KunstfreiheitBerliner Polizei lässt Transparent am Gorki-Theater abhängen

Die Berliner Polizei hat ein satirisches Plakat, das Friedrich Merz und Alice Weidel beim Küssen zeigt, vorübergehend abhängen lassen. Daraufhin pfiff die Staatsanwaltschaft die Polizei zurück.

Plakat an der Hauswand des Gorki Theaters
Der Fall der Brandmauer als Kuss zwischen Merz und Weidel. – Alle Rechte vorbehalten ZPS

Die Polizei hat am Mittwochmorgen gegenüber dem Maxim Gorki Theater in Berlin angeordnet, ein großes Transparent abzuhängen, das seit dem 16. Februar an der Außenfassade des Theaters hing. Es zeigt eine Fotomontage mit dem Unionskanzlerkandidaten Friedrich Merz und der AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel in küssender Pose. Das Motiv ist mit dem Titel „Die Grenze ist nicht mehr sicher!“ überschrieben und fordert dazu auf, am 23. Februar wählen zu gehen.

Laut Shermin Langhoff, der Intendantin des Gorki-Theaters, hatten die Polizeibeamt:innen ihren Mitarbeitenden angekündigt, die Feuerwehr auf Kosten des Theaters zu rufen, sollte es das Transparent nicht abhängen. Begründet wurde die Maßnahme durch die Beamt:innen vor Ort mit einer angeblichen „Beleidigung“ durch das Plakat. Laut einem Bericht der Berliner Morgenpost hat die Polizei aus dem Legalitätsprinzip heraus, aber ohne eine vorliegende Anzeige gehandelt.

Mann küsst Frau, darüber die Aufschrift: "Die Grenze ist nicht mehr sicher", darunter Schrift: "Am 23.2. wählen gehen"
Stein des Anstoßes. - Alle Rechte vorbehalten ZPS

Dem geschäftsführenden Direktor des Theaters, Torben Schumacher, zufolge hatte die Polizei nach eigenem Bekunden versucht, Alice Weidel und Friedrich Merz zu erreichen. Auf diese Weise habe sie in Erfahrung bringen wollen, ob sich eine der beiden durch das Plakat beleidigt fühlt. Allerdings habe die Behörde die Politiker:innen nicht erreicht.

Staatsanwaltschaft pfeift Polizei zurück

Nachdem das Gorki-Theater das Transparent abgehängt hatte, fertigten die Beamten ein Protokoll an. Außerdem wollten sie das Transparent beschlagnahmen. Erst auf Rückfrage des Theaters nach der Rechtsgrundlage sei der Fall von Staatsschutz und Staatsanwaltschaft geprüft worden. Die entschieden, dass das Plakat hängen bleiben darf.

Den groben Verlauf der Maßnahme bestätigt auch Anja Dierschke, Pressesprecherin der Berliner Polizei: Das Banner sei kurzfristig nach Aufforderung der Polizei von Verantwortlichen des Theaters abgenommen und von der Polizei Berlin sowie der Staatsanwaltschaft auf strafrechtliche Inhalte und Relevanz geprüft worden. Es sei keine Straftat festgestellt worden. Anschließend habe die Polizei das Banner wieder ausgehändigt.

„Einmaliger Vorgang“

Theaterintendantin Shermin Langhoff zeigt sich gegenüber netzpolitik.org irritiert, „dass die Polizei in vorauseilendem Gehorsam und ohne rechtliche Prüfung das Abhängen eines Plakates an einem Theater anordnet und dabei meine Mitarbeiter einschüchtert und Kosten für die Entfernung androht.“ Am Ende sei sie froh, „dass es noch Menschen in der Staatsanwaltschaft gibt, welche die grundgesetzlich verankerte Kunst- und Meinungsfreiheit achten – und die Aktion zurückgepfiffen haben.“

