Netzpolitischer Wochenrückblick KW 30: Hello Darknet, my old friend

Die netzpolitische Woche zusammengefasst: Hashtag-Zensur bei Olympia, Merkel erklärt den NSA-Skandal für beendet, altbekannte und neue Forderungen nach Würzburg, München und Ansbach und eine Großoffensive gegen das „Darknet“.

Foto: fahrradfritze [CC-BY-NC 2.0]

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Hashtag-Zensur bei Olympia

Pünktlich zu den Olympischen Spielen macht das IOC mit hanebüchenen Social-Media-Regeln auf sich aufmerksam. Während sich Athleten mit mehr als 50 Seiten Social-Media-Guidelines und -Regeln herumschlagen müssen, dürfen Unternehmen nicht einmal Tweets retweeten oder Ergebnisse auf Facebook teilen. Wer als Unternehmen den Hashtag „#RIO2016“ nimmt, kann abgemahnt werden. Das IOC veranstaltet damit einen ordentlichen Hürdenlauf für fast alle Beteiligten.

NSA-Skandal beendet, her mit neuen Überwachungskapazitäten

Die bayerische Landesregierung hat ihr neues Sicherheitskonzept für Bayern vorgestellt. Wie zu erwarten war, wurden darin mehr Befugnisse und Mittel für Ermittlungsbehörden verlangt. Darunter beispielsweise Forderungen für eine Erweiterung der Vorratsdatenspeicherung und Staatstrojaner. Eine Vergrößerung der psychologischen Unterstützung sei bei weitem nicht ausreichend. Derweil hat Angela Merkel in ihrer Sommer-Pressekonferenz den NSA-Skandal als beendet und die Grundrechte als geschützt erklärt, ungeachtet der neuesten Anti-Terror-Gesetze und des neuen BND-Gesetzes. Zusätzlich hat sie den Aufbau einer neuen Behörde zur Entschlüsselung angekündigt.

Zum Thema Verschlüsselung gab es diese Woche bei Wikimedia in Berlin eine Podiumsdiskussion, die sich im Bezug auf Verschlüsselung mit dem Konflikt von persönlichen und nationalen Sicherheitsinteressen auseinandergesetzt hat. Ebenfalls in Berlin kam diese Woche mehr dazu heraus, welche Mittel die Polizei zur Überwachung der Rigaer Straße nutzt. Rund 2.400 Identitätsfeststellungen wurden seit Mitte Januar durchgeführt. Die festgestellten Daten werden daraufhin für ein Jahr gespeichert – auch ohne einen Verdacht gegen die betroffene Person.

Politische Forderungen nach Würzburg, München und Ansbach

Nach den Amokläufen von München und Würzburg und dem mutmaßlichen Terroranschlag von Ansbach kamen von Seiten der Politik allerhand Forderungen, wie die adäquate Reaktion auf diese Gewalttaten aussehen sollte. Diese Forderungen sind weitreichend: der Einsatz der Bundeswehr im Inneren, eine schärfere Waffenkontrolle, aber vor allem mehr Überwachung durch eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung, ein „Durchleuchten des Darknets“ oder die stärkere Kontrolle von sozialen Netzwerken. Und auch eine längst tot geglaubte Debatte taucht wieder auf: Killerspiele! Allseits beliebt ist auch die Forderung nach einer Klarnamenpflicht im Internet. Eine aktuelle Studie fand diesbezüglich jedoch heraus, dass anonyme Nutzer sogar weniger aggressiv kommentieren als Nutzer mit Klarnamen. Wie berechenbar wiederum der Mediendiskurs trotz der oftmals vollkommen unklaren Faktenlage nach mutmaßlichen Terroranschlägen ist, zeigt das Interview mit Prof. Dr. Klaus Beck.

Fragwürdiger Datenschutz auf beiden Seiten des Atlantiks

Das neue Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA steht unter Kritik. Die europäischen nationalen Datenschutzbehörden, die sich auch in der Artikel-29-Gruppe versammeln, bleiben weiterhin unzufrieden mit dem Abkommen. Da weder sie noch das EU-Parlament ein Veto einlegen können, bieten sie Unterstützung für Beschwerdeführer an.

Dass der Datenschutz bei amerikanischen Firmen auch in Zukunft fragwürdig bleibt, zeigen neue Entwicklungen in den USA. Zwar hat ein US-Gericht bereits festgestellt, dass im Ausland bzw. in Irland liegende Daten nicht von Microsoft herausgegeben werden müssen. Allerdings sind hierzu jetzt Gesetzesänderungen unterwegs, die diese „Lücke“ schließen würden. Um momentan an im Ausland gespeicherte Daten zu gelangen, muss man sogenannte Rechtshilfeverträge in Anspruch nehmen. Dabei ist es aber nicht die USA, sondern auch die EU, die gerne ein „effektiveres“ System für den Datenzugriff im Ausland entwickeln möchte.

