KW 21Die Woche, in der wir über das Grundgesetz nachgedacht haben

Die 21. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 15 neue Texte mit insgesamt 190.955 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Regenbogenfarbenes Fraktal
Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

diese Woche ist das Grundgesetz 75 Jahre alt geworden. An diesem Jubiläum kam man kaum vorbei. Es wurden Kommentare geschrieben, Nachrichtenbeiträge ausgestrahlt, Bundespräsident Steinmeier hielt eine Rede im ungewohnt unpastoralen Tonfall und mancherorts wurde auf die Demokratie angestoßen.

Klar, wir haben das Jubiläum auch thematisiert und unter anderem Bijan Moinis Text „Ein Land ohne Grundgesetz“ veröffentlicht. Er spricht darin wichtige Punkte an, zum Beispiel: „Wenn sich einmal etwas verschoben hat, wenn die Menschenwürde nicht mehr absolut gilt, wenn Freiheit auf welche Weise auch immer verdient werden muss, wenn Gleichheit als Gleichmacherei verstanden wird, dann hilft die beste Verfassung nichts; es gibt dann schlicht niemanden mehr, der sie durchsetzt.“

Wenn diese Verschiebung inmitten der Demokratie-Feierei offen zutage tritt, dann schmerzt das besonders. Zum Beispiel wenn irgendwer auf Sylt rassistische Scheiße grölt und mutmaßlich den Hitlergruß zeigt.

Was aber auch schmerzt: ein Bundeskanzler, der dies kommentiert. Es sei „vollkommen klar, dass der Bundeskanzler jede Art von rassistischen und menschenverachtenden Äußerungen“ ablehnt, ließ Olaf-im-großen-Stil-abschieben-Scholz über eine Sprecherin ausrichten. Das ist hoffentlich richtig. Aber die deutsche Asylpolitik ist in den vergangenen Monaten nicht gerade durch Menschenachtung aufgefallen, im Gegenteil.

Am gleichen Tag, an dem der Sylt-Eklat öffentlich wurde, gab die Bundesregierung bekannt, im ersten Quartal dieses Jahres 34 Prozent mehr Menschen als im Vorjahreszeitraum abgeschoben zu haben. Sehen die verantwortlichen Politiker:innen das als „Erfolg“? Vertreter*innen der Regierungsparteien wollten dies der taz gegenüber nicht kommentieren.

Was dann noch mehr schmerzt: Unsere neue Doku-Podcastfolge „Systemeinstellungen“, in der es um David geht. Ihn hätten deutsche Behörden am liebsten schon vor Jahren abgeschoben. Können sie aber nicht, denn kein Staat will ihn aufnehmen. Um rauszufinden, wohin man ihn loswerden könnte, kassiert die Ausländerbehörde seine Handys ein und macht sein Leben damit noch chaotischer, als es ohnehin schon war.

Ich habe diese Folge jetzt schon mehrmals gehört, vor dem Erscheinen im Produktionsprozess. Und ich dachte, irgendwann stumpft man ab, dann macht es einen nicht mehr so fertig. Das hat nicht funktioniert. Nach dem Hören war ich jedes Mal wieder irgendwo zwischen traurig und wütend. Mit einer menschenwürdigen Behandlung – Hallo, Artikel 1 Satz 2 Grundgesetz – hat das, was David passiert, aus meiner Sicht nichts zu tun.

Auch wenn wir allein daran nichts ändern werden: Zumindest können wir Menschen wie ihm eine Stimme geben. Damit nicht nur die gehört werden, die Nazi-Parolen schreien.

Ein gutes Wochenende euch!
anna

Werbe-TrackingSchicken deutsche Medien Daten von Nutzer:innen nach Russland?

Zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine listen hunderte deutscher Nachrichtenseiten Yandex als Werbepartner, vom Business Insider über RTL bis zur Frankfurter Rundschau. Der Tech-Konzern, einst als „Google Russlands“ gefeiert, steht inzwischen unter der Kontrolle des Kreml.

Lesen Sie diesen Artikel: Schicken deutsche Medien Daten von Nutzer:innen nach Russland?

Handy-RasterfahndungBundesgerichtshof weist freizügige Funkzellenabfrage in die Schranken

Funkzellenabfragen dürfen eigentlich nur für die Aufklärung besonders schwerer Straftaten eingesetzt werden. Dennoch haben Ermittler:innen in Hessen solche Daten angefordert, um gegen einen Einbruchdiebstahl vorzugehen. Damit sind sie beim Landgericht Frankfurt am Main durchgekommen, aber nicht beim Bundesgerichtshof.

Lesen Sie diesen Artikel: Bundesgerichtshof weist freizügige Funkzellenabfrage in die Schranken

Internes ProtokollBelgien will Nutzer verpflichten, Chatkontrolle zuzustimmen

Internetnutzer sollen einer Chatkontrolle zustimmen, sonst dürfen sie keine Bilder und Videos hochladen. Das schlägt die belgische Ratspräsidentschaft vor. Damit kommt neue Bewegung in die bisher festgefahrenen Verhandlungen der EU-Staaten. Wir veröffentlichen ein eingestuftes Verhandlungsprotokoll.

Lesen Sie diesen Artikel: Belgien will Nutzer verpflichten, Chatkontrolle zuzustimmen

Landgericht KölnMeta muss 20 Millionen Euro an die Telekom nachzahlen

Eine stolze Summe soll Meta an die Telekom Deutschland nachzahlen, hat letzte Woche das Landgericht Köln entschieden. Das soziale Netzwerk hatte weiter Daten über exklusive Leitungen ins Netz der deutschen Marktführerin geschickt, ohne dafür zu bezahlen. Ob es sich um ein Grundsatzurteil handelt, bleibt vorerst offen.

Lesen Sie diesen Artikel: Meta muss 20 Millionen Euro an die Telekom nachzahlen

Wiesbaden und KölnBedenkliches Videoident-Verfahren soll Gang aufs Amt sparen

Einfach per Webcam den Personalausweis präsentieren – das Videoident-Verfahren soll Zeit sparen, lässt sich aber austricksen, wie der Chaos Computer Club 2022 demonstrierte. Behörden zeigen derweil Interesse und wollen es für Verwaltungsleistungen nutzen. Fachleute warnen vor den Gefahren.

Lesen Sie diesen Artikel: Bedenkliches Videoident-Verfahren soll Gang aufs Amt sparen

0 Ergänzungen

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.