Systemeinstellungen#03 Deutschland gegen David

Kein Asyl, keine Papiere, keine Perspektive: In der Bürokratie ist David nicht vorgesehen. Bei einem Routinetermin dann der Schock: Die Ausländerbehörde kassiert seine Handys ein – und stürzt ihn tiefer ins Chaos. In Episode #3 unseres Doku-Podcasts erzählt er seine Geschichte.

Das Cover der dritten Folge "Systemeinstellungen". Ein Smartphone auf einem grüngelben Hintergrund, das sich langsam aufzulösen scheint. Im linken unteren Eck steht "Eine Produktion von netzpolitik.org"
Deutschland gegen David CC-BY-NC-SA 4.0 Lea Binsfeld/netzpolitik.org


Einen Fall wie David, den dürfte es aus Sicht der deutschen Bürokratie eigentlich nicht geben. In Deutschland darf er nicht bleiben, sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Aus Deutschland raus kann er aber auch nicht, denn kein Staat will ihn aufnehmen. Arbeiten, das würde David gerne, aber auch das wird ihm nicht erlaubt.

Als David eines Tages aufs Amt geht, überschlagen sich die Ereignisse. Die Ausländerbehörde kassiert unerwartet seine Handys ein, will darauf nach Spuren seiner Identität und Herkunft suchen – und David versteht die Welt nicht mehr.

„Deutschland gegen David“ ist die dritte Episode unseres neuen Doku-Podcasts Systemeinstellungen – wenn der Staat bei dir einbricht. Es geht um Menschen, die unvermittelt im Visier des Staates landen. Weil sie sich für Klimaschutz engagieren zum Beispiel, weil sie kritische Wissenschaft betreiben oder Asyl suchen. Was macht das mit ihnen, wenn sie plötzlich von der Polizei umzingelt werden? Wenn ihre Smartphones einkassiert werden? Wenn die Familie monatelang überwacht wird? Das hört ihr wöchentlich, jeden Freitag.

Transparenzhinweis: Auf seinen Wunsch haben wir die Stimme von David, der eigentlich anders heißt, mit einer Software für automatisierte Sprachverarbeitung verzerrt.


Höre den Podcast, wo und wie es Dir gefällt:

Hier findest Du alle Folgen von „Systemeinstellungen“.

Die nächste Episode „Unter Terrorverdacht“ erscheint am 31. Mai.


Host und Produktion: Serafin Dinges.
Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz, Sebastian Meineck.
Cover-Design: Lea Binsfeld.
Titelmusik: Daniel Laufer.
Weitere Musik von Blue Dot Sessions.


Links und Infos

Was tun bei einer Hausdurchsuchung?

 


Manuskript zum Nachlesen

Prolog: Selbstbild, Fremdbild

Serafin Dinges: Es ist ein komisches Gefühl, anders beschrieben zu werden, als man sich selbst sieht. Also anders, als man sich selbst beschreiben würde, wenn man plötzlich ein ganz fremdes Bild gespiegelt bekommt. David geht es schon sein ganzes Leben lang so.

Serafin Dinges: Aber das heißt, wie andere sie beschreiben würden, ist anders, als sie selbst sich beschreiben.

David: Die anderen beschreiben mich so als aggressiv, als …weiß ich nicht. Die haben Angst vor mir. Keine Ahnung.

Serafin Dinges: Wie beschreiben Sie sich selbst?

David: Ich beschreibe mich selbst so… ich bin ein Mensch mit Charakter und so. Wie kann ich mich beschreiben? Ich finde kein Wort. Die Leute wegen meine Stimme. Ich hab so …das ist wie Gott hat mir gegeben. Ich würde gern so mit Frauenstimme reden, so um die Leute hier in Deutschland zu gefallen.

Serafin Dinges: Er würde gerne anders aussehen, anders klingen, hätte gerne eine Frauenstimme, einen kleineren Körper. Solche Dinge sagt David oft. Das ist nicht sein richtiger Name und seine Stimme ist verzerrt. Wir erklären gleich, warum. Aber so viel sei gesagt: Seine Stimme ist tief und kräftig. Eindrucksvoll. Es gibt von David so was wie zwei verschiedene Versionen. Die eine ist die, wie er sich selbst beschreibt. Wie er da vor uns steht. Und der andere David ist der, wie ihn der deutsche Staat sieht. Dass David mit uns spricht, das ist nicht selbstverständlich. Für ihn steht viel auf dem Spiel. Er ist gegenüber dem Staat besonders wehrlos. Aber genau deshalb wollten wir unbedingt mit ihm sprechen. Denn David ist staatenlos, soll schon lange abgeschoben werden. Und um das zu schaffen, geht der deutsche Staat an einige Grenzen. Es gibt Gesetze, die erlauben es Beamt:innen, tief in die Privatsphäre von geflüchteten Menschen zu schauen. In ihre Apps, Fotos, Chatnachrichten. Aber mit Betroffenen zu sprechen ist schwierig. Meine Kollegin Chris Köver berichtet schon seit Jahren zum Thema und hat lange Zeit niemanden gefunden. Bis ihr eines Tages David schreibt.

David: Ist mein Körper. Die sollen mich akzeptieren.

Serafin Dinges: Die Geschichte von David ist eine deutsche Geschichte, eine von Kriminalität, von Rassismus und einer Bürokratie, die das alles möglich macht. Von einem, der dem Staat komplett ausgeliefert ist, und einer Abteilung in Bayern, die nichts anderes macht, als in den Handys von Menschen herumzuschnüffeln, die hier um Hilfe bitten. Ich bin Serafin Dinges und ihr hört Systemeinstellungen. Ein Podcast von netzpolitik.org. Heute: Deutschland gegen David.

Wir treffen David

Serafin Dinges: Es ist Oktober 2023. Schon ganz schön kalt. Meine Kollegin Chris Köver und ich sind gerade in einer kleinen Stadt in Bayern angekommen. Wo genau, können wir nicht verraten. Ziemlich malerisch ist es hier, also für einen Hauptbahnhof. Man schaut vom Vorplatz direkt auf Weinberge. Links neben uns ein McDonald’s. Rechts und links LeCrobag. In der Bahnhofshalle ist viel los. Ich tausche mich gerade mit Chris über spannende Details aus dem Alltag als investigativer Journalist aus.

Serafin Dinges: Ich habe eine Steuerberaterin. Habe das länger immer direkt bei Elster gemacht….

Serafin Dinges: Aber gerade da, wo es richtig spannend wird….

Serafin Dinges: Umsatzsteuerpflicht.

Chris Köver: Das könnte er sein.

Serafin Dinges: …sieht sie David: der Grund, warum wir hier sind. David ist ziemlich groß und kräftig. Und er ist schwarz. Wir erwähnen das, weil es später noch wichtig wird und weil es ein Grund dafür ist, warum er anders wahrgenommen wird, als er sich selbst sieht. Er schiebt ein Trekkingrad, hinten am Gepäckträger in ein paar schwarze Fahrradtaschen. Er trägt eine Outdoorjacke, eine Baseballkappe und Jeans. Alles in blau. Wir erfahren später auch noch, warum er mit dem Rad und dem Gepäck unterwegs ist. Er weiß an vielen Tagen noch nicht, wo er die Nacht verbringen wird. Er schläft mal auf dem Sofa von Bekannten, mal im Hotel oder eben draußen mit Isomatte und Schlafsack. Wir setzen uns erst mal mit ihm vor den McDonalds in die Sonne und er fängt sofort an zu erzählen.

