Der Druck hat ein neues Hoch erreicht. Am Dienstagabend hat der US-Senat – die zweite Kammer des Kongresses – einen Gesetzentwurf aus dem Repräsentantenhaus gebilligt. Demnach muss sich die TikTok-Mutterfirma ByteDance entweder von der App trennen oder sie wird in den Vereinigten Staaten verboten.
Das Gesetz hat US-Präsident Joe Biden heute unterzeichnet. Damit beginnt für TikTok das Ultimatum: Innerhalb von neun Monaten muss ByteDance einen Käufer für seine Video-App finden, um maximal drei Monate kann Biden die Frist verlängern. Gelingt der Verkauf nicht, müsste die App aus den US-amerikanischen Stores von Apple und Google verschwinden.
Auf diese Weise soll die Bedrohung eingehegt werden, als die TikTok in den USA inzwischen parteiübergreifend wahrgenommen wird. Ob die drastische Maßnahme am Ende aber zum erwünschten Erfolg führt, ist fraglich. TikTok hat bereits angekündigt, vor Gericht gegen das Gesetz vorzugehen. Und auch zahlreiche Bürgerrechtsorganisationen sehen das Vorhaben kritisch. Eine derart beliebte App zu verbieten, das wäre ein tiefer Eingriff in die Meinungsfreiheit und die ist in den USA in die Verfassung eingemeißelt.
Zwangsverkauf für „mehr Sicherheit“
Es ist nicht der erste Versuch, TikTok in den Vereinigten Staaten unter Druck zu setzen. Schon Donald Trump hatte im Jahr 2020 versucht, erst einen Verkauf zu erzwingen, dann die App verbieten zu lassen. Beides scheiterte an Gerichten.
Nun soll ein Zwangsverkauf von TikTok die US-Amerikaner:innen schützen. „Protecting Americans from Foreign Adversary Controlled Applications Act“, lautet der sperrige Titel, zu Deutsch: „Gesetz zum Schutz der Amerikaner vor von ausländischen Gegnern kontrollierten Anwendungen“.
Vor allem zwei Szenarien sorgen dafür, dass TikTok in der Wahrnehmung der US-Gesetzgeber:innen als Gefahr gilt. Sie fürchten zum einen, die chinesische Regierung könne via TikTok massenweise die Daten US-amerikanischer Bürger:innen in die Hände bekommen. Zum anderen geht es um drohende politische Einflussnahme. TikTok gibt an, mehr als 170 Millionen Nutzer:innen in den USA zu haben. Was sie in der App zu sehen bekommen, wird von TikToks Algorithmen bestimmt.
Die hinter dem Gesetz stehende Frage fasste Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan kürzlich so zusammen: „Wollen wir, dass TikTok als Plattform im Besitz eines amerikanischen Unternehmens ist – oder China gehört?“
Sorgen berechtigt, Lösungsansatz fraglich
Das Hauptquartier von ByteDance ist in Beijing, registriert ist das Unternehmen jedoch auf den Cayman Islands. Das Unternehmen behauptet, nicht unter dem Einfluss der chinesischen Regierung zu stehen. Entgegen aller Beteuerungen war es aber offenbar nach wie vor möglich, auch von China aus auf Nutzer:innen-Daten zuzugreifen.
Die Sorgen, dass die Daten auch bei chinesischen Behörden landen könnten, sind also durchaus berechtigt. Die Frage ist nur: Eignet sich der Ansatz „Verkauf oder Verbot“, um die erklärten Ziele zu erreichen?
Denn während die Entscheidung über einen Zwangsverkauf getroffen wird, erlaubt die Gesetzeslage in den USA weiterhin einen kaum regulierten Handel mit Nutzer:innen-Daten. Darauf weisen Bürgerrechtsorganisationen wie die Electronic Frontier Foundation (EFF) schon lange hin. Demnach brauche die Kommunistische Partei Chinas TikTok nicht, um an Daten zu gelangen. Stattdessen könne sie etwa Bewegungsprofile von US-Bürger:innen völlig legal bei Datenhändlern einkaufen.
Statt derart massiv gegen TikTok vorzugehen, sei es sinnvoller, „die Art und Weise einzuschränken, wie alle Unternehmen hier personenbezogene Daten sammeln“, schreibt die EFF. „Dies würde die Menge der Daten reduzieren, die ein Angreifer erhalten könnte.“
Politische Einflussnahme nicht nur auf TikTok
Wenn es hingegen darum geht, politische Einflussnahme zu unterbinden, dann stellt sich die Frage: Warum vor allem auf TikTok? Denn erstens ist TikTok bei weitem nicht die einzige Plattform, auf der das geschieht, und zweitens China nicht der einzige Staat, der im Fokus stehen sollte. Wie massiv etwa die russische Regierung Facebook und Twitter genutzt hat, um die US-Wahlen 2016 zu beeinflussen, ist gut dokumentiert.
