Als Jürgen Ertelt (Medienpädagoge, Pirat und JMStV-Experte) gestern abend twitterte, der „schwarze Peter in Sachen JMStV in NRW läge nun klar bei CDU und Grünen“, war ich ziemlich überrascht. Nicht, weil ich die Lage nach wie vor anders sehe, sondern weil ich wusste, dass Jürgen live von einem Treffen mit dem SPD-Politiker Marc Jan Eumann (Staatssekretär für Medien in NRW und glühender Verfechter von Internet-Schwimmausweisen) twittert. Sollte bei Eumann ein überraschender Sinneswandel eingetreten sein? Nicht doch.
Ansonsten scheint die von den Jusos initiierte Gesprächsrunde recht harmonisch und konstruktiv verlaufen zu sein. Daniel Schwerd, Pirat aus Köln, hat für sein Blog einen recht ausführlichen Bericht (Bei Interesse bitte im Original lesen, ich habe mir nur die Einschätzung des Abstimmverhaltens herausgepickt!) verfasst:
[…] Interessanterweise lehnten alle Anwesenden (außer Herrn Eumann selbst) den JMStV-Entwurf in der vorliegenden Form ab. Auch die Jusos sprechen sich einstimmig gegen die Annahme dieses Vertrages aus. […]
Seiner Einschätzung nach werden die CDU-Abgeordneten im Landtag zustimmen, und auch die Mehrheit der SPD-Abgeordneten ist wohl dafür. […] Die Grünen werden auch zustimmen, das schloss er aus den auch uns bekannten Äußerungen im Sinne von „Pacta sunt servanda“. […]
Zwar hält er an dem bestehenden Änderungsantrag fest, er ist aber offenbar aufgeschlossen für die geschilderten Probleme, Seiteneffekte und Auswirkungen. Interessant fand ich seine Feststellung, dass er auch in seinem Ministerium erst einmal Knowhow um Netzthemen aufbauen muss, und dass es offenbar fast keine kompetenten Leute gibt.
Ganz ähnlich liest sich die Zusammenfassung des Treffens im Pottblog von Jens Matheuszik, bekanntlich SPD-Mitglied:
[…] Staatssekretär Eumann skizzierte die momentane Lage und erklärte, dass nach den Verlautbarungen ja bekannt sei, dass die CDU dem (von ihr selbst verhandelten) JMStV zustimmen würde […]
Zwischenruf: Ich kann es mir nur mit einem Anflug von Bescheidenheit erklären, dass Eumann die Rolle der SPD bei der Entwicklung des Entwurfs unter den Tisch fallen lässt. Bei Martin Stadelmaier, Chef der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei und federführend beim Entwurf des JMStV beteiligt, hört sich sich das ganz anders an:
„Der Entwurf des Staatsvertrags ist von den SPD-geführten Ländern maßgeblich mitentwickelt worden, er ist somit ein Kind der SPD. Wir konnten die CDU-Länder damit komplett überzeugen.“
Aber gut, weiter bei Jens:
[…] aber auch die Grünen hätten ja ihre Zustimmung erklärt. […] Die SPD-Fraktion hingegen, so Eumann in der Runde, würde sich vermutlich mehrheitlich für den JMStV aussprechen. Zwischen den Zeilen habe ich daraus entnommen, dass eine eindeutige Zustimmung bei der SPD gegenüber Schwarz-Grün noch nicht ersichtlich ist, […]
Eumann vertrat in der Runde die Auffassung, dass ein Scheitern des JMStV nicht gut sei – denn dann würde die laufende, noch geltende Fassung des JMStV weiter wirken, die seiner Meinung nach schlechter sei als die geplante Änderungsfassung. […]
Nun, nicht nur über letzteres kann man streiten. Regulierungslücken, die unbedingt geschlossen werden müssten, sind mir im geltenden Staatsvertrag nicht bekannt. Auch von Problemen, die eine umgehende Novellierung durch eine bestensfalls halbgare Neuerfassung erforderlich machen, hört man eher wenig. Vor allem aber – und das ist das eigentliche Problem – installiert das neue Regelwerk Brückenköpfe in Bereichen, die sich, einmal etabliert, als erstaunlich resistent gegenüber der angedachten Evaluierung erweisen werden.
Sei’s drum, warum der schwarze Peter bei den Grünen liegen soll, ist mir immer noch nicht klar. Solange führende SPD-Fachpolitiker wie Eumann trotz treuherzig eingestandener Bedenken für eine Zustimmung zum Staatsvertrag plädieren, liegt die Verantwortung bei der SPD. Auf Seiten der NRW-Grünen hingegen sehe ich spätestens jetzt eine Chance, sich zu profilieren und Rückgrat zu zeigen. Wenn die Mitglieder der SPD-Fraktion frei in ihrer Entscheidung sind, erscheinen Argumente wie „Verfassungstradition“ und „Kontinuitätsgebot“ (Matthi Bolte, netzpolitischer Sprecher der Grünen, Anfang September per Mail) als Rechtfertigung für eine Zustimmung jedenfalls recht schwach.