David: Ja, ich bin in Frankreich aufgewachsen. Ich bin von meinem Land abgehauen. Da weiß ich nicht, wie, aber so.

Serafin Dinges: Er erzählt, er hat mal hier, mal da gelebt. Frankreich, Belgien, Schweden tauchen auf. Zig verschiedene Städte in Deutschland. Am Telefon hat er uns das mal so erzählt.

David: Ich habe viel gereist. Ich war nie so in einer Platz fixiert. Ich hab so viel gereist. Manchmal wusste ich nicht, wo bin ich?

Serafin Dinges: Seine Geschichte, die ist verwirrend. Wir wissen nicht genau, ob die Reise in seiner Erinnerung verschwommen ist oder ob er manches lieber nicht so genau erzählt, um sich zu schützen. Was wir auch nicht wissen: Wo genau David geboren ist, das will David uns nicht sagen. Oder er kann es nicht. Für uns ist das auch nicht so wichtig. Für den deutschen Staat aber dreht sich alles um diese eine Frage. Es ist der Kern dieser Geschichte von Deutschland gegen David. Wo wurde David geboren? Und wie weit darf der Staat gehen, um das herauszufinden und ihn dann dorthin abzuschieben? Aber bevor wir in Davids Geschichte einsteigen, müssen wir noch mal kurz erklären, warum wir eigentlich hier sind. Dazu ist meine Kollegin Chris Köver hier. Hallo, Chris.

Chris Köver: Hi, Serafin.

Serafin Dinges: Chris, Du berichtest für netzpolitik.org über alles Mögliche, von Tiktok-Algorithmen bis zu künstlicher Intelligenz. Aber wir sind hier wegen einem ganz besonderen Thema, mit dem du dich beschäftigst. Worum geht es?

Chris Köver: Ich recherchiere ja schon seit einigen Jahren zu Ausländerbehörden. Die dürfen in ganz bestimmten Fällen die Handys von Menschen durchsuchen. Nämlich dann, wenn diese Leute keine Papiere vorzeigen können, ihre Identität nicht auf anderen Wegen nachweisen können. Das sind ja Methoden, mit denen sonst eher die Polizei arbeitet. Der Zoll. Forensische Analyse von Geräten. Und da geht es eigentlich eher darum, Straftaten aufzuklären. Aber im Fall von Ausländer:innen ohne Papiere, die ausreisepflichtig sind, da darf das dann auch die Ausländerbehörde machen.

Serafin Dinges: Und warum ist das jetzt so besonders, dass du David gefunden hast? Und wo hast du den denn überhaupt gefunden?

Chris Köver: Eigentlich hatte er uns gefunden. Wir hatten gerade einen Beitrag veröffentlicht, vor ungefähr einem Jahr, und kurz darauf mache ich mein Postfach auf und sehe, da ist eine Mail drin, die hatte keinen Betreff, da stand kein Name unten drunter und sinngemäß stand da drin: Ich habe den Beitrag gelesen und ich wollt sagen, mir ist das auch passiert mit einer Ausländerbehörde in Bayern Und ich war in dem Moment einfach total aufgeregt, weil ich dachte: Wow, das ist es. Endlich haben wir da mal jemanden gefunden. Wir hatten für die vergangenen Recherchen alle möglichen Wege genutzt. Ich habe ganz viele Informationsfreiheitsanfragen gestellt und darüber eben möglichst viel versucht herauszufinden. Aber das blieb eben trotzdem einfach abstrakt. Es ging um Zahlen. Wir hatten keine Menschen dahinter.

Serafin Dinges: Und du hast dich jetzt die letzten Monate durch Davids Akten gewühlt und versucht, seine Geschichte nachzuvollziehen und zu verifizieren. Was wissen wir denn jetzt?

Chris Köver: David ist auf der Flucht. Irgendwann vor ungefähr 15 Jahren, das ist nicht so ganz klar, wann genau, kommt er das erste Mal nach Deutschland. Oder taucht zumindest das erste Mal auf dem Radar der der Behörden in Deutschland auf. Da ist er nach eigenen Angaben etwa 17 Jahre alt, also noch minderjährig. Er wird so behandelt, als hätte er einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Aber dieser Antrag wird dann abgelehnt. Und der Grund, der da genannt wird, ist, dass laut den Dokumenten Schweden für ihn verantwortlich sein soll. Angeblich ist es so, dass er dort das erste Mal in die EU eingereist ist oder zumindest erfasst worden ist. Und in der EU gilt ja die sogenannte Dublin-Verordnung. Das heißt, das erste Land, in dem jemand registriert wird, ist dann auch für den Asylantrag zuständig.

Serafin Dinges: Er soll jetzt also aus Deutschland nach Schweden abgeschoben werden.

Chris Köver: Genau. Aber er wird nicht abgeschoben.

Wie ein Geist

Serafin Dinges: In diesen Jahren in seinen frühen Zwanzigern, da lebt David mehr oder weniger auf der Flucht vor den Behörden. Er ist eigentlich ausreisepflichtig und ohne Erlaubnis zu arbeiten schlägt er sich eben so durch.

David: Ich habe gelebt wie ein Geist.

David: Er wird einmal ohne Papiere gefasst und sitzt drei Monate im Gefängnis. Nach Schweden abgeschoben wird er aber nicht. Warum, können wir nicht genau nachvollziehen. Aber vielleicht hat es damit zu tun, dass er in dieser Zeit anfängt, sich verfolgt zu fühlen, mit starken psychischen Problemen zu kämpfen hat, auch wegen traumatisierende Erfahrungen mit Polizei und Behörden. Er wechselt zwischen Gefängnis und Psychiatrie hin und her. Heute hat er einen Schwerbehindertenausweis. Als er wieder aus dem Gefängnis entlassen wird, beginnt David, sich selbst zu helfen.

David: Keine Unterstützung, keine Familie. Da muss ich etwas machen. Und dann habe ich angefangen mit andere Leute von Straße wieder zusammen. Aber dieses Mal schlechte Leute.

David: Was heißt das genau?

David: Ja, das heißt, mit Leute, die machen, die machen kriminelle Sachen.

Serafin Dinges: In dieser Zeit, in der David mit „schlechten Leuten“ unterwegs ist, da hat er auch eine Freundin, die in Deutschland lebt. Und die beiden bekommen ein Kind und damit ändert sich seine rechtliche Situation. Er ist jetzt Vater und als Vater soll er bei seinem Kind bleiben können. Er klagt gegen seine Abschiebung und die wird erst mal aufgeschoben, bis die Sache geklärt wird. Aber er klaut auch weiter, kleine Dinge, die man leicht wieder verkaufen kann.

David: Ich klaue Parfum einfach, weil da kann man wieder verkaufen.

Serafin Dinges: ist teuer, ist klein.

David: Ja, klein und da kann man wieder auf 30, 20 Euro. Fünf Stück, hatte man schon 100 Euro. Und das war’s. Und eine Zeit, wir haben meine Tochter, da war Waschmaschine schon kaputt. Wir haben kein Geld für Waschmaschine und da hat mich so mein Stolz gekratzt, so als Mann und so, und dann hatte ich hier viele Parfüm geklaut.

Serafin Dinges: David sagt aber auch, wenn er könnte, dann würde er lieber arbeiten. Der Stress der Kriminalität macht ihm zu schaffen.

