US-WahlenBiden-Harris: Worauf darf die Netzpolitik hoffen?

Wie in Europa hat sich in den USA die netzpolitische Debatte in den letzten Jahren deutlich verändert. Doch was würde ein möglicher US-Präsident Joe Biden für die Meinungsfreiheit im Internet, für Datenschutz und Netzneutralität bedeuten? Eine Analyse.

Der US-Präsidentschaftswahlkampf steht ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Auf die nächste Regierung, womöglich von Joe Biden (links im Bild) und Kamala Harris (rechts) geführt, kommen dennoch wichtige netzpolitische Weichenstellungen zu. CC-BY-NC-SA 2.0 Adam Schultz

Elisabeth Giesemann ist Amerikanistin und arbeitet als Pressereferentin für Softwareentwicklung bei Wikimedia Deutschland e.V. Nikolas Becker arbeitet als Referent Politik und Gesellschaft bei der Gesellschaft für Informatik e.V. und leitet ein Forschungsprojekt zu Möglichkeiten von Testing & Auditing für KI-Systeme.

Unser Morgenkaffee am 4. November könnte uns besonders gut schmecken. Wenn alles gut läuft, wachen wir in einer Woche in einer Welt auf, in der Joe Biden und Kamala Harris das fanatisch-debile Duo Trump-Pence im Weißen Haus ablösen werden. Doch was würde ein US-Präsident Joe Biden eigentlich für die europäischen Netz- und Digitalpolitik bedeuten?

Fest steht, die Jahre der „tech friendliness“ der Obama-Ära sind vorbei. Während Präsident Obama sich noch felsenfest hinter die amerikanische Tech-Industrie stellte, kritisieren nun sowohl Amtsträger Trump als auch sein Herausforderer Biden wiederholt die Tech-Giganten – nur aus gänzlich unterschiedlichen Richtungen. Während Trump ihnen einen „liberal bias“ und die Zensur konservativer Ansichten vorwirft, kritisiert Biden, sie würden nicht genug gegen Falschinformationen und Verschwörungstheorien vorgehen. Dabei greift Biden insbesondere Facebook deutlich an: „Ich war nie ein Fan von Facebook, wie Sie vermutlich wissen. Ich war nie ein großer Zuckerberg-Fan. Ich glaube, er ist ein echtes Problem“, sagte Biden der New York Times.

Section 230: Der Kampf um Haftung der Digitalkonzerne

Wenn es nach Biden geht, sollen die Digitalkonzerne Google, Apple, Facebook, Amazon und Microsoft (GAFAM) für Inhalte auf ihren Plattformen gleichsam traditionellen Medien Verantwortung übernehmen. Es dürfe für sie keine Ausnahmen geben. Eine solche Ausnahme ist nämlich bisher in Section 230 des Communications Decency Acts formuliert. Der Paragraf regelt, dass Online-Plattformen grundsätzlich nicht unmittelbar für die Posts und Beiträge ihrer Nutzer*innen haften.

Biden nennt dieses amerikanische Providerprivileg verantwortungslos und findet, Facebook müsse Aufsicht über seine Inhalte führen und redaktionelle Verantwortung übernehmen. Nachdem er als Vizepräsident noch die konzernfreundliche Linie Obamas mitgetragen hatte, möchte er nun die Regelung lieber früher als später aufheben: „Die Section 230 sollte sofort abgeschafft werden. Für Zuckerberg und andere Plattformen“. Harris‘ Unterstützung dürfte ihm dabei sicher sein. Als kalifornische Staatsanwältin hatte sie sich mit den Plattformen bereits hinsichtlich deren Verantwortung für von Nutzern eingestellte Rachepornos angelegt und eine Aufweichung von Section 230 in Kauf genommen.

Seitdem Twitter im Mai 2020 begann, die Tweets des Präsidenten zu fakt-checken, fordert Trump übrigens das Gleiche wie Biden und erließ eine Executive Order mit dem Ziel, Section 230 abzuschwächen. Vor wenigen Tagen verkündete Ajit Pai, Chef der Federal Communications Commission (FCC), er werde Trumps Willen umsetzen und Section 230 beschränken. Ob die exekutive Macht der Administration ausreicht, um ein vom US-Kongress beschlossenes Gesetz per Verfügung außer Kraft zu setzen, bleibt jedoch zweifelhaft.