PS: Zur Zeit gibt es offenbar noch keine Beschlussfassung der Grünen-Fraktion dem JMStV zuzustimmen. Eine Empfehlung für die Abstimmung soll es erst nach der Auswertung der Anhörung am 4. November geben (Die „Experten-Wunschliste“ ist inzwischen übrigens bestätigt). Mal schauen, vielleicht bekomme ich morgen noch ein offizielles Statement.
Nur eine Korrektur, weil’s mir auffällt:
Rückgrat, nicht Rückgrad.
„Auf Seiten der NRW-Grünen hingegen sehe ich spätestens jetzt eine Chance, sich zu profilieren und Rückgrat zu zeigen.“
Als ob unsere Politiker sowas noch hätten… *lach*
Das wird genauso wie das Gewissen entfernt und durch Habgier und Lügen ersetzt sobald sie nen Job bekommen der sie in die nähe von „Entscheidungsträgern“ setzt.
Wer auf sowas vertraut muss aber schon arg verzweifelt sein…
Ach. Ich dachte, man sei kurz davor, den Vertrag zu verhindern. Was denn jetzt?
@
JuliaFrau Seeliger, keine Ahnung, warumduSie das dachten, aber: Nein, von „kurz davor“ kann nicht die Rede sein. Nicht in den anderen Ländern, vor allem aber nicht in NRW. War es meines Wissens hier auch nie.Wenn du dir die Tabelle mit dem Stand in den Ländern anschaust, siehst du links die jeweiligen Regierungsparteien.
In einigen Ländern waren Vertreter von Piraten/AK Zensur in den Anhörungen geladen und konnten ganz gut punkten. Dazu gibt und gab es immer wieder Hintergrundgespräche in mehr oder weniger großen Runden. Konkrete Anhaltspunkte, dass der Staatsvertrag in einem der Länder gestoppt wird, habe ich bisher keine.
In NRW ist die Situation durch den Regierungswechsel und die rot-grüne Minderheitsregierung bekanntlich
etwas spezieller. Auf der Haben-Seite könnte man die – mit gutem Willen als JMStV-kritisch wertbaren – Passagen in den Wahlprogrammen (SPD & Grüne) und die klare Ablehnung der Jusos buchen. Gut, an die Wahlprogramme mag sich mancher heute nicht mehr erinnern, also beginnt das Spiel von vorn: Dicke Bretter, du kennst den Spruch.
Zur konkreten Situation vor der Abstimmung im Dezember:
Ausgehend von einer Zustimmung der CDU müsste man a) 2/3 der SPD-Fraktion überzeugen UND b) auf die Grünen hoffen, um halbwegs auf der sicheren Seite zu sein. Wie realistisch das ist, kannst du vermutlich besser abschätzen als ich.
Wie auch immer, die Überzeugungsarbeit hinter den Kulissen geht natürlich weiter. Einmal parteiintern, tlw. auch parteiübergreifend und dabei sehr konstruktiv. Siehe dazu auch die Kommentare bei Jens im Pottblog.
Ansonsten wünsche ich mir, das sich bis zur Anhörung am 4. November (Wo „wir“ auch recht ordentlich vertreten sind, da haben wir im Vorfeld wohl mit guter Arbeit überzeugen können) möglichst viele Abgeordnete überhaupt einmal mit dem Thema beschäftigen, bzw. die jeweiligen Referenten ebenso offen sind, wenn sie anschließend ihre Empfehlung aussprechen. Zumindest die Grünen in NRW haben das wohl vor (PM ist angekündigt). Bei der SPD, siehe oben, haben sich die zuständigen Medienpolitiker bisher noch für den Staatsvertrag ausgesprochen. Schaun‘ mer mal.
Den Rest werden wir dann Mitte Dezember sehen.
@KrChris: Tatsächlich glaube ich, dass Menschen nicht pauschal zu Arschlöchern mutieren, sobald sie ein politisches Mandat erhalten, ja.
Gerade (aber nicht nur) im Bereich der Netzpolitik habe ich in den letzten Jahren viele engagierte Menschen getroffen, die immer und immer wieder versuchen Wände einzurennen oder sich „politischen Sachzwängen“ zu entziehen.
Für uns Aussenstehende gibt es nun genau zwei Methoden:
1) Die guten Leute nach Kräften zu unterstützen, wohlwissend, dass man beim einem Großteil der Kampagnen selbst mit den besten Argumenten scheitern wird
oder
2) Rumlallen, dass das Politiker ohnehin korrupte Idioten sind und man nix tun könne.
Letzteres ist unglaublich bequem. Ich bevorzuge trotzdem Variante 1.
Herr Schäfers,
sie machten sich über diesen Tweet lustig. (Beleg). Ich habe durch Ihre Tweets den Eindruck gewonnen, als wäre die Verhinderung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags durch das Land NRW relativ sicher, also nur noch eine Frage der Zeit. Wer dies nicht wüsste, wäre uninformiert und müsste was nachholen. So kam es bei mir an.