David: Und doch vom kriminellen Sachen, da lebt man nicht immer, weil ist so viel Stress. Druck. Angst. Ja. Ist nicht einfach auch kriminell zu werden, ist nicht so, ist nicht so… Arbeit ist besser. Arbeit, weißt du, ohne Stress. Stress von Arbeit ist nicht wie Stress, wenn man klaut. Und das habe ich erlebt.

Serafin Dinges: Aber arbeiten gehen, das darf David nicht. Der Staat erlaubt ihm das nicht. Doch er möchte seine Tochter unterstützen, sagt er, und klaut weiter. Aber am Ende kommt es, wie es nicht anders kommen kann.

David: Die hat mich erwischt. Habe ich ein Jahr und da dieses Jahr habe ich alles verloren. Frau weg, Tochter weg, alles weg.

Serafin Dinges: Er landet wieder im Gefängnis und von hier an geht es abwärts. Seine Freundin trennt sich von ihm. Er verliert den Kontakt zu seiner Tochter. Chris, wir haben lange mit David gesprochen. Er hat uns eine ganze Menge erzählt. Seine Biografie, das hab ich schon erwähnt, ist ganz schön kompliziert. Was haben wir getan, um das, was er uns da erzählt, zu verifizieren?

Chris Köver: Also erst mal ist das, was er erzählt hat, mit all den Unstimmigkeiten und auch Lücken erst mal eine ganz typische Fluchtgeschichte. Was wir aber haben, sind ja zusätzlich die Dokumente, die er uns gezeigt hat. Es sind Dokumente aus der Psychiatrie. Es sind Abschiebebescheide dabei, es sind Gerichtsurteile. Außerdem wissen wir ja auch aus unseren bisherigen Recherchen und von dem, was Fachleute zum Thema sagen, dass das, was er uns erzählt hat, plausibel ist. Normalerweise wäre es jetzt so, dass wir jetzt auch noch andere Leute anrufen würden, unabhängige Quellen suchen würden, um uns das bestätigen zu lassen und auch die Ausländerbehörde selbst kontaktieren würden. Das haben wir in diesem Fall nicht getan, weil David uns von Anfang an ganz klar gesagt hat, dass er das nicht will.

Serafin Dinges: Und darum geben wir ihm hier auch einen anderen Namen und eine andere Stimme. Er ist eine Quelle, die wir schützen. Und wir erzählen die Geschichte jetzt aber trotzdem. Warum?

Chris Köver: Also es war eine ganz bewusste Entscheidung, die wir getroffen haben. Weil wir gesagt haben, auch wenn wir bestimmte Dinge nicht verifizieren können: Diese Perspektive ist so unglaublich rar und damit so wertvoll, das ist eine Perspektive, die fehlt in der gesamten bisherigen Berichterstattung. Man muss sich das klar machen: Das sind Leute, die sind in einer sehr prekären Situation. Die sind entweder zu diesem Zeitpunkt schon abgeschoben worden, das heißt es ist noch viel schwieriger, sie zu finden. Wenn sie noch in Deutschland sind, dann haben sie wahrscheinlich Angst davor, abgeschoben zu werden, sprechen aus den Gründen nachvollziehbar nicht. Das heißt, dass wir da eine Person haben, die bereit ist zu sprechen, die unbedingt sprechen will, ihre Geschichte erzählen will, das ist unglaublich selten und sehr wertvoll. Wir haben Davids Perspektive und die wollten wir auch öffentlich machen.

Wer darf bleiben?

Serafin Dinges: Während David im Gefängnis sitzt, geht es für ihn weiter bergab. Er hätte in dieser Zeit bei einem Gerichtstermin erscheinen müssen. Es ist die mündliche Verhandlung seiner Klage gegen seine Abschiebung. So eine Art Showdown: auf der einen Seite David, auf der anderen Seite die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Die Mutter seines Kindes hatte die Vaterschaft schon anerkannt. David steht in der Geburtsurkunde. Er soll jetzt aber trotzdem noch mal vor Gericht erscheinen und argumentieren, warum er bei seinem Kind bleiben will. David kann aber nicht zu dem Gerichtstermin. Er sitzt noch im Gefängnis und er sagt, er hätte nie eine Einladung zu dem Termin bekommen. Am Ende sind weder er noch sein Anwalt mit dabei. Trotzdem ist für das Gericht der Fall damit abgeschlossen. In der Begründung steht später: Das Gericht ist nicht mehr davon überzeugt, dass der Kläger überhaupt Vater einer Tochter geworden ist. David hätte keine Geburtsurkunde vorgelegt. Dabei stand im ersten Beschluss noch, das Gericht hätte die Urkunde schon bekommen. Alles sehr seltsam. Irgendwas ist da juristisch schiefgelaufen, das ist klar. Aber was genau? Das verstehen wir auch nicht. Am Ergebnis ändert das nichts. David Klage wird abgewiesen und er muss raus aus Deutschland. Aber in abzuschieben ist schwierig, denn Deutschland weiß nicht, wohin mit ihm. Er hat keinen Pass, hat überhaupt keine Ausweispapiere. Kein Land will ihn zurücknehmen. Zu diesem Zeitpunkt kann er auch nicht mehr nach Schweden, weil die Frist für seine Abschiebung dorthin nach den Dublinregeln der EU längst verstrichen ist. David ist staatenlos.

Serafin Dinges: Menschen wie David, die sind in der Bürokratie nicht vorgesehen. Also tut der deutsche Staat alles, was in seiner Macht steht, um David wieder in diese Bürokratie einzugliedern. Und während David im Gefängnis sitzt, hegt jemand anders einen Plan aus. Ungefähr zur gleichen Zeit anderswo in Deutschland, in Berlin, um genauer zu sein, da setzt ein Politiker, ein alter Bekannter, zu einer Rede an. Am 2. Juli 2015 im Bundestag. Der CDU-Bundesinnenminister Thomas de Maizière spricht über ein neues Gesetz zum Bleiberecht. Wer soll in Deutschland bleiben dürfen und wer nicht?

Thomas de Maizière: Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf schaffen wir zum ersten Mal ein dauerhaftes, stichtagsunabhängiges Bleiberecht für Menschen, die auch ohne regulären Aufenthaltsstatus besondere Integrationsleistungen in Deutschland erbracht haben, die gut integriert sind, die Deutsch können, die ihren Lebensunterhalt sichern und die nicht in besonderer Weise straffällig in Erscheinung getreten sind. Diesen Menschen eröffnen wir ein dauerhaftes Bleiberecht. Wir sagen ihnen, wie immer hierhergekommen seid, Ihr seid gut integriert, ihr gehört zu uns. Ihr bleibt hier. Ihr seid hier herzlich willkommen.

Serafin Dinges: Das Aufenthaltsrecht soll also für manche Menschen geöffnet werden. Wenn der Innenminister hier herzlich willkommen sagt, dann macht er aber auch eine klare Trennung zwischen denen, die dazugehören, und denen, die nicht dazu gehören. David, der gehört nicht dazu. David kann nicht alleine seinen Lebensunterhalt sichern. Darf er gar nicht. Er ist strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er entspricht in vielerlei Hinsicht genau dem Schreckensbild, das Thomas de Maizière damals zeichnet. Die Ausländerbehörde hat dann ein paar Werkzeuge in der Hand, um festzustellen, ob er nicht doch Staatsbürger irgendeines Landes ist. Sie schreibt an Botschaften, zum Beispiel. Oder sie verschickt einfach Fingerabdrücke.

David: Schon in 2014 die haben meine Fingerabdrücke überall in Afrika geschickt.

