Mit einer Durchführungsverordnung will US-Präsident Donald Trump dafür sorgen, ungehindert in sozialen Netzwerken hetzen und lügen zu können. Ein Entwurf der Verordnung ist inzwischen durchgesickert, die offizielle Präsentation wird heute im Laufe des Tages erwartet.
Anlass für die Ankündigung ist die jüngste Entscheidung Twitters, zwei Tweets des US-Präsidenten erstmals mit einem Faktencheck zu versehen. Trump hatte fälschlicherweise und zum wiederholten Male behauptet, Briefwahlen seien ein Einfallstor für Wahlmanipulation. Twitter begründete das außergewöhnliche Vorgehen mit der möglichen Verunsicherung von Wählern, der Rest des vor Lügen strotzenden Feeds von Trump blieb unangetastet.
In seiner Verfügung will der US-Präsident Regulierungsbehörden anweisen, die Haftungsfreiheit von Online-Plattformen zu überprüfen und die Regeln gegebenenfalls anzupassen. Konkret geht es um einen Abschnitt im „Communications Decency Act“ (CDA), der in den USA das sogenannte Providerprivileg festschreibt
Dieses befreit Online-Dienste von einer unmittelbaren Haftung für Inhalte, die Nutzer auf einer Plattform hinterlassen. Zudem stellt die „Section 230“ des CDA klar, dass die Betreiber solcher Plattformen Inhalte, etwa anstößiges oder hasserfülltes Material, moderieren können wie es ihnen beliebt.
Rechte Trolle im Weißen Haus
Um diesen Abschnitt tobt schon seit geraumer Zeit eine heftige Debatte. Rechtskonservative Politiker wie Josh Hawley behaupten, die aus dem „liberalen“ Silicon Valley stammenden Diensteanbieter wie Twitter und Facebook würden die Haftungsfreiheit dazu nutzen, um konservative Stimmen im Internet zum Verstummen zu bringen. Im vergangenen Sommer veranstaltete das Weiße Haus sogar eine bizarre Veranstaltung mit rechtsradikalen Trollen wie Charlie Kirk oder „Carpe Donktum“, die sich unterdrückt fühlen.
Obwohl an den Vorwürfen wenig dran ist, handelt es sich um eine effektive Taktik, US-Plattformen davon abzubringen, gegen hetzende Rechte vorzugehen. So sträubt sich etwa Twitter dagegen, Neo-Nazis gleich zu behandeln wie Verbreiter von ISIS-Propaganda. Zu Recht fürchtet das Unternehmen, dass dabei Accounts von prominenten Republikanern unter die Räder kommen würden, die ungestraft mit Lügen und Hass die US-Öffentlichkeit manipulieren.
Ähnlich bei Facebook: Zuletzt berichtete das Wall Street Journal, der Konzern habe eine interne Studie unter den Teppich gekehrt, die den firmeneigenen Algorithmen eine radikalisierende Rolle zuschreibt. Auch hier wären bei einer Änderung insbesondere konservative Nutzer betroffen gewesen, fürchtete Facebooks Policy-Chef, der rechts-konservative Joel Kaplan.
Washington fest in rechter Hand
Facebook und seinem Chef, Mark Zuckerberg, liegt viel daran, es sich mit der rechten Mehrheit in der US-Politik nicht zu verscherzen – die selbstverständlich nicht „unterdrückt“ wird, sondern derzeit nahezu alle Machthebel der USA in der Hand hält. Diese könnte sie etwa dafür einsetzen, dem Unternehmen wirtschaftlich zu schaden. Ein Albtraum für das Unternehmen, den es mit allen Mitteln abzuwenden gilt.
So besteht inzwischen das Lobbyisten-Team in Washington fast ausschließlich aus langjährigen konservativen Aktivisten, die Rechts-außen-Publikation Daily Caller spielte Faktenchecker für die Plattform, und Zuckerberg lädt regelmäßig prominente Rechte wie Ben Shapiro oder Byron York zu sich nach Hause ein – um dem Vorwurf aus dem Weg zu gehen, allzu „liberal“ zu sein.
Es ist auch Zuckerberg selbst, der nun die Gunst der Stunde nutzt, die aktuelle Auseinandersetzung zu seinem und Facebooks Vorteil zu wenden. In einem gestrigen Interview mit dem rechten TV-Sender Fox News sagte Zuckerberg, er sehe die Rolle von Facebook nicht als Entscheidungsinstanz darüber, wer im Internet die Wahrheit sagt und wer lügt.
„Private Unternehmen, vor allem diese Plattform-Unternehmen“, sagte Zuckerberg, „sollten vermutlich nicht in dieser Position sein, solche Entscheidungen zu treffen“. Zuletzt hatte der Konzern ein Gremium ins Leben gerufen, um die Klärung dieser Fragen an unabhängige Experten auszulagern.
