Netzpolitischer Wochenrückblick KW 44: Die Privatsphäre im Netz ist bedroht

Die Woche im Überblick: Der NDR zeigt, dass wir alle nackt im Netz unterwegs sind und in Kanada wurden Journalisten von der Polizei überwacht. Es gibt aber auch etwas Positives. Deutsche YouTube-Nutzer können endlich GEMA-lizenzierte Musik hören.

Da werden Bugs einfach zu Features erklärt. Auch diese Woche ist wieder einiges passiert.
Da werden Bugs einfach zu Features erklärt. Auch diese Woche ist wieder einiges passiert. – CC BY-NC-ND 2.0 via flickr/mjpicsde
Da werden Bugs einfach zu Features erklärt: Auch diese Woche ist wieder einiges passiert.
Da werden Bugs einfach zu Features erklärt: Auch diese Woche ist wieder einiges passiert. –
CC BY-NC-ND 2.0 via flickr/mjpicsde

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Nackt im Netz

Diese Woche deckte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) auf, wie leicht man mit angeblich anonymisierten Datensätzen konkrete Personen identifizieren kann. Die Journalisten kamen an einen Datensatz mit Daten von drei Millionen deutschen Internetnutzern. Durch eine Stichprobe konnten sie fünfzig Personen identifizieren. Auch Rückschlüsse auf zum Beispiel Krankheiten, sexuelle Vorlieben und Drogenkonsum waren möglich.

Unter den Identifizierten waren auch Spitzenpolitiker und Journalisten. Der NDR hat gezeigt, wie der Datenhandel zu Erpressung und der Gefährdung des Quellenschutzes führen kann. Im Datensatz waren Informationen zu Reisen und Treffs, zur Vorbereitung interner Sitzungen, zum Umgang mit Interessensgruppen oder auch zu privaten Dingen wie Vermögensverhältnissen und Gesundheit ersichtlich.

Wie soll man sich also davor schützen? Auch wenn es keinen hundertprozentigen Schutz gibt, haben wir einige Tipps gegeben, um wenigstens ein Mindestmaß an Privatsphäre zu haben. Die Daten, durch die der NDR Personen identifizieren konnte, stammten unter anderem von Browser-Addons. Als Erstes sollte man daher schauen, ob man nicht einige davon deinstallieren kann.

Die Angst vor Kriminalität

Gegen das beschlossene BND-Gesetzespaket hat sich nun auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Privatsphäre, Joseph Cannataci, ausgesprochen. Er stellt zwei Verstöße gegen völkerrechtliche Verträge fest: gegen Artikel 12 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und Artikel 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte.

Der Grund für solche Überwachungsgesetze ist oftmals die Forderung nach mehr Sicherheit. Einer Umfrage zufolge sieht die Bevölkerung eine Verschlechterung der Sicherheitslage im öffentlichen Raum. Diese subjektive Sicht ist allerdings realitätsfern, geht die Kriminalität insgesamt doch zurück. Eigentlich bräuchte es nicht mehr, sondern weniger Überwachung.

Die Folgen von immer mehr Überwachung lassen sich zum Beispiel in Kanada sehen. Mindestens sieben Journalisten wurden in Kanada monatelang in Montreal überwacht – um Informanten innerhalb der Polizei zu finden. Diese zeigten sich überrascht, glaubten sie doch an die Kontrollmechanismen, die so etwas verhindern sollten.

Um eine wirkliche Kontrolle zu gewährleisten, muss auch die Gesellschaft mit einbezogen werden. Deshalb wurde das Projekt „Wer kontrolliert Wen?“ ins Leben gerufen. Es ist ein Online-Archiv, das versucht, sämtliche veröffentlichte Materialien zu sammeln und zur Verfügung zu stellen, die im Zusammenhang mit der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses veröffentlicht wurden.

Was passieren kann, wenn Überwachung im Netz immer weiter voranschreitet, kann man in China sehen: Dort werden Nutzer von Livestreaming-Apps mit Filterlisten überwacht und zensiert. Das Brisante: Diese Listen werden von Unternehmen im Rahmen einer privatisierten Rechtsdurchsetzung gepflegt.