Serafin Dinges: In der Hoffnung, dass die dann in irgendwelchen Datenbanken der Länder auftauchen. Aber kein Match. Rund 100.000 Menschen leben wie David mit ungeklärter Staatszugehörigkeit in Deutschland. Knapp 20.000 sind davon wie er ausreisepflichtig. Um mit Menschen wie ihm umzugehen, verabschiedete der Bundestag 2015 ein neues Gesetz. Es soll dafür sorgen, dass Ausländerinnen ohne Aufenthaltsrecht, die eigentlich nicht mehr in Deutschland sein dürften, auch tatsächlich abgeschoben werden.

Thomas de Maizière: Wir brauchen aber genauso nach den schnelleren Verfahren für die, die abgelehnt worden sind und keine Bleibeperspektive haben, eine konsequentere Rückkehrpolitik. Es muss klar unterschieden werden zwischen jenen, die Anspruch auf Schutz haben, und jenen, die diesen Anspruch nicht haben.

Serafin Dinges: Das Gesetz sieht eine ganz besondere neue Verschärfung vor. Es soll den Behörden erlauben, auch Handys der Asylsuchenden zu durchleuchten.

Thomas de Maizière: Es ist nicht zu viel verlangt, dass ein Mensch, der in Deutschland Schutz haben will, ehrlich angibt, wie er heißt und aus welchem Land er kommt. Wenn der Ausländer seine Identität verschleiert, dann soll das kein Bonus für das Asylverfahren sein, sondern sollen in Zukunft auch die Handys, die Datenträger dieses Menschen ausgelesen werden, damit wir feststellen, wer er ist und woher er kommt.

Serafin Dinges: Das heißt, wenn „der Ausländer“ nicht kooperativ genug bei der Feststellung seiner Identität ist, dann darf also auch sein Handy durchsucht werden. Nicht sofort, aber immer dann, wenn der Staat nicht mit anderen Mitteln herausfinden kann, wer jemand ist und woher er kommt. Zum Beispiel weil „der Ausländer“ auch bei einer Botschaft keine Ersatzpapiere bekommt. Oder wenn das mit den Fingerabdrücken zu nichts führt. In der Hoffnung auf einen Hinweis auf die Identität darf die Ausländerbehörde dann auch das Handy durchsuchen. Mit Einschränkungen. Ganz intime Dinge soll die Ausländerbehörde dabei eigentlich nicht sehen und auch nicht verwerten dürfen. Das nennt sich im Juristendeutsch Kernbereichsschutz. Gemeint ist der Teil der Privatsphäre, der so privat ist, dass er vor Blicken des Staates besonders geschützt bleiben soll. Aber lässt sich vermeiden, dass eine Mitarbeiterin der Behörde beim Durchscrollen der Nachrichten auch die Liebeserklärung an die Partnerin findet? Oder dass beim Auswerten der Fotos auch Nacktbilder auf dem Bildschirm auftauchen? Diese Nachrichten und Bilder dürfen laut dem Gesetz nicht in den Auswertungsberichten landen. Aber das Paradox bleibt: Damit am Ende nur das im Bericht landet, was dort auch sein darf, muss ja irgendjemand erst mal die Nachrichten und Bilder durchsuchen und die Person sieht dabei im Zweifel alles. Für ausreisepflichtige Menschen wie David gilt das Grundrecht auf den Schutz ihrer Privatsphäre also nur beschränkt. Jemand darf selbst ihre intimsten Informationen durchsuchen, wenn es darum geht, herauszufinden, wie sie heißen und woher sie kommen. Um dann zu entscheiden, was davon in einem Bericht landen und gespeichert werden darf. Das sieht das neue Gesetz vor und wird so 2015 verabschiedet. In den Jahren nach der Verabschiedung des Gesetzes bekommt David immer wieder Abschiebebescheide.

Stimme: Sie wurden mit dem Bescheid von beeeeep aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen.

Serafin Dinges: Mindestens vier. Dreimal ist er in Abschiebehaft.

Stimme: Somit ist gegen sie ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Ihre Abschiebung aus der Haft/Unterbringung wird angedroht.

Serafin Dinges: Der Ton der Schreiben wird immer schärfer, aber auch immer hilfloser.

Stimme: Sollte eine Abschiebung aus der Haft/Unterbringung heraus nicht möglich sein, werden sie aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach ihrer Entlassung zu verlassen.

Serafin Dinges: Das Problem ist: Selbst wenn David ausreisen wollte, es gibt kein Land, das sich für ihn verantwortlich sieht. Kein Land, wo er ohne gültige Papiere hin könnte. Man würde ihn nicht mal ins Flugzeug steigen lassen ohne irgendein Dokument. Allerspätestens beim Versuch der Einreise wäre Schluss.

Eskalation auf der Ausländerbehörde

Serafin Dinges: Und dann, im Sommer 2022, hat er wieder einen Termin bei der Ausländerbehörde. Er erträgt damals das Herumsitzen und Nichtstun nicht mehr, sagt, er will unbedingt arbeiten. Dafür braucht er aber eine Erlaubnis. Er hat schon öfter gefragt, aber die Ausländerbehörde macht jedes Mal klar, dass er keine Arbeitserlaubnis bekommen wird. Er will es aber trotzdem noch mal versuchen, sagt er. Er setzt sich in den Zug, in die nächste Stadt, in der seine zuständige Ausländerbehörde ist, fährt ein paar Stationen mit dem Bus und dann geht er durch eine der verschiedenen Pforten und Sicherheitskontrollen des Gebäudes. Wie immer gibt er dort alle möglichen Gegenstände ab. Sicherheitskontrolle eben.

David: Und dann bin ich rein. Die haben genommen. Ich hab gesagt, okay, es ist Hauskontrolle. Kriege ich wieder, wenn ich rein in Gebäude. Dann bin ich rein in Gebäude. Und ich hab gesagt, wo die sind mein Handy. Haben gesagt: Nee, kriegen Sie kein Handy.

Serafin Dinges: David hat an dem Tag drei Handys dabei. Zwei gehören ihm. Eins hat er von einer Freundin geliehen. Das Sicherheitspersonal will ihm die Handys nach der Sicherheitsschranke nicht zurückgeben. Er denkt, dann bekommt er sie später wieder. Er geht zu seinem Termin mit einem Sachbearbeiter. Doch das Gespräch kann gar nicht stattfinden, denn plötzlich kommt eine weitere Beamtin ins Zimmer.

David: Oh, dann kommt die Frau plötzlich. Ja. Nehmen Sie sein Handy. Das ist Papier, das wir Ihr Handy nehmen können.

Serafin Dinges: Und die sagt, David werden seine Handys abgenommen. Sie legt ihm einen Zettel vor, der erklärt, warum. Den Zettel versteht David in dem Moment aber überhaupt nicht. Sie behandeln ihn wie ein „Stück Mist“, erzählt er uns.

David: Da kommt Security, fünf oder vier. Der hat alle Handy drei. Ich habe gesagt: Bitte, ich kann Nummer raus. Nee, nee, kriegste nicht. Sag mir die Name. Ich habe gesagt, ist mein Handy, ich will Nummer raus und schreibe. Ne andere, die haben ihre kaputt Handy gemacht so. Ich hab gesagt: Was erzählen Sie? Ich will mein Handy.

Serafin Dinges: David möchte sich wenigstens die Nummern notieren, die er im Handy gespeichert hat. Aber der Security sagt, sie wollen ihm das Handy nicht in die Hand geben. Er könnte es ja kaputt machen. Das hätten andere schon davor gemacht.