Um diese Probleme zu bekämpfen, könnte die US-Regierung Regeln erlassen – etwa wie Plattformen mit Propaganda und Desinformation umgehen sollen, wie sie Inhalte moderieren und solche Risiken für demokratische Prozesse zu mindern gedenken.
Genau das hat die EU erst jüngst mit einem umfangreichen Gesetz getan, das vor allem großen Plattformen viele Vorgaben macht: das Digitale-Dienste-Gesetz. Auch TikTok fällt darunter, weil die App eine kritische Zahl an Nutzer:innen in der EU überschreitet. Entscheidend aber ist, dass daneben auch Amazon, Instagram und Snapchat im Fokus der EU stehen.
Geopolitischer Schlagabtausch
Mit einer Internetregulierung, wie es sie in der EU gibt, hat das Vorhaben der USA jedoch nur wenig gemein. Das nun verabschiedete Gesetz will nicht Unternehmen oder ihre Plattformen regulieren. Es schreibt keine Regeln vor, wie sie etwa Inhalte moderieren oder Werbung überprüfen sollen. Stattdessen will es einen geopolitischen Schlagabtausch über das Internet austragen. Und dazu eine der beliebtesten Plattformen der USA aus dem Land drängen.
„Wir sind zutiefst enttäuscht, dass unsere Politiker wieder einmal versuchen, unsere Rechte aus dem ersten Verfassungszusatz gegen billige politische Punkte in einem Wahljahr einzutauschen“, sagt daher Jenna Leventoff, Senior Policy Counsel bei der American Civil Liberties Union (ACLU). Und Patrick Toomey, stellvertretender Direktor des National Security Project bei der ACLU, befürchtet, dass das Gesetz nicht zuletzt China in die Hände spielen wird.
Vor allem aber kritisieren die Bürgerrechtsorganisationen, dass der Kongress im Kampf gegen TikTok bereitwillig jenes Ziel opfere, dem sich die USA eigentlich seit Jahrzehnten verschrieben haben: ein offenes Internet, in dem keine Regierung darüber entscheidet, welche Seiten und Informationen frei zugänglich sind.
US-Gesetz droht weltweit Schule zu machen
Nun aber könnten Staaten weltweit das US-Gesetz dankbar zum Anlass nehmen, um eigene Restriktionen zu verstärken.
„Es würde definitiv nicht ihre eigenen Argumente zur Förderung eines freien und sicheren, stabilen und interoperablen Internets stärken“, sagt Juan Carlos Lara, Geschäftsführer von Derechos Digitales, einer lateinamerikanischen Gruppe für digitale Rechte mit Sitz in Chile.
In Venezuela und Nicaragua übten die jeweiligen Regierungen schon jetzt erheblichen Einfluss auf das Internet aus. Ein US-Gesetz, das sich gezielt gegen TikTok richte, könnte diese Kontrollbestrebungen noch verstärken. Es sei eine „verlockende Idee“, die „wirklich Gefahr läuft, sich zu verwirklichen, wenn so etwas in Ländern wie den USA gesehen wird“, so Lara gegenüber der New York Times.
Der russische Blogger Aleksandr Grobunov befürchtet, dass auch Russland nun seine Zensur ausweiten und etwa YouTube verbieten könnte: „Ich glaube nicht, dass das Offensichtliche laut gesagt werden muss: nämlich dass Russland, wenn es YouTube sperrt, dies mit genau dieser Entscheidung der Vereinigten Staaten begründen wird“, so Gorbunov.
Mishi Choudhary, Anwältin und Gründerin des in Neu-Delhi ansässigen Software Freedom Law Center, sorgt sich ebenfalls, dass die indische Regierung ein US-Verbot zur Rechtfertigung weiterer Zensur und Razzien nutzen könnte. In Indien ist TikTok bereits seit dem Jahr 2020 verboten. Das US-Gesetz helfe der Modi-Regierung, ihr bisheriges Handeln zu rechtfertigen, sagt Choudhary. „Und es ermutigt sie, in Zukunft ähnlich zu handeln.“
USA vs. TikTok: Die Angst vor Chinas Einfluss
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