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Ein Sprecher der Aktionskünstler:innen vom Zentrum für politische Schönheit, das die Fläche für das Plakat beim Gorki-Theater gemietet hatte, kritisiert die Maßnahme gegenüber netzpolitik.org. Die Berliner Polizei sei „vollkommen wahnsinnig“ geworden. „Ein künstlerisches Mega-Poster, das zum Wählen aufruft von einer angemieteten Fläche an einem Berliner Staatstheater abzuhängen, dürfte ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik sein.“ Das Zentrum für politische Schönheit hat derzeit auch eine weitere Auseinandersetzung mit der Berliner Polizei, die einen Protestbus unter mehr als fragwürdigen Umständen beschlagnahmt hatte.

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19 Ergänzungen

  1. Auf die Berliner Polizei ist Verlass.
    Die Berliner Polizei schreit zuverlässig ein, wo Aufmerksamkeit fehlt.
    Die Berliner Polizei als Freund und Helfer stets zur Stelle.
    Die Berliner Polizei liebt uns doch alle.
    Die Berliner Polizei weiß, was Künstler brauchen.
    Ohne die Berliner Polizei wäre es nur ein Plakat an irgendeiner Hauswand geblieben.
    Das ist jetzt anders. Vielen Dank dafür, denn das ist wirklich unbezahlbar.
    Kommt doch mal kurz vor sechs zum Frühstück vorbei oder zum Knutschen.
    Wir lieben Euch mit all unserer Schönheit.

    1. „Die Polizei liebt uns doch alle“. Wo habe ich das chon mal gehört? hat nicht Stasi Chef Mielke das gesagt. Wer Parallelen findet darf sie behalten.

  2. Auf den Streisand-Effekt ist oftmals Verlass: Dank dieser polizeilichen Maßnahme – und das Einschreiten der Staatsanwaltschaft – reden viel mehr Personen über dieses satirische Plakat bzw. haben nun Kenntnis von seiner Existenz.

    1. Die Landespolizeien springen sich offensichtlich gern gegenseitig bei, wenn es Personalmangel bei Großveranstaltungen gibt.
      Voneinander lernen tun sie nicht.

      Die Hamburger Polizei hat sich wochenlang ein ähnliches Scharmützel, u.a. mit der Roten Flora, geliefert, als es um den Hamburger Innensenator Andy Grote ging.
      Mit vergleichbarem Ausgang.

      Inzwischen könnte die Berliner Polizei, besonders nach der fragwürdigen und letztlich offenkundig unbegründeten Festsetzung des Adenauer SRP+, schlicht wissen, dass solche Handlungen konkret wenig im Sinne der Polizei und ihren jeweiligen Dienstherren bringen, schlußendlich aber die Legitimation polizeilichen Handelns untergraben.

      Jene, die Recht und Gesetz durchsetzen, sind in besonderem Maße daran gebunden.
      Das scheint bei der Polizei so ein bisschen aus den Augen geraten zu sein.
      Konsequenzen wird’s wohl nicht geben.

  3. Prinzipiell ist Beleidigung ein Antragsdelikt:
    „§ 194 StGB Strafantrag
    (1) 1Die Beleidigung wird nur auf Antrag verfolgt. […]“
    Mit viel Phantasie kann man sich als Polizei auf dies berufen:
    „§ 188 StGB
    Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung

    (1) 1Wird gegen eine im politischen Leben des Volkes stehende Person öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) eine Beleidigung (§ 185) aus Beweggründen begangen, die mit der Stellung des Beleidigten im öffentlichen Leben zusammenhängen, und ist die Tat geeignet, sein öffentliches Wirken erheblich zu erschweren, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. 2Das politische Leben des Volkes reicht bis hin zur kommunalen Ebene.“

    Abschließend glaube ich nicht, dass hier die Verhältnismäßigkeit beim Einschreiten der Polizei gewahrt wurde. Es handelt sich immerhin um lediglich ein Plakat.