David: Sie haben alle drei Handy genommen. Eine ist kaputt. Funktioniert nicht ohne SIM-Card. Nix. Und andere von meine Freundin, habe ich ausgeliehen. Und meine Handy, auf meinen Namen mit SIM-Karten dran.

Serafin Dinges: Für David ist das ein Trigger-Moment. Er wollte heute hier nur über seine Arbeitserlaubnis sprechen. Und plötzlich eskaliert die Situation immer mehr. Er wird völlig unvorbereitet getroffen, hat nicht damit gerechnet, dass plötzlich eine Handvoll teils uniformierter Menschen um ihn herumstehen, die etwas von ihm wollen. Er kämpft ohnehin schon mit dem Gefühl, verfolgt zu werden. Und jetzt nehmen ihm diese Menschen seine Geräte ab.

David: Ja, und ich habe meine Paranoia gekriegt. Und ja, ich bin psychisch krank. Ich bin schwerbehindert. Ich hab Problem. Ich hab Paranoia, das war mir passiert schon öfter. Die haben Angst bekommen oder weiß ich nicht.

Serafin Dinges: Schwarze Männer wie David, besonders große, werden oft als aggressiv und gefährlich eingeschätzt.

David: Und die können nicht die Situation schätzen. Die hatten Angst, weil ich mir so große Mann.

Serafin Dinges: Und David muss die Konsequenzen tragen, weil das Sicherheitspersonal Angst vor ihm hat.

David: Die haben Angst, weil weiß ich nicht.

Chris Köver: Und als sie dann Paranoia bekommen haben, haben sie dann… Sie haben gemeint, sie sind auch laut geworden?

David: Ja, laut. Ich habe gezittert und so. Ich war so … Ich konnte nicht sitzen so, ich hab aufgestanden. Hat mein Kopf kaputt gemacht auf einmal. Ich habe nie so, dass die Hand nehmen können. Habe ich nie gedacht.

Serafin Dinges: David denkt, dass seine Paranoia in dem Moment missverstanden wurde, als ein „Der muss da was im Handy versteckt haben, was wir nicht entdecken sollen“. Die Beamt:innen glauben, er hat Angst davor, dass sie etwas rausfinden. Dabei hat er nur Angst vor den Beamt:innen.

David: Und die haben gedacht, Ich habe Angst, dass ich etwas im Handy. Aber ich habe Angststörung. Ich bin krank. Wenn ich fühle mich so bedroht oder so, da reagiere so. Das war normale Reaktion für mich als kranker Mensch.

Serafin Dinges: David versteht in dem Moment auch überhaupt nicht, warum ihm die Geräte überhaupt abgenommen werden. Es liegt da zwar dieser Zettel, der das erklären sollte. Aber ganz ehrlich: So einen Zettel, der auf Amtsdeutsch erklärt, auf Grundlage welcher Paragraphen einem grade Geräte abgenommen werden, wer kann das in so einer Stresssituation wirklich verarbeiten? Noch dazu, wenn das eigene Deutsch nicht perfekt ist. David wird später gegen den Vorgang klagen. Die Klage wird abgewiesen, aber in der Klageschrift wird aus diesem Zettel zitiert.

Stimme: Mit Bescheid der Regierung von beeeep vom 1.3. wurde der Kläger verpflichtet, seine mobilen Datenträger zur Auswertung für die Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit… Zudem wurde er aufgefordert, die entsprechenden Zugangsdaten mitzuteilen… § 48 Absatz drei Aufenthaltsgesetz durchsucht werden. Er habe die Maßnahme zu dulden.

Serafin Dinges: Dieser Bescheid also soll David an dem Tag auf der Behörde übergeben worden sein. Die Unterschrift verweigerte er. Alle drei Handys werden ihm abgenommen. Es klingt, wenn man die Dokumente der Klage liest, als hätte die Behörde rein rechtlich alles richtig gemacht. Sie hat zumindest nichts gemacht, was das deutsche Gesetz nicht genauso vorsieht. Die Behörde ist hier einfach die Hand, die ausführt, was die Politik sich ausgedacht hat. Nur offenbar hat niemand David wirklich verständlich gemacht, was auf dem Papier steht. Dass es ein Gesetz gibt, dass es den Beamten erlaubt, sein Handy zu durchsuchen. Und so eskaliert die Situation. Die Beamten rufen die Polizei, aber die lässt ihn gehen. Aber seine Handys bleiben. David ist hinterher schockiert. Traurig.

David: Der Moment war, ja war… Ich hab geweint. Weil Handy ist alles drin, Bücher, alles drin. Die ist meine auch Unterhaltung, so, ich unterhalte mich mit Musik. Alles drin. Bücher, Kontakt mit Freunde. Und einfach weg. Ja, ja. Aber die Art und Weise hat mich nicht gefallen. Ehrlich, Ich hab nie gedacht, das würde hier in Deutschland so … Okay, ich habe mich kriminelle Sachen gemacht, was mein Handy genommen worden. Bis jetzt ein Jahr. Ich war traumatisiert. Ich war aufgeregt. Ich war kurz in Psychiatrie hier. Ja, ich hab alles verloren.

Was geht verloren?

Serafin Dinges: David hat nicht viel. Die meiste Zeit verbringt er mit Nichtstun und Warten, sagt er. Auf seinen Handys dagegen spielt sich deshalb ein Großteil seines Lebens ab.

David: Ja, ich hab viel benutzt für Musik und so. Bücher auch. Ich hab so viele Bücher drauf. Foto von meiner Tochter, weil dieses Handy ist alt seit 2017. Foto. Gespräch mit meiner Tochter, Video von meine Tochter. Ja, Familie und so. Foto von meiner Ex-Freundin. Foto vom andere Freundin. Das war’s.

Serafin Dinges: Mit seinem Handy hat er auch den Zugang zu seinem Facebook-Account verloren. Zurücksetzen kann er den Account ohne sein Handy ebenfalls nicht. Seit über einem Jahr ist er jetzt ausgesperrt.

David: Da hatte ich kein Geld für neue Handy zu kaufen und SIM-Karte. Was ich nur mein. Und da war ich vom Welt abgeschottet.

David: Für den deutschen Staat ist das Einbehalten von Davids Handys ein ganz normaler Amtsvorgang, Teil der Pflichten, die David als ausreisepflichtiger Mensch eben per Gesetz hat. Für David aber ist das Wegnehmen seines Handys ein Raub. Er ist erschüttert, dass der Staat das darf, und hat damit endgültig das Vertrauen in Deutschland und in seine Behörden verloren.

Serafin Dinges: Wir wollen an dieser Stelle kurz etwas ansprechen. David ist krank, wie er selbst sagt. Er fühlt sich verfolgt, hört manchmal Stimmen. Das sind Symptome, die zum Beispiel bei einer Schizophrenie vorkommen können. Das Stigma rund um solche Erkrankungen ist groß. Immer wieder gibt es Medienberichte von Gewalttaten, die von Menschen in einer Psychose begangen werden. Das Verhalten von Betroffenen kann manchmal ganz schön verwirrend für Außenstehende sein. Aber das heißt nicht, dass Menschen mit einer Schizophrenie automatisch gefährlich sind. Sie haben vielmehr ein stark erhöhtes Risiko, selbst Opfer von Gewalt zu werden oder Suizid zu begehen. Das Wichtigste ist, dass Betroffene Hilfe bekommen. Die Symptome der Krankheit können gut behandelt werden mit Medikamenten und Therapien. Und David ist in Behandlung. Seit Jahren schon.

