Aus für das NetzDGEuropaweite Regeln für das Löschen und Sperren

Das deutsche NetzDG sollte illegale Inhalte im Netz bekämpfen und galt doch als unbeliebt. Ab Februar 2024 wird das umstrittene Gesetz von einer neuen EU-Verordnung abgelöst, die alle Online-Plattformen schärfer in den Blick nimmt. Wir veröffentlichen den Referentenentwurf, der das deutsche Recht an das EU-Gesetz anpassen soll.

Instagram, Facebook
Große Plattformen fallen künftig unter strengere EU-Regeln (Symbolbild) – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Brett Jordan

Das vielfach kritisierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist bald Geschichte. Das Gesetz verpflichtet Plattformen wie Facebook und YouTube seit mehr als fünf Jahren, gegen mutmaßlich rechtswidrige Inhalte vorzugehen. Bei der Einführung protestierten viele Organisationen aus der Zivilgesellschaft, sie fürchteten, das NetzDG verleite die Plattformen zu übermäßigem Sperren und Löschen von Inhalten, sogenanntem Overblocking. In der Folge wurde das Gesetz mehrfach überarbeitet.

Nun wird das NetzDG von einer EU-Verordnung abgelöst, dem Digitale-Dienste-Gesetz. Dieses gilt ab Februar 2024 europaweit und setzt das NetzDG außer Kraft. Die Verordnung aus Brüssel bringt Neuerungen, die sich im Netzalltag bemerkbar machen dürften. Etwa sollen Nutzer:innen, deren Posts von einer Plattform gelöscht oder gesperrt werden, Einspruchsmöglichkeiten erhalten. Das EU-Regelwerk gilt für alle Online-Dienste, egal wie groß sie sind. Besonders weitgehende Auflagen gibt es jedoch für die 17 meistgenutzten Plattformen.

EU-Verordnungen gelten automatisch in der gesamten EU. Trotzdem müssen einzelne Staaten noch klären, wie sie die neuen Regeln im Detail umsetzen. Wie das in Deutschland passieren soll, verrät ein Referentenentwurf des Bundesministerium für Digitales und Verkehr. Über den Entwurf hatte zuerst der Tagesspiegel Background (€) berichtet, wir veröffentlichen ihn im Volltext. Die Einhaltung der neuen Regeln überprüfen soll weitgehend die Bundesnetzagentur, Befugnisse sollen aber auch die Landesmedienanstalten und der Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit erhalten.

Erstmals europaweiter Rahmen für Inhaltemoderation

Wie schon das NetzDG verpflichtet das Digitale-Dienste-Gesetz die Betreiber:innen von Online-Diensten, einen Meldeweg gegen rechtswidrige Inhalte zu schaffen. Das betrifft Urheberrechtsverletzungen ebenso wie illegale Hassrede, terroristische Inhalte, Cyber-Stalking oder Darstellungen sexuellen Missbrauchs an Kindern. Während das NetzDG nur für soziale Netzwerke ab einer bestimmten Größe galt, verpflichtet die neue EU-Verordnung auch andere Plattformen zur Einrichtung von Meldesystemen, zum Beispiel Suchmaschinen oder Online-Marktplätze wie Zalando und Amazon. Ausnahmen sind nur für Kleinst- und Kleinunternehmen vorgesehen.

Das neue EU-Digitalgesetz gebe Unternehmen erstmals europaweit einen Rahmen vor, wie sie Entscheidungen zur Inhaltemoderation dokumentieren und den Nutzenden dazu Auskunft geben müssen, sagt Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung. „Ohne ein solches Regelwerk wäre es Plattformen weitgehend selbst überlassen, ob und falls ja, wie sie ihre Inhaltemoderation offenlegen“, so der Regulierungsexperte.

Wenn ein Online-Dienst künftig einen Inhalt entfernt, muss er das detailliert begründen und Beschwerden von Nutzer:innen entgegennehmen. Solche Entscheidungen sollen von Menschen überprüft und nicht allein automatisiert getroffen werden. Sollten sich strittige Fälle nicht über das interne Beschwerdesystem lösen lassen, sieht das Gesetz zudem eine außergerichtliche Streitbeilegung vor. Wer in Deutschland diese Aufgabe übernehmen wird, steht noch nicht fest – daran interessierte Stellen wird die Bundesnetzagentur akkreditieren.