    Dazu kommt noch:
    „Dies bedeutet, wenn die Kunstfreiheit einer Person aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt wird, muss entweder der Gesetzgeber oder das Gericht eine sorgfältige Abwägung zwischen der Kunstfreiheit und dem gesetzlich geschützten widerstreitenden Verfassungsgut vornehmen. Daraus folgt, dass die Kunstfreiheit als besonders geschütztes Grundrecht nur durch besonders bedeutende Gründe eingeschränkt werden darf.“
    Jarass/Pieroth/Jarass, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Kommentar, 2014, S. 229.

    Gut, dass hier die Staatsanwaltschaft den Schaden begrenzt hat. Danke auch ans Gorki-Theater fürs Rückgratzeigen!

  4. Ich werde ab nun alle BeamtInnen, die ich hier in Kreuzberg antreffe, darum bitten, sich zum Grundgesetz zu bekennen. Ich werde sie dabei auf Video aufzeichnen.
    Es ist wichtig, die StaatsdienerInnen daran zu erinnern, wer ihr Chef ist.

  5. Ich vermisse in dem Artikel ob die Polizei bzw der Staat jetzt die Kosten für das ab und wieder aufhängen trägt.
    Oder ist das in diesem Fall nicht nötig zu erwähnen weil die Staatsmacht und ihre Büttel eh Narrenfreiheit haben?

    1. Der Erzählung nach haben Leute vom Theater die Polizei gefragt, ob sie das Transparent jetzt auch wieder zurück aufhängt, das habe die Polizei verneint. So steht es zumindest in meinen Aufzeichnungen.

  6. Die Berliner Polizei ist so unfassbar peinlich…

    Die Staatsgewalt wird erstmal gewalttätig und setzt mit Zwang hektisch durch, um dann völlig überrascht von den verfassungsmäßigen Grundrechten hilflos zurückzurudern. Jetzt wird so getan, als wäre das ein völlig normaler Vorgang gewesen.

    War es aber nicht. Es ist ein handfester Skandal. Da müssen Köpfe rollen. Es ist transparente Aufklärung erforderlich: Wer ist verantwortlich für dieses totalitäre Versagen?

    Und kein Korpsgeist darf die Versager schützen: Sie müssen aus dem Polizeidienst entfernt werden. Sonst passiert das morgen gleich wieder. Die Grundrechte müssen auch vor der Polizei geschützt werden!

  7. Wie mit dem Bus, ein verdacht reicht um zu handeln und man staune das die Polizei nicht die Verkehrssicherheit als Grund ins spiel brachte. Die Polizeigesetze des Landes ermöglichen vieles auch wenn nur der kleinste Verdacht besteht. Wenn man die Politik in der Ausgestaltung kritisiert heißt es immer man müsse schwere Kriminalität bekämpfen und Behörden gingen mit den damit verhältnismäßig um.

  8. Offensichtlich handelten die Polizisten ohne offiziellen Auftrag.
    Zumindest wäre das zu prüfen.
    Für ich sieht das sehr, sehr nach Amtsanmaßung aus.
    Denn auch ein (leitender) Polizist darf seine Amtsstellung nicht für seine Privatinteressen nutzen.

  9. Die Polizei spielt sich immer häufiger als Richter auf, ohne Prüfung der Rechtslage.
    Das muss ein Ende haben, dieser aktuelle Fall bedarf einer gründlichen Feststellung der Verantwortlichen. Und: daraus müssen Konsequenzen folgen.

  10. dieses muster, den potentiellen kläger zu kontaktieren und zur klage zu motivieren, gibt’s ja immer wieder bei der berliner polizei. wundere mich, ob es zur aufgabe der polizei gehört, bürger darauf hinzuweisen, dass sie mal klagen sollen.

    gewiss ist das bild doch eine anspielung auf https://de.wikipedia.org/wiki/Mein_Gott,_hilf_mir,_diese_t%C3%B6dliche_Liebe_zu_%C3%BCberleben und das hat ja auch niemand abgehängt. achso, ne, die ham sich ja wirklich geküsst ’79.

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