Werbepause

Chris Köver: Okay, warte mal kurz.

Serafin Dinges: Hallo.

Chris Köver: Hörst du mich?

Serafin Dinges: Jetzt. Hallo, Chris. Willkommen zur Werbepause.

Chris Köver: Hallo, Serafin. Schön, dass ich in der Werbepause auftreten darf.

Serafin Dinges: Was machst du denn gerade?

Chris Köver: Äh, ich bin gerade dabei, eine Liste mit Daten durchzugehen, auf die wir aufmerksam gemacht worden sind. Und ich versuche, diese Leute zu identifizieren und dann irgendwie Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Über LinkedIn oder Facebook oder wie auch immer.

Serafin Dinges: Mehr kannst du gerade nicht verraten, aber mehr Zeit haben wir auch nicht in der Werbepause. Ich habe auch nur zwei ganz kurze Fragen für dich. Nummer eins. Wer bezahlt uns denn eigentlich dafür, dass wir das ja alles gerade machen?

Chris Köver: Die Spender:innen, also eigentlich ausschließlich unsere Leser:innen, die regelmäßig Geld spenden dafür, dass wir diese Arbeit machen.

Serafin Dinges: Und die zweite Frage, ganz leicht: Was sollen denn Hörer:innen machen, wenn sie den Podcast gut finden und uns auch unterstützen wollen?

Chris Köver: Hm, anderen davon erzählen fände ich natürlich schön, damit möglichst viele Leute den Podcast auch hören. Und wenn sie es können, freue ich mich natürlich auch, wenn sie uns mit einer Spende unterstützen.

Serafin Dinges: Okay, das war’s auch schon. Alle Infos gibt es dann noch mal am Ende und ich würde sagen weiter mit dem Podcast und ich lass dich weiter deine Daten auswerten.

Chris Köver: Super, Danke.

Serafin Dinges: Bis bald. Tschau.

Wie im Gefängnis

Serafin Dinges: Wir lassen uns von David auch seine Asylunterkunft zeigen. Also von außen zumindest. Rein können wir nicht. Journalist:innen sind dort nicht so gern gesehen. Es ist eine ehemalige Kaserne.

Chris Köver: Ist er da? Ne, noch nicht.

Serafin Dinges: Mehrere 100 Menschen leben hier, die meisten in Vierbettzimmer, Gemeinschaftsküche auf dem Gang. Am Eingang ist eine Schranke und ein Wachposten.

Chris Köver: Links ist so eine bröckelnde Baracke, wo man nicht genau weiß Ist das jetzt… Gehört das irgendwie dazu? Mit einem Bauzaun davor. Und dann dieses Pförtnerhäuschen, das irgendwie gar kein Häuschen ist, sondern so ein richtiges Gebäude. Sieht aber, könnte so ein Krankenhauseingang sein oder so. Das ist ein bisschen so modern, orange angestrichen. Ein Weinberg auch. Man schaut auf so einen Weinberg hinter der Aral-Tanke. Sonst ist das halt echt Ausfallstraße.

Serafin Dinges: Seit fast 15 Jahren lebt David zumindest offiziell hier. Aber wirklich leben tut er hier gar nicht.

Serafin Dinges: Wie viel Zeit verbringst du hier?

David: Keine Zeit. Wenn ich komme hier duschen. Manchmal. Ein bisschen schlafen und abhauen.

Serafin Dinges: Er fühlt sich hier wie im Gefängnis, erzählt er.

David: Ist wie Gefängnis. Sogar schlimmer. Ne, ich mecker nicht, ist nämlich okay, in Ordnung. Aber die Umgebung und so, fühle mich nicht wohl. Erinnerung, ich fühle mich so depressiv.

Serafin Dinges: Er schläft kaum. Und wenn, dann lieber im Vorraum einer Sparkasse als hier. Und manchmal einfach gar nicht. Mit der Asylunterkunft verknüpft David schlechte Erinnerungen.

David: Ich habe letztes mal Abschiebung erlebt. Da war so viel Polizist, eine da, eine da. Ich glaube, das ist Abschiebung. Ja, kann man nicht irgendwo abhauen, ne? Was Zaun.

Serafin Dinges: Also das alles ist komplett eingezäunt.

David: Komplett. Komplett. Hier keine Chance.

Serafin Dinges: Viele seien lieber auf der Straße oder im Gefängnis als hier, erzählt David.

David: Viele sind verrückt geworden, Viele, die sind wieder kriminell. Paar Junge kenne ich so lange Zeit, die sind wieder im Knast. Das heißt sehe, jeder ist wie. Wie kann man sagen.. Diese Spirale: wieder raus hier, bisschen so und dann wieder in Knast. Ist verflucht dieser Platz, ehrlich, sage ich. Ist verflucht.

Serafin Dinges: Jetzt, wo wir kurz davor sind, uns von David zu verabschieden, schauen wir ihn noch mal an. Er ist mit seiner Kraft sichtlich am Ende. Bewegt sich nur langsam. David ist ungefähr so alt wie ich, Anfang 30, aber er sieht älter aus. Die letzten Jahre haben Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Er bewegt sich wie jemand, der sich klein halten will. Schüchtern fast oder scheu. Wie jemand, der nicht weiter auffallen will. Dabei ist er eigentlich ein witziger Mensch. Immer wieder kommt sein Humor durch.

David: Und ehrlicherweise Ich habe Kriminalität in Deutschland, in Deutschland gelernt. Wo große Dichter sind geboren. Sind große Dichter vom Deutschland, aus Deutschland.

Serafin Dinges: Sagt, im Land der Dichter und Denker hat David nur Kriminalität gelernt. Er sagt, er würde sich gerne in Deutschland was aufbauen, wollte eine Ausbildung machen, an die Abendschule gehen oder arbeiten.

David: Ich will kein Geld vom Steuerzahler. Will ich nicht. Ich kann arbeiten, ich bin noch jung und so. Warum soll ich um andere Leute für mich bezahlen so mein Leben? Da mag ich nicht. Wissen Sie, diese Unterkunft. Ganzen Tag die Leute machen nichts. Sie rauchen Shisha, trinken Tee. Drei Monate oder vier Monat oder sechs Monate. Alter, der Mann wird krank.

Serafin Dinges: Hat 15 Jahre lang dabei zugesehen, wie andere das geschafft haben und an ihm vorbeigezogen sind. Er durfte nichts und inzwischen will er es auch nicht mehr. Als wir ihn fragen, was er sich eigentlich wünschen würde, sagt er: Er will nur noch seine Ruhe.

David: Dass sie mich in Ruhe lassen. Ist mein Ziel, dass ich nicht wieder in Knast lande, das ist mein Ziel.

Serafin Dinges: Und jetzt, ein Jahr, nachdem ihm die Behörde seine Handys weggenommen hat, steht er immer noch hier. Vor einer Asylunterkunft. Eine Abschiebung ist nicht in Sicht. Die Handys hat auch nicht wieder. Und wir fragen uns in der Stelle: Wozu das alles dann?

Wozu das alles?

Sarah Lincoln: Und da haben wir festgestellt, dass die Ergebnisse oft überhaupt nicht verwertbar sind.