Insgesamt sollte das die Rechte von Nutzer:innen deutlich stärken. So versteckte etwa Facebook lange Zeit die vom NetzDG vorgeschriebenen Meldewege und handelte sich deshalb ein millionenschweres Bußgeld ein. Erfolgreich verlief hingegen eine Klage des Unternehmens gegen Widerspruchs- und Wiederherstellungsmechanismen des NetzDG, weil die Bestimmungen gegen EU-Recht verstoßen hatten. Starke, EU-weite Regelungen sollten die Erfolgsaussichten derartiger juristischer Manöver spürbar einschränken.

Neuer Weg für Netzsperren

Darüber hinaus kommen weitere Verpflichtungen auf die Online-Anbieter zu. Bei Verdacht auf eine Straftat auf ihrem Dienst müssen sie etwa Ermittlungsbehörden Bescheid geben, schreibt das neue EU-Gesetz fest. In Deutschland wird dem Referentenentwurf zufolge das Bundeskriminalamt als Zentralstelle solche Informationen entgegennehmen. Das ähnelt einer Bestimmung des NetzDG, die jedoch ebenfalls gegen das Herkunftslandprinzip und somit EU-Recht verstoßen hatte.

Der Referentenentwurf erweitert außerdem die Möglichkeit zu Netzsperren auf sämtliche digitale Dienste und Access-Provider, wenn es um Verletzungen des Urheberrechts geht und sich diese auf anderem Wege nicht abstellen lassen. Das könnte die Zahl von Sperren künftig in die Höhe schnellen lassen, die hierzulande etwa die „Clearingstelle Urheberrecht im Internet“ (CUII) gegen „strukturell urheberrechtsverletzende“ Webseiten außergerichtlich schon seit Jahren durchsetzt.

Über die Vorgaben des Digitale-Dienste-Gesetzes in puncto Jugendschutz soll die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ) wachen. Die Behörde soll etwa sicherstellen, dass für Minderjährige zugängliche Online-Dienste die „Privatsphäre, Sicherheit und den Schutz von Kindern und Jugendlichen“ schützen. Ob die von den Anbietern getroffenen Vorsorgemaßnahmen ausreichen, soll zunächst von jugendschutz.net eingeschätzt werden. Das ist eine gemeinsame Einrichtung von Bund und Ländern für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz.

Neue Koordinierungsstelle in Bonn

Die Hauptlast der Aufsicht über digitale Dienste fällt jedoch der Bundesnetzagentur zu. Hierfür wird eine Koordinierungsstelle für digitale Dienste in der Bonner Behörde eingerichtet, die völlig unabhängig und weisungsfrei arbeiten soll. Zum einen soll sie sich darum kümmern, dass die Vorgaben in Deutschland umgesetzt werden, zum anderen vertritt sie Deutschland im Europäischen Gremium für digitale Dienste. Dorthin entsendet jedes EU-Land eine koordinierende Person, den Vorsitz führt die EU-Kommission. Zu den Aufgaben des Gremiums zählen unter anderem die Koordinierung gemeinsamer Untersuchungen, die Analyse der Berichte und Ergebnisse von Prüfungen sehr großer Online-Plattformen sowie die Abgabe von Stellungnahmen, Empfehlungen oder Ratschlägen an die Koordinator:innen für digitale Dienste.

In Deutschland soll zudem ein Beirat die Koordinierungsstelle unterstützen. Er soll aus 16 Personen bestehen und sich aus Vertreter:innen der Wissenschaft, Zivilgesellschaft und der Wirtschaft zusammensetzen. Vorschlagen wird die Mitglieder der Digitalausschuss des Bundestags, absegnen muss sie das Bundesverkehrsministerium. Mindestens vier Sitzungen soll es pro Jahr geben, ordentliche Sitzungen sollen öffentlich stattfinden.

Über Details der Umsetzung in Deutschland berät die Bundesregierung noch, Ressortabstimmung und Verbändebeteiligung stehen aus. Kleinere Änderungen sind daher noch möglich. Das deutsche Umsetzungsgesetz soll allerdings vermutlich stehen, wenn die neue EU-Verordnung nächstes Jahr wirksam wird.

