Die Wahlprogramme der größeren Parteien haben in der Regel mehr als 50 Seiten. Wer sich da informieren will, was zu ihm passt, muss jede Menge lesen. Abhilfe schaffen da verschiedene Wahl-o-Maten und Wahlprüfsteine. Sie fragen knapp die Positionen der Parteien zu Themen ab und stellen sie übersichtlich dar.
Der prominenteste Wahl-o-Mat stammt sicherlich von der Bundeszentrale für politische Bildung. Aber auch viele andere Organisationen und Verbände beleuchten vor Wahlen, wie Parteien zu bestimmten Aussagen stehen.
Dieses Jahr ist wenig Vorbereitungszeit bis zum Urnengang am 23. Februar, der Wahlkampf erfolgt im Schnelldurchlauf. Und weil die Parteien unter Zeitdruck stehen, werden sie nicht mehr beliebig viele Prüfsteine und Wahl-o-Mat-Fragen beantworten.
Nur 30 Organisationen dürfen Wahlprüfsteine einsenden
So steht beispielsweise auf der Website der SPD, man habe sich mit den anderen demokratischen Parteien auf ein Vorgehen geeinigt: „Es besagt im Wesentlichen, dass wir dieses Mal nur Wahlprüfsteine von einigen wenigen vorab gemeinsam vereinbarten, die gesamte Breite des gesellschaftlichen Spektrums repräsentierenden Verbänden und Organisationen beantworten werden.“ Auch Wahl-o-Mate werden nur begrenzt bedient. Diese Formulierung findet sich inhaltsgleich auch bei den Linken.
Erstellt hätten die Liste die Generalsekretär:innen und Bundesgeschäftsführenden von CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken und FDP. Auf die Liste der Organisationen für die Wahlprüfsteine haben es nach Informationen von netzpolitik.org 30 Verbände und Organisationen geschafft:
- Polizeigewerkschaft
- Deutscher Bauernverband DBV
- Handelsverband Deutschland HDE
- Kassenärztliche Bundesvereinigung
- Bundesverband Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken
- Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e. V. (VBW)
- Deutscher Hotel- und Gaststättenverband e. V. (DEHOGA Bundesverband)
- Deutschen Industrie- und Handelskammern (DIHK)
- Zentralverband des Deutschen Handwerks
- Verband der chemischen Industrie (VCI)
- Die Familienunternehmer
- Bundesverband der Freien Berufe
- Zentraler Immobilienausschuss (ZIA)
- Gesamtmetall
- VDA
- Deutscher Naturschutzring (DNR)
- BUND/Nabu
- Pro Asyl
- Deutscher Frauenrat
- VENRO (Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V.)
- Oxfam
- Seebrücke
- Mieterbund
- Der Paritätische Gesamtverband
- Deutscher Hanfverband
- Sozialverband VdK
- Deutschland Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW)
- Deutscher Fußball-Bund (DFB)
- Arbeiterwohlfahrt (AWO)
Viele Wirtschafts- und Berufsverbände
Rund die Hälfte davon sind Wirtschafts- und Berufsverbände, die übrigen lassen sich anderen zivilgesellschaftlichen Interessensvertretungen zuordnen. Doch die „gesamte Breite des gesellschaftlichen Spektrums“ sucht man in der Auswahl vergebens. Es fehlen Organisationen, die sich schwerpunktmäßig mit netz- und digitalpolitischen Fragen befassen, auch andere Bereiche kommen unter die Räder.
Nicht repräsentiert sind beispielsweise explizit kulturpolitische Gruppen oder Vereine, die sich für die Rechte von trans Personen oder gegen rechtsradikale Bestrebungen für Demokratieförderung einsetzen. Klar: Dass auf der Liste vertretene Gruppe diese Themen mitbehandeln, ist wahrscheinlich. Eine schwerpunktmäßige Betrachtung wird dabei aber aller Voraussicht nach fehlen.