Serafin Dinges: Das ist Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte oder kurz der GFF. Der Verein verklagt gerne mal zum Beispiel Bundesbehörden, um Grundrechte durchzusetzen. Und die GFF beobachtet das Gesetz, das David zum Verhängnis wurde, schon länger, wertet aus, ob es sein genanntes Ziel auch erfüllt. Sie schauen also, ob die Auswertung der beschlagnahmten Handys überhaupt dazu führt, dass die Behörden rausfinden, wo eine Person wirklich herkommt.

Sarah Lincoln: Das ist extrem fehleranfällig, dass man da dann eben oft dann auch auf die falsche Fährte gelockt wird. Und tatsächlich zeigen die Zahlen, dass in den allerwenigsten Fällen überhaupt Widersprüche festgestellt werden zu den Angaben, die die Leute selber gemacht haben.

Serafin Dinges: Andersrum gefragt: Was könnte denn auf so einem Handy drauf sein, was helfen würde? Also abgesehen von vielleicht einer Notiz, in der steht: Ich habe übrigens mal einen Pass in dem Garten dort vergraben.

Sarah Lincoln: Ich glaube, es geht tatsächlich vorgelagert darum, dass man sich Hinweise auf die Identität bzw. Die Staatsangehörigkeit erhofft. Und dann würde man eben nach Geodaten suchen. Wobei das bei Leuten, die schon lange hier sind, gar nix bringt. Dann gucken, mit wem steht die Person im Kontakt und aus welchen Ländern kommen diese Menschen? Also Telefonnummern, Vorwahlen. Man würde sich die Chats angucken. In welcher Sprache wird hier mit wem kommuniziert und auf welches Herkunftsland weist das hin? Fotos etc., solche Dinge. Also über den Verbleib des Passes oder die Möglichkeit einen neuen Pass zu bekommen, wird das Handy gar nix aussagen können.

Serafin Dinges: Aber es ist quasi, ich schaue, ob es in WhatsApp nen Familienchat gibt und schau wo die Familien alle sind, die alle anderen Mitglieder in dem Chat.

Sarah Lincoln: Genau. Man guckt sich die Nachrichten an und schaut sich an, woher die Leute kommen, wem die Person Kontakt steht, Familienangehörige etc. aus dem Herkunftsland, die Sprachen, bestimmte regionale Besonderheiten der Sprache etc..

Serafin Dinges: Tausende von Handys hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit 2017 ausgelesen und durchsucht. In einem Großteil der Fälle sind die Daten einfach nicht brauchbar. Der Rest bestätigt vor allem die Angaben, die die Geflüchteten selbst gemacht haben. So wirklich nützlich ist der ganze Aufwand und die womögliche Grundrechtsverletzung also nicht.

Sarah Lincoln: Im Zweifel wird es oft so sein, dass man schon auch weiß, woher die Person kommt, dass die Person das auch angegeben hat, woher sie kommt und dass das Problem dann eher ist, an einen Pass zu kommen.

Wo ist Davids Handy?

Serafin Dinges: Wir haben das ja bei David schon gesehen. Das Handy wurde ihm vor über einem Jahr abgenommen. Getan hat sich seitdem nicht viel, außer, dass ein Gericht seine Klage dagegen zurückgewiesen hat. Wir wissen, wie und wo David das Handy abgenommen wurde. Aber das ist ja nur der Start der Reise des Handys. Chris, was wissen wir denn darüber, was danach mit Davids Handy passiert ist?

Chris Köver: Also was genau mit seinem Handy passiert ist, wissen wir natürlich nicht. Aber wir recherchieren ja schon länger zu dem Thema. Und wir wissen, was grundsätzlich mit Handys in Bayern passiert in so einer Situation. Also in anderen Bundesländern, in Berlin zum Beispiel, war es so, da durften Mitarbeiter:innen der Ausländerbehörde selbst die Handys durchsuchen und haben die dann einfach entsperrt oder entsperren lassen, sich die Pins geben lassen und durften dann eben durch die ganzen Inhalte blättern, die auf so einem Handy dann zu sehen sind. In Bayern läuft es aber anders. In Bayern gibt es eine eigene Behörde für Abschiebungen. Die heißt Landesamt für Asyl und Rückführungen. Die machen zum Beispiel Sammelabschiebungen. Die besorgen Papiere, damit Menschen, die ausreisepflichtig sind, abgeschoben werden können, all sowas. Und in dieser Behörde gibt es auch eine eigene Fachstelle, die nennt sich Fachstelle Identitätsklärung. Und die macht seit vergangenem Jahr auch diese forensischen Handydurchsuchungen. Das heißt, das ist wie so eine Art Servicestelle gedacht. Die ganzen Ausländerbehörden in ganz Bayern können jetzt die Handys, die sie Menschen abgenommen haben, dorthin weiterleiten. Und die Mitarbeiter:innen in diesem Landesamt knacken dann die Handys, durchsuchen sie mithilfe von Software und schicken am Ende nur noch einen Bericht zurück an die Ausländerbehörde über das, was sie in dem Handy gefunden haben, was irgendwelche Rückschlüsse auf die Identität oder die Sprachen erlaubt, die dort gesprochen werden.

Serafin Dinges: Das heißt, David Handy liegt jetzt vermutlich bei dieser Behörde, wurde vermutlich dorthin geschickt.

Chris Köver: Ja, also es würde zumindest zeitlich hinhauen.

Serafin Dinges: Und wie oft passiert das? Also, warum dauert es so lange, dass Davids Handy zurückgeschickt wird, jetzt über ein Jahr?

Chris Köver: Genau weiß ich das nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass das einfach was mit den Ressourcen zu tun hat. In dieser Fachstelle Identitätsklärung, das hat uns die Behörde damals gesagt, arbeiten nur drei Leute, und von denen macht eine einzige Person die forensische Auswertung. Gleichzeitig haben die uns gesagt, dass da hunderte Geräte hingeschickt werden aus den Ausländerbehörden. Allein zu Beginn des letzten Jahres. Also im Zweifel kann es gut sein, dass Davids Handy da einfach schon seit einer ganzen Weile herumliegt und darauf wartet, dass es mal drankommt.

Serafin Dinges: David hat ja sein Passwort nicht weitergegeben. Können die das Handy damit knacken?

Chris Köver: Ja, die können das knacken. Die haben sich selbst die Software angeschafft, mit der sonst Polizeibehörden oder der Zoll arbeiten. Das heißt, die haben jetzt die technischen Möglichkeiten, auch Geräte zu knacken, zu denen sie keine Zugangsdaten haben.

Eine Geschichte ohne Ende

Serafin Dinges: Dieses Gesetz, das all diese Maßnahmen erlaubt, das dafür sorgt, dass es diese Behörden gibt, die Handys durchleuchten, manuell oder automatisiert, das Gesetz ist nicht nur umstritten. Die GFF sagt sogar, es ist verfassungswidrig.

Sarah Lincoln: Weil der Eingriff auf der einen Seite zu schwerwiegend ist und der Nutzen quasi gar nicht bis gering ist. Und da kommt man dann, hat man ein Verhältnismäßigkeitproblem. Und man muss dazu sagen, es ist ja auch nicht gesetzlich geregelt, dass nur bestimmte Daten ausgewertet werden dürfen und eben besonders persönliche oder intime Daten dann ausgespart werden. Also man gibt es aus der Hand und damit ja auch die Kontrolle darüber, was damit geschieht. Und die Behörde kann sich im Zweifel ja alles angucken auf dem Handy.

