Bei der Einschränkung der Versammlungsfreiheit denken viele oft nur an Russland, Iran, Türkei und andere autoritäre Staaten. Nun hat Amnesty International eine digitale Weltkarte zum Recht auf Versammlungsfreiheit veröffentlicht. Diese „Protest Map“ zeigt auf, dass Behörden weltweit zunehmend unrechtmäßig Gewalt anwenden und Staaten repressive Gesetze erlassen, um Proteste niederzuschlagen. Auch in Deutschland wird die Versammlungsfreiheit eingeschränkt, kritisiert die Menschenrechtsorganisation.
Die digitale Karte zeigt zahlreiche Menschenrechtsverletzungen auf, die an Demonstrierenden weltweit begangen werden. Laut Amnesty International haben staatliche Behörden in mindestens 86 der untersuchten 156 Länder im Jahr 2022 unrechtmäßige Gewalt gegen friedlich Demonstrierende eingesetzt. In 37 Ländern setzten die Sicherheitskräfte tödliche Waffen ein. Die Recherchen von Amnesty International zeigen, dass Demonstrierende in 79 der 156 untersuchten Länder willkürlich inhaftiert wurden.
So zeigt die Karte zum Beispiel, in welchen Ländern Sicherheitskräfte Waffen wie Tränengas, Gummigeschosse, Pfefferspray und Schlagstöcke einsetzen, um Demonstrierende zu schikanieren, einzuschüchtern, zu bestrafen oder auseinanderzutreiben und damit ihr Recht auf Versammlungsfreiheit einschränken.
Schwerste Verstöße in Indien, China, Peru und Iran
Als Beispiele für besonders schwere Verstöße nennt Amnesty den Einsatz von Schusswaffen, Tränengas, Schlagstockeinsätzen, Internetsperren und Zwangsräumungen gegen Protestierende in Indien. In China hingegen riskierten Demonstrant:innen den Verlust ihres Rechts auf Bildung und Wohnung. In Peru hätten Sicherheitskräfte auf Proteste mit unrechtmäßig tödlicher Gewalt reagiert und 49 Menschen getötet. Und im Iran haben die Behörden Hunderte Menschen unrechtmäßig getötet und Zehntausende Menschen, darunter Kinder, willkürlich inhaftiert, um im Vorjahr die landesweite Protestwelle niederzuschlagen. Zahllose Demonstrierende wurden in der Haft gefoltert und anderweitig misshandelt, auch durch sexualisierte Gewalt.
Anders als etwa die Weltkarte der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lässt die Karte nicht auf den ersten Blick die Schwere von Menschenrechtsverletzungen oder die Lage der Versammlungsfreiheit erkennen, beispielsweise durch eine farbliche Markierung. Das erschwert die Nutzbarkeit und Deutlichkeit der Karte etwas, hat auf der anderen Seite aber den Vorteil, dass Einschränkungen der Versammlungsfreiheit gleichermaßen kritisiert werden. Denn die Versammlungsfreiheit ist weltweit unter Druck: Auch in Demokratien wie Deutschland werden die Räume und Möglichkeiten für Protest kleiner.
Einschränkungen in Deutschland
Zu den Menschenrechtsverletzungen in Deutschland zählt Amnesty „mehrere Fälle von übermäßiger Polizeigewalt bei Versammlungen“. In der Kritik stehen dabei „schmerzverursachende Techniken“ wie Schmerzgriffe, die insbesondere eingesetzt werden, um Straßenblockaden von Klimaaktivisten aufzulösen. Diese Maßnahmen würden häufig gegen die Grundsätze der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit verstoßen, vor allem wenn sie gegen friedliche Demonstranten eingesetzt werden. Laut Amnesty können diese Techniken in einigen Fällen sogar auf eine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung hinauslaufen und damit gegen das Folterverbot verstoßen.
Als weitere Fälle von übermäßiger Polizeigewalt nennt Amnesty das Vorgehen der Polizei gegen Demonstrierende und Presse bei den Klimaprotesten in Lützerath, die Einkesselung von 1000 Menschen in Leipzig ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen sowie die Polizeigewalt beim G20-Gipfel in Hamburg. Auf legislativer Ebene nennt die Karte die Einschränkungen der Demonstrationsfreiheit durch das neue Versammlungsgesetz in NRW und in Hessen, sowie verschiedene Polizeigesetze wie jenes in Bayern.
„Dämonisierung und Kriminalisierung“
In Deutschland würden Proteste von staatlichen Behörden mitunter als „Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ wahrgenommen, sagt Paula Zimmermann, Expertin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit bei Amnesty International in Deutschland. Das führe zu einer Dämonisierung und Kriminalisierung, anstatt sie als Kernelement eines lebendigen gesellschaftlichen Diskurses zu ermöglichen und zu schützen. Präventive Einschränkungen oder gar Verbote von Protesten seien Ausdruck dieser Entwicklung.
Beispiele seien hier der Umgang mit dem G7-Gipfel in Bayern im Jahr 2022, aber auch Demonstrationsverbote in Berlin. Besonders betroffen seien Klimaktivist:innen, hierbei nennt Amnesty die Präventivhaft in Bayern gegen die Letzte Generation sowie weitreichende Ermittlungen nach § 129 StGB gegen die Gruppe. Dies führe zu Grundrechtsverletzungen von Klimaaktivist:innen und schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall im staatlichen Umgang mit Protestbewegungen. Erwähnt wird auf der Karte auch das Abhören von Journalisten während dieser Ermittlungen.
Für Paula Zimmermann steht deshalb fest: „Wir appellieren an die Bundes- und Landesregierungen, die Versammlungsfreiheit in Deutschland umfassend zu schützen.“
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