Was die juristische Substanz der erwarteten Trumpschen Verordnung betrifft, dürfte es sich vorrangig um Theaterdonner handeln. Schon allein deshalb, weil es die US-Verfassung praktisch unmöglich macht, das Recht privater Unternehmen auf freie Meinungsäußerung einzuschränken – wozu auch willkürliche Inhaltemoderation zählt. Die Stanford-Forscherin Daphne Keller veröffentlichte eine kommentierte Bewertung des Entwurfs. Ihrer Einschätzung zufolge ist der Text überwiegend „atmosphärisch“ und „juristisch fragwürdig“.
Und der UN-Sonderberichterstatter für Meinungsfreiheit, David Kaye, warnte davor, den Wald vor lauter Bäumen nicht zu übersehen. „Trump will einfach nur Twitter einschüchtern, um keinen Faktenchecks unterworfen zu werden“, schrieb Kaye auf Twitter. „Der Rest sind Nebelkerzen“. Die aber nichtsdestotrotz den Rahmen abstecken könnten, unter welchen Bedingungen die anstehende Präsidentschaftswahl stattfinden wird.
Mächtige Nationen mit Nuklearwaffen gehören dieser Zeit zu den größten Gefahren für die Menschheit. Nicht nur Machterhalt mittels vordergründig aggressiver Formen oder etwa die nukleare Option, sondern auch Fortschrittslähmung und das Festschreiben von Auslöschungszuständen gehören zu den Problemklassen. Die Entwicklung in den USA (und anderswo) ist nicht im grünen Bereich, auch nicht auf Twitter. Auf dem Invarianzmeter ist die Menschheit derzeit ausgestorben (…).
Es geht hier um die Unterscheidung zwischen „platform“ und „publisher“:
-Eine „platform“ hat sich gegenüber Nutzern und Inhalten neutral zu verhalten. Sie darf keine Inhalte selbst veröffentlichen. Sie darf keine Nutzer ausschließen oder bevorzugen. Sie darf Inhalte nicht editieren, kommentieren, raten, ranken, fact-checken, löschen, verstecken, bevorzugt präsentieren, etc., es sei den es liegt ein auf den individuellen Post bezogenes Gerichtsurteil gegen den Nutzer vor. Im Gegenzug erhält die „platform“ das sog. „provider privilege“, das sie von jeglichen Haftungsansprüchen gegen Inhalte ausschließt.
-„publisher“ können selbst entscheiden welche Nutzer sie haben wollen und veröffentlichen was auch immer sie wollen, sind aber auch selbst für alle Inhalte haftbar zu machen.
D.h. wenn ich Copyright-geschützte Musik über das Netz von AT&T („platform“), dann kann AT&T nicht dafür haftbar gemacht werden und die Klage flattert bei mir in den Briefkasten.
Wenn ich diese Musik jedoch bei Netzpolitik.org („publisher“) veröffentliche und Netzpolitik.org diesen Post nicht moderiert, dann bin ich fein raus und jede potentielle Klage würde gegen Netzpolitik.org laufen, da sie ja die finale Veröffentlichungsentscheidung getätigt haben.
Twitter, Google, Facebook und co. haben sich in der Vergangenheit wiederholt rechtlich auf beiden Seiten bedient. Sie wollen gleichzeitig den Aktionsfreiraum von „publishers“ behalten, als auch die rechtliche Immunität von „platforms“. Teilweise sogar im selben Absatz von Gerichtsunterlagen. Das geht so nicht! Die Unternehmen müssen sich entscheiden, was sie sein wollen, „publisher“ oder „platform“, nicht beides.
Der Staat macht es ihnen aber auch nicht leicht.
– Pornofilter?
– Urheberrechtsfilter?
– Terrorfilter?
– Hassredefilter?
– (…)
Im Zitronenfalteruniversum gibt es natürlich keine falschen Positiven.
Sehr schöne Darstellung, danke!
Exakt diese klare Unterscheidung wünsche ich mir auch für die EU.
Das ist eine Debatte, die man führen kann und sollte, und ich bin schon sehr auf den kommenden Digital Services Act der EU gespannt.
Aber ich finde es wichtig klarzustellen, dass das nichts mit der executive order von Trump* zu tun hat oder gar mit dem CDA 230. Das Gesetz ist oben verlinkt, u.a. (c)(2)(A) könnte kaum klarer sein. Sarah Jeong, ebenfalls verlinkt, erklärt imho ganz gut, wie verlogen die Argumente aus der rechten Ecke sind https://www.nytimes.com/2019/07/26/opinion/section-230-political-neutrality.html
*Die Pointe ist natürlich, dass Trumps Account als erster fliegen würde, sollten Plattformen für die von Nutzer:innen geposteten Inhalte verantwortlich gemacht werden können (wobei die EO auf „Ersticken politischer Rede“ abzielt). Insofern tue ich mir schwer, überhaupt auf die „Substanz“ einzugehen, weil das ganz offensichtlicher BS ist und es um was ganz anderes geht als um Plattformregulierung.