Eine Abschaffung oder Abschwächung der Section 230 dürfte sich zwar einerseits auf die deutsche Diskussionen um die Fortentwicklung der Providerhaftung in Telemediengesetz und Netzwerkdurchsetzungsgesetz sowie auf die europäische Debatte auswirken. So könnten schärfere US-Regeln dazu führen, dass die geäußerten Bedenken, etwa die mögliche Gefahr von Overblocking, weniger Beachtung finden. Andererseits scheint hierfür unerheblich, ob Trump oder Biden die Wahl gewinnen.

Neue Hoffnung für das Prinzip Netzneutralität?

Die Regulierungsbehörde FCC spielt nicht nur im Zusammenhang mit der Anbieterhaftung eine Rolle, sondern auch im Streit um die Durchsetzung des Prinzips Netzneutralität. Die Entscheidung Präsident Trumps, den Chefposten der FCC mit dem ehemaligen Verizon-Anwalt Ajit Pai zu besetzen, hatte daher große netzpolitische Tragweite.

Noch im Jahr 2015 verabschiedete eine von den Demokraten geführte FCC eine Verordnung, die Breitband als Telekommunikationsdienst nach dem sogenannten „Titel II“ klassifizierte und es somit Providern verbot, Internetverkehr zu drosseln oder bestimmten Verkehr gegen Bezahlung zu priorisieren. Unter Pai klassifizierte die FCC 2018 Breitband als Informationsdienst nach „Titel I“ und hob die Befugnis auf, die Regeln zur Netzneutralität durchzusetzen.

Falls gewählt, wird das Duo Biden-Harris die Entscheidung rückgängig machen und die Open Internet Order wieder in Kraft setzen. Als Senatorin von Kalifornien sprach sich Harris 2017 für das Prinzip der Netzneutralität und für ein „Open Internet“ aus: „Vor 50 Jahren erfanden kalifornische Forscher das Internet. […] Dieser fehlgeleitete Vorschlag ist ein direkter Angriff auf das, was wir vollbracht haben und auf die künftige Prosperität unseres Bundesstaates“. Da der Vorsitz der FCC traditionell mit dem US-Präsidenten das Amt verlässt, wird bereits über die Nachfolge spekuliert. In Frage kommen etwa die Demokratinnen Mignon Clyborn und Jessica Rosenworcel, die sich beide als ehemalige Kommissionsmitglieder der FCC für Netzneutralität ausgesprochen haben.

Ein stärkerer Schutz der Netzneutralität in den USA würde in Deutschland zumindest als Stärkung der Position und Anregung für die Diskussion des status-quo der hiesigen Netzneutralität führen. Denn auch wenn Internetprovidern die Drosselung der Geschwindigkeit oder Priorisierung von Diensten untersagt ist, bleibt die Implementierung in Europa uneinheitlich und das sogenannte Zero-Rating, also das Nicht-Anrechnen von Datenmengen auf einen Tarif unter Begünstigung bestimmter Dienste, bleibt gängige Praxis der Provider.

Nichts Neues beim Thema staatliche Überwachung

Spricht in Nordamerika eigentlich noch jemand über staatliche Überwachung? Das Thema scheint in den letzten Jahren aufgrund der Skandale um die Einmischung Russlands in die vergangene und bevorstehende Wahl wieder einmal in den Hintergrund geraten zu sein – und dem Trumpschen Poltern, seine Präsidentschaftskampagne sei illegal überwacht worden, schenkt aus guten Gründen kaum jemand Gehör.

Hatte Trump den Whistleblower Edward Snowden in der Vergangenheit noch als „Verräter“ bezeichnet, den man „exekutieren“ müsste, so deutete er nun an, er könne seine Meinung ändern. Mit Snowden sei nicht fair umgegangen worden. Snowden selbst hatte daraufhin gesagt, dass er gerne in die USA zurückkehren würde, jedoch nur unter der Bedingung, dort ein faires Verfahren zu erhalten. Joe Biden hat hingegen kaum ein gutes Wort für Edward Snowden übrig. In einem Interview hat der ehemalige Whistleblower erklärt, dass Biden noch als Vizepräsident mehrfach seine Asylgesuche in anderen Ländern wie Ecuador verhindert hat, indem er diesen mit Konsequenzen drohte.

