Willkommen zum ersten netzpolitischen Wochenrückblick im Jahr 2015. Wir sind gut rein gekommen, und Ihr? Eine große Neujahrsansprache sparen wir uns an dieser Stelle und springen direkt hinein in die ersten Themen des neuen Jahres.
Der Mordanschlag auf mehrere Mitarbeiter des Satire-Magazins “Charlie Hebdo” dominierte diese Woche die öffentliche Debatte. Natürlich nutzen dies wieder die üblichen Politiker und Hardliner, um noch mehr Überwachung und Grundrechtsabbau zu fordern. Und das, obwohl es in Frankreich viel mehr Überwachungsbefugnisse als bei uns gibt und die offensichtlich die Anschläge nicht verhindert haben. Warum wird eigentlich nicht diskutiert, wo man Schnellfeuergewehre und andere schwere Waffen herbekommt? In einer gemeinsamen Erklärung des Chaos Computer Clubs, der Humanistischen Union, des Republikanischen Anwältinnen- und Anwaltsvereins und des Digitale Gesellschaft e.V. fordern die vier NGOs „mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“
Erfreuliche Nachrichten kommen dagegen aus Brüssel. Dort bereitet die EU-Kommission eine Klage gegen die Bundesrepublik vor, da die Abmahnindustrie in Deutschland möglicherweise nicht kompatibel mit dem EU-Recht ist. Dies könnte zum ersten netzpolitischen Vertragsverletzungsverfahren auf Grundlage der EU-Grundrechtscharta führen.
Derweil legen 15 jüngere Abgeordnete der SPD das Papier „Infrastruktur der Zukunft“ vor, indem sie auch ein freies, offenes Netz fordern, inklusive Bandbreitenausbau und Investitionen in IT-Sicherheit. Passend dazu erklärt Joe McNamee von European Digital Rights warum ein nicht-neutrales Netz ein lukratives Geschäftsmodell für Unternehmen darstellt und inwiefern dies von Regierungen genutzt werden kann. Schlecht für das Geschäft sind sind auch Vorratsdatenspeicherungen, weshalb Lobby-Gruppen der Fluggesellschaften die EU-weite Einführung der Vorratsdatenspeicherung von Flugpassagierdaten fordern. Die Auswirkungen auf Grundrechte und Reisefreiheit spielen dabei nicht wirklich eine Rolle. Aber wenigstens kam der Juristische Dienst des Europaparlaments in einem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass sich die existierenden Gesetze der EU-Mitgliedsstaaten zur Vorratsdatenspeicherung an der EU-Grundrechtecharta orientieren müssen. Das heißt unter anderem, dass eine Not- und Verhältnismäßigkeit für die Sammlung von Reise- und Finanzdaten vorhanden sein muss.
Die massenhafte Handy-Rasterfahndung per Funkzellenabfrage scheint mittlerweile zur Routinemaßnahme geworden zu sein. Allein im Saarland war im letzten Jahr jeder Bürger sieben mal verdächtigt. Mittlerweile liebäugelt auch das BKA, neben drei Landeskriminalämtern, mit Vorhersagesoftware für Kriminalität. Es wird sich jedoch zunächst mit Für und Wider beschäftigen müssen. Angesichts der Falschbehauptungen zur Einschätzung von „Predictive Policing“ scheint das auch bitter nötig zu sein. Das Bundesamt für Justiz hat in dieser Woche Statistiken zur Telekommunikationsüberwachung im Jahr 2013 vorgelegt. Aus ihnen geht hervor, dass es zu einer starken Zunahme der Nutzung von Verkehrs- und Standortdaten zu polizeilichen Ermittlungen kam. Wir haben die Daten aus dem PDF befreit und visualisiert. Ebenfalls hat das Parlamentarische Kontrollgremium in seinen Berichten Zahlen zur Beschränkung der Kommunikationsgeheimnisse durch die Geheimdienste der Bundesregierung und zu den Maßnahmen im Rahmen des Terrorismusbekämpfungsgesetz veröffentlicht. Wir haben die Aussagen zusammengefasst.
Auch in dieser Woche bekamen wir wieder eine Absage auf eine Informationsfreiheitsgesetz-Anfrage. Warum das Bundeskriminalamt den bereits gekauften Staatstrojaner FinSpy 4.20 nicht einsetzen darf, ist geheim und soll es demnach auch bleiben. Nicht geheim ist hingegen, dass staatliche Überwachung zu Selbstzensur führt. Dies legt eine PEN America Studie nahe, die die Auswirkung des Chilling-Effektes auf internationale AutorInnen untersuchte. Autor_innen von Science Fiction-Romanen blicken harten Zeiten entgegen – ihre Kreativität scheint von den politischen Eliten der Welt gekapert worden zu sein – wie sonst ließe sich erklären, dass alle dystopischen Fantasien bereits in der gegenwärtigen Realität existieren? Die großartige oscarnominierte Doku “The Internet’s Own Boy” wurde diese Woche im kleinen ZDF gezeigt und ist noch in der Mediathek abrufbar.
Noch ein kleiner Nachtrag zum Chaos Communication Congress aus dem letzten Jahr: Parallel zum 31c3 veröffentlichte der Spiegel eine Todesliste der NATO und berichtet über den einkalkulierten Kollateralschaden vor Ort. Währenddessen sprachen Laura Poitras und Jacob Applebaum über weitere Leaks von Snowden. Aus den NSA-internen Folien geht hervor, dass sie über Programme verfügen mit denen sie VPN Verbindungen knacken können. SSL/TLS stellt scheinbar gar kein Problem dar. im Gegensatz dazu gibt es aber auch die erfreuliche Nachricht, dass es doch noch einige Verschlüsselungsmöglichkeiten gibt, gegen die der Geheimdienst machtlos ist. Sich alle Talks des Kongresses anzusehen würde wohl so manchen Rahmen sprengen, aber diese Woche wiesen wir euch auf zwei Reden hin. Einmal „Correcting copywrongs“ der Europaabgeordneten Julia Reda (Piratin in der Grüne-Fraktion) und Walter van Holsts Talk „Infocalypse now: Powning stuff is not enough“. Zudem wurde auf dem Congress das Projekt „Trackography“ gelauncht. Es ermöglicht einem, nachzuverfolgen welche Server, Unternehmen und Länder (oder deren Geheimdienste) ebenfalls ebenfalls mitlesen, wenn man sich auf Nachrichtenseiten informiert. Weitere Empfehlungen für spannende Vortrags-Videos vom #31c3 findet Ihr hier.
Wir wünschen ein schönes Wochenende und freuen uns auf mehr in 2015.
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„Julia Peda“ heißt Julia Reda.
Generell: Vielen Dank für eure Arbeit!