An der ganzen Diskussion stört mich, dass zu wenig über die grundlegenden Probleme gesprochen wird: Nämlich die Zentralisierung. Der Grund warum sich Trump über Twitter echauffiert enthält zum Teil durchaus berechtigte Kritik, wenn auch aus einer anderen Motivation heraus. Mit dem Facebook+Whatapp+Insta-Konglomerat und Twitter haben wir rießige Konzerne, die die öffentliche Meinung prägen. Diese Plattformen haben erkannt, dass sie ein Problem mit Blödsinn jedweder Art haben, der viral geht. Aber die vermeintliche Lösung jetzt Factchecker zu engagieren, die die Wahrheit verwalten ist aus meiner Sicht ein Schritt der nur die schlimmsten Symptome des zugrundeliegenden Problems der Zentralisierung kaschiert. Vielleicht erinnern wir uns an die Diskussion um Correctiv, die in Deutschland die offiziellen Factchecker für Facebook sind (waren?). Das Problem ist nicht, dass manche User Blödsinn posten oder tweeten. Das Problem ist, dass eine _einzige_ Instanz, nämlich z.B. die Factchecker der Plattform dann darüber entscheiden müssen: Das hier ist echt aber dies dort ist Fake. Und zwar global.
Wenn wir das mit der alten Welt vergleichen ist es, als würde es nur eine Zeitung (und nur einen Radiosender und noch einen Fernsehsender geben, der aber mit dem Radiosender zusammengehört). Und wenn dann diese einzige Zeitung die absolute, globale Deutungshoheit hat und sagt: „Das was Mensch xy sagt ist falsch“, dann müssten wir angesichts dieser Zentralisierung der Deutungshoheit zurecht besorgt sein, unabhängig davon ob wir Mensch xy nun wohlgesonnen sind oder ihn für ein bisschen blöd oder gefährlich halten. Im Digitalen nehmen wir das aber als selbstverständlich hin
Ich wünsche mir, dass wir jetzt nicht darüber debattieren ob jetzt Twitter oder Trump Recht haben. Letztlich gilt ja bei Twitter wie z.B. hier bei euch auch immer ein Hausrecht. Und wenn Twitter jetzt anfängt unliebsame Meinungen oder Äußerungen, die nicht den Community-Richtlinien zu sperren oder mit Warnhinweisen zu labeln dann ist das zwar, je nach eigenem Standpunkt ärgerlich oder vielleicht auch erfreulich, aber wer sagt denn, dass Twitter nicht auch Demonstranten in Hongkong irgendwann „unterdrückt“ oder ausblendet, weil sie Gewalt verherrlichen? Wie stehen wir dann da? Die Plattform kann es wegen ihrer schieren Größe nicht allen recht machen. Die einzige Lösung wäre eine Dezentralisierung. Einzelne ich nenn es mal „Nischen“ und Subkulturen sind schon ins „Fediverse“ zu Mastodon/Plemora oder Diaspora abgewandert. Da wird der ganze Moderationsprozess dezentral geregelt und es funktioniert im Großen und Ganzen gut, ist aber leider ein absolutes Nischending.
Dezentralisierung bei Twitter und co., aber bei Zeitungen und Fernsehen gerne zentralisiert lassen?
Die Problematik ist noch umfassender…
‚Und wenn dann diese einzige Zeitung die absolute, globale Deutungshoheit hat und sagt: „Das was Mensch xy sagt ist falsch“,‘
denke ich an die Zeit, als es die eine Wahrheitsinstanz gab: DIE Partei (https://www.youtube.com/watch?v=dzdBE6c1cwA … oder im Originaltext z-B. https://www.youtube.com/watch?v=dzdBE6c1cwA)
Der Digitale Konzernkapitalismus schafft in zunehmendem Maße Informations Oligopole. In wiefern so dann noch freie Rede sicher gestellt werden kann ist doch fraglich. Ich bin dafür diese Konzerne zu zerschlagen, wer seine Meinung äußern will muss dies dann eben auf der eigenen Webseite oder über dezentrale Plattformen tun.
In sofern ist jedwedes hartes Vorgehen gegen Twitter und Facebook sehr zu begrüßen !
„Was die juristische Substanz der erwarteten Trumpschen Verordnung betrifft, dürfte es sich vorrangig um Theaterdonner handeln. Schon allein deshalb, weil es die US-Verfassung praktisch unmöglich macht, das Recht privater Unternehmen auf freie Meinungsäußerung einzuschränken – wozu auch willkürliche Inhaltemoderation zählt“
Da wäre ich mir nicht so sicher. Auch im US-Recht gelten Freiheiten nur so lange, wie man damit dieselbe Freiheit bei anderen nicht einschränkt. Mark Zuckerberg mag Redefreiheit haben um damit in seinem privaten Unternehmen alles mögliche zu zensieren. Aber wenn genau das die Redefreiheit von Milliarden Menschen (also das gleiche Rechtsgut) einschränkt, dann wird sich ein Gericht (bis hin zum Supreme Court) Gedanken machen müssen, ob die Redefreiheit von Zuckerberg die Redefreiheit von Milliarden Menschen ÜBERSTEIGT.
Es ist nicht so einfach, wie Tomas das im Artikel darstellt, meiner Meinung nach.