In der Hoffnung auf ein rasches Ende der Corona-Pandemie findet so manche falsche Behauptung willige Verbreiter. Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro sagt in sozialen Medien, der Arzneistoff Hydroxychloroquin sei ein verlässliches Mittel gegen den Virus. Darüber fehlt es allerdings an gesicherten Erkenntnissen – EU-Behörden testen das Mittel, warnen aber vor möglichen schweren Nebenwirkungen.
Der Corona-Virus löst eine Welle an falschen und irreführenden Meldungen aus, die sich auf Twitter, Facebook und Youtube rasant verbreiten. Einige kommen von mächtigen Figuren: So behaupteten auch der venezolanische Präsident Nicolas Maduro und der New Yorker Ex-Bürgermeister Rudy Giuliani, ein Vertrauter von US-Präsident Donald Trump, es gebe bereits ein zuverlässiges Heilmittel gegen Corona.
Daraufhin reagierten die Plattformen: Facebook, Twitter und Youtube löschten die Aussagen von Bolsonaro und Maduro. Auch Giulianis Äußerung verschwand von Twitter. Leicht anders formulierte Äußerungen blieben hingegen stehen, unter anderem von Donald Trump, der diese Theorie auf allen Kanälen eifrig verbreitet.
EU drängt Plattformen
Die Konzerne stehen wegen der Verbreitung von Falschinformationen über die Pandemie unter Druck. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen mahnt die Plattformen, schädliche Inhalte rasch zu bremsen oder zu entfernen.
In einer vorgestern veröffentlichen Videobotschaft sagte Von der Leyen, die Konzerne müssten mehr als bisher unternehmen. Der Auswärtige Dienst der EU meldet indes, russische Staatsmedien verbreiteten auf Facebook und Twitter Falschinformationen über Corona. Es gebe Belege, dass die Plattformen diese Desinformation und Verschwörungstheorien auch weiterhin monetarisierten.
Die Plattformen geloben schon länger ein hartes Vorgehen gegen Desinformation. Doch ihre Schritte in der Pandemie sind bislang nicht immer überzeugend.
Tesla-Chef Elon Musk tweetete etwa, Kinder seien „praktisch immun“ gegen den Coronavirus – eine durch Todesfälle von jungen Patienten klar widerlegte Aussage. Twitter will den Tweet dennoch nicht löschen, er ist weiter abrufbar.
Facebook entfernte im März inmitten der Corona-Krise irrtümlich tausende Posts von seriösen Medien wie Politico und dem Sydney Morning Herald als Spam. Der Konzern brauchte einen Tag, um den Fehler zu korrigieren. Erschwerend kommt hinzu, dass viele externe Content-Moderator*innen in der Pandemie nicht oder nur eingeschränkt von zuhause arbeiten können – als Grund nennt Facebook Sicherheitsbedenken.
Eine stete Quelle an Falschbehauptungen sitzt in der Krise im Weißen Haus. Allein in den ersten zwei Märzwochen machte Donald Trump nach Zählung von CNN 33 klar falsche Behauptungen über die Pandemie und das Virus.
Politiker bislang Tabu
Bislang scheuen sich die Plattformen jedoch häufig, falsche Behauptungen von Spitzenpolitikern zu löschen. Dahinter steht auch die langjährige Bemühung der Konzerne, ihre Dienste als neutrale Plattformen zu positionieren, die nicht redaktionell in Inhalte eingreifen.
Twitter verkündete erst im Vorjahr, es werde falsche oder problematische Aussagen nicht löschen, wenn sie Gegenstand öffentlichen Interesses seien. Später präzisierte der Konzern, unter gewissen Umständen doch durchgreifen zu wollen – etwa bei Aufrufen zu Gewalt oder Selbstverletzung.
Facebook und Youtube erlaubten Donald Trump im Vorjahr sogar, mit offenkundig unwahren Behauptungen Wahlwerbung zu machen. Erst vor wenigen Wochen stoppte Facebook schließlich eine Serie von irreführenden Trump-Werbeanzeigen für die derzeit laufende Volkszählung. Youtube entfernte nach eigenen Angaben einige Trump-Videos, wollte aber nicht sagen welche.
Die Beißhemmung gegenüber Trump und seinen Verbündeten gilt auch in Coronazeiten. Verschwörungstheorien gegen den US-Immunologen Anthony Fauci verbreiten sich rasant in Netzwerken von Trump-Unterstützern. Auch ein manipuliertes Video über Trumps wahrscheinlichen Gegenkandidaten Joe Biden, das die Trump-Kampagne verbreitet, wollen Facebook und Twitter nicht löschen.
Eine offenkundig irreführender Tweet Trumps vom 9. März, der Corona mit der Grippe vergleicht, bleibt online. Google schwieg außerdem öffentlich angesichts einer fälschlichen Ankündigung Trumps, der Konzern plane eine USA-weite Webseite, die Hilfe für Coronavirus-Tests biete.
Twitter verkündete zwar vor einigen Tagen, gegen Covid-Falschinformation strenger vorzugehen. Als Beispiel nennt der Konzern irreführende oder falsche Aussagen über Behandlungsmethoden oder vom Virus angeblich nicht betroffene Personen, etwa Kinder.
Unklar ist aber, ob das auch ein strengeres Vorgehen gegenüber Trump und europäischen Rechten bedeutet, die mit Falschmeldungen über die Pandemie Stimmung machen. Twitter antwortete nicht auf Nachfrage von netzpolitik.org, ob nun auch solche Aussagen von Trump oder europäischen Politikern von dem sozialen Netzwerk gelöscht würden.