Ehrlich gesagt sehe ich es nicht, dass eine Verhinderung des JMStV in der Nähe ist, so sehr Sie im Walde pfeifen. Sie erinnern sich vielleicht an das Netzsperren-Gesetz Netzsperren, da war die Kritik wesentlich lauter, Netzpolitiker äußerten sich, zudem war die Botschaft „zensursula“ wesentlich besser zuzuspitzen (Kampagne) – und dennoch wurde es beschlossen. Und auch so, wie Sie in diesem Artikel schreiben, wie gesagt, sieht es ja nicht aus, als würden „die Politiker“ (Sie mögen ja das Regressive) alsbald eine mutige Kehrtwende einleiten.
(Falls sich einige über das Siezen wundern: Dieser Herr Schäfers war nicht zum ersten Mal ranzig zu mir, deswegen ignore ich ihn jetzt auf den Kanälen, wo es mir möglich ist. Ob die verlinkten Tweets in der Tat unfreundlich von Herrn Schäfers waren oder ob ich überreagiere, wie es ja auch manchmal der Fall ist, mögen Dritte bewerten. Müssen sie aber nicht.)
Frau Seeliger,
Sie scheinen meine Tweets grundsätzlich misszuverstehen. Das ist bedauerlich, aber ich erkläre mich natürlich gern.
Nein, ich habe mich nicht lustig gemacht. Allerdings wunderte ich mich durchaus über (die Art) der Frage (Kann es sein, dass sie den Tweet inzwischen gelöscht haben? Wie unsouverän! Egal, ich habe ja noch eine Kopie):
Als politisch interessierte Kennerin des Internets dürften Ihnen die laufende Debatte rund um den JMStV nicht entgangen sein. Und falls doch, wissen Sie doch, wo und beim wem Sie sich informieren können.
Vor diesem Hintergrund erschien mir die Frage, ob „man jetzt nochmal über den JMStV reden sollte“, nun, überraschend. Ich antwortete daher:
Ebenso überraschend finde ich den Hinweis, dass meine Tweets in der Vergangenheit den Eindruck erweckt haben sollen, die Verhinderung in NRW sei sicher.
Richtig ist, dass ich allenfalls/vor allem in NRW eine Chance sehe, den Staatsvertrag zu stoppen. Sie ist klein, geradezu minimal, aber es ist einen Versuch wert.
Das sehen glücklicherweise recht viele äusserst engagierte Menschen ähnlich und investierten zum Teil seit Monaten erhebliche Zeit in die notwendige Überzeugungsarbeit. Ich nahm an, dass Ihnen das als Fachjournalistin nicht entgangen ist. Mein Fehler.
Ich sehe das auch noch nicht und habe bisher auch nichts dergleichen behauptet (Ganz im Gegenteil). Ich kann nicht einmal gut pfeifen. Gleichwohl glaube ich, dass es sich lohnt bis zur Abstimmung Mitte Dezember Überzeugungsarbeit zu leisten.
Ohne das Engagement des Netzes hätten wir nicht nur ein beschlossenes Zugangserschwerungsgesetz (das bekanntlich nach massivem Druck des Netzes auf Initiative der FDP ausgesetzt wurde), sondern auch längst aktive Netzsperren. Das war ein echter Überraschungserfolg.
Bei JMStV war die Ausgangslage deutlich schlechter, aber das kann ja kein Grund sein, nicht gegen dieses wirklich schädliche Rahmenwerk für den Jugendschutzbereich zu argumentieren.
Ok, spästestens jetzt, wenn ich Ihnen als Politikerin erklären muss, dass es in der Netzpolitik selten etwas zu gewinnen gibt, wird dieses kleine Geplänkel hier vollends absurd.
Wie auch immer, wäre ich an Pokalen interessiert, würde ich mir ein Hobby mit größeren Erfolgsaussichten suchen. Lotto oder Heiratsschwindler z.B.
PS: Ich war nie „ranzig“ zu Ihnen. Und mit Verlaub, wer so freudig austeilt, wie Sie, sollte zumindest auch ein klein wenig Kritik vertragen lernen.
Aber gut, wenn selbst Jens vom Pottblog, einer der geduldigsten und diplomatischen Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen, von Ihnen ignoriert wird, wird der Informationsfluß irgendwann halt dünn.
Na, wenn das wirklich nicht so ist, dann ist das für mich geklärt. Ich habe ihren Tweet allerdings anders verstanden, aber so ist das mit der Kommunikation im Netz.
Zum Persönlichen: Ich lösche ab und zu Tweets mit eher weniger Aussagekraft, blöde Chats mit wenig Infomationswert und so. Insofern finde ich den Bezug auf von mir gelöschte Tweets etwas kleinlich, aber bitte, wenn Sie mein Verhältnis zu Ihnen gern weiterhin im Netz dokumentiert sehen wollen, nur zu.
Zur Sache: Sie müssen mir überhaupt nichts erklären. Ich habe meine Einschätzung zur Situation. Ich wäre froh, wenn sich die Arbeit der vergangenen Monate lohnen würde.
Gut, kann man natürlich machen. Wirkt bei einem Tweet, der als Auslöser herhalten muss und den man Minuten zuvor noch selber als Beleg angeführt hat (in Kommentar #9), halt etwas merkwürdig.