Die deutsche Regierung bleibt bei einem anderen Bereich des Datenschutzes währenddessen untätig. Die Krankenkassen befördern die Nutzung von Wearables und Fitnessapps, diese werden von immer mehr Menschen benutzt. Dennoch sieht die Bundesregierung derzeit keinen Handlungsbedarf, weder um diskriminierenden Versicherungsmodellen Vorschub zu leisten noch um die Sicherung der bei Dritten gespeicherten Daten zu gewährleisten.

Klassische Darknet-User (Symbolfoto) Foto: CC-BY-NC 2.0  kehworks
Klassische Darknet-User (Symbolfoto) Foto: CC-BY-NC 2.0 , kehworks

(Fast) alle gegen das „Darknet“

Heiß diskutiert wurde in dieser Woche das so genannte „Darknet“, aus dem für manche das gesamte Unheil der Welt zu kriechen scheint. Dabei wird mit allerlei Symbolik gespielt, wie dem Aufruf zur „Durchleuchtung“ des dunklen Webs oder der tiefen Ozeanen, in denen Seeungeheuer und U-Boote ihr Unwesen treiben. Beim Ausdenken von pfiffigen Metaphern scheint jedoch die fachliche Kenntnis ein wenig auf der Strecke zu bleiben. Soll man von „Clearnet“ oder von „Surface Web“ reden und ergibt eine Forderung nach dem Verbot von Waffenkäufen im „Darknet“ überhaupt Sinn, wenn solch ein Kauf auch jetzt schon illegal ist. Bei der Verbesserung der Informationslage hilft es natürlich auch nicht, wenn das BKA zum einen veraltete Daten für die hauseigenen Infografiken verwendet oder gar unbelegte Daten in die Welt setzte.

Bei all dem Trubel und der Panikmache wird dann natürlich vergessen, dass das „Darknet“ beziehungsweise ein Teil davon, das Tor-Netzwerk, extrem wichtige Funktionen hat, wie zum Beispiel die Umgehung von staatlicher Zensur oder die anonyme Kommunikation und Recherche von Journalisten, Menschenrechtlern und Whistleblowern.

Call for Papers und Ticketvorverkauf gestartet

Auch in diesem Jahr wird es wieder eine „Das ist Netzpolitik!“-Konferenz geben. Die Konferenz findet am 7. Oktober 2016 in der Kulturbrauerei in Berlin statt und bietet allerlei Vorträge zu verschiedenen netzpolitischen Themen. Dazu ist diese Woche der „Call for Papers“ gestartet und auch Tickets kann man schon kaufen. Wer englischsprachige Freunde für die Konferenz begeistern will, nutzt diesen Link.

Tipps fürs Wochenende

Falls man am Wochenende durch einen spontanen Monsun, wie dem in Berlin, überrascht wird oder einfach so Lese- und Dokumentationstipps sucht, empfehlen sich folgende Möglichkeiten: In einer überaus detaillierten Weise hat der Journalist Norman Solomon die Rolle der Luftbasis Ramstein im „endlosen Krieg“ der Drohnen dargestellt. Aus einer amerikanischen Perspektive beschreibt er dabei die zentrale Aufgabe von „Little America“ und auch den Unwillen der deutschen Bundesregierung, am Status Quo etwas zu verändern. Ein Gastbeitrag von Dennis Mehmet berichtet über die Nutzung von sozialen Medien durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan während des erfolglosen Putschversuches. Die ZDF-Doku „Der letzte Remix“ gibt einen Einblick in die Remix-Kultur und zeigt dabei einen nicht ganz nüchternen Andy Warhol.

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4 Ergänzungen

  1. 30. Juli 2016, 19:02 Uhr Quelle: afp

    Ankara (AFP) Die Türkei hat nach Angaben eines Behördenvertreters schon lange vor dem Putschversuch am 15. Juli verschlüsselte Nachrichten von Anhängern des islamischen Predigers Fethullah Gülen abgefangen. Dadurch habe Ankara die Namen von zehntausenden Mitgliedern des Gülen-Netzwerks gehabt, sagte der ranghohe Behördenvertreter, der anonym bleiben wollte, am Samstag.

    Ist es jetzt ratsam die türkischen Root-Zertifikate zu löschen?

    1. Da steht übrigens nirgends, dass auch entschlüsselt wurde, warum auch, wenn man „abfängt“ dann hat man die Namen, wer wen kennt, wer jemanden kennt der jemanden kennt der jemanden kennt, dazu die Aufenthaltsorte, wo man die Menschen zum Verhaften findet (Meta-Daten/VDS-Daten), viel interessanter als „Alles Gute zum Geburtstag“, oder „Tante Aische liegt im Krankenhaus“.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.