Google betonte auf Anfrage von netzpolitik.org, es habe zwei Bolsonaro-Videos von Youtube entfernt. In seiner Stellungnahme machte das Unternehmen aber keine Angaben über die Durchsetzung seiner Leitlinien gegen irreführende Aussagen von Politikern. Facebook erklärte, es entferne falsche Informationen über Covid-19, die „zu unmittelbarem physischem Schaden beitragen“. Der Konzern antwortete aber nicht auf unsere Frage, ob er auch Aussagen Trumps entfernen würde.
Die Strategie der Plattformen gegenüber problematischen Äußerungen von Politikern scheint auch in Zeiten des Coronavirus nicht festgelegt und etwas willkürlich.
Praktisch immun vs. immun. Seit wann bedeutet „praktisch immun“ zu sein, dass man „immun“ ist?
Musk sagt, Kinder seien „essentially immune“, was ich als „praktisch immun“ übersetzt habe. Andere Übersetzungsvarianten lauten „hauptsächlich“ oder „im Wesentlichen“.
Auch wenn die Fallzahlen für Kinder niedrig sind, lässt sich das so nicht behaupten. Um aus dem verlinkten Artikel von Buzzfeed zu zitieren:
“The symptoms of COVID-19 are similar in children and adults,” the CDC said on a public FAQ page. “However, children with confirmed COVID-19 have generally presented with mild symptoms.”
Vielleicht ist „praktisch Immun“ das richtige Immun, falls Genesene nicht dauerhaft Immun sein sollten.
Andererseits wären Kinder dann vielleicht nach Aufwachsen eben wieder mit einem Ausbruch dran, falls kein Impfstoff entwickelt wird.
Man weiß es ja noch nicht wirklich.
Da ja gerade die Fallzahlen niedrig sind, trifft doch die Aussage von Musk zu.
Es ist eine problematische Fehldarstellung, würde ich sagen.
Was sich auf den werbefinanzierten sozialen Plattformen verbreitet, entscheiden die Algorithmen der Plattformen indem sie für jeden Nutzer einen individuellen Newsfeed, individuelle Trends oder individuelle Video-Vorschläge generieren.
Da die Plattformen Nutzeraufmerksamkeit vermarkten, ticken ihre Algorithmen im wesentlichen gleich, indem sie versuchen ein Maximum an Nutzeraufmerksamkeit zu erzeugen.
Neutralität gegenüber Inhalten meinen die Plattformen so, dass ihre Algorithmen die Inhalte nicht kennen, denn dafür müssten die Plattformen Unmengen an Menschen einstellen, die alle Inhalte sichten und bewerten, bevor sie von den Algorithmen verteilt werden.
Sehr einfach können die Algorithmen jedoch ermitteln wieviel Nutzeraufmerksamkeit ein Beitrag bekommt (Betrachtungs-/Lesezeit, Likes, Kommentare, Teilen). Und da ist es dem menschlichen Wesen geschuldet, dass eine Verschwörungserzählung, die viel Angst erzeugt und viele Menschen gegeneinander aufbringt, viel mehr Aufmerksamkeit bekommt als eine sachliche und wissenschaftliche Einschätzung des gleichen Themas.
Ein Löschen der trumpschen Erzählungen oder eines Martin Sellner würde die Plattformen sehr viel Nutzeraufmerksamkeit kosten.
Das Problem sind nicht die Fake-News und die Verschwörungserzählungen sondern das Geschäftsmodell der Vermarktung von Aufmerksamkeit. Weil Menschen viel stärker auf Gefahr als auf sachliche Berichte reagieren, schürt dieses Geschäftsmodell mit steigender Tendenz Angst, Hass und Gewalt bei immer mehr Menschen.
Ich bezweifle, dass die derzeitige Fokussierung auf die Verschwörungserzähler und die Fake-News-Erfinder wirksam sein kann, so lange die Algorithmen der Plattformen solche Inhalte ungleich stärker belohnen als sachliche Beiträge.
Sollten solche Platformen überhaupt darüber entscheiden was wahr und was falsch ist ?
Falsche Dinge zu behaupten ist in einer Demokratie ja noch nicht per se strafbar und würde somit auch keine Zensur rechtfertigen.
„solche Plattformen“ also die, deren Algorithmen eigenständig über die Verbreitung von Inhalten entscheiden, müssten nach unserem bisherigen Rechtsverständnis Verantwortung für die verbreiteten Inhalte übernehmen. Genau so wie wir es bei einem Verlag, einer Zeitung oder einem Fernsehsender handhaben.
Die Meinungsfreiheit ist ein Recht des Einzelnen. Für die kommerzielle Verbreitung von Inhalten kennen wir das nicht.
Wir müssen hier aber zwischen einen Blog und z.b. Twitter unterscheiden. Ein Blog einer Privatperson läuft für mich unter Meinungsfreiheit und man kann die Plattform, die ggf. das Blog bereitstellt nicht für die Inhalte verantwortlich machen. Twittert jemand zu dem Blogeintrag und die Twitter-KI lässt den Beitrag bei vielen anderen Twitter-Usern „trenden“ dann sind wir an dem Punkt der kommerziellen Inhaltsverteilung für die ich ganz klar eine inhaltliche Verantwortung des Unternehmens sehe.