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6 Ergänzungen

  1. Wie die neuerlichen Aussagen von Digtalkommissar Thierry Breton im französischen Fernsehen zeigen, soll der Digital Service Act durchaus zur politischen Zensur eingesetzt werden. Macron hatte als Reaktion auf die neuerlichen Aufstände seinen Wunsch nach härteren Zensurmaßnahmen angekündigt und erhält also entsprechende Rückendeckung von der EU. Sehr praktisch für alle (autoritär) Regiernden, die damit unbeirrt ihre ungerechte, ausbeuterische Politik fortsetzen können und wenn sich Menschen darüber informieren, empören, vernetzen wollen oder auch einfach nur dokumentarisch erfasst wird, dass Menschen deshalb wutentbrannt auf die Straßen gehen, kann das einfach ausgeknipst werden, weil das selbstverständlich gegen die „Sicherheitsinteressen“ ist. Damit reiht sich der DSA dann allerdings auch offen in die Zensurgesetze a la NetzDG und davon inspirierten Ablegern aus Russland, Türkei und anderen autoritären Regimen ein.

  2. Ist das nicht viel schlimmer als das NetzDG? Wenn ich es richtig verstanden habe müssen die Plattformen Inhalte löschen, die in nur einem einzigen EU-Staat strafbar sind. Kann also ein deutscher Bürger zensiert werden, weil er gegen ein Gesetz in bspw. Polen verstößt? Man kann ja wohl nicht alle Gesetze aller EU-Staaten kennen.

    Fallen da auch Imageboards, Community-Sites usw. drunter? Da wird es bzgl. Inhaltskontrolle dann ja noch abenteuerlicher. Oder sind Dienste, die nur an nationale Bürger gerichtet sind, nicht dem DSA verpflichtet?

    Ich spüre hier eine sehr große Welle von Netzsperren insb. Giganten, wie Pixiv, Deviantart u. andere Plattformen. Letztes Jahr hat Yahoo Japan alle seine Dienste für Europär wegen der DSGVO geblocked und ähnliches potential sehe ich jetzt auch hier.

    1. Mit VPN Japan IP kann man Yahoo Japan nutzen so wie man Wikifeet nutzen kann mit USA VPN IP. Zum Problem wird es werden, wenn Webseiten (wie es Facebook, Instagram, Omegele und Co schon machen) auch alle VPN IP oder Tor IP-Adressen blockieren!

  3. Zensur bleibt Zensur……völlig schnurz wenn man vermeintlich gutgemeint bekämpft!

    Wie will der Westen eigentlich in Zukunft gegen China, Russland, arabische Despoten argumentieren…..wenn wir genau die gleiche Richtung einschlagen? Netz DG soll sogar für das russische Regime Vorbild gewesen sein.

    Im übrigen macht man mit Zensur das Internet kaputt……..gerade auch der harte Meinungsaustausch macht ja den Reiz aus. Straftaten konnte man zu allen Zeiten verfolgen (Volksverhetzung etc.)….also kein Argument. Es geht wohl eher um Deutungshoheit und Bevölkerungskontrolle…..die Eliten sind doch überall gleich.

    1. > „Wie will der Westen eigentlich in Zukunft gegen China, Russland, arabische Despoten argumentieren…..wenn wir genau die gleiche Richtung einschlagen? Netz DG soll sogar für das russische Regime Vorbild gewesen sein.“

      Die Fingerabdrücke im Personalausweis sind auch so ein Fall von „Wir machen etwas, das wir als ganz furchtbar bezeichnen würden, wenn es China, Russland oder die Türkei machen würden.“ (Wenn EU-Bürger in diesen Ländern Fingerabdrücke abgeben müssten ohne dass vorher ein Tatverdacht existierte, würde unter Anderem Amnesty International vor Wut schlimmer schäumen als eine LKW-Ladung Mentos in einem Schwimmbecken voller Cola..)

  4. Mich würde mal interessieren, ob das Fediverse davon betroffen sein wird nachdem das NetzDG zum Glück an dessen Eigenheiten vorbei konzipiert war.

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