Svea Windwehr ist Co-Vorsitzende des digitalpolitischen Vereins D64 und kritisiert die Lücke bei Organisationen, die zivilgesellschaftliche netzpolitische Interessen vertreten: „So wird es für die Zivilgesellschaft nicht nur schwieriger, Wähler*innen darüber zu informieren, wie sich die Parteien zu Kerndebatten wie Vorratsdatenspeicherung, Gesichtserkennung oder die Digitalisierung des Gesundheitssystems positionieren. Die Liste spricht auch Bände darüber, welche Interessen in Deutschland im Jahr 2025 als relevant und legitim angesehen werden, und welche nicht.“
Bei der Bundestagswahl 2021 gehörte D64 zu den Organisationen, die in ihrem „Digital-Thesen-Check“ die Antworten der Parteien auf ihre Wahlprüfsteine genutzt hatten, um deren Positionen darzustellen – von digitaler Bildung bis hin zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage.
„Wahlprüfsteine als Mittel der inhaltlichen Auseinandersetzung ernst nehmen“
Auch der aus Reihen der FDP gegründete netzpolitische Verein LOAD hatte zur letzten Bundestags- und Europawahl eigene Wahlprüfsteine erstellt. Die LOAD-Vorsitzende Teresa Widlok betont, wie aufwändig und gleichzeitig wichtig dieses Instrument ist: „Als ehrenamtliche Organisation bedeutet das für uns jedes Mal viel Arbeit in der Vorbereitung und Auswertung. Aber wir sind von der Arbeit überzeugt, weil wir glauben, dass digitalpolitisch interessierte Wählerinnen und Wähler ein gutes Informationsangebot verdient haben.“
Zu den ausgewählten Gruppen gehört LOAD bei der anstehenden Bundestagswahl jedoch nicht. Zu der Gesamtauswahl schreibt Widlok gegenüber netzpolitik.org: „Es passt ganz und gar nicht zur angeblichen Priorität der Digitalisierung in den Wahlprogrammen der Parteien, dass Digitalpolitik bei den Wahlprüfsteinen so lieblos behandelt wird.“ Der Verein hofft, „dass Wahlprüfsteine in Zukunft als Mittel der kritischen inhaltlichen Auseinandersetzung wieder ernster genommen werden“.
Wer bestimmt, wer relevant ist?
Tom Jennissen vom Verein Digitale Gesellschaft versteht zwar, dass Ressourcen und Zeit knapp sind. Er hält die nach unklaren Kriterien erstellte Liste aber für ein Problem und kritisiert, dass „die Parteien anmaßen darüber bestimmen zu wollen, wer als relevant genug gelten kann, mit Antworten beglückt zu werden.“
Er kündigt an, dass man die Parteien daher „umso mehr an ihrem tatsächlichen Handeln in der zu Ende gehenden Legislaturperiode messen“ werde. „Das wird weder für die Unionsparteien mit ihrer rassistischen Hetze und ihrem harten Insistieren auf Vorratsdatenspeicherung und anderen dystopischen Überwachungsfantasien, noch für die Parteien der ehemaligen Ampelkoalition besonders schmeichelhaft ausfallen, deren sogenanntes ‚Sicherheitspaket‘ wir ebenso wenig vergessen werden wie das Desaster der Gesundheits- und Verwaltungsdigitalisierung – von ihrer menschenfeindlichen Migrationspolitik ganz zu schweigen.“
Wie ist die Liste zustande gekommen? Die Organisationen auf der Liste wissen es offenbar teils selbst nicht. Einen Bewerbungsprozess oder ähnliches habe es nicht gegeben. Wir haben die beteiligten Parteien nach den Auswahlprozessen gefragt. Ebenso wollten wir unter anderem wissen, was passiert, wenn eine nicht-gelistete Organisation eigene Prüfsteine schickt. Eine Antwort bekamen wir auf diese und andere Fragen bisher von keiner der Parteien.
Update, 15:08 Uhr – Aus der SPD-Pressestelle heißt es: „Wir bitten Sie um Ihr Verständnis, dass weitere Details zum angepassten Verfahren in dieser besonderen Situation Teil des vertraulichen Abkommens zwischen den Parteien sind.“
Das sieht alles nicht wirklich nach einer freien Wahl aus. Man möchte die Meinungshoheit behalten und die Meinungen bzw. Infomation beherrschen und kanalisieren. Schade, wie die Parteien das System beschädigen. Sie sind nicht am einem Bundestag interessiert, der weithin anerkannt und respektiert wird, sondern nur am Wählerstimmen für die eigene Partei. Der wähler ist ihnen aber völlig egal.
Über grundlegende wichtige Dinge darf man gar nicht abstimmen.
