Im heute veröffentlichten Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP in Rheinland-Pfalz zeigt sich, welche Bedeutung Netzpolitik mittlerweile hat. Der Vertrag verspricht mehr WLAN-Hotspots, den flächendeckenden Breitbandausbau und mehr offene Daten. Auf den ersten Blick sehen wir einige gute Ideen – die Hautpunkte in der Zusammenfassung.
Vor wenigen Tagen stellte bereits die zukünftige schwarz-rot-grüne Regierung von Sachsen-Anhalt ihren Koalitionsvertrag vor. Die wichtigsten netzpolitischen Pläne haben wir in ein einer kurzen Analyse zusammengefasst.
Bei Koalitionsverträgen ist zu beachten, dass die Parteien bis zum Schluss der Verhandlungen um die genauen Formulierungen ringen. Statt konkreter Pläne findet sich in einem Koalitionsvertrag daher oft eher die grobe Stoßrichtung. Trotzdem macht es einen großen Unterschied, ob von „wollen“, „sollen“ oder „werden“ die Rede ist. Die ersten beiden Formulierungen stellen eine reine politische Absichtserklärung dar, letzteres weist auf konkretere Pläne hin.
Digitalisierungskabinett
Gleich der zweite Absatz des Kapitels „Digitale Zukunft – Chancen der Gigabitgesellschaft“ erwähnt die Einrichtung eines „Digitalisierungskabinetts“ unter Leitung der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Die Aufgaben dieses Gremiums sind nur vage beschrieben, es soll eine „klare, abgestimmte und umfassende Digitalisierungspolitik“ sicherstellen. Über Teilnehmer, Budget oder Befugnisse ist im kurzen Absatz nichts zu finden. Erwähnung findet das Digitalisierungskabinett nur ein weiteres Mal, im Abschnitt über die Digitalisierung der Verwaltung: Es soll die Reformen verabschieden.
Breitbandausbau
Die Ampel-Koalition verspricht „bis 2018 flächendeckend 50 Mbit/s“ in der Stadt und auf dem Land zur Verfügung zu stellen. Es handele sich dabei um einen Zwischenschritt hin zur „Gigabitgesellschaft“, der nur durch den Komplettwechsel von Kupfer- auf Glasfaserkabel erreicht werden könne. Dabei hat die Bundesnetzagentur gerade erst der Telekom Vectoring erlaubt, welches auf Kupferkabeln aufbaut. Der Breitbandausbau soll durch ein neues „Netzbündnis für Rheinland-Pfalz“ koordiniert werden und durch Landes-, Bundes- und EU-Gelder gefördert werden.
Freie Software
Im Koalitionsvertrag heißt es zum Einsatz von freier Software:
Bei öffentlichen Beschaffungsmaßnahmen wollen wir offene und freie Software und lizenzpflichtige Produkte gleichwertig einsetzen, wenn fachliche Eignung, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit dem nicht entgegenstehen.
Das ist, nur mit minimalen Änderungen, der gleiche Satz, der schon im Koalitionsvertrag 2011 stand. Ein klares Bekenntnis zu Open-Source-Lösungen sieht freilich anders aus – werden sie doch bei gleicher Eignung nicht bevorzugt, sondern nur gleichwertig mit proprietären Anwendungen gestellt. Auch das Wörtchen „wollen“ lässt nicht darauf hoffen, dass alsbald in den Verwaltungen von Rheinland-Pfalz LibreOffice statt Word genutzt wird. Trotzdem ein Schritt in die richtige Richtung, dem aber auch Taten folgen sollten – sind doch noch immer Windows-Computer in der Mehrzahl in den Behörden von Rheinland-Pfalz.
Offene Daten & Offene WLANs
Schon im Wahlkampf sprach die SPD davon 1.000 WLAN-Hotspots errichten zu wollen. Dieses Forderung findet sich jetzt auch im Koalitionsvertrag. In mindestens 1.000 Kommunen sollen 1.000 WLAN-Hotspots eingerichtet werden. Wann? „Zeitnah.“ Konkreter klingt da schon der Plan für WLAN-Hotspots in öffentlichen Gebäuden:
Jedes mit Internet versorgte, öffentliche Gebäude soll einen freien WLAN-Zugang für die Öffentlichkeit bereitstellen. In einem ersten Schritt werden alle Gebäude in Landeseigentum, die über einen Internetanschluss verfügen, mit kostenlosem öffentlichen WLAN ausgestattet.
Die Einbindung der Freifunk-Initiativen solle „geprüft“ werden und eine Anerkennung ihrer Arbeit als gemeinnützig geschehen. Wie auch in Sachsen-Anhalt plant die Ampel-Koalition in Rheinland-Pfalz auch in Zügen WLAN-Hotspots einzuführen. Die vielen WLAN-Zugänge sind aber nur möglich, wenn es keine Störerhaftung mehr gibt. Konsequenterweise fordert die Koalition daher die Abschaffung dieser. Damit schließt sie sich der immer stärker werdenden Kritik am Gesetzentwurf der Bundesregierung an.
Auch offene Daten soll es in Zukunft mehr aus Rheinland-Pfalz geben. Im Koalitionsvertrag findet sich ein klares Bekenntnis zum freien Zugang zu Informationen. Das Open-Data-Portal des Landes soll ausgebaut werden. Leider haben wir kein Bekenntnis zu Open-Acess-Angeboten an Schulen und Universitäten gefunden – hier besteht klar Nachholbedarf.
Grundrechte
Der Koalitionsvertrag sagt:
Unbeobachtete Kommunikation ist ein Grundrecht in einer demokratischen Gesellschaft. Deswegen werden wir Ende-zu-Ende-Verschlüsselung unterstützen und deren Verbreitung aktiv fördern.