Knapp 500 Mitarbeiter*innen der nationalen Sicherheit haben in einem überparteilichen offenen Brief ihre Unterstützung für Joe Biden ausgesprochen: Unter dem Banner „National Security Leaders for Biden“ teilen sie die Ansicht, dass Trump eine Gefahr für die Sicherheit des Landes ist: „Der aktuelle Präsident [Trump] hat demonstriert, dass er die enorme Verantwortung des Amtes nicht erfüllen kann; er kann weder große noch kleine Herausforderungen bewältigen. Dank seiner verächtlichen Attitüde und seines Scheiterns vertrauen und respektieren uns unsere Alliierten nicht mehr, und unsere Feinde fürchten uns nicht mehr“.

Der Fokus der öffentlichen Wahrnehmung liegt also nun auf der Allmacht und Kontrolle von privaten Konzernen statt auf der Überwachung durch den Staatsapparat. Hier haben sich Biden und die Demokraten während der Anhörung des Kongressausschusses mit den CEOs der Konzerne erfolgreich als Unterstützer der Nutzer*innen im Kampf gegen die Tech-Giganten positioniert.

Bidens Haltung zu Snowden, seine Unterstützung durch die Intelligence-Community und die fehlende öffentliche Aufmerksamkeit auf dem Thema lassen es wahrscheinlich erscheinen, dass von Biden weder Schritte zur Stärkung von digitalen Bürger*innenrechten und Privatsphäre noch ein besserer Schutz für Whistleblower zu erwarten wären. Schlimmer als unter Trump kann es jedoch kaum werden, denn Snowden sitzt weiterhin in Russland, die NSA-Whistleblowerin Reality Winner weiterhin im Gefängnis, und unabhängigen Aufsehern hat die gegenwärtige Regierung den offenen Krieg erklärt.

Verschwinden wird das Thema dennoch nicht. Schließlich sitzen viele Tech-Unternehmen wie Google oder Facebook in den USA, wo sie die Daten ihrer Nutzer*innen speichern. Bereits zwei Mal musste der Europäische Gerichtshof EU-Regelungen zum transatlantischen Datentransfer kippen, da das dortige Datenschutzniveau nicht dem europäischen entspricht und womöglich US-Geheimdienste Zugriff auf die Daten haben. Von der kommenden US-Regierung wird maßgeblich abhängen, wie der notwendig gewordene Nachfolger von „Privacy Shield“ aussehen wird.

Ein bundesweiter US-Datenschutz

Es gibt in den USA kein bundesweit gültiges Datenschutzgesetz. Neben einigen branchenspezifischen Regelungen, z. B. HIPPA für den Gesundheitsbereich, haben mittlerweile jedoch sechs Bundesstaaten eigene Datenschutzgesetze erlassen, von denen der California Consumer Privacy Act (CCPA), der weitestgehende ist. Gegenüber der europäischen DSGVO fehlen dem CCPA jedoch das Erfordernis expliziter Zustimmung wie in Artikel 7 DSGVO und das Recht, inkorrekte Daten korrigieren zu lassen.

Es ist davon auszugehen, dass Biden-Harris hier die amerikanische Debatte stärker forcieren werden, als Trump dies beabsichtigt. Die Auswirkungen auf die europäischen Datenschutzgesetze dürften mittelfristig jedoch eher gering sein.

Fazit: Auswirkungen auf Providerhaftung und Netzneutralität

Sollte Biden die kommende Präsidentschaftswahl gewinnen, könnte seine Absicht, GAFAM stärker in die Haftung für nutzergenerierte Inhalte zu nehmen, die deutsche bzw. europäische Diskussion um die Privilegien und Verantwortung der Plattformen beschleunigen. Ironischerweise könnte darunter gerade die sonst von amerikanischer Seite stets hochgehaltene Meinungsfreiheit leiden. Auswirkungen auf die europäischen Datenschutzregeln dürften hingegen mittelfristig eher gering sein; hier setzt die DSGVO weiterhin die globalen Maßstäbe. Auch hinsichtlich der staatlichen Überwachung des Internets ist es wohl illusorisch, auf Besserung durch einen künftigen US-Präsidenten zu hoffen, gleich welchen Namens. Eindeutig positiv dürfte jedoch eine Neubesetzung der FCC durch Biden für die Revitalisierung der europäischen Netzneutralitäts-Debatte sein. Ein hierdurch ermöglichter Rückzug vom Rückzug der amerikanischen Position setzt starke Zeichen für die Netzneutralität im gesamten transatlantischen Raum.

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