key-escrow, which would allow Brazilian law enforcement access but effectively deny access to foreign intelligence agencies.
Die einzig korrekte Antwort darauf lieferte John Perry Barlow, Mitgründer der Electronic Frontier Foundation, schon Anfang der Neunziger:
You can have my encryption algorithm… when you pry my cold dead fingers from my private key.
Die Lösung kann kein neuer zentraler, womöglich sogar staatlicher E-Mail-Anbieter sein, sondern nur weitere Dezentralisierung.
Netzneutralität unter Beschuss
Aber auch die anderen Angriffe auf den Marco Civil sind noch nicht abgewehrt. Wie wir berichtet haben, gibt es starke Bestimmungen zur Netzneutralität im ursprünglichen Entwurf:
Das Kapitel zu Providern und Inhalte-Anbietern setzt klare Prinzipien der Netzneutralität, verbietet Überwachung, Filterung oder Analyse von Internet-Verkehr (außer, wenn andere Gesetze das vorschreiben) und stärkt das Haftungsprivileg von Inhalte-Vermittlern.
Während Dienste-Anbieter (wie Yahoo) diese Bestimmungen gut finden, attackieren Access-Provider und Telekommunikationsunternehmen die Netzneutralität – wie überall. Als „Tausch“ für ihre Unterstützung für das Gesamtgesetz wollen sie die Netzneutralität aufweichen oder sogar verhindern, wie die internationale NGO Access berichtet:
But the Brazilian telco lobby has the Marco Civil’s network neutrality provisions in its sights. They want to protect their business models that rely on data discrimination, threaten freedom of expression, and limit open access, so they’re negotiating with politicians to eliminate key net neutrality provisions in exchange for their support of the bill.
Not only are the Marco Civil’s net neutrality protections crucial to upholding the integrity of the framework, they’re an opportunity for Brazil to set international precedent. Only a handful of countries have enacted legislation upholding net neutrality, and Brazil’s leadership in this area could prove to be crucial.
Internet-Verfassung, Netzneutralität und Datenschutz erhalten!
Alles in allem ist der Marco Civil aber weiterhin unterstützenswert:
The Marco Civil represents one of the most progressive frameworks for internet policy ever drafted. It would secure the right to high-speed access and network neutrality, privacy standards against surveillance, and guarantees for freedom of expression online. Around the world, all eyes have been on Brazil’s pioneering effort to govern the internet according to the rights and needs of its citizens.
Vor diesem Hintergrund ruft Access die Abgeordneten des Brasilianischen Nationalkongresses dazu auf, den Marco Civil unverändert und wie von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit erarbeitet, anzunehmen:
We urge you to stand up for digital rights by protecting the integrity of the Marco Civil, the ‚people’s internet‘ legislation. Eliminating key network neutrality provisions and implementing hasty data requirements — such as data mirroring — risks threatening open access, freedom of expression, user privacy, and much more. It would also disregard the will of the people and set a dangerous international precedent.
Auf der Kampagnenseite von Access könnt ihr die Petition unterzeichnen: Hands Off the Marco Civil!
Ich gebs auf.
Wir werden das freie Internet verlieren.
Und Otto (Normal) braucht ja eh nur Youtube, Facebook und Google….noch :(
Es gibt keinen Grund warum man dem Staat vertrauen sollte. Staaten sind einerseits garant für Sicherheit, andererseits aber auch Herrschaftsmechanismen der jeweils herrschenden Kräfte. Somit werden Staaten immer spitzeln, überwachen und kontrollieren. Den Staat in dem die Bürgerrechte geachtet werden gibt es nicht.
Komm, geh‘ doch CDU wählen. Das ist mir zu schwarz. Wenn es weniger Menschen wie Dich gäbe, wäre es leichter das Denkbare auch mal zu verwirklichen.
In anderen Bereichen wird sowas tagtäglich gemacht, wieso sollte es nicht auch im gesellschaftlichen Bereich mal soweit sein? Politik der kleinen Schritte…aber in eine andere Richtung.
Marco Civil da Internet 2013 Brasil ist nicht einen Cent&Dinar wert
Einr Kirche Assambleias de Deus gibt den Ton an. Bestimmt was User machen dürfen und was nicht. Diese Kirche kontrolliert im Nordosten das Internet.
Nimmt sich ein User das Recht nach dem Marco Civil da Internet zu handeln, wird dem User Ermordung angedroht.
Offizielle Stellen drehen bei Reklamation den Kopf weg und ignorieren den User.
Marco Civil da Internet ist daher nur schön reden der Welt gegenüber. Internet Gesetz und Justiz übt diese Kirche aus.
ich habe genug darüber geschrieben, es steht genug im Internet, in Twitter, Google+ und in Facebook. Die Morddrohungen dauern bis zur Stunde an.