Serafin Dinges: Die GFF ist gegen die Handydurchsuchungen des BAMF, also des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, vorgegangen. Sie hat gemeinsam mit mehreren Personen, deren Handys das Bundesamt durchsucht hat, vor verschiedenen Verwaltungsgerichten dagegen geklagt. Und gewonnen. Das Gericht in Berlin hat bestätigt: Die Durchsuchung durch das BAMF war rechtswidrig. Nicht grundsätzlich, aber zumindest in diesem einen konkreten Fall. Denn die Betroffene, eine Frau aus Afghanistan, hatte ein anderes Dokument, das ihre Identität bestätigte. Das BAMF hatte das aber nicht vorher überprüft, sondern gleich das Handy verlangt. Nicht erst als letzte verbleibende Möglichkeit, wie das eigentlich sein sollte, sondern viel früher. Dieser pauschale Ansatz, erst mal bei allen, die keinen Pass dabei haben, die Handydaten auswerten, das geht so nicht, sagte das Gericht. Ein juristischer Erfolg und eine Schlappe für das BAMF. Dachte man kurz.

Serafin Dinges: Aber was tut die Bundesregierung? Statt das Gesetz abzuschaffen, hat sie erst mal klargestellt, dass sie keinesfalls vorhat, die Handydurchsuchungen aufzugeben. Das Bundesinnenministerium erklärt uns auf Anfrage, einfach ausgedrückt: Die Durchsuchungen von Handys gehen weiter. Man muss jetzt nur etwas strenger sein, wen man durchsucht. Und die Bundesregierung macht nicht nur weiter. Vor kurzem hat sie das Gesetz sogar noch mal verschärft. Als Teil der neuen Asylgesetzgebung gilt jetzt, dass in Zukunft auch die Wohnräume der geflüchteten Personen durchsucht werden dürfen, um dort direkt nach Geräten zu suchen. Das heißt, die Beamtinnen müssen nicht mehr warten, bis jemand wie David im Amt vorbeikommt, um ihm die Handys abzunehmen. Sie können einfach in sein Schlafzimmer spazieren und dort nach Handys suchen. Wenn also das Ziel, die Identität einer Person unwidersprechlich final festzustellen, wenn dieses Ziel also nicht erreicht wird, was bringt dieses Gesetz dann? Und warum wird es noch mal verschärft? Sarah drückt sich vorsichtig aus.

Sarah Lincoln: Ja, da kann ich auch nur mutmaßen, aber ich würde mal davon ausgehen, dass da so eine latente Unterstellung ist, dass die Leute irgendwie selber schuld sind und nicht genug tun, um ihre Ausreise oder ihre Abschiebung möglich zu machen. Dass man denen mal so ein bisschen zeigen will, wo der Hammer hängt oder so ein bisschen Druck erzeugen. Und ich würde da echt von Schikane sprechen.

Serafin Dinges: Bei David ist diese Botschaft jedenfalls angekommen. Das Ziel, soweit er das wahrnimmt, ist nicht seine Herkunft nachzuweisen, sondern David ist sich sicher Der Staat will ihn nach und nach in die Verzweiflung treiben und hofft, dass er irgendwann von alleine das Land verlässt.

David: Abendschule wurde mich auch untersagt. Alles. Ich kann nichts machen. Die machen so Politik. Ich sage ehrlich so ganz offen, das ist die Europolitik, dass man keine Möglichkeit hat.

Chris Köver: Das heißt aber, es gibt eigentlich keinen Ort, wohin Deutschland Sie abschieben könnte. Und gleichzeitig, wenn Sie jetzt hier sind, dürfen Sie hier aber auch nichts machen. Keine. Sie haben keine Perspektive, Sie können keine Ausbildung machen, keine Abendschule, dürfen nicht arbeiten.

David: Nee, darfst du gar nichts machen hier.

Serafin Dinges: Was da gemacht wird mit David. Dieser ganze Prozess der Identitätsfeststellung. Das hat was Absurdes. Dass der deutsche Staat Jahre an Zeit und Ressourcen darin investiert, um festzustellen, wer ein Mensch ist, der da gerade in Fleisch und Blut vor uns steht. Um das zu schaffen, werden immer neue Stufen der Eskalation erklommen. Der Staat dringt immer tiefer in Davids Privatsphäre ein. Egal, ob es zu einem Ergebnis führt oder nicht. Solange es nur nicht so aussieht, als würde man nichts tun. Und David? Der lebt gern in Deutschland. Der wollte hier eine Ausbildung machen, die Abendschule besuchen, vor allem arbeiten und dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Aber dann ist da noch der andere David, den wir über die Dokumente kennengelernt haben. Den der Staat konstruiert hat. Ein renitenter Ausländer, der ohne Erlaubnis eingereist ist und seit mehr als 15 Jahren mit ungeklärter Identität hier lebt und sich allen Anweisungen und Belehrungen des Staates immer nur widersetzt hat, der straffällig geworden ist und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Dieser David ist ein Stapel Akten, dem das eine richtige Dokument fehlt. Der Pass. Und er ist ein Problem, das der Staat einfach nicht loswird. Es sieht nicht so aus, als könnten die beiden Davids noch mal miteinander vereint werden. Fragt sich nur, ob es sich wirklich lohnt, so viel Zeit und Geld in den einen David zu investieren, während der andere sich komplett im Stich gelassen fühlt.

Serafin Dinges: Diese Geschichte. Deutschland gegen David. Sie hat kein Happy End. Sie hat nicht mal irgendein Ende. Sie hört einfach nicht auf. David darf nicht bleiben. David darf nicht gehen. Er darf nicht arbeiten und darf auch nicht kriminell sein, klar. Es darf ihn nicht geben. Aber es gibt ihn auch jetzt. Jetzt gerade. In dieser Sekunde, wenn ihr diesen Podcast hört. Das Land der Dichter und Denker, wie David das selbst nennt, dieses Land will nicht darüber nachdenken, was aus Menschen wie David werden soll. Und dann stellt sich SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz Ende 20 23 hin und sagt: Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.

Serafin Dinges: Systemeinstellungen ist eine Produktion von netzpolitik.org, dem Medium für digitale Freiheitsrechte. Host und Producer bin ich, Serafin Dinges. Redaktion: Anna Biselli, Chris Köver, Ingo Dachwitz und Sebastian Meineck. Titelmusik von Daniel Laufer. Zusätzliche Musik von Blue Sessions und mir. Coverdesign: Lea Binsfeld. Besonderer Dank an Lara Seemann und Lena Schäfer. Wenn euch der Podcast gefallen hat, dann helft ihr uns sehr, wenn ihr uns eine gute Bewertung gibt und empfehlt ihn gerne weiter. Bis zum nächsten Mal. Nächste Woche bei Systemeinstellungen:

Andrej Holm: Machst die Tür auf und da sind maskierte, uniformierte Menschen mit Waffen und einem Rammbock vor dir. Da sagst du ja nicht: Guten Morgen. Möchten Sie einen Kaffee? Kann ich Sie reinlassen? Was möchten Sie? Haben Sie sich in der Tür geirrt? Also all das, was man hätte sagen können. Es ist mir in dem Moment nicht eingefallen. Zumal wir auch dann ohne Zögern in unsere Wohnung eingedrungen sind.

Anne Roth: Also so, so ein Szenario, was du sozusagen als Aktivistin, als Linke weißt, dass es das gibt und immer denkst, das wird mir aber nicht passieren. Also ich bin ja jetzt nicht gefährlich. So, wenn es dir doch passiert, eine totale Fassungslosigkeit zu denken. Das ist jetzt ein schlechter Film. Das kann doch nicht wahr sein.

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