KW 7Die Woche, in der die Betroffenen Mut und Größe zeigten

Die 7. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 23 neue Texte mit insgesamt 220.849 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.

Fraktal, generiert mit MandelBrowser von Tomasz Śmigielski

Liebe Leser:innen,

am Donnerstag um 17:59 Uhr hat mich eine Pressemitteilung erreicht, die mir sofort das Herz erwärmt: Betroffene des Münchener Anschlags, Menschen aus der Gewerkschaft und deren Freund:innen rufen zu einer spontanen Demo auf, in der sie einerseits der Opfer gedenken wollen und sich andererseits gegen die politische Instrumentalisierung wehren. Im Aufruf heißt es:

Als Gewerkschafter:innen und Betroffene sehen wir die aktuelle rassistische Stimmungsmache nicht als Unterstützung, sondern im Gegenteil als weiteren Angriff auf uns und fordern die Politik auf, sie zu unterlassen!

Es sind genau diese Stimmen der Menschlichkeit, die untergehen, wenn es zu einem Ereignis wie in München kommt. Denn Anschläge, Amokläufe und Morde unter Beteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte haben ein mediales Muster, das immer gleich ist und das wir alle mittlerweile gut kennen.

So auch dieses Mal:

Die Eilmeldung von der Tat trifft ein, es gebe etwa 30 Verletzte. Umgehend erste Spekulationen, auf der Hassplattform X sofort Schuldzuweisungen. Dann erste Infos vom bayerischen Innenminister: Es war ein Muslim, polizeibekannt, kriminell. Die Bundesinnenministerin fordert per Pressemitteilung die „maximale Härte des Rechtsstaats“ – auch wenn das rechtstheoretisch natürlich Bullshit ist – und markiert Härte: wir schieben als einzige auch zu den Taliban ab.

Söder ruft „Es reicht einfach!“ dazwischen, Scholz will ganz schnell auch abschieben, Merz in Deutschland etwas grundlegend ändern, Weidel hetzt. Irgendwer spricht von einer feigen Tat, die Gedanken seien bei den Opfern. Terrorexperten spekulieren, Söder inszeniert sich auf Instagram am Tatort. Kurz danach muss der bayerische Innenminister korrigieren, was er an Falschem verbreitet hat. Die Redaktionen tickern wie wild, Genaues weiß man nicht. Dennoch fragt abends der Moderator im ARD-Brennpunkt allen Ernstes den – warum auch immer eingeladenen – Ministerpräsidenten aus Rheinland-Pfalz, ob nicht doch zu viele Flüchtlinge im Lande seien.

Es ist nicht auszuhalten. Es ist ein Muster, das Rassismus, Angst und Hilflosigkeit vorantreibt und dabei Aktionismus, Handlungsfähigkeit und Entschlossenheit simuliert – aber in keinster Weise gegen solch schreckliche Taten hilft.

Die einzigen, die nicht in dieses Muster passen, sind die betroffenen Gewerkschafter:innen und ihre spontane Demo am Odeonsplatz. Ihr expliziter Wunsch: Dass sie und ihr Leid nicht instrumentalisiert werden – nicht für den Wahlkampf und nicht, um Migranten:innen das Leben schwer zu machen.

Eine Auszubildende der Stadt München spricht am Abend. Die Statements aus der Politik würden sie nicht nur hilflos und traurig machen, sondern „richtig, richtig wütend“. „Ich will am liebsten nur kotzen“, weil die Tat für einen „rechten und rassistischen Wahlkampf“ genutzt werde, sagt sie auf der Demo. Über die Demo und den Wunsch der Betroffenen wird in den Nachrichten kaum berichtet, sie bleiben Randnotiz.

Dabei zeigen ausgerechnet sie an diesem schlimmen Tag Größe und Mut. Sie machen Hoffnung. Denn sie stehen tatsächlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, den andere nur floskelhaft beschwören, während sie gleichzeitig die rassistische Ausgrenzung von an der Tat völlig unbeteiligten Menschen vorantreiben.

In Gedanken bei den Betroffenen

Markus Reuter

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2 Ergänzungen

  1. Wieso drehen sich die KW Rückblicke in letzter Zeit immer um Migration? Es wäre mal toll, wenn wir den Fokus wieder auf Digitalpolitik setzen würden, auch um uns etwas von den Hauptthemen abzulenken…

    1. Stimmt. Migration ist gerade das große Thema, das überall viel zu viel besprochen wird. Das sehe ich auch so. Ich sehe aber manche Positionen zu wenig berücksichtigt und fand die Reaktion der Betroffenen und der Gewerkschafter:innen aus einer menschenrechtlichen Perspektive zu wichtig, um sie nicht als Gegenbeispiel in diesem Diskurs noch einmal zu würdigen.

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