Wie die Nutzung von Verschlüsselung verbreitet werden soll, bleibt aber unklar. Hier könnten öffentliche Behörden eine Vorreiterrolle übernehmen.
Es finden sich außerdem Zweifel an der Rechtmäßigkeit der im Herbst von SPD und CDU/CSU verabschiedeten Vorratsdatenspeicherung:
Gegenüber massenhaften und anlasslosen Datenspeicherungen wie der Vorratsdatenspeicherung gibt es erhebliche rechtspolitische Bedenken.
Datenschutz
Hier findet sich eine netzpolitische Forderung der Liberalen wieder. Die Koalition plant die Einrichtung einer Zentralstelle für Datenschutzverstöße bei der Staatsanwaltschaft. Weiter heißt es, dass bei der Umsetzung der EU-Datenschutzreform „hohe Standards“ angesetzt werden sollen, ohne dass diese näher erläutert werden. Die Koalition bekennt sich zum Datenschutz, möchte aber die Nutzung von Daten für gewerbliche Zwecke mit dem Schutz personenbezogener Daten vereinen:
Ziel unserer Digitalpolitik ist aber auch, die unterschiedlichsten Daten für innovative Geschäftsmodelle und für Analysen oder Start-ups nutzbar zu machen und dies mit dem Prinzip der informationellen Selbstbestimmung zu vereinen.
Fazit
Im Vergleich mit dem Koalitionsvertrag von 2011 wird deutlich, im welchem Maße Netzpolitik an Bedeutung gewonnen hat. Vor fünf Jahren gab es weniger als vier Seiten zu Digitalisierung, Breitband und Freier Software. Heute sind es doppelt so viele.
Die Bekenntnisse zu offenen WLANs, Breitband-Ausbau und Verschlüsselung senden positive Signale. Wir begrüßen außerdem die klare Ablehnung der Störerhaftung und die, leider etwas leiseren, Bedenken gegenüber der Vorratsdatenspeicherung. Letztendlich werden aber die nächsten fünf Jahre zeigen, was von den Versprechungen im Koalitionsvertrag auch umgesetzt wird. Es handelt sich schließlich nur um eine Absichtserklärung, mit viel „wollen“ und „sollen“.
Meanwhile in BaWü:
„Anerkennend äußerte er sich zur Kompromissbereitschaft der Grünen beim Thema Innere Sicherheit. „Wenn ich mir anschaue, was wir mit den Grünen in puncto Vorratsdatenspeicherung, bei Online-Durchsuchungen und anderen Präventivmaßnahmen in der Arbeitsgruppe vereinbart haben, dann ist das mehr als respektabel.“ Mit der FDP wäre das undenkbar, meinte Strobl, der Vize-Regierungschef in Stuttgart werden will.“ (Stuttgarter Zeitung: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.koalitionsgespraeche-trotz-konsens-gibt-es-noch-offene-streitpunkte.616e8af7-8392-4cc6-b67a-bfad93b7c0bf.html)
Wie lange hätte es bei umgekehrter Situation wohl gedauert, bis die FDP in diesem Blog in der Luft zerrissen worden wäre?
Wollen wir hoffen, dass bei zunähmendem Druck aus den Ländern, die Störerhaftung abzuschaffen, diese unsinnige Regelung endlich auch im Bund bald gekippt wird.
Die Lösung ist ganz einfach: Sobald der Koalitionsvertrag auch einsehbar und kommentierbar ist.
(P.S. Ich würde ja gerne den FDP-Leitantrag kommentieren, aber das Antragsbuch ist unlesbar und -kopierbar und ich möchte nicht den halben Tag damit verbringen, die Leerzeichen aus dem Text raus zu löschen. Insofern ist es keine Zensur, wenn hier nichts kommt, ich hab gerade nach 30 Minuten aufgegeben).
Wie ich hörte, wird der Beschluss gerade noch ausgearbeitet. Waren ne Menge Änderungsanträge, die sitzen da noch dran.
Wichtig war mir vor allem, dass die FDP jetzt zum zweiten Mal die Abschaffung der Störerhaftung beschlossen hat (trotz des Widerstands mancher Urheberrechts-Dinosaurier).
Netzneutralität ist auch beschlossen und aus der ehemaligen Mangel an Bereitschaft, auch Steuergeld für den Breitbandausbau locker zu machen, ist eine Formulierung geworden, die auch Bund und Länder explizit zur Förderung aufruft. Der Absatz zum Urheberrecht und DRM konnte deutlich entschärft werden (DRM ist komplett raus) und das BSI soll in Zukunft keine nachgestellte Behörde des BMIs mehr sein. Insgesamt enthält der Text leider auch noch ne Menge Prosa, aber das bleibt bei allumfassenden Papieren wie in diesem Fall nicht gänzlich aus.
Mühsahm ernährt sich das Eichhörnchen und der Modernisierungskurs der Partei ist noch nicht Abgeschlossen, aber zumindest in diesem Bereich auf nem guten Weg.
Der Text zu Netzneutralität klingt im Antragsbuch wie bei Oettinger oder der Deutschen Telekom abgeschrieben. Der ist so offen formuliert, dass das alles heißen kann, also auch Drosselkom-Ideen der Telekom.
Der DRM-Part war mir auch aufgefallen, im Vergleich zum Rest Urheberrecht war der relativ dominant. Ich bin gespannt, kann jetzt aber wegen re:publica Planungen nicht versprechen ob ich noch eine Analyse hinbekomme. Ich hatte mir extra heute zwei Stunden Zeit dafür nehmen wollen.