Na ja, dann dürften wir uns nicht wundern, wenn sich schätzungsweise mehr als zwei Drittel gar nicht repräsentiert fühlen.
Mit Verlaub: Wahlprüfsteine, die lediglich die Antworten der Parteien aufführen, sind nur Multiplikatoren für irreführende Partei-Werbung. Denn mehr sind diese Antworten nicht.
Das gleiche gilt für Wahl-O-Mate, die lediglich Parteiprogramme auswerten ohne tatsächliche Handlungen gegenüber zu stellen.
So sehen zB Reden im traditionelle sozialdemokratische Halbjahr vor einer Bundestagswahl ebenso wie das Programm der SPD aus wie das einer sozialdemokratischen Partei, aber beides hat nichts mit dem Agieren der SPD in einer Regierung zu tun.
Dennoch wollen die keine Stellung beziehen, und somit ein Framing vorgeben. Daher ist die Veranstaltung kompletto Käse.
Ein Prüfstein soll nur ein wenig des zu überprüfenden Materials abschleifen und annehmen können. Der Prüfstein muss sorgfältig sauber sein. Er muss vor der Anwendung eingefettet werden, sonst würde er zu viel Material abtragen und den Prüfling beschädigen.
Ganz wichtig: Parteien sind keine Edelmetalle! Manche assoziieren eher stinkende, schleimige Substanzen, in denen jegliche Steine zu Boden sinken.
> Update, 15:08 Uhr
Das war wohl eher keine Antwort.
> Deutscher Hanfverband
So so, die CDU konnte davon überzeugt werden, dass Kiffen wichtig ist.
Mit dem Rest bin ich ganz bei Tom Jennissen. Wir sollten die Parteien daran messen, was sie so in der vergangenen Legislaturperiode verzapft haben. Sehe ich auch so, dass das zu viel ist, auf das man nicht stolz sein sollte.
Das solltet ihr zum Anlass nehmen auch bei der nächsten Wahl Wahlprüfsteinen basierend auf deren Verhalten zu veröffentlichen. Da gibt es doch in der Tat eine Lücke.
Das ist natürlich schlecht für kleine Parteien, die gerade sich anstrengen müssen um überhaupt auf dem Stimmzettel zu erscheinen, da sie ja nicht groß medial auffallen. Aber da kann man sich ja immer noch am Programm orientieren.
Na immerhin haben der Hanfverband und der Deutsche Fusball-Bund, es in diese exklusive Auswahl geschafft – die müssen wohl wichtiger sein als Neulandpolitik.
Wie auch schon Vorredner ähnlich angemerkt haben sind die Wahlprogramme bestenfalls eine Absichtserklärung, die teils schon am Koalitionsvertrag scheitert. Und das (gerade im Bereich Innen- und Sicherheitspolitik) selbst die Koalitionsverträge nicht mehr als eine vorläufige Absichtserklärung darstellen, mit Option aufs Gegenteil, durften wir ja mittlerweile auch feststellen.
Das Reduziert den praktischen Wert von solchen Wahl-O-Maten und Prüfsteinen doch drastisch.
Andererseits wäre ein Erhrlichkeits- bzw. Umsetzungsindex nur auf Regierungsparteien anwendbar und sowieso schwer zu erstellen. (Der Index müsste sich auf die Anzahl der hinreichend umgesetzten Wahlprogrammpunkte beziehen)
Eigentlich sind Antworten der Parteien und Politiker nicht so relevant. Viel mehr als Phrasen und Allgemeinplätze wird man nicht hören.
Das tatsächliche Abstimmungsverhalten und die gestellten Anträge sind viel wichtiger. Natürlich ist auch das nicht voll aussagefähig, weil die Opposition nur mit Nein stimmt, um die Regierung zu ärgern und die Regierungsparteien nur aus Vasallentreue dafür stimmen.
Die Konfrontation mit der Extrapolation des Vergangenen in die Zukunft könnte freilich aufschlussreich werden.
Leuchtet mir nicht ein: Die Wahlprogramme sind ja öffentlich zugänglich, und ansonsten darf eine Partei doch wohl parteiisch sein, und entscheiden, wer ihren Zielen nützlich ist. Eine Partei ist eine Interessengruppe, kein allgemeiner Wohltätigkeitsverein.