EuGH-UrteilNationale Plattformregeln widersprechen EU-Recht

Drei große Internetkonzerne hatten gegen Österreich geklagt, der Europäische Gerichtshof gibt ihnen Recht. Doch das Urteil ist eine generell Absage an nationale Plattformregeln – und betrifft so auch das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Ein Richterhammer und ein Resonanzblock aus Holz auf einer Flagge der Europäischen Union.
Der Europäische Gerichtshof hat am Donnerstag ein wegweisendes Urteil gefällt. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Herrmann Agenturfotografie

Das höchste Gericht der EU watscht nationale Regeln für Inhaltsmoderation ab. Das geht aus einem Urteil hervor, dass der europäische Gerichtshof in einem Streit zwischen Österreich und Google, Meta und TikTok gefällt hat. Der EuGH stellt fest: Allgemeine nationale Regelungen für Plattformen, die ihren Sitz in einem anderen EU-Land haben, verstoßen gegen europäisches Recht.

Anlass des Rechtstreits war das österreichische Kommunikationsplattformen-Gesetz, das dem deutschen NetzDG ähnlich ist. Dieses hatte Plattformanbieter verpflichtet, Melde- und Überprüfungsverfahren für potenziell rechtswidrige Inhalte einzurichten. Bei Verstößen waren Strafen von bis zu zehn Millionen Euro fällig. Google, Meta und TikTok klagten gegen das österreichische Gesetz – und bekamen vor dem EuGH Recht.

Keine „generell-abstrakten Regeln“

Das Gesetz verstößt nach Ansicht des EuGH gegen die „Richtlinie über Dienste der Informationsgesellschaft“. Diese soll den freien Verkehr von Dienstleistungen der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherstellen. Die grundsätzliche Aufsicht liegt deshalb bei dem EU-Land, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Im Fachjargon heißt das Herkunftslandprinzip. Im Fall von Google, Meta und TikTok ist das „Herkunftsland“ Irland.

Der EuGH stellt sehr klar fest, dass andere Mitgliedsstaaten für solche Dienste keine „generell-abstrakten“ Maßnahmen ergreifen dürfen. „Wäre der Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) ermächtigt, solche Maßnahmen zu erlassen, würde in die Regelungskompetenz des Herkunftsmitgliedstaats (hier Irlands) eingegriffen. Im Übrigen würde dies das gegenseitige Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten untergraben und gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verstoßen. Zudem unterlägen die betreffenden Plattformen unterschiedlichen Rechtsvorschriften, was auch dem freien Dienstleistungsverkehr und damit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zuwiderlaufen würde“, schreibt der EuGH in seiner Pressemitteilung.

Ausnahmen von diesem Verbot gibt es nur „unter eng gefassten Bedingungen und in bestimmten Fällen […], um die öffentliche Ordnung, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, die öffentliche Sicherheit oder den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten“. Die EU-Kommission und der Mitgliedsstaat, in dem die Plattform ihren Sitz hat, müssen von einer solchen benachrichtigt werden.

Was heißt das für das NetzDG?

Das Urteil aus Straßburg setzt das österreichische Gesetz defacto außer Kraft, wirkt aber weit über die Alpenrepublik hinaus. Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte betont gegenüber netzpolitik.org, dass das österreichische Kommunikationsplattformen-Gesetz „fast identisch“ zum deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) sei.

Das NetzDG wird zwar bald durch den europäischen Digital Services Act (DSA) abgelöst. Mit letzterem hatte die EU unter anderem einheitliche Regeln für die Moderation in Sozialen Medien geschaffen. Das Urteil könne nun aber enorme Auswirkungen auf laufende Verfahren nach dem NetzDG haben, befürchtet Lück. So läuft etwa aktuell ein Bußgeldverfahren gegen X (vormals Twitter) wegen Versäumnissen beim Löschen von Inhalten, die als rechtswidrig gemeldet wurden.

Zudem schränke es generell die nationalen Kompetenzen bei der Plattformregulierung ein. „Nach dem EuGH-Urteil könnte jetzt maximal Irland neue Regeln erlassen“, erklärt Lück. Allerdings sei der Spielraum für neue Regelungen durch den DSA sowieso eng. Fraglich ist laut Lück nun, wie es mit einzelnen Regelungen des NetzDG weitergehe, etwa dem Zustellungsbevollmächtigten. „Da ist das EuGH-Urteil nicht eindeutig, weil es nicht näher ausführt, was generell-abstrakt genau ist“, kritisiert der Jurist.

Warum Österreich ?

An dem Urteil überrascht zudem, dass es nun genau jetzt Österreich trifft. Immerhin gibt es die Richtlinie, auf die der EuGH jetzt Bezug nimmt, schon seit dem Jahr 2000. Das NetzDG, welches bis zu fünfmal höhere Strafen vorsieht als das österreichische Pendant, trat bereits 2017 in Kraft. „Es ist auffällig, dass die Plattformen gegen dieses Gesetz vorgegangen sind, während sie die Regeln in Deutschland generell erfüllt haben, wenn auch unter Protest“, findet Lück. Gegen einzelne Aspekte des NetzDGs hatten sich die Social-Media-Konzerne allerdings durchaus gewehrt. So klagten sie etwa erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen eine Pflicht zur Meldung von IP-Adressen an das Bundeskriminalamt.

Das deutsche Gericht argumentierte schon damals mit dem Herkunftslandsprinzip, die Frage der Vereinbarkeit des NetzDGs mit EU-Recht prägte die Debatte von Anfang an. „Die europarechtliche Zulässigkeit einer nationalen Regelung für die Anbieter sozialer Netzwerke, die nicht in Deutschland ansässig sind oder als dort nicht ansässig gelten, ist umstritten“, bilanzierte auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags im Jahr 2020. Mit dem Urteil des EuGH vom Donnerstag scheint diese Frage nun geklärt.

 

1 Ergänzungen

  1. Die Medienanstalten werden trotzdem ein Alterdverifikationssystem einfordern. Das idt doch genau das Gleiche was Österreich versuchte. Ein Einbau von regulatorischen Systemen auf Bitten eines Staates generell-abstrakt für alle Anbieter der gleichen Kategorie (Porno statt Social Media).

    Wie werden die sich also diesmal rausreden?

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