Urheberrecht: Die USA machen’s vor

Endlich! YouTube und die deutsche Verwertungsgesellschaft GEMA haben sich geeinigt. Das heißt: Tschüss Sperrbildschirm und hallo Rechtsunsicherheit. Es bleibt nämlich unklar, ob andere Plattformbetreiber oder neue Diensteanbieter mehr oder weniger als YouTube für dieselben Inhalte zahlen müssen.

Daran wird auch die geplante Reform der europäischen Urheberrechtsrichtlinie nichts ändern. Die Verbraucherzentrale Bundesverband findet die Vorschläge enttäuschend und sieht „viel Luft nach oben“. Unter anderem das Leistungsschutzrecht und Geoblocking werden kritisiert.

Das Urheberrecht gefährdet auch digitale Bildungsprojekte. An Universitäten und Hochschulen sind beispielsweise Lernplattformen wie Moodle oder Blackboard beliebt. Durch einen neuen Vertrag zwischen der Verwertungsgesellschaft Wort und der Kultusministerkonferenz stehen diese nun quasi vor dem Aus. Dozenten müssen nämlich ab nächstem Jahr eine Liste meldepflichtiger Werke führen, die sie auf einer Lernplattform bereitstellen.

Wie ein modernes Urheberrecht aussehen kann, haben diese Woche die USA gezeigt. Die auf zwei Jahre begrenzten Ausnahmen im Digital Millenium Copyright Act erlauben nun Eingriffe in die Software von Geräten. Unter anderem das „Jailbreaking“ von Smartphones und Tablets oder das „Reverse engineering“, also der Versuch, Software und Herstellermethoden im Rahmen von Sicherheitsforschung zu rekonstruieren, sind nun erlaubt.

Feature statt Bug

Dass Facebook zielgerichtete Werbung einsetzt, ist nichts Neues. In den USA steht das Unternehmen nun aber in der Kritik, Nutzer auch nach „ethnischer Affinität“ (aus)sortiert zu haben. Für Facebook nennt sich das „multikulturelles Marketing“ – ein tolles „Feature“ für Werbetreibende, oder nicht?

Ein tolles Feature bietet auch Twitter. Mit „Firehose“ können Werbetreibende Informationen wie den Inhalt eines Tweets, das Gerät, das dafür verwendet wurde, und der Ort, von wo getweetet wurde, erwerben. Von solchen Daten machen auch repressive Regime Gebrauch, um Dissidenten ausfindig zu machen. Twitter weiß zwar davon, hat aber noch keine Möglichkeit gefunden, das zu verhindern.

Pokémon GO und die Justiz

Durch den Erfolg des Augmented-Reality-Spiels Pokémon GO kamen auch rechtliche Fragen auf. Zum Beispiel, wenn das eigene Haus zur Pokémon-Arena wird. Dieses Problem könnte man lösen, in dem man Objekte in das Datenschutzgesetz eingliedert. Denn bisher wäre es schwierig, die verantwortliche US-Firma Niantic in Deutschland zum Ändern einer Markierung auf eigenem Grund zu bewegen.

Zu viele Ausrufezeichen? Zu hohes Unfallrisiko!!!

Ein britisches Versicherungsunternehmen wollte das digitale Sozialverhalten von Fahranfängern analysieren, um ihnen personalisierte Angebote zu machen. Ausgerechnet das nicht gerade als datenschutzfreundlich bekannte Unternehmen Facebook hat das untersagt. Die Versicherung hätte Zugriff auf alle Posts und Likes bekommen.

Tipps fürs Wochenende

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch findet nächste Woche die Präsidentschaftswahl in den USA statt. Wir empfehlen dazu zwei Dokumentationen. Die ARD beschäftigt sich mit Hillary Clinton. ARTE zeigt eine Doku über Anthony Weiner, den Mann der Clinton-Vertrauten Huma Abedin.

Wer eher auf Podcasts Lust hat, soll nicht zu kurz kommen. Der Deutschlandfunk hat eine Sendung über „Falschmeldungen im Netz – Den Fakes auf der Spur“ gesendet. BR2 hat über „Wie die Blockchain-Technologie die Welt verändern will“ berichtet und ein Feature über „Freiheit: gut. Kontrolle: besser! Demokratie und Überwachung“ gesendet.

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